Jugend

1. Einleitung

Der J.-Phase werden Anforderungen wie Selbstfindung, schulische Wissensaneignung und berufliche Qualifikation, Entfaltung von sozialen Bindungen und das Finden eines eigenen Lebensstils zugeschrieben. Deuten lässt sie sich als eine sozial-gesellschaftliche Konstruktion mit normativen Anforderungen: Heranwachsende sind aufgefordert, in allen Lebensbereichen eigenverantwortlich das Leben zu gestalten und in der Bearbeitung von Passungsverhältnissen zwischen Freunden, Familie und Schule mehr oder weniger je nach Lebensbereich zeitlich versetzt „erwachsen“ zu werden. Auch wenn sich Lebensverläufe aufgrund von Pluralisierung und sozialen Lebenslagen ganz unterschiedlich gestalten und daher nicht mehr von einer einheitlichen J. ausgegangen werden kann, wird dennoch angenommen, dass sich das heranwachsende Subjekt im Wechsel von äußerer und innerer Realität mit gesellschaftlichen Bedingungen auseinandersetzt.

2. Historische Stränge

In den 1960er Jahren setzt ein enormer Industrialisierungsschub ein mit einem Mehr an Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten jenseits von sozialer Zugehörigkeit, Geschlecht und Kulturalität. Dadurch änderte sich auch die generationale Ordnung der J.-Phase: Sie wird nicht mehr als Primitiv- und Kulturpubertät gedeutet. Eine Ausdehnung des Bildungssystems lässt die Vorstellung von einem Bildungsmoratorium als zentralen Kern einer modernen J.-Phase entstehen. Schulisch institutionalisiert werden alle Jugendliche mit Themen der Aufklärung und Selbstreflexivität im Dienste einer besseren Gesellschaft konfrontiert. Die Verlängerung der Schulpflicht homogenisiert Heranwachsende auch zu Altersgleichen. Die Bildungsreform befördert zudem eine generationale Ordnung von J. als Ermöglichungsraum einer Selbstfindung für alle.

Die Verlängerung der Schulpflicht etabliert auch eine J. ideeller Art. Die direkte soziale Kontrolle des Arbeitsmarktes greift nur noch indirekt auf die J.-Phase. Die frei zur Verfügung stehende Zeit durch einen zeitlich begrenzten Schulalltag auf halbe Tage eröffnet die Bildung altershomogener Peergroups, in denen sie eigene Stilformen ausbilden können. Der sozialisatorische Einfluss der J.-Kulturen wird auf wissenschaftlicher Ebene in ein generationentheoretisches Konzept gegossen. In Peergroups üben sich Jugendliche in emotional distanzierte Rollenmuster ein. J.-Kulturen werden als expressive Aktivitätssysteme gedeutet: „Jugend fungiert als Exponent und Vorreiter urbaner Lebensstile und Szenen, die sich in Metropolen und Ballungsräumen industriekapitalistischer Gesellschaften gebildet haben“ (Zinnecker 1987: 321).

Gedeutet werden in den 1980er Jahren die Sozialisationsprozesse (Sozialisation) von Heranwachsenden als produktive Eigenleistungen jenseits von Familie und Schule. In modernen Gesellschaften können Eltern die erforderlichen Verhaltensweisen nicht mehr vermitteln. Mit der Abwendung der Jugendlichen von intimen partikularen Werten, die sie von Eltern erwerben, lösen sie sich auch von ihnen und wenden sich universalistischen Werten mit einer Orientierung an Peergroups zu.

Die Beantwortung der Frage, wie man leben und sich binden möchte, welche berufliche Qualifikation man anstrebt, welche Medien präferiert werden und wie mit Konsum umgegangen wird, sowie die Frage nach der gesellschaftliche Partizipation werden zu zentralen Themen – zu Entwicklungsaufgaben – der modernen J.-Phase. In kritischer Distanz gegenüber einer etablierten Gesellschaft und traditionellen Lebensformen entwickeln Jugendliche eine eigene Identität. Autonome Identitätsfindung wird in den 1980er Jahren in Anlehnung an das Identitätsmodell von Erik Erikson (1981) zum Kern der J.-Phase. Die J.-Phase wird verstanden als ein reflexives Moratorium. Ein Bildungsmoratorium eröffnet Jugendlichen die Möglichkeit, über Gerechtigkeit und Autonomie nachzudenken und zu einer stabilen und autonomen Identität zu gelangen. Unterstützt wird der Erwerb einer Ich-Identität von einer Ablösung von den Eltern bei gleichzeitiger Hinwendung zu einer Peergroup.

