Kirche und Europa: Unterschied zwischen den Versionen

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C. Mandry: Kirche und Europa, I. Systematisch-theologische Perspektive, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Kirche und Europa}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:21 Uhr

  1. I. Systematisch-theologische Perspektive
  2. II. Kanonistische Perspektive
  3. III. Evangelisch-theologische Perspektive

I. Systematisch-theologische Perspektive

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1. Kirche in Europa

Ein signifikanter Bezug der Kirche (K.) zu Europa (E.) als einer eigenständigen politischen Region oder einem Kulturraum findet erst statt, als in Spätmittelalter und Früher Neuzeit die E.-Idee überhaupt Konturen gewinnt. Vorher verstand sich die K. als Teil des antiken römischen Reiches und Kulturgebiets. Für die E.-Idee waren sowohl das Fortführen der römischen Reichsidee (Reich), das Einheitsideal der christianitas unter dem Primat der römischen K. als auch die Trennung in eine griechische Ost- und eine lateinische West-K. von zentraler Bedeutung. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken gewann der E.-Begriff im Bemühen der Päpste an Bedeutung, die christlichen Mächte E.s zur Verteidigung gegen die osmanische Expansion zu bewegen. Nachdem die K. durch die jahrhundertelangen Missionsbestrebungen zur Welt-K. geworden war, erhielten außereuropäische Weltregionen v. a. im 19. und 20. Jh. an innerkirchlichem Gewicht und wird E. seitdem mit seinen teilweise stark säkularisierten Gesellschaften als ein spezifisches Herausforderungsfeld des kirchlichen Handelns erkannt.

2. Haltung zur europäischen Einigung im 20. Jh.

Politisch auf die Konfliktvermeidung bzw. Friedenssicherung (Frieden) zwischen den europäischen Mächten konzentriert, setzten sich die Päpste v. a. im 20. Jh. nach den beiden Weltkriegen für die Überwindung der nationalen Antagonismen und eine globale und insb. auch europäische Friedensordnung ein. Sie sowie herausragende K.n-Vertreter in den europäischen Staaten beförderten die Aussöhnung zwischen den europäischen Völkern und unterstützten die Bewegungen, aus denen die europäische Einigung nach 1945 hervorging. Seit Pius XII. steht die K.n-Leitung engagiert hinter dem europäischen Einigungsprojekt (Europäischer Integrationsprozess) und betont dessen kulturelle, friedenssichernde und soziale Dimension. Kirchliche Verlautbarungen weisen bes. auf die geistigen und spirituellen Grundlagen der europäischen Einigung hin, etwa auf den heiligen Benedikt als „Vater E.s“ oder die biblischen, geistes- und frömmigkeitsgeschichtlichen Voraussetzungen des Menschenwürdegedankens (Menschenwürde), dem E. sich nach den Katastrophen des 20. Jh. verpflichtet sieht. Seit 1980 hat Johannes Paul II. sich für die Überwindung der Teilung E.s in West und Ost mit dem Hinweis auf die „beiden Lungenflügel Europas“ (Papst Johannes Paul II. 1988) eingesetzt und dies durch die Proklamierung der heiligen Kyrill und Method zu „Patronen Europas“ (Papst Johannes Paul II. 1980) unterstrichen. Gleichzeitig rief er zur Neuevangelisierung E.s auf, damit E. sich neu seiner christlichen Grundlagen bewusst werde. Daran anknüpfend wies Benedikt XVI. auf die Spannung zwischen Glauben und Vernunft als wesentlichen Antrieb einer humanen Entwicklung E.s hin, während Papst Franziskus v. a. die globale Verantwortung E.s in der krisenhaften Welt von heute einfordert.

Auf der Basis der kirchlichen Soziallehre (Katholische Soziallehre) unterstreicht die K., dass die europäische Einigung sich nicht allein auf die wirtschaftliche Integration konzentrieren darf, sondern auch die sozialen und kulturellen Belange der Menschen zu beachten hat. Neben der Solidarität bringt sie zudem den Grundsatz der Subsidiarität in die europäische Debatte ein, demzufolge ein gerechter Ausgleich zwischen europäischen, mitgliedstaatlichen und weiteren politischen bzw. gesellschaftlichen Ebenen beachtet werden muss. Außerdem darf die europäische Einigung nicht auf Kosten der benachteiligen Völker außerhalb E.s gehen, vielmehr sind globale Verantwortlichkeiten zu beachten. In dem Maße, in dem die EU sich als Vorreiterin einer europäischen und globalen Friedensorientierung erweist, einen rein nationalen Rahmen politischer Verantwortung relativiert und sich an der humanen und sozialen Entwicklung ihrer Völker ausrichtet, besteht eine hohe Übereinstimmung mit Grundsätzen der kirchlichen Soziallehre.

