Jugendhilfe

1. Geschichtlicher Rückblick

Die Wurzeln der J. reichen bis zu der kirchlichen Waisen- und Armenfürsorge im Mittelalter (Hospitäler und Findelhäuser). Die Arbeits- und Zuchthäuser im 17. Jh. und die Industrie- und Spinnspulen im 18. Jh. waren durch eine Sozialdisziplinierung und Erziehung zur Arbeit geprägt. Der Intention nach anders stellten sich die im Zuge der religiösen Erweckungsbewegung (Pietismus) entstehenden Waisenhäuser dar, in denen neben körperlicher Arbeit der Erziehungsgedanke stand. Die Zustände in den Waisenhäusern (Arbeit, Prügel, Religion) sowie die Angliederung an die Manufakturen mündeten in den Waisenhausstreit (Ende des 18. Jh.). Im Jahr 1833 gründete Johann Hinrich Wichern in Hamburg das „Rauhe Haus“, in dem er verwahrloste Kinder christlich erziehen ließ. Um 1840 kam es zur Errichtung von Kinderbewahranstalten (Vorläufer des Kindergartens), die in erster Linie die Proletarierkinder vor Verwahrlosung bewahren sollten. Erste pädagogische Bemühungen auf diesem Gebiet gehen auf Friedrich Fröbel zurück. Nach Schutzbestimmungen zur Kinderarbeit und im Pflegekinderwesen (1839/40) finden sich die ersten Anfänge einer öffentlichen J. gegen Ende des 19. Jh. Im Zentrum stand die Ausgliederung der Kinder aus der allg.en Strafrechtspflege und die Zuführung einer gesonderten Behandlung („Erziehung statt Strafe“). Mit dem „Preußischen Zwangserziehungsgesetz für die Unterbringung verwahrloster Kinder“ (1878) konnten erstmalig verwahrloste, kriminelle Minderjährige bis zum 12. Lebensjahr in Anstalten der J. unterbracht werden. Voraussetzung für eine Anstaltserziehung war nicht länger ein Straftatbestand, sondern die Fürsorgeerziehung konnte bereits beim Vorliegen einer Verwahrlosung für Minderjährige angeordnet werden. Während die J. bis Ende des 19. Jh. überwiegend die klassischen Aufgaben der J. (Waisenpflege, Anstaltswesen, Pflegekinderwesen, Kinderschutz) umfasste, setzte eine staatliche Regulierung Anfang des 20. Jh. auch in einem Bereich ein, der bis dahin überwiegend den konfessionellen Vereinigungen überlassen worden war. Die im Zuge von Schutzbestimmungen reduzierte Arbeitszeit führte zu mehr Freizeit, die die Jugendlichen in teilweise selbstorganisierten bürgerlichen Vereinen, Jugendverbänden sowie in politisch motivierten Arbeiterjugendorganisationen verbrachten. Parallel zu der bürgerlichen und proletarischen Jugendbewegung setzte um 1900 die staatliche Jugendpflege ein. Um 1909 kam es zur Gründung der ersten Jugendämter (Mainz, Hamburg). Eine erste rechtliche Verankerung sowohl der Jugendämter als auch der Aufgabenbereiche der J. fand sich 1922 mit der Verabschiedung des RJWG, welches in seiner Grundstruktur fast 70 Jahre Bestand hatte. Allerdings trat das RJWG aufgrund einer Notverordnung im Jahr 1924 nie vollständig in Kraft. Angebote wie Säuglingspflege, Krippen- und Hortwesen sowie die Freizeit betreffende Maßnahmen (Jugendpflege) wurden zu freiwilligen Leistungen der Kommunen deklariert. Die durch das Gesetz anvisierte Einheit der J. (Jugendfürsorge und Jugendpflege) scheiterte und wurde zum Thema in den Reformen des J.-Gesetzes (1953/61). In der NS-Zeit gab es zwar faktisch keine Änderungen des RJWG, allerdings kam es auf der organisatorischen Ebene zu einer Zentralisierung des Reichs und die bisherigen J.-Strukturen unterlagen der NS-Ideologie (Nationalsozialismus). Es kam zu einer Ausgrenzung und Selektion, welche im Bereich der Fürsorgeerziehung zu einer Klassifikation führte (Heimstätten, Fürsorgeerziehung, Schutzlager). Der Jugendpflegebereich wurde verstaatlicht (HJ). Nach 1945 entwickelten sich als Reaktion auf die Kriegsfolgen neue Aufgabenbereiche. Es entstanden Maßnahmen zur Integration von Jugendlichen in Ausbildung/Beruf und zum Abbau von individuellen Beeinträchtigungen (Jugendsozialarbeit). Die JWG-Reform (Jugendwohlfahrt) von 1961brachte eine Erweiterung der Pflichtaufgaben (z. B. Jugendpflege), Spezifizierung der J.-Aufgaben (z. B. Freiwillige Erziehungshilfe) sowie die Heimaufsicht. Die Kritik an bestehenden gesellschaftspolitischen Verhältnissen und Institutionen fand ihren Ausdruck in der Kinderladenbewegung, der Heimkampagne und der Studentenbewegung gegen Ende der 1960er Jahre. Eine umfassendere Reform der bisherigen J. fand mit Einfügung der J. in die Sozialgesetzgebung (SGB VIII) im Jahr 1990/91 statt.