J. wird aber auch seit Erscheinen der Analysen von Pierre Bourdieu milieuspezifisch betrachtet. Jugendliche Lebensformen werden gesellschaftlichen Klassen zugeordnet, womit der einheitliche Charakter von J. erstmals aufgebrochen wird.

Individualisierungstheoretische Ansätze der J.-Forschung melden dann auch Kritik an, J. sei Moratorium und Transition (Übergang). Thomas Olk vertritt die These von einer Individualisierung und Entstrukturierung der J.-Phase. Die Stabilisierung der Moderne in den 1950er Jahren befördert zuerst eine Chronologisierung und Standardisierung des Lebenslaufs Kindheit, J., Erwachsenenalter und Alter. Dies führt in den 1980er Jahren zu einer Öffnung von alters-, sozial- und geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern. Der institutionalisierte Lebenslauf verliert damit wiederum seine stabile Struktur, er wird von innen aufgesprengt. Die J.-Phase ist nun gekennzeichnet von Destandardisierung und Entstrukturierung.

Auch nehmen jugendkulturelle Stilisierungen in den 1980er Jahren zu. Eine sprunghafte Vermehrung jugendkultureller Stile bringt „Unterabteilungen“ und verschiedene „Stämme“ hervor. Nach Wilfried Ferchhoff lässt sich keine Identitätsfixierung auf einen J.-Stil oder eine ganzheitliche Stilbildung mehr ausfindig machen. Gleichzeitig vervielfältigen und entzeitlichen sich die Übergänge (Transition) in das Erwachsenenalter. Es wird je nach Bedarf zwischen jugendlichen und erwachsenen Lebensformen hin- und hergesprungen. Barbara Stauber beschreibt dies als Yoyo-Übergänge, wobei Übergänge von Reversibilität, Fragmentierung und Diversifizierung gekennzeichnet sind.

Entstandardisierung und Restandardisierung werden zur Jahrhundertwende vielfach diskutiert. Jürgen Zinnecker formuliert die These von einer Selbstsozialisation: Verselbstständigung und Vergesellschaftung finden gleichermaßen statt und führen zur Selbstsozialisation. Im Kontext der Zivilisationstheorie von Norbert Elias wird eine sozialisatorische Dynamik aufgrund der Dienstleistungsökonomie prognostiziert, die in einen Selbstzwang mündet. Die generationale Ordnung „J.“ der Jahrhundertwende enthält eine Zurücknahme konkreter erwachsener Kontrolle bei einer gleichzeitigen Zunahme von verinnerlichten Selbstzwängen. Jugendliche werden von der Konsum- und Freizeitindustrie zur Geschmacksbildung angerufen, die dazu führt, dass Stilbastelei und das Synthetisieren von Alltags- und Medienwelt Teil jugendlichen Lebens werden. Die Jüngeren „sind angehalten, frühzeitig mit der eigenen Person und eigenen Lebensentwürfen zu experimentieren und dies in eigener Regie und unter Nutzung verinnerlichter Selbstzwänge“ (Zinnecker 1987: 325).

Wenn auch im ausgehenden 20. Jh. noch dominantes Muster die moderne J. ist, setzt ein Wandlungsprozess hin zu einer spätmodernen J.-Phase ein. Denn die Verselbständigung der Jugendlichen ist nicht mehr nur ein Produkt eines schulischen Bildungsmoratoriums, sondern wird zunehmend beeinflusst von der Dienstleistungsökonomie. Die Anforderungen einer modernen J., sich mit Entwicklungsaufgaben der Familiengründung, Berufsfindung, Geschlechtsidentität und Konsumorientierung auseinanderzusetzen und eine stabile Identität aufzubauen, um einen eigenen Lebensstil zu entfalten und eine kritische Haltung zu entwickeln, gestalten sich um.

