Kartell

1. Verbotene Vereinbarungen

K.e zählen zu den „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen“ (Art. 101 AEUV), die in der Lage sind den Wettbewerb, ein konstituierendes Prinzip der Marktwirtschaft, zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen. Im Gegensatz zu anderen im Wettbewerbsrecht konkretisierten Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen, sind K.e verboten, da sie einzel- und gesamtwirtschaftliche Schäden verursachen. Kartellierende Unternehmen, die eigentlich im Wettbewerb zueinander stehen, koordinieren ihr Verhalten, wobei die Koordination zwischen ihnen eine hohe Verbindlichkeit aufweist und sogar vertraglich abgesichert sein kann. So finden in K.en Absprachen über An- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen, über die Aufteilung von Produktionsmengen sowie von Absatzgebieten, Kundensegmenten, Versorgungsquellen und Investitionen statt. Als „Hardcore-K.e“ werden Vereinbarungen bezeichnet, durch die einer dieser Wettbewerbsparameter ausgeschaltet wird.

Differenzierter stellt sich das Verbot von Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern im Rahmen von Kooperationsaktivitäten sowie des Informationsaustausches dar. Bei solchen ist zu prüfen, ob eine Freistellung vom K.-Verbot möglich ist, für die gesetzlich festgelegte Voraussetzungen zu erfüllen sind. K.e kommen nicht nur auf den Endproduktmärkten, sondern ebenso auf Zwischenproduktmärkten vor. Im Kern des K.-Verbots steht das Verhalten von Wettbewerbern, also horizontale Vereinbarungen. Doch es gilt auch für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in der vertikalen Dimension. Z. B. sind verbindliche Preisabsprachen zwischen Herstellern und Händlern oder Lieferanten und Herstellern verboten.

K.e unterscheiden sich hinsichtlich der Dauer ihres Bestehens, der Anzahl der beteiligten Unternehmen, des Ausmaßes des von ihnen verursachten Schadens sowie der Höhe der verhängten Bußgelder nach ihrer Aufdeckung. Groß angelegte K.e in Deutschland waren z. B. das Zucker-, das Wurst- und das Bier-K., für die das BKartA 2014 insgesamt fast eine Mrd. Euro an Bußgeldern verhängt hat. K.e werden nicht selten auf Märkten gebildet, die bestimmte Strukturen aufweisen. Dies sind Oligopolmärkte mit hoher Transparenz, wenigen homogenen Gütern, gleichbleibenden Angebots- und Nachfragebedingungen, keinen Markteintritten und dem weitgehenden Fehlen externer Einflüsse.

Die Organisation und Stabilisierung von K.en ist mit Transaktionskosten verbunden, die mit der zunehmenden K.-Größe steigen. Das gesetzlich normierte K.-Verbot erhöht diese Kosten zusätzlich. Für die einzelnen Kartellanten bestehen Anreize, sich durch eine Verletzung der Absprachen Vorteile in Form von höheren Gewinnen zu verschaffen. Daher sind K.e umso stabiler, je härter die Sanktionsmöglichkeiten für abweichendes Verhalten innerhalb des K.s sind. Auch das Angebot von einer Kronzeugenregelung Gebrauch zu machen, schafft Anreize gegen die „K.-Disziplin“ zu verstoßen und das K. aufzudecken.

2. Komplexe Kartellschäden

Der einzelwirtschaftliche K.-Schaden fällt bei Wettbewerbern, Verbrauchern, Lieferanten oder Händlern an, indem der Markt von den Kartellanten gewinnoptimal aufgeteilt wird. Es kommt zu einer Umverteilung zugunsten der Kartellanten. Durch die höheren Preise kommt es zu Nachteilen für die gesamte Volkswirtschaft, wenn die Ergebnisse mit der Wettbewerbssituation verglichen werden. Die Wirkungen von K.en sind sowohl statischer als auch dynamischer Natur. Neben höheren Preisen, Einschränkungen bei der Produktionsmenge, -vielfalt und -qualität sowie den volkswirtschaftlichen Schäden werden Innovations- und Investitionsanreize verringert. Der Unterschied zwischen dem K.-Preis und dem Preis, der sich ohne K. ergeben würde, wird als K.-Aufschlag bezeichnet. Wie hoch er ist, hängt von den Marktgegebenheiten, der internen Durchsetzung des K.s sowie der Reaktion der Betroffenen ab.

