Konsumethik

1. Konsumethik in moderner Innovativwirtschaft

Die K. als Teilgebiet der Wirtschaftsethik analysiert unter dem Gesichtspunkt von Gut und Böse den wirtschaftlichen Wertschöpfungs-, Distributions- und Nachfrageprozess von seinem Endzweck, vom Konsumenten, her. Produktion und Konsum stehen in wechselseitiger Beziehung: Es wird langfristig nur produziert, was auch konsumiert wird (Konsumentensouveränität), und was produziert wird, gestaltet aufgrund der Plastizität menschlicher Bedürfnisse auch den Konsum mit. Die Einwirkung der Produktion auf den Konsum hat sich mit der modernen Innovativwirtschaft intensiviert. Durch die Ausweitung, Ausdifferenzierung und Verfeinerung der Güter und Dienstleistungen wurde ein einzigartiger Angebotsreichtum geschaffen, auf den die Konsumenten aufgrund der in einer pluralen Gesellschaft liquide gewordenen konsumbegrenzenden Normalitätsvorstellungen in weitgehender formaler Freiheit reagieren können. Aus dieser Expansion von Produktion und Konsum ergeben sich zwei grundlegende konsumethische Herausforderungen: Wie kann die Vielzahl der Möglichkeiten zur Lebensgestaltung für ein gutes, glückliches Leben genutzt werden? Wie können die Konsumenten ihre wirtschaftlich starke Position für sozial- und ökologieverträgliche Produktions-, Distributions-, Konsum- und Entsorgungsprozesse einsetzen?

2. Konsumkritik

Die Konsumkritik entzündet sich an negativen Phänomenen moderner Konsumgesellschaften. Sie betreffen einerseits den Lebensstil der einzelnen Konsumenten, andererseits das auf das Konsumverhalten einwirkende Produktions- und Distributionssystem. Die Konsumenten werden mit Vorwürfen des überbordenden Konsums (Konsumismus), Komfortismus, Luxus-Strebens und der Verschwendung konfrontiert. Bei der Kritik am Produktions- und Distributionssystem werden v. a. vier Punkte hervorgehoben: erstens der Manipulationsvorwurf, weil Verkaufstechniken wie Marketing und Werbung, die planmäßige Obsoleszenz (durch Mode und technische Verkürzung der Lebensdauer eines Produkts) oder die „Architekturen des Konsums“ (Lepik/Bader 2016; Warenhäuser, Malls) die Kaufstimmung der Konsumenten anregen, um damit Begehren und Produzieren zu synchronisieren, Sättigungstendenzen entgegenzuwirken und die „Wachstumsökonomie“ zu perpetuieren; zweitens die Kritik an der Kommerzialisierung von bislang nicht dem Erwerbsdenken unterworfenen Lebensbereichen, weil damit menschliche Beziehungen zunehmend Warencharakter bekämen (Entfremdung, Verdinglichung); drittens die Kritik an der Wettbewerbsintensität, Innovationskraft und Dynamik der modernen Wirtschaft, weil die dadurch erzeugte Beschleunigung des Lebens den Konsumenten überfordere; viertens die ökologische Kritik (Ökologie), weil die auf zu hohen Touren laufende Wirtschaft die Umwelt stärker schädige als nötig.

3. Konsumethische Ansätze

Hinter der marktwirtschaftlich geprägten Konsumgesellschaft wie auch ihren Kritiken stehen bestimmte konsumethische Ansätze. Der gegenwärtige Diskurs lässt vier verschiedene Argumentationstypen erkennen:

3.1 Liberaler Ansatz

Anthropologische Grundlagen dieses Ansatzes sind das Nichtfestgestelltsein und die Bedürfnisoffenheit sowie Vernünftigkeit und Lernfähigkeit des Menschen. Der Konsument kann grundsätzlich mit der Güterexpansion und den Verkaufstechniken der Produzenten und des Handels vernünftig umgehen. Da er selbst am besten weiß, was ihm zum guten Leben dient, werden Konsumverbote (Drogen, Alkohol, Tabak usw.) und Pflichtkonsum (Haftpflicht-, Krankenversicherung usw.) genauso wie Werbeverbote auf der Anbieterseite abgelehnt und indirekte staatliche Konsumsteuerungen durch finanzielle Anreize oder Gebühren („Schubsen“, „Nudging“) skeptisch bis ablehnend beurteilt.

3.2 Consumer Citizen-Ansatz

An die liberale Konsumentensouveränität anknüpfend setzt dieser Ansatz großes Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein und die Machtposition der Konsumenten. Ihre Kaufentscheidungen sollen sich nicht nur am persönlichen Nutzen orientieren, sondern in sie sollen auch moralische Bewertungen der Anbieter und ihrer Zulieferer (v. a. hinsichtlich Sozial- und Umweltverträglichkeit) mit einfließen. Gütesiegel (Labels) dienen als „moralischer Kompass“, Social Media als Verstärker der moralisch beeinflussten Kaufentscheidungen (Aufrufe zu buycott und boycott), womit sie zur „Moralisierung der Märkte“ (Stehr 2007) beitragen.

3.3 Suffizienz-Ansatz

Suffizienz-Überlegungen changieren von einer persönlich freiwillig geübten Askese i. S. d. Konzentration auf das Wesentliche bis hin zu einer kollektiv (oder in einer extremen Spielart sogar totalitär) verordneten Genügsamkeit, die sich auf die Befriedigung existentieller Bedürfnisse beschränkt. Die erstere Variante ist durchaus mit einem liberalen Ansatz kompatibel. Andere Suffizienz-Konzepte werden als individualethische Ergänzungen zu Postwachstumsökonomie-Ansätzen entwickelt, mit unterschiedlichen Intensitätsgraden staatlichen Eingriffs: von der fiskalischen Verteuerung bestimmter Produkte zur Attraktivitätsverminderung für die Konsumenten („Nudging“) bis hin zu ihrem politisch verordneten Marktausschluss. Auch die aus den indigen geprägten Ländern Lateinamerikas stammenden „Buen vivir“-Konzepte (Acosta 2015), die die Enzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus beeinflusst haben, docken hier an.

3.4 Postwachstumsökonomie-Ansatz

Das „expansiv-konsumistische Wachstums- und Wohlstandsmodell“ (Adler/Schachtschneider 2017: 12) soll durch Mikro-Praxis (Suffizienz, Subsistenz, Tausch- und Reparaturläden usw.) und Politik zu einer Postwachstumsökonomie und -gesellschaft transformiert werden. Zentrale politische Maßnahmen sind eine aufklärende Bildungspolitik, die „Einhegung“ von Konkurrenz und des technischen Fortschritts, um die Wachstumsdynamik der Wirtschaft zu drosseln, die Einführung von Werbungs- und Produktregulierungen, Verbrauchsobergrenzen, solidarischen Unternehmens- und Wirtschaftsformen, alternativen Arbeitskonzepten und einer stark umverteilenden Steuerpolitik.