Der Neuordnung E.s nach dem Zweiten Weltkrieg hat die K. auch in ihrer eigenen Organisation Rechnung getragen. Neben den Vertretungen des Heiligen Stuhls beim Europarat und bei EG bzw. EU, zahlreichen europäischen Repräsentanzen von Orden und karitativen Organisationen sind insb. die CCEE als pastorales Abstimmungsgremium für ganz E. sowie die COMECE als politische Vertretung der Bischofskonferenzen der EG- bzw. EU-Mitgliedstaaten zu nennen. Gemäß ihrer primär weltkirchlichen Rolle überlässt die römische K.n-Leitung die E.-Politik im Einzelnen den mitgliedstaatlichen K.n-Leitungen, die sich dafür der COMECE bedienen. Sie haben sich insb. an der von Kommissionspräsident Jacques Delors initiierten Debatte „Europa eine Seele geben“ (vgl. Weninger, 2007, 132–146) beteiligt, mit der die europäische Einigung in den 1990er Jahren stärker im Bewusstsein der Bürger verankert werden sollte. Weitere Schwerpunkte der kirchlichen E.-Arbeit bilden der Einsatz für die Religionsfreiheit, Menschenrechte, soziale Belange und die Situation von Migranten. Nach langem Ringen ist die Zusammenarbeit der K. mit der EU auch unionsrechtlich verankert, seit die Erklärung Nr. 11 zum Amsterdamer Vertrag (jetzt Art. 17 AEUV) nicht nur den rechtlichen Status der K.n in den Mitgliedstaaten seitens der EU anerkennt, sondern auch einen regelmäßigen Dialog mit den K.n und Religionsgemeinschaften festschreibt.

3. Positionen im EU-Verfassungsprozess

Sowohl in den politischen Debatten über die EuGRC als auch über den EU-Verfassungsvertrag hat die K. sich europaweit intensiv eingebracht. Sie hat sich v. a. für einen sog.en Gottesbezug in der Verfassung als auch für die Erwähnung des Christentums in der Präambel stark gemacht. Vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrungen in E. mit verlustreichen Kriegen und menschenverachtenden Diktaturen sollte ein Gottesbezug in der Verfassung die Verwiesenheit aller Politik auf Grundsätze und Werte ausdrücken, die der Politik vorausgesetzt sind und in deren Verantwortungshorizont sie zu sehen ist. In ähnlicher Weise sollte die Erwähnung des Christentums unter weiteren historischen und kulturellen Größen die Grundlagen in Erinnerung rufen, ohne die das heutige E. nicht zu denken ist und aus denen es weiterhin Anstöße empfängt. Die intensiv und teilweise auch heftig geführten Debatten haben es einerseits vermocht, dem Verfassungsprozess eine breite öffentliche Teilnahme zu sichern. Andererseits haben sich beide Themen, die Frage nach der Bedeutung des Christentums bzw. von Religionen generell für die europäische Politik und die grundlegende Frage nach den normativen, vorpolitischen Grundlagen des modernen, weltanschaulich neutralen Staates als zu kontrovers herausgestellt. Beide kirchliche Anliegen wurden von vielen als religiöse Vereinnahmungsversuche oder sogar als antipluralistische Umdeutungen zurückgewiesen, gegen die ein säkulares Verständnis europäischer Staatlichkeit ins Feld geführt wurde. Der – letztlich gescheiterte und durch den Lissaboner Vertrag ersetzte – Verfassungsvertrag enthielt schließlich weder einen Gottesbezug noch einen expliziten Hinweis auf die christlichen Wurzeln E.s. An der Debatte wurde jedenfalls deutlich, dass die kulturelle und normative Basis, auf der die europäische Einigung erfolgt, in E. überaus strittig ist.

