Kommunalpolitik

Die K.en erfüllen im föderalen System der BRD (Föderalismus) eine Doppelfunktion. Einerseits haben sie den Vollzug zentralstaatlicher Entscheidungen zu gewährleisten und unterliegen als staatsrechtlicher Teil der Bundesländer deren Aufsichts- und Weisungsrecht. Durch die Übernahme von Versorgungs-, Leistungs-, Fürsorge- und Vollzugsfunktionen sind die K.en auch in Zeiten eines europäischen Mehrebenensystems (Mehr-Ebenen-Regieren) unverzichtbar. So werden ca. zwei Drittel der staatlichen Investitionen von den Kommunen vorgenommen, und 70–90 % der ausführungsbedürftigen Bundesgesetze werden hier implementiert. Aus dieser Perspektive interessiert somit v. a. die Effektivität und Effizienz kommunaler Leistungen. Anderseits verfügen die K.en zur Verwirklichung des grundgesetzlich garantierten Selbstverwaltungsrechts im Rahmen der Gesetze von Bund und Land über die Organisations-, Personal-, Finanz-, Planungs- und Satzungshoheit. In den Kommunen werden damit in vielen Politikfeldern wesentliche politische Entscheidungen getroffen, an denen die Bürger bisweilen intensiv beteiligt werden. In dieser Doppelfunktion der K.en ist ein Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Legitimation und Effizienz angelegt, die je nach Gewichtung beider Funktionen zu unterschiedlichen Leitbildern von K. bzw. kommunaler Selbstverwaltung führen. Zweifellos bietet gerade die räumliche Begrenztheit der K.en das Potential, die Bürger stärker zu beteiligen als auf höheren und ausgedehnteren föderalen Ebenen. Die Überschaubarkeit der kommunalen Problemlagen wird denn auch oft als jenes entscheidende Potential angesehen, an dem Bürgerdialoge und politische Aufklärung ansetzen sollten. Allerdings haben die K.en auf der anderen Seite nur wenig Handlungsspielräume, und viele Kommunalhaushalte sind schon seit den 1990er Jahren in der Vergeblichkeitsfalle gefangen.

Dies ist das in der Politikwissenschaft hinreichend bekannte Dilemma der Größe: Je kleiner eine demokratische Einheit, desto größer ist ihr Potential der Bürgerbeteiligung, und umso geringer die Notwendigkeit, dass die Bürger Regierungsentscheidungen an Repräsentanten delegieren. Und je größer die Einheit, desto größer ist ihre Fähigkeit mit Problemen fertigzuwerden, die für die Bürger von Bedeutung sind, und umso größer ist die Notwendigkeit, dass die Bürger Entscheidungen an Repräsentanten delegieren.

Mit der Gemeindegröße ist zugl. eine zentrale Erklärungsvariable für die variierenden kommunalen Entscheidungsstrukturen benannt. 2014 gab es in Deutschland 11 116 politisch selbständige Gemeinden. 6 % der Bevölkerung leben in Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern, 36 % in Gemeinden mit 2 000 bis unter 20 000 Einwohnern und 27 % in Gemeinden mit 20 000 bis unter 100 000 Einwohnern. Auf die Großstädte (d. h. auf Gemeinden mit mehr als 100 000 Einwohnern) entfielen 31 % der Bevölkerung. Unter den Bundesländern hat NRW die meisten Großstädte, während den neuen Bundesländern, doch auch in Baden-Württemberg, eher kleinere K.en die Szenerie bestimmen.

Diese Unterschiede können in der Politikwissenschaft v. a. für quantitative und qualitative Vergleiche genutzt werden. Aus ihnen geht hervor, dass nicht jede K. „einfach anders“ ist oder reiner Eigenlogik folgt. Vielmehr treten – bei aller Varianz der kommunalen Entscheidungsstrukturen – immer wieder spezifische Entscheidungsmuster auf, die gut auch durch institutionelle Variablen erklärt werden können, etwa: Gemeindegröße, Kommunalverfassung, Förderprogramme des Landes, Leitlinien der Haushaltsaufsicht etc.

1. Rechtliche Rahmenbedingungen und normative Leitbilder der Kommunalpolitik

In der Gemeindeordnung, häufig auch als „Kommunalverfassung“ bezeichnet, werden die rechtlichen Kompetenzen und Wahlverfahren für die Bürgermeister, Ratsmitglieder und Bürger geregelt. Die tatsächliche Machtstellung der Akteure wird allerdings nicht nur durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern gerade auch durch die kommunalen Akteure vor Ort mitbestimmt. Einem Bürgermeister, der keine Mehrheiten im Stadtrat findet, nützen nämlich auch großzügig bemessene Entscheidungskompetenzen in der Kommunalverfassung nur bedingt etwas.