Von K.-Schäden Betroffene haben ihrerseits manchmal die Möglichkeit, die Schäden teilweise weiterzuwälzen, meist auf Unternehmen der vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufe. Im Ergebnis kann dann ein K.-Schaden gleich auf mehreren Stufen der Wertschöpfungskette auftreten. Ausgehend von einer Preiserhöhung durch ein K. auf einem Zwischenproduktmarkt kommt es durch eine Weiterwälzung zusätzlich zu einer Preiserhöhung auf dem Endproduktmarkt. Diese Preisänderungen wirken sich in der Folge auch auf die angebotenen Mengen aus, sodass durch eine Verringerung der umgesetzten Mengen weiterer Schaden entsteht.

Die Bestimmung der Höhe des K.-Schadens ist mit Herausforderungen verbunden. Es gilt einen Vergleich zwischen dem K.-Preis und jenem Preis anzustellen, der sich ohne K. ergeben hätte, also mit der kontrafaktischen Marktsituation. Meist wird dies mit einer Vergleichsmarktbetrachtung versucht. In der Analyse des zeitlichen Vergleichsmarktes wird der Preis vor bzw. nach der K.-Periode mit jenem in der K.-Periode verglichen. Sachliche Vergleichsmärkte sind solche, die sich außer durch das K.-Verhalten in ihrer Preissetzung nicht von dem kartellierten Markt unterscheiden. Werden Vergleichsmärkte herangezogen, gilt es immer zu fragen, ob Preisdifferenzen tatsächlich durch das K. erklärt werden können. Es sind Spielräume in der Verwendung von Methoden und in der Interpretation von Ergebnissen vorhanden. Ein gutes Verständnis des jeweiligen Marktes sowie der geeigneten empirischen Methoden ist zur Feststellung des K.-Schadens unabdingbar.

3. Konsequente Kartellverfolgung

In der Wirtschaftsgeschichte wurden K.e zunehmend kritischer eingeschätzt und intensiver verfolgt. Die USA kannte in ihrem Antitrustrecht bereits im 19. Jh. das Verbot horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen. Anders stellt sich dies im Deutschen Reich dar, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche K.e registriert waren, denen von Politik und Wirtschaft damals sogar eine stabilisierende Funktion zugeschrieben wurde. Nach dem Kriegsende änderte sich diese Einschätzung. Im GWB wurde 1957 das K.-Verbot festgeschrieben, damals noch durch zahlreiche Ausnahmen und Umgehungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Im Laufe der Jahrzehnte und in zahlreichen Novellen haben sich die Regeln weitgehend verschärft. Die Intensität und die Effektivität der K.-Verfolgung sowohl durch das BKartA als auch durch die Europäische Kommission haben sich deutlich erhöht. Dies zeigt sich auch in Anzahl und Höhe der verhängten Bußgelder durch diese Behörden.

Korrespondierend mit dem wirtschaftlichen Internationalisierungsprozess nähern sich die kartellrechtrechtlichen Grundlagen sowie die Praxis der K.-Verfolgung in unterschiedlichen Ländern einander an. Dies gilt auf der globalen Ebene, v. a. aber innerhalb von Integrationsräumen wie der EU. Die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden im International Competition Network, dessen Zweck u. a. die Entwicklung gemeinsamer Standards in der K.-Verfolgung sowie die Kooperation bei grenzüberschreitenden Fällen bildet, trägt wesentlich dazu bei.