4. Erfolge und aktuelle Herausforderungen

Die Aufmerksamkeit der K. richtet sich in E. nicht auf die Tagespolitik, sondern auf grundlegende moralische Orientierungsfragen, die angesichts großer Herausforderungen wie der internationalen Migration, einer nachhaltigen globalen Entwicklung (Nachhaltigkeit) sowie der Friedenssicherung innerhalb und außerhalb E.s aufgeworfen werden. Zudem bemüht sie sich, einen Diskurs über die Grundlagen der europäischen Integration zu führen, die sie in den kulturellen und spirituellen Gemeinsamkeiten am Grund der europäischen kulturellen Vielfalt erkennt und deren wesentlich christliche Prägung sie in Erinnerung ruft. Das christliche Erbe E.s kann dabei nicht nur als kultureller Tatbestand aufgefasst werden, sondern soll als weiterhin lebendiger Glauben zur Geltung gebracht werden, der die politische und soziale Kultur E.s mit Impulsen versorgt. Angesichts des in vielen Mitgliedstaaten in Frage gestellten Vertrauens zu den anderen europäischen Völkern und angesichts der fragilen europäischen, aber auch innergesellschaftlichen Solidarität bleibt es ein wichtiger Teil der christlichen Verantwortung und der kirchlichen Sendung, die europäischen Diskurse kritisch zu verfolgen und einer europäischen Desintegration entgegenzutreten. Wo politische Regulierungsaufgaben immer auch europäisch vorgenommen werden, etwa in den Bereichen der Wirtschafts-, der Migrations-, der Umwelt-, der Religionspolitik oder der Bioethik müssen auch künftig die kirchlichen Vertretungen christliche Positionen zur Sprache bringen. Angesichts der fortschreitenden Säkularisierung sowie des gleichzeitig wachsenden religiösen Pluralismus in E. muss das christliche Engagement sowohl sachkundig und angemessen erfolgen als auch gegen antieuropäische oder gar fremdenfeindliche Vereinnahmung Stellung beziehen.

II. Kanonistische Perspektive

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Das Grundrecht der Religionsfreiheit bildet gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Grundlage für die Verhältnisbeziehung von K. und Staat (DH; Kirche und Staat). Das Konzil anerkennt den religiös-weltanschaulich neutralen Charakter des Staates (GS 31, 75) und betont Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der K. vom Staat (GS 76 Abs. 2), zugl. auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit (GS 76 Abs. 3). Die katholische K. regelt ihre Angelegenheiten universalkirchlich im CIC/1983 und CCEO (CIC), aber auch in teilkirchlichen Bestimmungen. Die gegenüber der Staatenwelt formulierten Erwartungen gelten auch mit Blick auf die EU. Da die Schaffung einer EWG im Vordergrund stand, kamen K.n und Religionsgemeinschaften zunächst kaum in den Blick.

Ausdrücklich gewährleistet Art. 9 EMRK individuelle und korporative Religionsfreiheit (vgl. auch Art 10 Abs. 1 EuGRC). Art. 14 EMRK enthält ein Verbot religiöser Diskriminierung (vgl. auch 12. ZP; Art. 21 Abs. 1 EuGRC; Art. 10 und 19 AEUV). Art. 2 S. 2 1. ZP garantiert das Recht der Eltern, Erziehung und Unterricht gemäß ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen, und schließt somit einen konfessionellen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nicht aus. Die Präambel der EuGRC und ebenso jene des EUV betonen das religiöse Erbe E.s und bringen damit den Wandel der EU zur Wertegemeinschaft zum Ausdruck.

Gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV, der die Erklärung Nr. 11 zum Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997, in der erstmals „K.n“ in den Blick kamen, in den Rang des europäischen Primärrechts hebt, achtet die Union „den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht“. Entspr.e Konkordate bleiben daher aufrecht (vgl. auch can. 3 CIC/1983; can. 4 CCEO), so dass auch von einzelnen Mitgliedstaaten anerkannte kirchliche Ehenichtigkeitsurteile für andere Mitgliedstaaten verbindlich sind (Art. 63 VO [EG] 2201/2003).

Die EU verfügt über keine religionsrechtliche Kompetenz. Gleichwohl ist bzw. kann die K. von Regelungen der EU betroffen sein, wie u. a. mit Blick auf Arbeitsrecht und Diskriminierung, Datenschutz und K.n-Finanzierung, sozial-karitative Dienste und Wettbewerbsrecht. Näherhin werden den Mitgliedstaaten Ausnahmeregelungen ermöglicht, wie z. B. bei beruflichen Tätigkeiten in der K. (Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG i. V. m. Art. 19 AEUV) und durch Art. 8 DS-RL 95/46/EG i. V. m. DS-GVO. Geschützt ist die Übertragung von Gottesdiensten vor Unterbrechung durch Werbung (Art. 20 Abs. 2 RL 2010/13/EU). Zulässig sind auch Maßnahmen gegen religiöse Diskriminierung und Aufhetzung zu religiösem Hass in den Medien (Art. 3 Abs. 4 lit. a, Art. 6 und Art. 9 Abs. 1 lit. c RL 2010/13/EU).

Gemäß Art. 17 Abs. 3 AEUV pflegt die Union mit den K.n „in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“. Sie anerkennt diese damit als Institution; zugl. eröffnet sie die Möglichkeit zur Mitgestaltung. Den offiziellen Dialog pflegt v. a. die COMECE (gegründet 3.3.1980). Der CCEE (gegründet 23./24.3.1971) dient der Förderung der Zusammenarbeit unter den Bischöfen in E. (can. 459 § 1 CIC/1983). Zwei Sonderversammlungen der römischen Bischofssynoden haben sich 1991 und 1999 mit dem Beitrag der K. für E. befasst.