2. Prinzipien, Zielsetzungen und Aufgaben

Während mit dem Begriff der Jugendfürsorge klassisch die kriminellen, verwahrlosten Jugendlichen bzw. schutzbedürftige Minderjährige und oftmals in die Freiheitsrechte der Kinder und Eltern (Elternrecht, Kinderrechte) eingreifende Maßnahmen gesehen wurden, zielte der Begriff der Jugendpflege auf die nicht unbedingt schutzbedürftigen bzw. normalen, nicht auffällig gewordenen Jugendlichen und war Ausdruck für unterstützende ergänzende Maßnahmen. Die zunehmende Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der J. seit den 1980er Jahren führte zu neuen fachlichen Prinzipien, so etwa die maßgeblich von dem Pädagogen Hans Thiersch geforderte Lebensweltorientierung der J. Im „Achten Jugendbericht“ (1990) werden folgende Strukturmaximen für eine reformierte J. formuliert: Prävention; Dezentralisierung/Regionalisierung, Alltagsorientierung, Integration/Normalisierung und Partizipation. Das SGB VIII griff diese Neuorientierung im Hinblick auf veränderte Lebensverhältnisse auf. Die bisher vorrangig repressiven Maßnahmen wurden durch einen ausdifferenzierten und präventiv orientierten Leistungskatalog abgelöst. Eine Weiterentwicklung erfuhr die J. in den 1990er Jahren durch das Dienstleistungskonzept. Hierbei handelt es sich einerseits um den Einzug betriebswirtschaftlicher Konzepte in die öffentliche Verwaltung, andererseits um eine fachliche Neuorientierung in Richtung Leistung, Prävention, Flexibilisierung und Demokratisierung (Neunter Jugendbericht, 1994). Diese Forderungen nach einem umfassenden (Dienst-)Leistungsgesetz finden ihren Ausdruck in der Festschreibung individueller Rechtsansprüche, Beteiligungsrechten (u. a. Wunsch- und Wahlrecht, Hilfeplanverfahren) sowie einem pluralen Angebot. Zu den grundlegenden Aufgaben der J. gehört es, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Die dem Gesetz zugrundeliegende Familienorientierung soll zudem Eltern u. a. Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, positive Lebensbedingungen für Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt schaffen. Ebenso gilt es, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (vgl. § 1 SGB VIII).

Die Aufgaben der J. werden in Leistungen (§ 11–41 SGB VIII) u. a. Aufgaben (§ 42–60 SGB VIII) unterteilt. Zu den Leistungen gehört die allg.e Förderung junger Menschen. Hierzu zählen die Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz, Förderung der Erziehung in der Familie, Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung, Scheidung sowie Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts, die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesstätte), die Hilfen zur Erziehung und die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche. Zu den anderen (hoheitlichen) Aufgaben gehören vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Inobhutnahme, u. a. mit Blick auf unbegleitete ausländische Minderjährige), Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen, Mitwirkung vor gerichtlichen Verfahren. Weitere bzw. ergänzende Aufgaben resultierten aus Änderungen zur Regelung der Kindertagesbetreuung, der Ausweitung des Kinderschutzes. Gegenwärtig plant die Bundesregierung eine neue (grundlegende) Reform des SGB VIII („Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“) im Sinne einer „großen Lösung“.