3. Aktuelle Zeitdiagnosen

Pluralisierung, Beschleunigung, Vielfalt und digitale Technisierung sind Kennzeichen spätmoderner, individualistischer Lebensformen. Differenzierung und Instrumentalisierung in privaten Lebensformen wie in Kultur, Konsum und Ökonomie breiten sich aus. Auch Jugendliche erleben Globalisierung und Deregulierung. Posttayloristische Unternehmensstrategien wirken in das private Leben von Heranwachsenden hinein. Es verflüchtigt sich die Idee von Einheitlichkeit, von für alle geltende Normen und Regeln. Eine „Pluralität an Modernen“ (Rosa 2007: 140) dynamisiert Soziales, Technik und individuelles Leben.

Diese gesellschaftlichen Bedingungen wirken in die generationale Ordnung der J.-Phase ein. Heranwachsende sind zunehmend konfrontiert mit neoliberalen Deregulierungsmaßnahmen, mit Beschleunigung und Optionsvielfalt. Neue Anforderungen entstehen: Jugendliche „sollen“ offen sein für Vielfalt und die Fähigkeit erwerben, flexibel mit Unbekanntem umzugehen. Bewältigungsstrategien für Übergangspassagen sind zu erlernen und strategische Planung einzuüben. Wilhelm Heitmeyer u. a. unterstreichen den gesellschaftlichen Wandel: „Die neuen Anforderungen des ‚unternehmerischen Selbst‘ (Bröckling 2007) bzw. des selbstgesteuerten Arbeitskraftunternehmers […] reduzieren die Jugendphase auf die Dimension des ökonomisch Nützlichen, verwertungsorientierten und effizienten Produzenten wirtschaftlichen Mehrwertes“ (Heitmeyer u. a. 2011: 23).

Bedient man sich der Gouvernementalitätsforschung, sind aktives Handeln und passive Einordnung unauflöslich miteinander verbunden. J. ist danach eine Zeit des Einübens in eine „Regierungskunst“. Heranwachsende finden sich weder gefügig in schulische Bildung und soziale Strukturen ein, noch sind sie Opponenten von Eltern, Pädagogen, Konsum und Medien. Die spätmoderne J.-Phase enthält aktive Subjektbildung sowie die Einübung in Gesellschaftliches. Geändert haben sich aber die Inhalte der Auseinandersetzung. Nicht mehr feste Positionierung von Standpunkten und normative Orientierungen sind bedeutsam, sondern Jugendliche haben zu lernen, mit Dynamik, prozesshafter Wandelbarkeit und steter Neuerfindung umzugehen. Diese Annahme unterstützen Ergebnisse der Shell J.-Studien, der Sinus Studie (Marc Calmbach u. a.) und jene von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht. Die sich durchziehende Argumentationslinie betont eine zunehmende Strategie der Egotaktik bei den Jugendlichen: „Sie erfassen schnell und mit großer Sensibilität die Ausgangslage […]. Dabei gehen sie ganz nüchtern von ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen aus. Leitfrage ist also immer: Was ist das Beste für mich? Und wie halte ich mir möglichst viele Optionen offen?“ (Hurrelmann/Albrecht 2014: 32). Gleichzeitig nutzen sie „ihre Eltern als wichtige Verbündete im Angesicht der ungewissen Zukunftschancen“ (Hurrelmann/Albrecht 2014: 30). Nicht mehr die einmalige Standortvergewisserung ist gefordert, sondern der Umgang mit Neuem, Wandel und Optionsvielfalt. Heranwachsende sind zunehmend aufgefordert, sich selbst lernend zu machen, um sich in einer stets wandelnden und beschleunigten Gesellschaft verorten zu können. Innere Stabilität wird über eine dynamische Prozesshaftigkeit eines steten Lernens produziert.