Eine Gemeindeordnung legt zudem die Kommunalstruktur und die Aufgaben einzelner Typen von K.en (Ortsgemeinde, Verbandsgemeinde, kreisfreie Stadt etc.) sowie die Grundlagen der Haushaltswirtschaft und der Kommunalaufsicht fest. Die Kommunalverfassung ist dabei Ländersache, wird also nicht von der jeweiligen K., sondern durch den zuständigen Landtag zentral festgelegt. Diese stark eingeschränkten Rechte des Stadtrates, die aufgrund kommunalaufsichtlicher Intervention im Extremfall bis zur Auflösung des Stadtrates bzw. zu dessen Ersetzung durch einen Beauftragten führen können (z. B. ab 2013 in Nideggen und Altena in NRW), sind ein wichtiger Grund dafür, dass dieses Organ aus juristischer Sicht häufig nicht als Parlament eingeordnet wird. Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass empirische Untersuchungen vielfach zeigen, dass Ratsmitglieder und Fraktionen sich teilweise wie in Parlamenten verhalten. Deshalb – und wegen einiger Parlamentsrechte in den Kommunalverfassungen (Budgetrecht, Normsetzungsbefugnisse über Satzungen etc.) – wird der Gemeinderat aus politikwissenschaftlicher Sicht überwiegend als „Kommunalparlament“ eingeordnet. Dies hat wiederum Folgen dafür, ob man es für legitim hält, wenn Ratsmitglieder „Bundestag spielen“ und die Ratsdebatten von einer Polarisierung zwischen „Regierungs- und Oppositionsfraktionen“ geprägt sind. Aus traditioneller juristischer Sicht wird meist eine starke Stellung des direktgewählten Bürgermeisters befürwortet, während Ratsmitgliedern und Parteien starke Zurückhaltung auferlegt wird. Im Stadtrat als kommunalem Selbstverwaltungsorgan soll dementsprechend der „Parteienstreit“ deutlich reduziert werden. Dafür spricht allerdings auch, dass – angesichts der begrenzten rechtlichen Spielräume auf kommunaler Ebene sowie der dort vorrangig zu lösenden Sachprobleme – eine Parteipolitisierung ohnehin oft nicht sach- und selbstverwaltungsgemäßen Lösungen führt. Vorbild ist jedenfalls oft die baden-württembergische K. in kleinen und mittleren Gemeinden, in der aufgrund der bürgermeisterzentrierten baden-württembergischen Kommunalverfassung bes. starke Bürgermeister auf konkordanzdemokratisch arbeitende Räte treffen.

Politikwissenschaftler übertragen demgegenüber häufig das Modell der nationalen Konkurrenzdemokratie, die durch einen Wettbewerb zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen geprägt ist, auf die K. und sehen dementsprechend Kontrollprobleme, wenn der Parteienwettbewerb und die Handlungsspielräume des Kommunalparlaments eingeschränkt sind, etwa aufgrund einer starken Stellung des Bürgermeisters. Vorbild sind dabei oft die eher konkurrenzdemokratischen Kommunalparlamente in NRW, die auch aufgrund der dortigen Kommunalverfassung eine starke Stellung gegenüber dem Bürgermeister haben.

Zumindest ist heute aus politikwissenschaftlicher Sicht klar, dass sich durchaus bedeutende Besonderheiten der K. empirisch verzeichnen lassen, welche eher gegen eine starke Parteipolitisierung in durchschnittlichen K.en sprechen. Bspw. ist der geringe Professionalisierungsgrad lokaler Parteien und Ratsfraktionen zu berücksichtigen, welcher u. a. auf die geringe staatliche bzw. kommunale Finanzierung der kommunalpolitischen Parteiebenen zurückzuführen ist. Es gibt nämlich in Deutschland keine staatliche Rückerstattung von kommunalen Wahlkampfkosten, und die Ratsmitglieder versehen ihr Mandat auch prinzipiell ehrenamtlich (Freiwilligenarbeit). Zudem ist es aufgrund der absolut geringen Anzahlen von in den Kommunen tätigen Parteimitgliedern grundsätzlich schwerer, parallel zur kommunalen Fraktion auch noch eine funktionsfähige Parteiorganisation aufzubauen. Für lokale Parteien gilt also in bes.m Maße, dass Parteien Freiwilligenorganisation sind, während hauptamtliche Akteure dort eher selten anzutreffen sind. Durch diese Organisationsschwäche und die mangelnde Professionalisierung ist es für kommunale Parteien und Fraktionen allerdings auch nur bedingt möglich, alternative parteipolitische Konzepte zu entwickeln, die etwa gegen die eher einzelfall- und regelungsorientierte Kommunalverwaltung durchgesetzt werden könnten. Zugl. besteht kein faktisches „Parteienmonopol“ wie auf Bundes- und Landesebene. Vielmehr werden in den Kommunen freie Wählergemeinschaften zunehmend bedeutender, und zwar durchaus auch wegen der Einführung eines stärker personenorientierten Wahlrechts in vielen Bundesländern (mit den Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens), wegen fehlender Fünfprozenthürden auf kommunaler Ebene sowie aufgrund zunehmender Politiker- und Parteienverdrossenheit. Wenn aber Wählergemeinschaften die Kommunalparlamente dominieren, dann vertreten nationale Parteien – gerade in Ostdeutschland, aber auch in Baden-Württemberg – auf kommunaler Ebene häufig nur noch eine Minderheit der Wählerschaft.

