Krankenversicherung

Nach der st.n Rspr. des BVerfG ist der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit eine Grundaufgabe des Staates (etwa: BVerfG, Beschluss vom 6.12.2005 – 1 BvR 347/98, Rdnr. 32). Ihr ist der Gesetzgeber mit der Errichtung der GKV als Pflichtversicherung für große Teile der Bevölkerung nachgekommen. Allerdings hat er keine Versicherung der gesamten Bevölkerung in der GKV vorgesehen, wie sie etwa unter dem Schlagwort „Bürgerversicherung“ politisch diskutiert wird. Vielmehr ist seit 2009 das Konzept einer „Volksversicherung aus zwei Versicherungszweigen“ (BVerfG, 1 BvR 706/08 vom 10.6.2009, Rdnr. 175) umgesetzt, bei dem sich zwar alle Einwohner krankenversichern müssen, teilweise hierfür jedoch die PKV in die Pflicht genommen – und in der Folge auch sozialpolitisch reguliert – ist. Wesentliche Rechtsgrundlage für die GKV ist das SGB V, für die PKV sind es VVG und VAG.

1. Personenkreise von GKV und PKV

Die GKV ist im Kern eine Arbeitnehmerversicherung: Beschäftigte mit einem Einkommen unterhalb einer sich mit der allg.en Lohnentwicklung verändernden Jahresarbeitsentgeltgrenze (2018: 59 400 Euro) sind in der GKV pflichtversichert; des Weiteren arbeitslose Leistungsempfänger nach SGB II und SGB III, Rentenbezieher nach SGB VI (sofern sie während des Erwerbslebens hinreichend lange in der GKV versichert waren), Studierende sowie bestimmte Gruppen Selbständiger (Landwirte, Künstler), seit 2007 zudem unter bestimmten Voraussetzungen bislang nicht versicherte Personen. Demgegenüber sind Beschäftige mit Einkommen oberhalb dieser Grenze, Beamte sowie Selbständige nicht in der GKV versicherungspflichtig und können zwischen freiwilliger GKV-Mitgliedschaft oder Versicherung in der PKV wählen.

Allerdings hat die PKV einen Kontrahierungszwang nur gegenüber speziellen Personenkreisen und nur auf einem der GKV vergleichbaren Leistungsniveau, im sog.en Basistarif. Im Übrigen ist sie frei, ob sie mit Versicherungsinteressenten Verträge schließt. Die Wahlentscheidung zur PKV ist i. d. R. nur bei Wiedereintritt der Versicherungspflicht in der GKV vor dem 55. Lebensjahr reversibel. Die Mitgliedschaft in der GKV schließt die beitragsfreie Versicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Ehegatten ein, bei der PKV besteht für jeden Versicherten Beitragspflicht. Beamten erstattet ihr Dienstherr im Rahmen der Beihilfe in Krankheitsfällen zwischen 50 und 80 % der Aufwendungen für Krankenbehandlung für sich und ihre Kinder und nicht erwerbstätigen Ehegatten; sie sind verpflichtet, sich für die Restkosten abzusichern, wofür die PKV entspr.e Tarife anbietet. Im Ergebnis sind knapp 90 % der Einwohner in der GKV versichert, knapp 10 % haben eine Vollversicherung in der PKV (davon die Hälfte Beamte), 1–2 % unterliegen Sonderregelungen (z. B. nach dem AsylbLG) oder verfügen trotz gesetzlicher Verpflichtung über keine K. Gut ein Viertel der GKV-Versicherten verfügt über eine Zusatzversicherung (z. B. bessere Leistungen bei Zahnersatz, Chefarztbehandlung) in der PKV.