Da Nuntien zusammen mit den Bischöfen bes. Aufgaben im Bereich von K. und Staat zukommen (can. 364 § 7 CIC/1983), gibt es seit 1970 einen Nuntius bei der EU (früher EG), seit 2006 auch einen entspr.en Botschafter beim Heiligen Stuhl. Der Hl. Stuhl genießt beim Europarat einen Beobachterstatus.

Die katholische K. hat zum EU-Einigungsprozess (Europäischer Integrationsprozess) einen wesentlichen Beitrag geleistet; sie besitzt für die künftige Entwicklung eine zentrale und nicht zu übersehende Funktion, die sie auch wahrnehmen muss, indem sie Werte einbringt und den Dialog pflegt.

III. Evangelisch-theologische Perspektive

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Der Begriff „Europa“ (E.) ist semantisch uneindeutig. Er kann eine geographische Einheit bezeichnen oder steht für den politischen Zusammenschluss von Staaten in der EU. In beiden Fällen handelt es sich um ein kulturelles Konstrukt. Ein allg.er kirchlicher E.-Begriff kann aufgrund der Bedeutungsvielfalt im Gebrauch nicht erruiert werden. Für eine Verhältnisbestimmunng ist daher die Festlegung auf einen extern definierten E.-Begriff im Sinne der EU sinnvoll.

1. Grundlinien europäischen Religionsrechts

Die Entwicklung eines europäischen Religionsrechts hat ihren vorläufigen Abschluss durch den sog.en Kirchenartikel im Vertrag von Lissabon gefunden. Erste Berührungspunkte zwischen den Kirchen (K.n) und der EU ergaben sich aus den Auswirkungen des Europarechts auf die K.n, insofern sie als Arbeitgeber oder bei Erhebung von Steuern tätig waren durch die DS-RL und die Antidiskriminierungs-RL (1997). In beide Texte wurden Bereichsausnahmen aufgenommen. Die Befürchtung, die EU stelle eine Gefahr für die Autonomie der K.n dar, hat sich nicht bewahrheitet. Durch den Vertrag von Lissabon ist das Verhältnis der EU zu den K.n in den Mitgliedstaaten im offenen Recht geregelt. Dabei wurde auf die „Erklärung zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften“ aus der Schlussakte des Vertrags von Amsterdam (1997) zurückgegriffen und diese ergänzt. Der Text des Art. 17 AEUV lautet: „(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“ In Abs. 1 verpflichtet sich die EU, die Stellung der Religionsgemeinschaft nach mitgliedstaatlichem Religionsrecht nicht zu verletzen. In Abs. 3 werden die K.n offiziell als Ansprechpartner der EU anerkannt. Darüber hinaus ist die EU mit dem Vertrag von Lissabon der EMRK beigetreten. Diese enthält in Art. 9 die Gewährung der Religionsfreiheit, wobei der Individualrechtsschutz im Zentrum steht. Aus diesem wird eine korporative Komponente abgeleitet („Religionsverfassungsrecht“ im Gegensatz zum „Staatskirchenrecht“). Grundsätzlich erteilt die EU durch das Fehlen der Aufnahme des Gottesbezugs in der Präambel des ehemals geplanten Verfassungsvertrags einem materiellen Wertekonsens eine Absage, macht aber ihre Offenheit für die Tätigkeit von K.n durch die beschriebenen Verfahrensregeln des zivilgesellschaftlichen Diskurses deutlich.

2. Kirchliche Vertretungen bei der Europäischen Union

Die evangelischen Vertretungen sind auf der Ebene der EU in Form von Einzelvertretungen (Büro der EKD in Brüssel) oder durch ihre Mitgliedschaft in kirchlichen Bünden tätig, bes. der GEKE. Die GEKE geht zurück auf die Leuenberger Konkordie (1973), auf deren Basis sich die K.n Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewähren sowie sich zum gemeinsamen Zeugnis, Dienst und zu theologischer Zusammenarbeit verpflichten. Die Tätigkeit der GEKE umfasst Lehrgespräche und Stellungnahmen zu theologischen und ethischen Fragen; alle 6 Jahre findet eine Vollversammlung statt. Ihre Grundlage hat die GEKE in dem Dokument „Die Kirche Jesu Christi“ (GEKE 1994) definiert. Der Schritt hin zu einer beschlussfähigen europäischen Synode wurde noch nicht gegangen. Inhaltlich äußern sich die christlichen K.n v. a. zur Menschenrechtsproblematik (Menschenrechte), zur Frage der innereuropäischen Solidarität und Gerechtigkeit sowie zum gesellschaftlichen Pluralismus. Ihrem Selbstverständnis nach setzen sie sich als kritische Stimmen für Toleranz und Freiheit im Diskurs der europäischen Zivilgesellschaft ein.