Zudem ist der Parteieneinfluss auf K. auch dadurch beschränkt, dass den Gemeinden im GG bes. Aufgabentypen zugewiesen wurden. Einerseits nehmen die Gemeinden Aufgaben des Bundes oder des Landes als untere Verwaltungsinstanz wahr (übertragener Wirkungskreis, „Auftragsangelegenheiten“); andererseits verfügen sie nach Art. 28 GG über einige Aufgaben in eigener Verantwortung („Selbstverwaltungsangelegenheiten“). Zu den Auftragsangelegenheiten gehören das Melderecht, das Bauaufsichtsrecht, Ausländerangelegenheiten, Zivilschutz und das Ordnungsrecht. In diesem Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung bestehen bei der Ausgestaltung der Zielerreichung kaum Handlungsspielräume für eine K., und also ist auch der örtliche Parteieneinfluss auf die Zielsetzung dieser Aufgaben meist gering.

Bei den Selbstverwaltungsangelegenheiten als nichtstaatlichen Aufgaben der örtlichen Selbstverwaltung sind die „freiwilligen Aufgaben“ und die „Pflichtaufgaben“ zu unterscheiden.

Bei den Selbstverwaltungsaufgaben ist die Gemeindevertretung bzw. das Kommunalparlament durchweg die höchste Entscheidungsinstanz. Die größten Gestaltungsmöglichkeiten für die K. – und damit für die Lokalparteien – gibt es allerdings im Bereich der freiwilligen Aufgaben, weil hier auch noch die Ziele der Aufgabenstellungen mitgestaltet werden können.

Trotz dieser vielfältigen Einschränkungen der Lokalparteien ist damit aber nicht gesagt, dass die lokalen Parteien funktionslos wären oder würden. Sie dienen nämlich insb. der Rekrutierung von (späteren) Berufspolitikern, die sich – wenigstens in den Volksparteien – dank des personalisierten Verhältniswahlrechts in Bund und Ländern in starkem Ausmaß in den einzelnen Kreisverbänden profilieren müssen. Zudem nehmen die parteipolitischen Besonderheiten der kommunalen Ebene mit steigender Gemeindegröße ab, nimmt also die Parteipolitisierung und die Rolle der Partien zu.

2. Demokratische Innovationen

Die Landesgesetzgeber haben versucht, durch grundlegende Kommunalverfassungsreformen den demokratischen Potentialen der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. Die Direktwahl der Bürgermeister (mit Ausnahme der Stadtstaaten) sowie die Möglichkeit zu Bürgerbegehren wurden schon in den 1990er Jahren flächendeckend eingeführt. Die Bürger Deutschlands verfügen heute jedenfalls formal über eine stärkere Position im kommunalen Entscheidungsprozess denn je zuvor. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass diese demokratischen Innovationen problemlos mit konkordanz- und konkurrenzdemokratischen Kommunalparlamenten kombiniert werden können und deshalb „eher zu positiven Effekten“ (Geißel u. a. 2014: 492) führen. Durch die Direktwahl und die Bürgerbegehren wurden nämlich institutionelle Vetopositionen geschaffen, die bei konkurrenzdemokratischen Strukturen häufig zu Blockaden führen können, welche die Effizienz und Effektivität der kommunalen Demokratie negativ beeinflussen können. V. a. durch Bürgerbegehren wird vielmehr die demokratische Mitwirkung gestärkt. Schweizer Erfahrungen – allerdings bei bes.n, unbedingt zu berücksichtigenden Kontextfaktoren – deuten darauf hin, dass die direkte Demokratie (Plebiszit) zu einer höheren Zufriedenheit der Bevölkerung führt, und dass das verfügbare Sozialkapital, die politische Informiertheit, das politische Vertrauen sowie die Akzeptanz von Entscheidungen durch den Einsatz direktdemokratischer Verfahren vergrößert werden können.