2. Organisation und Finanzierung

Träger der GKV sind knapp 110 (Stand: 2018) gesetzliche Krankenkassen, Körperschaften öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Zahl der Krankenkassen ist in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund von Zusammenschlüssen stetig gesunken. Selbstverwaltungsorgane sind der Verwaltungsrat, der aus im 6-jährigen Turnus stattfindenden Sozialwahlen hervorgeht, und der Vorstand. Bei den meisten Krankenkassen ist der Verwaltungsrat paritätisch aus Vertretern der Versicherten und Vertretern von Arbeitgebern besetzt.

Bei Errichtung der GKV im Jahre 1883 nach der „Kaiserlichen Botschaft“ durch Wilhelm I. hatte die preussische Administration an die Heterogenität der seit dem 18. Jh. aus unterschiedlichen Wurzeln entstandenen Krankenkassen angeknüpft und etwa Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen oder die Knappschaft sowie berufsbezogene Hilfskassen (aus denen dann im 20. Jh. die Ersatzkassen wurden) etabliert. Dabei bestanden teilweise kollektive Kassenwahlrechte (so konnten Arbeitgeber und Belegschaft sich für die Gründung einer Betriebskrankenkasse entscheiden), teilweise (insb. für Angestellte) individuelle Wahlrechte (zu den Ersatzkassen). Die daraus resultierenden Unterschiede auch in den Beitragssätzen, die das BVerfG 1994 als „bedenklich“ (Urteil vom 8.2.1994; 1 BvR 1237/85) einstufte, trugen wesentlich dazu bei, dass der Gesetzgeber mit dem GSG vom 21.12.1992 (BGBl I: 2266) eine weitgehende Kassenwahlfreiheit für alle GKV-Mitglieder ab 1996 einführte. Die Mindestbindefrist bei einer Kasse beträgt 18 Monate, bei Beitragssatzerhöhung durch die Kasse besteht ein Sonderkündigungsrecht. Die erweiterten Kassenwechselmöglichkeiten haben zu einem intensiven Kassenwettbewerb geführt, in dessen Mittelpunkt die Höhe des Beitrags steht, aber auch Unterschiede in den Leistungen und im Service spielen eine – wenn auch nachrangige – Rolle.

Die GKV wird aus einkommensabhängigen Beiträgen finanziert. Das Gesetz definiert insb. einen allg.en Beitragssatz (seit 2011 beträgt dieser 14,6 %), der auf die beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze (2018: 53 100 €) anzuwenden ist; für bestimmte Personengruppen (z. B. Studenten, Mini-Jobber) bestehen abweichende Beitragssätze. Die hieraus erzielten Beitragseinnahmen fließen in den (2009 errichteten) Gesundheitsfonds. Auch der seit 2004 gezahlte Bundeszuschuss zur GKV, der 2018 mit 14,5 Mrd. Euro rund 6 % der Einnahmen der GKV ausmacht, fließt an den Gesundheitsfonds. Die Einnahmen reicht der Gesundheitsfonds insb. im Rahmen des morbiditätsorientierten RSA über nach Alter, Geschlecht und Krankheitslast der Versicherten differenzierte Zuweisungen an die Krankenkassen weiter. Über die Ausgestaltung des RSA wird seit seiner Einführung 1994 kontrovers diskutiert. Daneben gibt es Zuweisungen, aus denen die Krankenkassen freiwillige Satzungs- und Ermessensleistungen finanzieren können, sowie Zuweisungen zur Deckung der Verwaltungskosten. Die Zuweisungen reichen im Regelfall nicht zur Finanzierung der Ausgaben der Krankenkassen aus; zur Realisierung des vorgeschriebenen Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben müssen sie Zusatzbeiträge erheben. Auch diese sind einkommensabhängig; sie werden über den Gesundheitsfonds zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit zwischen den Krankenkassen einem Einkommensausgleich unterzogen. Die Beiträge an den Gesundheitsfonds und (ab 1.1.2019) die Zusatzbeiträge werden bei Beschäftigten paritätisch von Arbeitgebern und Versicherten gezahlt, bei Rentnern paritätisch von Rentenversicherungsträger und Versicherten.