Solche Eigenschaften haben sich Jugendliche zu erarbeiten, sie sind nicht einfach „per se“ vorhanden. Soziale und emotionale Unterstützung durch Mutter und Vater werden zunehmend wichtig, um Anforderungen des Optimierens entgegnen zu können. In der spätmodernen J.-Phase ist dann auch nicht mehr eine Ablösung von Mutter und Vater gefragt, sondern benötigt werden Eltern, die beratend zur Seite stehen. Die Familie bietet Jugendlichen in einer kontingenten Gesellschaft einen Ort des Bekannten und Vertrauten. Sie wird zum „höchsten Ideal der Lebensführung“ (Koppetsch 2013: 40).

Den Anforderungen spätmoderner Optionen zu entsprechen, sich „richtig“ zu entscheiden, Interessen zu entfalten und sich nicht in Angeboten zu verlieren, Orte der Zugehörigkeit zu haben und sich auf Neues kontinuierlich einstellen zu können, bedarf nicht nur familialer, sondern für manche Jugendliche auch sozialpädagogischer Unterstützung. Die sozialpädagogische J.- und Familienhilfe macht deutlich, dass einige Eltern und Heranwachsende diesen Anforderungen nicht genügen können, da Abstimmung und reflexives Aushandeln Grundprinzipien alltäglichen Handelns geworden sind. Heranwachsende zu unterstützen und zu beraten, bedeutet zugl. zu wissen, welche Handlungen (Handeln, Handlung) und Entscheidungen die richtigen sind. Eine optimale Beratung sei von Vater und Mutter nicht mehr alleine leistbar. Die Vervielfältigung familienpädagogischer Angebote ist als eine Antwort auf die Globalisierung zu lesen. „Während auf der einen Seite ein enormer Ausbau familienpolitischer Leistungen und sozialpädagogischer Angebote als verstärkte öffentliche Verantwortung zu beobachten ist, […] wandeln sich auf der anderen Seite die Adressierungsprozesse an die private Verantwortung von Familien, in deren Zuge sie aufgefordert werden, Kinder als ‚öffentliches Gut‘ im Interesse der Gesellschaft optimal zu betreuen, zu erziehen und zu bilden“ (Böllert 2015: 192). Dadurch werden Erziehung und verantwortete Elternschaft entprivatisiert.

Auch in der Schule hat sich ein Wandel vom Bildungsprivileg zum Bildungszwang vollzogen. Selbst bildungsferne Jugendliche sind in den Bann schulischer Leistung gezogen. Eine flächendeckende Intensivierung des Schulischen unabhängig vom Milieu befördert eine Optimierung des Humankapitals als Ausschöpfung aller menschlichen Fähigkeiten. Der Anspruch des letzten Jh. ist verloren gegangen, über Schule ein Bildungsmoratorium – mit dem Anreiz auf eine Bildungsprivilegierung – zu modellieren. Kulturelle Stilbastelei und Gegenwehr, über die sich Heranwachsende eine autonome Identität erarbeiten, haben sich verflüssigt. Zwei Inhalte von Bildung gehen verloren: Zum einen ist Schule immer weniger Bildungsmoratorium und zum anderen haben Jugendliche immer weniger Eigenzeiten für jugendkulturelle Stilbildungen. Experimentieren, Suchen und Ausprobieren stehen einer Intensivierung des Unterrichtsprozesses wie einer Optimierung der Klassenführung entgegen.

Der spätmoderne Wandel hat mit der Entwertung niedriger Schulabschlüsse den Zwang zur Bildungsnotwendigkeit hervorgebracht. „Das schulische Bildungsmoratorium verliert damit seinen Spiel- und Erprobungscharakter und gewinnt stärker Züge einer Ernstsituation“ (Helsper 2015: 134). Schüler und Schülerinnen, die nicht dem Modus des optimierten Lernens und schulischen Selbstmanagementpraktiken entsprechen (können), fühlen sich abgehängt. Ein Bildungsabschluss bietet zudem keine Garantie mehr auf eine Ausbildung oder einen erfolgreichen beruflichen Weg. Höhere Bildungsabschlüsse verkümmern zu einem notwendigen „Muss“ für Mädchen wie Jungen aller sozialen Milieus ohne Garantie für eine spätere berufliche Platzierung.