Völkerrechtlich dient die Zwischenstaatlichkeitsklausel dazu, den sachlichen Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbsrechts von dem des nationalen Wettbewerbsrechts abzugrenzen, wodurch Kompetenzkonflikte vermieden werden. Grundsätzlich ist für K.e, die sich in Deutschland auswirken, das BKartA zuständig. Landeskartellämter üben die Verfolgung von K.en aus, die regional und lokal aktiv sind. Die dominante Abgrenzung ist jedoch jene, die die Zuständigkeit der EU-Kommission in Art. 101 Abs. 1 AEUV festschreibt: „Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken“.

4. Differenzierte Betrachtung

Das K.-Verbot wird heute v. a. im AEUV, dort in Art. 101, geregelt. Dieser bildet weitgehend auch den Rahmen für das nationale Recht, so auch in Deutschland (§§ 1 und 2 GWB). Es gilt ein generelles Verbot der in Art. 101 Abs. 1 definierten horizontalen und vertikalen Vereinbarungen. Sie sind nichtig (Art. 101 Abs. 2) und werden im Falle der Aufdeckung mit hohen Geldbußen bestraft. Dies gilt für Hardcore-K.e zwingend und ohne Ausnahme. Doch kann der Art. 101 Abs. 1 für solche Vereinbarungen als nicht anwendbar erklärt werden, die bestimmte, in Art. 101 Abs. 3 aufgeführte, Voraussetzungen erfüllen. Dabei haben die Unternehmen selbst einzuschätzen, ob diese vorliegen. Es handelt sich um vier Bedingungen, von denen jede einzelne zu erfüllen ist:

a) Die Verbraucher müssen eine angemessene Beteiligung am entstehenden Gewinn erhalten.

b) Die Vereinbarung muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, womit Effizienzgewinne angesprochen sind.

c) Die Beschränkungen müssen für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich sein und

d) die Vereinbarung darf den Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Zahlreiche Kooperationen von Unternehmen fallen unter diese Freistellungsklausel. Sie ermöglicht die Berücksichtigung von gesamtwirtschaftlichen Effizienzeffekten, die mit Vereinbarungen verbunden sein können (More Economic Approach).

Deutschland weist mit den in § 3 GWB geregelten „Mittelstandskartellen“ eine Besonderheit auf. Sie erfüllen die Freistellungsvoraussetzungen, sollen die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen verbessern und sie vor einem drohenden Marktaustritt schützen, der den Wettbewerb verringern würde. § 3 GWB gilt für horizontale Vereinbarungen, deren Zweck die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch eine Kooperation ist.

Einige aktuelle Entwicklungen in der Einschätzung, Aufdeckung und Sanktionierung von K.en sind hervorzuheben. Dies sind erstens eine internationale Angleichung von Standards bei der Definition und Verfolgung von K.en. Zweitens ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer stärkeren Differenzierung von Vereinbarungen gekommen. Während Hardcore-K.e immer sanktioniert werden, stehen Vereinbarungen mit wohlfahrtserhöhenden Wirkungen nicht mehr unter K.-Verdacht. Drittens haben Bonusanträge im Rahmen von Kronzeugenregelungen die Aufdeckungsquote von K.en stark erhöht. Sie dominieren bei weitem die amtliche Aufdeckung sowie die Aufdeckung aufgrund von anonymen Hinweisen. Dies gilt sowohl für Deutschland als auch für die EU. Viertens wurde es durch die EU-Schadenersatz-RL und deren Umsetzung in das nationale Wettbewerbsrecht für K.-Geschädigte erleichtert, K.-Schadenersatz vor Zivilgerichten einzuklagen und durchzusetzen. Fünftens hat die Competition Compliance (Compliance) in den Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Es geht nicht nur um Regeln, Maßnahmen und Strukturen zur Vermeidung von K.-Verstößen, sondern auch um eine Sensibilisierung von Management und Mitarbeitern für die schädlichen Konsequenzen von K.en und ihre Aufdeckung für das Unternehmen. Es geht also darum, ein organisationsbedingtes Fehlverhalten zu erschweren oder zu verhindern.