Die K. der Landwirte nimmt nicht an Gesundheitsfonds und RSA teil und wird neben Beitragszahlungen der Versicherten insb. über einen Bundeszuschuss für die Leistungsausgaben der landwirtschaftlichen Altenteiler finanziert. Landwirte können die Kasse nicht wechseln.

Die PKV wird in der Rechtsform der AG oder des Versicherungsvereins von rund 50 Unternehmen betrieben. Für die Vollversicherung in der PKV schreibt der Gesetzgeber die Bildung von Alterungsrückstellungen in jungen Jahren vor, aus denen später die altersbedingten Anstiege der Gesundheitsausgaben teilweise finanziert werden (Kapitaldeckungsverfahren).

3. Leistungen und Leistungserbringung

Der Gesetzgeber schreibt in den Grundzügen einen Pflichtleistungskatalog vor, den alle Krankenkassen anbieten müssen. In dessen Mittelpunkt steht die Krankenbehandlung einschließlich der Zahlung von Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit. Weitere Leistungen sind vorgesehen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten, bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie unter bestimmten Bedingungen zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch. Die Konkretisierung der Leistungen überantwortet der Gesetzgeber im Regelfall dem Gemeinsamen Bundesausschuss, der – unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden – paritätisch mit Vertretern der Krankenkassen einerseits und der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäusern andererseits besetzt ist; Patientenvertreter haben ein beratendes Stimmrecht. Ob der Bundesausschuss für oftmals ethisch weitreichende Entscheidungen hinreichend demokratisch legitimiert ist, wird konktrovers diskutiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015 – 1 BvR 2056/12).

Die Leistungen werden von den Krankenkassen weit überwiegend als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Dazu schließen sie und ihre Verbände Verträge mit Leistungserbringern bzw. deren Verbänden. Diese regeln die Rahmenbedingungen der Erbringung sowie die Vergütung. Daraus haben sich in den einzelnen Leistungssektoren (Krankenhaus, ambulante Versorgung, Arzneimittel) jeweils hochkomplexe Steuerungssysteme entwickelt. Alle Beteiligten sind an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden: Die Leistungen sollen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Zugl. aber müssen Qualität und Wirksamkeit dem allg. anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Qualitätssicherung spielt zunehmend eine wichtige Rolle.

Grundsätzlich gilt für Leistungen der GKV das Territorialprinzip, allerdings bestehen weitgehende Rechte für GKV-Versicherte, auch in den anderen Ländern der EU Leistungen zulasten ihrer Krankenkasse in Anspruch zu nehmen.

In der PKV wird der Leistungskatalog vertraglich vereinbart. Allerdings müssen in der Vollversicherung zumindest ambulante und stationäre Heilbehandlungen abgesichert sein, Selbstbeteiligungen der Versicherten dürfen 5 000 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen. Bei Privatpatienten rechnet der Leistungserbringer i. d. R. nicht mit dem PKV-Unternehmen sondern mit seinem Patienten ab, der die Rechnung zur Erstattung bei der Versicherung einreicht.

4. Künftige Herausforderungen

Die Alterung der deutschen Gesellschaft wird nach gesundheitsökonomischen Modellrechnungen bis 2050 zu deutlichen Ausgabenanstiegen der K. führen. Ein Policy Mix aus Finanzierung durch Beitragssatzanstiege, Verbesserung der Produktivität der Gesundheitsversorgung (Rationalisierung) und Begrenzung von Leistungsansprüchen (Rationierung) wird vielfach als notwendige Antwort gesehen. Die Verbesserung der Abstimmung zwischen den Leistungssektoren im deutschen System wird auch von internationalen Beobachtern als erforderlich angesehen. Erhebliche Produktivitätssteigerungen werden aus der Digitalisierung erwartet, die im Gesundheitswesen erst in Anfängen steckt.