Ganztagsschulen mit einer zeitlichen Verlängerung des schulischen Lebens über den ganzen Tag tragen zum Bildungszwang bei. Schulische Professionalisierungsstrategien setzen dabei auf eine Berücksichtigung emotionaler Befindlichkeiten. Das „Persönliche“ des Subjekts gewinnt für eine Leistungssteigerung an Bedeutung. Das professionelle Arbeitsbündnis sieht emotionale Unterstützung und Leistungsproduktion gleichermaßen vor. „Damit durchkreuzen sich in der Schule verstärkt universalistisch-distanzierte Leistungsrationalität und eine diffus-emotionale Sorgehaltung im schulischen Beziehungsgefüge“ (Helsper 2015: 133). Eine zeitliche Verdichtung von Unterrichtsgeschehen (Zeitmanagement und optimale Klassenführung) verschränkt sich mit dem hegemonialen Diskurs einer international wettbewerbsfähigen Subjektkonstruktion und befördert Bildungszwänge jeglicher Art.

Selbst Peergroups haben einen Bedeutungswandel erlebt. Jugendkulturelle oder gar subkulturelle J.-Stile, wie sie von Paul Willis beschrieben werden, sind die Ausnahme. Im Zeitalter einer spätmodernen Optimierung bilden sich kaum noch jugendliche Gegenwelten. Mit zunehmendem Alter der Heranwachsenden verlaufen schulische Orientierung und jugendliche Peerstruktur ähnlich. In den meisten Peergroups nimmt mit dem Alter eine Schulorientierung zu. Soziale Heterogenität in den Peergroups findet sich dabei häufiger in oberen sozialen Milieus. Ausnahme sind Jugendliche mit gravierenden schulischen Belastungen. Dann stellt sich eine selbstschutzartige Distanz gegen optimierende Leistungsanforderungen ein, durch die eine problematische Spirale einer schulischen Missachtung entsteht, selbst wenn Jugendliche dies anfangs als Entlastung erleben.

Auch die Peerstruktur ist von gesellschaftlichen Formationen des Optimalen und von Flexibilität durchzogen. Selbstinszenierungen unter Nutzung digitaler Medien, häufige Wechsel der Subjektdarstellung auf Instagram und Facebook signalisieren Action, spielerische Leichtigkeit, Lifestyle und technische Faszination. Spezielle Szenen verfügen zwar über Sonderwissensbestände und eine distinktive Kommunikation, sie bleiben aber fluide. Digitale Medien dienen einer inszenierenden Kommunikation, Intensitäts- und Subjektivitätserfahrungen mischen sich mit realer und medialer Interaktion. Das „kuratierte Ich“ (Damm u. a. 2012) ist hauptsächlich um seine Selbstinszenierung bemüht, es verobjektiviert sich im „medial vermittelten Portraitbild“ (Damm u. a. 2012: 151). Gegenwärtig geht es in Peergroups nicht mehr um das Einüben einer stabilen Autonomie oder einer emanzipatorischen Haltung (Emanzipation). Spezifische Jugendprobleme bleiben verinselt und führen nicht zu Vergemeinschaftungen größeren Ausmaßes. Bildungsbenachteiligung, Migrationsproblematiken, Gewalterfahrung oder psychischen Problemen verorten sich in kleineren Teilgruppen.

Der soziale Wandel hin zu einer beschleunigten und zugl. optimierten Gesellschaft mit einem offenen ethischen Horizont befördert Verinselung und Rückzug ins Private einerseits sowie digitale Präsenz, multioptionale Offenheit, Flexibilität andererseits bei gleichzeitiger Orientierung an einer Leistungskonkurrenz. Jugendliche haben sich mit der ethischen Privatisierung und sozialen Toleranz bei gleichzeitiger Diversität auseinanderzusetzen und eine geeignete Lebensstrategie zu finden. Insofern ist die spätmoderne J.-Phase immer im Plural zu lesen, zumal auch zivilisationsgeschichtlich betrachtet Elemente einer modernen und selbst traditionellen J.-Phase noch zu finden sind. Dennoch hat die spätmoderne J. ein eigenes Format, das gekennzeichnet ist von Flexibilität, Kreativität und ein stärker auf den eigenen Vorteil ausgerichtetes Verhalten. An Bedeutung gewinnen eine erhöhte Selbstkontrolle und die Fähigkeit zur Selbstorganisation von Tätigkeiten. Ressourcen sind zu bündeln und die eigene Bildung ist zu organisieren. Statt Emanzipationsaufforderungen dominieren Selbstökonomisierung und Selbstvermarktung bei flexibler Anpassung.

