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W. Schönig: Lebenshaltung, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Lebenshaltung}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:22 Uhr

Unter L. versteht man die Gesamtheit der Güter und Dienstleistungen, die einem privaten Haushalt (Haushalt, privater) zur Verfügung stehen. Das Niveau der L. wird als Lebensstandard bezeichnet und ermöglicht einen Vergleich des Lebensstandards im Quer- und Längsschnitt. Davon ausgehende Vergleiche sind oftmals Gegenstand gesellschaftspolitischer Diskussionen und bieten einen Ansatzpunkt für sozialpolitische Interventionen.

Die Verfügung über Güter und Dienstleistungen verursacht Kosten und daher ist die L. durch Erwerb aus Eigenmitteln der privaten Haushalte und/oder durch staatliche Realtransfers zu finanzieren. Aus Sicht des privaten Haushalts wird die Summe der von ihm unmittelbar aufgebrachten Kosten als L.s-Kosten erfasst und in der Wirtschaftsstatistik im Querschnitt als Kosten für verschiedene Haushaltstypen und Warengruppen sowie im Längsschnitt als Verbraucherpreisindex ausgewiesen. Sozial- und wirtschaftspolitisch wird zudem diskutiert, welcher Lebensstandard bei Fürsorgeleistungen angemessen ist.

1. Empirische Aspekte

Die L.s-Kosten können nach unterschiedlichen Aspekten erfasst und differenziert werden. Ausgehend von einem Haushalt mit durchschnittlichem Einkommen (Eltern und zwei Kinder) können Differenzierungen u. a. nach anderen Haushaltstypen, Warengruppen, Regionen und Ländern erfolgen. Dabei ist jeweils die Datenbasis dieselbe, da die L.s-Kosten von den staatlichen Statistikbehörden (in Deutschland: StBA) ermittelt werden.

Dazu werden in der EVS und den laufenden Wirtschaftsrechnungen die Konsumausgaben der Haushalte in den einzelnen Warengruppen erfragt und die Anteile der Warengruppen an ihrem Gesamtbudget differenziert erfasst. Da sich über die Jahre sowohl die Warengruppen ändern (z. B. neue Kosten für Computer und mobile Kommunikation) als auch die Gewichtung der Gruppen untereinander Verschiebungen unterliegt (z. B. weniger Kostenanteil für Bücher und Zeitschriften), sind diese Erhebungen in regelmäßigen Abständen zu wiederholen, damit jeweils eine realistische L. ausgewiesen wird. Für das Jahr 2016 macht das StBA folgende Angaben:

Durchschnittliche monatliche Konsumausgaben privater Haushalte 2.480 €
Paare mit Kindern 3.389 €
Paare ohne Kind 2.963 €
Alleinerziehende 1.936 €
Alleinlebende 1.590 €

Tab. 1: Konsumausgaben privater Haushalte

Konsumausgaben in Abhängigkeit vom Haushaltsnettoeinkommen
5.000 – 18.000 € 4.479 €
3.600 – 5.000 € 3.124 €
2.600 – 3.600 € 2.417 €
1.300 – 2.600 € 1.681 €
unter 1.300 € 1.025 €

Anteil an den durchschnittlichen Konsumausgaben
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 35 %
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 14 %
Verkehr 14 %
Freizeit, Unterhaltung, Kultur 10 %
Bekleidung, Schuhe 4 %
sonstige Konsumausgaben 23 %

Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser Daten der reine Ausweis von Durchschnittswerten leicht in die Irre führt, da sowohl die Kosten der L. als auch deren Zusammensetzung je nach Haushaltstyp variieren. Zudem können erhebliche Verschiebungen innerhalb der hier ausgewiesenen Gruppen vorliegen (z. B. steigende Mieten bei sinkenden Energiekosten). Weiterhin ist zu vermerken, dass die Gruppe der sonstigen Konsumausgaben, die mit 23 % die zweitgrößte Warengruppe stellt, inhaltlich kaum greifbar ist (Ausgaben für Innenausstattung, Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen, Gesundheit, Post und Telekommunikation, Bildung sowie andere Waren und Dienstleistungen) und tendenziell in ihren Subgruppen einen eigenen Ausweis erfahren sollte.