Im Rahmen seiner Gesamtverantwortung ist das Jugendamt zudem für die J.-Planung zuständig, bei der es sich um eine Bestandsaufnahme, Bedarfsermittlung und rechtzeitige und ausreichende Planung der Angebote der J. handelt. Die Aufgaben der Landesjugendämter bestehen in der Förderung der Zusammenarbeit mit den freien Trägern, Förderung von Modellvorhaben und Fortbildung des Personals der J., der Einrichtungserlaubnis und Heimaufsicht sowie der Beratung der kommunalen J.

3. Organisation und Trägerschaften

Öffentliche Träger sind die Jugendämter und die überörtlichen Landesjugendämter. Die Leistungen der J. werden von öffentlichen und freien Trägern erbracht, andere Aufgaben können auf freie Träger übertragen werden. Es besteht ein Vorrangrecht der freien J. gegenüber der öffentlichen J., d. h. die öffentliche J. soll von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen seitens der freien J. vorliegen oder rechtzeitig geschaffen werden können (Subsidiarität). Seit ihrer Entstehung ist die J. gekennzeichnet durch eine maßgebliche und auf Pluralität beruhende Beteiligung freier Träger. Zu den historisch gewachsenen Organisationen der freien J. zählen die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, die Jugendverbände sowie verschiedene Fachverbände der J. Die öffentliche J. hat die Selbständigkeit der freien Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur zu achten. Jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis hat ein Jugendamt zu errichten. Das Jugendamt als zweigliedrige Behörde besteht aus dem J.-Ausschuss und der Verwaltung des Jugendamtes. Der J.-Ausschuss setzt sich aus Mitgliedern der Vertretungskörperschaft des Trägers der öffentlichen J. oder von ihr gewählte Frauen und Männer, die in der J. erfahren sind (zu 3/5) und aus Frauen und Männern, die auf Vorschlag der freien Träger (Wohlfahrtsverbände, Jugendverbände) von der Vertretungskörperschaft gewählt werden (zu 2/5). Der J.-Ausschuss befasst sich mit allen Angelegenheiten der J., insb. mit der Erörterung aktueller Problemlagen junger Menschen und ihrer Familien. Im Rahmen der J.-Planung gibt er Anregungen und entwickelt Vorschläge für die Weiterentwicklung der J. Zudem ist er für die Förderung der freien Träger zuständig. Während der J.-Ausschuss durch ein eigenständiges Beschlussrecht und bei jugendhilfepolitischen Entscheidungen vor dem Hintergrund der Rahmenbeschlüsse der Kommunalpolitik mitwirkt, kümmert sich die Verwaltung des Jugendamtes um die laufenden Geschäfte. Hierbei ist die Verwaltung des Jugendamtes unmittelbar an die Beschlüsse des J.-Ausschusses gebunden. Rechtlich besteht ein Vorrang des J.-Ausschusses gegenüber der Verwaltung des Jugendamtes, womit die Verwaltung des Jugendamtes ein ausführendes Organ der Entscheidungen des J.-Ausschusses ist. Gleichzeitig ist der J.-Ausschuss ein Ort der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt und den freien Trägern. Das Jugendamt als Amt unterliegt bis heute unterschiedlichen Organisationsreformen. Die Neuorganisation der sozialen Dienste in den 1970er Jahren sowie das Neue Steuerungsmodell in den 1990er Jahren zielten jeweils auf eine Effektivierung der Leistungen und eine verstärkte Bürgerorientierung. Insb. die Diskussion um eine wirkungsorientierte J. bleibt nicht ohne Folgen für die Organisation, Adressaten und das Personal der J.