Jugendliche werden so zu Koordinatoren ihres Lebens mit möglichst großen Netzwerken an Verbündeten, Vertrauten, Freunden und Bekannten, wobei neben Spaß haben und Action auch genaue Planungen der Konsequenzen des eigenen Handelns zu Themen von Treffen, Chats und Selbstbeschreibungen werden. Die Subjektanforderung ist die eines situativ anpassungsbereiten Selbst in einer dynamischen Pluralität, das spielerisch den Umgang mit sich und anderen erlernt, bereit ist, sich stets neu zu gestalten, um offen für Besseres zu sein. Ein flexibles Umgehen mit Neuem, stetes Lernen und Optimierung erfordern das Erlernen von Entscheidungspraxen zum einen und reflexiver Begründung der Auswahl zum anderen. Gerade durch den Erwerb von Evaluationsstrategien, zu wissen wie auszuwählen ist und auf welche Kriterien dabei zu achten ist, gelingt es Heranwachsenden mit dem normativen Anspruch an eine flexible Lebensgestaltung, eines Aushaltens von Ungewissheiten bei gleichzeitiger Konzentration auf das Gegenwärtige, spielerisch umzugehen.

Der Wandlungsprozess hin zu einer spätmodernen J. ist nicht für alle Jugendliche leicht zu bewältigen. Eltern, die ihren Kindern nicht beratend zur Seite stehen und sie unterstützen, sowie schulische Probleme, Migration, soziale Benachteiligung und subjektive Unsicherheiten/Ängste erschweren eine gelungene Auseinandersetzung mit spätmodernen Anforderungen. Die Folge können Depression, Ängste, Burn-out, Handlungs- und Entscheidungsunfähigkeit sein. Solche Ängste verunmöglichen Kreativität und Unbekümmertheit, die Möglichkeit das Leben authentisch zu gestalten und Bildungsprozesse zu initiieren. Die J.-Phase ist dann kaum noch ein Schonraum bzw. ein Moratorium.

Dennoch besteht die Anziehungskraft der Selbstmodellierung darin, das Gefühl zu haben, sich selbst produzieren zu können, sich zu finden und authentisch zu leben. Auch befreit eine Selbstmodellierung von Ordnung, Fehlerfreiheit und Präzision sowie übertriebenem Pflichtbewusstsein. Eine Optimierung des Selbst setzt auf Wandel und Flexibilität mit selbstgewählten Freiräumen. K. Hurrelmann u. a. (2014) nennen dies eine Egotaktik: „Die Egotaktik ist der Mechanismus, mit dem die Generation Y jederzeit schnell im Alltag flexible Entscheidungen treffen kann. Sie nutzt eine Mischung aus Selbstbezug und sensiblem, strikt nach opportunen Gesichtspunkten ausgerichtetem, tastendem und taktierendem Verhalten, über das sie Chancen auslotet und Entfaltungsspielräume erkundet. Ideale, Normen und Prinzipien helfen da wenig. Oft kommt es auf Intuition an. Improvisation wird zum zentralen Element der Lebensführung“ (Hurrelmann/Albrecht 2014: 32). Aber solche Eigenschaften haben Jugendliche sich in Beratung mit Eltern, Pädagogen und Freunden erst zu erarbeiten. Um eine solche „Gabe“ der Improvisation, der kreativen Findigkeit, als etwas „Natürliches“ des eigenen flexiblen Selbst zu erleben, bedarf es sozialer und emotionaler Unterstützung.