Der Warenkorb privater Haushalte wird im Längsschnitt dazu genutzt, den Verbraucherpreisindex zu berechnen, der als Inflationsrate (Inflation) bezeichnet wird und von erheblicher wirtschafts- und sozialpolitischer Relevanz ist. Ausgehend vom Wert im Jahr 2010 = 100 weist das StBA folgende Daten für das Jahr 2017 aus:

Verbraucherpreisindex insgesamt 109,3
Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke 116,4
Alkoholische Getränke und Tabak 118,9
Bekleidung und Schuhe 108,5
Wohnung, Wasser, Heizung 109,6
Möbel, Haushalt 104,1
Gesundheit 107,0
Verkehr 107,6
Nachrichtenübermittlung 89,8
Freizeit, Unterhaltung, Kultur 108,0
Bildung 95,5
Hotel und Gaststätten 115,5
Sonstige Waren und Dienste 109,2

Tab. 2: Verbraucherpreisindex

Man erkennt erneut, wie bedeutsam die Differenzierung nach Warengruppen jenseits des Durchschnittswertes von 109 ist, da sich deren Teilindices erheblich in einer Spannweite von 89,8 bis zu 118,9, mithin um fast 30 Prozentpunkte, unterschieden. Nicht selten lösen überdurchschnittliche Steigerungen bei einzelnen Warengruppen (v. a. Wohnkosten, Verkehr und Lebensmittel) wirtschafts- und sozialpolitische Diskussionen aus, die sich dann in der Feststellung der Regelsätze im Fürsorgesystem oder auch in den Tarifforderungen der Gewerkschaften niederschlagen.

2. Theoretische Aspekte

Die L. ist eines der frühen und zentralen Themen der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse, die sich mit der Verwendung des erzielten Einkommens privater Haushalte befasst. Hierbei werden sowohl das Konsumniveau als auch Verschiebungen innerhalb der L.s-Kosten betrachtet.

Sinkende marginale Konsumneigung im Querschnitt: Mit Blick auf die Höhe der Konsumausgaben im Querschnitt verschiedener Haushalte ist zu beobachten, dass die relativen Konsumausgaben mit steigendem Einkommen fallen, da ein wachsender Anteil des Einkommens gespart wird. Während in den unteren Einkommensgruppen das gesamte Einkommen zu 100 % in den Konsum fließt, wachsen mit steigenden Einkommen die Sparfähigkeit und auch die Sparneigung. In der makroökonomischen Theorie des Keynesianischen Modells (Keynesianismus) ist die steigende marginale Sparneigung Teil der Konsumfunktion, die sich aus einem Bereich autonomen (einkommensunabhängigen) und einem Bereich marginalen (einkommensabhängigen) Konsums zusammensetzt. Nimmt man an, dass eine zu hohe Sparquote der privaten Haushalte ursächlich für eine nachfragebedingte konjunkturelle Krise ist, so würde eine Umverteilung zu Gunsten der unteren Einkommensklassen zusätzliche Nachfrage freisetzen und antizyklisch wirken.

Verschiebung der Konsumstruktur im Querschnitt: Die empirische Analyse zur Verschiebung der L. zwischen und innerhalb der Warengruppen hat zudem ergeben, dass mit steigendem Einkommen andere und höherwertige (superiore) Güter und Dienstleistungen konsumiert werden, während umgekehrt einfache (inferiore) Güter und Dienstleistungen mit steigendem Einkommen in den Hintergrund treten.

Konstanz der Konsumquote im Längsschnitt: Die Untersuchung langer Zeitreihen zum privaten Konsum in Abhängigkeit vom Volkseinkommen zeigt ebenso regelmäßig vergleichsweise konstante Werte mit einer durchschnittlichen Sparquote von um die 10 % des Volkseinkommens. In Kriegs- und Krisenzeiten steigt die Konsumneigung, während sie in Friedenszeiten – aufgrund der politischen Stabilität – tendenziell fällt, so dass mehr gespart wird, was aufgrund des Akkumulationsprozesses eine zunehmende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Friedenszeiten bewirkt. Die heutige Problematik wachsender Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Deutschland ist daher wesentlich auf die wachsende Sparneigung privater Haushalte in der lang anhaltenden Friedensphase seit dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen.

3. Wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte

L. und L.s-Kosten sind ein zentrales Thema der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion (Wirtschaftspolitik; Sozialpolitik). Sie behandelt normative Fragen der Angemessenheit einer L. sowie der Zumutbarkeit von Kosten einzelner Güter und Dienstleistungen im Haushaltsbudget. Staatliche Interventionen richten sich i. d. R. auf die Begrenzung dieser Budgetposten.

Klassisches Beispiel einer solchen Intervention ist die Festsetzung eines Höchstpreises bei lebensnotwendigen Gütern wie Brot oder Wohnungsmieten, die aufgrund ihres geringen administrativen Aufwandes v. a. in wenig entwickelten Volkswirtschaften angewendet wird. Aufgrund von Allokations- und Distributionsproblemen, sowie der Notwendigkeit, dann letztlich in Staatsregie diese Güter bereitstellen zu müssen, werden Höchstpreise auf einzelne Güter in höher entwickelten Volkswirtschaften kaum noch angewendet.

Bedeutsamer ist hier die Forderung nach oberen Belastungsgrenzen für einzelne Warengruppen, wie bei der Forderung z. B. nach Beachtung einer maximalen Mietbelastungsquote, nach Beitragssatzstabilität in der GKV oder nach einer Begrenzung der Stromkosten. Wirtschaftspolitische Interventionen können dann in der Subvention von Anbietern oder der gezielten Senkung von Verbrauchsteuern auf diese Güter bestehen.

Die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Staat derartig in das Preisgefüge der L. intervenieren sollte, wird in der ökonomischen Literatur unter dem Stichwort der „(De-)Meritorisierung“ (Musgrave/Musgrave 1994: 87) kontrovers diskutiert. Dabei meint Meritorisierung die Verbilligung von meritorischen, d. h. „verdienstvollen“, erwünschten Gütern und Dienstleistungen; De-Meritorisierung hingegen ist die Verteuerung unerwünschter Güter und Dienstleistungen (z. B. Tabak- und Branntwein- sowie auch Vergnügungssteuer). Für eine Meritorisierung erwünschten Konsums spricht die Möglichkeit, bei geringem Einkommen des Haushalts und bei unzureichenden Informationen den höheren Konsum pragmatisch einfach per Anreiz zu ermöglichen und zudem Lerneffekte auslösen zu können. Gegner der Meritorisierung weisen hingegen auf die Unzulässigkeit eines solchen Eingriffs in die Konsumentensouveränität hin und sie befürchten zudem einen zunehmenden Einfluss von Interessenverbänden, welche Meritorisierungen für ihr eigenes Rent-Seeking ausnützen werden.

Wirtschafts- und sozialpolitisch bedeutend ist schließlich die Frage Angemessenheit der L. im Einkommensteuerrecht, beim Familienunterhalt und bei der Regelsatzfestlegung von Fürsorgeleistungen der sozialen Sicherung. Hierzu werden unterschiedliche Instrumente eingesetzt (Freibeträge nach EStG, Düsseldorfer Tabelle im Unterhaltsrecht bzw. Regelbedarfsermittlung nach dem RBEG). Die Höhe der Regelbedarfe wurde zunächst nach dem „Warenkorbmodell“ bemessen. Seit 1990 erfolgt die Ermittlung der Regelbedarfe nach dem sog.en „modifizierten Statistikmodell“ auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (Existenzminimum). Jedes dieser Verfahren staatlicher Angemessenheits- und Bedarfsfestlegung ist Gegenstand heftiger politischer und wissenschaftlicher Kontroversen. Es ist in diesem normativ sensiblen Thema unbefriedigend, dass oftmals Streitfragen durch die Rechtsprechung entschieden werden müssen.