Bürgerbegehren in den konkurrenzdemokratischen Kommunen in NRW richteten sich bspw. – unter Führung der kommunalen Oppositionsparteien – regelmäßig gegen weitreichende Konsolidierungsmaßnahmen und waren aufgrund der starken status quo-Orientierung der Bürger auch oft erfolgreich (z. B. gegen die Schließung von Bädern, gegen die Erhebung von Parkgebühren oder gegen Privatisierungen). Bereits die Androhung eines Bürgerentscheides bringt – bei stark ausgeprägtem Parteienwettbewerb – deshalb nicht selten die kommunale Mehrheitsfraktion dazu, auf unpopuläre, doch aber für das Erreichen des Haushaltsausgleichs erforderliche Konsolidierungsmaßnahmen lieber zu verzichten. In den letzten vier Jahren hat etwa bereits in jeder vierten NRW-Kommune ein Bürgerbegehren gegen die Schließung einer kommunalen Einrichtung stattgefunden.

Ein weiteres zentrales Problem direktdemokratischer Vetopositionen, virulent insb. auf der kommunalen Ebene, ist das Sankt-Florians-Prinzip bzw. Nimby-Prinzip (für not in my backyard). Darauf weist etwa Adrian Vatter bei der Untersuchung des Volksentscheids zu „Stuttgart 21“ hin. Landesweit wurde zwar mehrheitlich für das Bahnprojekt gestimmt; in den Stuttgarter Stadtbezirken mit Bahnhofsnähe, die negativ vom Baustellenlärm betroffen wären, votierten die Stimmbürger allerdings mehrheitlich gegen das Projekt. „So bestätigt sich durchweg die These des nutzenmaximierenden Stimmbürgers, der je nach örtlicher Nähe zu Bahnlinien, Autostraßen und Theaterbauten zu seinen Gunsten stimmt“ (Vatter/Heidelberger 2014: 39). Mit dem Nimby-Prinzip ist deswegen ein wichtiges kommunalspezifisches Problem der direkten Demokratie benannt. Dieses kann allerdings auch nationale Projekte – etwa die Energiewende – gefährden bzw. verlangsamen, weil die meisten Infrastrukturentscheidungen faktisch in den K.en getroffen werden.

Partielle Politikblockaden sind – jedenfalls bei sehr niedrigen Hürden für die Wirksamkeit direktdemokratischer Instrumente – in der Konkurrenzdemokratie wohl auch kaum vermeidbar. Das spricht normativ für eine vorsichtige Dosierung von direktdemokratischen Elementen in der Konkurrenzdemokratie. Dem entgegen haben allerdings die Landtage während der letzten Jahre die Hürden für Bürgerbegehren immer weiter abgesenkt.

Ähnlich problematisch ist das Zusammenspiel von Direktwahl und Konkurrenzdemokratie, falls ein Bürgermeister über keine klaren Mehrheiten verfügt. Dann blockieren sich nämlich die Mehrheitsfraktionen und der Bürgermeister bei jeweils anderer parteipolitischer Färbung oftmals selbst. Das kann insb. die Haushaltskonsolidierung sehr erschweren. In multivariaten Analysen wurde denn auch nachgewiesen, dass konkordanzdemokratische K.en weniger Verschuldung aufbauen als konkurrenzdemokratische Kommunen. Das liegt auch daran, dass es in konkordanzdemokratischen K.en leichter gelingt, in Haushaltskommissionen konsensuale Sparbeschlüsse zu treffen, weshalb es hinterher weniger Anreize für die Fraktionen und Parteien gibt, diese – bspw. durch die Initiierung von Bürgerbegehren – anschließend zu torpedieren.

Auch die höheren föderalen Ebenen können von solchen Innovationen auf kommunaler Ebene lernen. Die gerade von Parteienkritikern immer wieder vorgebrachte Forderung, derlei vermeintlich demokratiefördernde Innovationen auch auf die Landes- und Bundesebene zu übertragen, könnte nämlich in der auf diesen Ebenen vorherrschenden Konkurrenzdemokratie etliche Blockadegefahren nach sich ziehen und auf diese Weise die Effektivität und Effizienz des politischen Systems beeinträchtigen. Gerade auf Bundes- und Landesebene wäre also eine vorsichtige Dosierung dieser demokratischen Innovationen ratsam, während sie in kleineren, konkordanzdemokratischen K.en recht reibungslos eingesetzt werden können.