Internationale Organisationen: Unterschied zwischen den Versionen

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W. Woyke: Internationale Organisationen, Version 11.11.2020, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Internationale Organisationen}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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W. Woyke: Internationale Organisationen, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Internationale Organisationen}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:21 Uhr

1. Definition

In der Geschichte der internationalen Beziehungen bilden i. O. ein relativ junges Phänomen. I. O. traten im 19. Jh. neben Nationalstaat und Territorialstaat als neue Akteure in die Weltpolitik. I. O. dienen dem Ziel, Rechts- und Arbeitsgrundlagen für die Zusammenarbeit der Staaten bzw. nationaler Akteure bei grenzüberschreitenden Transaktionen zu gewährleisten. I. O. als Akteure der Weltpolitik bilden eine bes. Form zur Steuerung des internationalen Systems, die durch die zunehmende Verflechtung der Staaten in ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht erforderlich wurde. Bei i.n O. wird unterschieden zwischen IGO und INGO (NGO). Gelegentlich wird auch der Begriff der BINGO gebraucht, worunter multinationale Konzerne mit privatwirtschaftlichem Gewinnstreben als Ziel verstanden werden.

2. Charakterisierung einer IGO

Eine IGO ist eine durch einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag geschaffene Verbindung von mindestens drei Staaten mit eigenen Organen und Kompetenzen, die sich als Ziel die Zusammenarbeit ihrer Mitglieder auf politischem und/oder ökonomischem, militärischem, kulturellem Gebiet gesetzt hat. Klassische IGOs sind etwa die Vereinten Nationen, die NATO und die EU. Eine INGO ist ein Zusammenschluss von mindestens drei gesellschaftlichen Akteuren (z. B. Parteien, Verbände etc.), der zur Ausübung seiner grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Regelungsmechanismen aufstellt. INGOs sind freiwillige, nicht staatliche, nicht profitorientierte und nicht militärisch orientierte Vereinigungen. Etwa sind Greenpeace, Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen klassische INGOs. Unterscheidungs- und Abgrenzungskriterien für IGOs sind die zeitliche Ebene (ist die IGO für begrenzte Zeit oder dauerhaft geschaffen?), die räumliche Ebene (hat die Organisation regionalen oder universalen Charakter?) und ihre je bes. Mitgliedschaft. Weitere Abgrenzungskriterien finden sich auf der inhaltlichen Ebene: Ist die Organisation für high politics oder low politics zuständig? Ist sie problemfeldspezifisch oder problemfeldübergreifend? Insgesamt gab es zu Beginn des 21. Jh. ca. 340 IGOs und mehr als 60 000 INGOs.

Eine i. O. wird zusammengehalten durch – entlang von Interessen – festgelegte Regeln, Prinzipien und Normen. Einer internationalen Regierungsorganisation (IGO) können dabei nur Staaten angehören, und Entscheidungen werden in ihr von den Vertretern der Staaten getroffen. Im Unterschied zum G7/G8-Club (G7/G8), der organisierten Zusammenarbeit der sieben bzw. acht bedeutsamsten Industriestaaten, verfügen IGOs über ein festes vertragliches Regelwerk, über Sekretariate, feste Mitarbeiter und eine die weitere Entwicklung prägende Geschichte von Entscheidungen. All dieses beeinflusst die Politik von IGOs und hat erhebliche Sozialisationswirkung auf neue Mitglieder. Zwar können IGOs mehr sein als nur Instrumente ihrer Mitgliedstaaten. Doch sie bleiben durch Staaten kontrolliert und legitimiert.

3. Rollenbilder von IGOs

IGOs können in den internationalen Beziehungen als Instrumente von Staaten, als Arenen oder als eigenständige Akteure auftreten. Werden sie als Instrumente genutzt, so sind sie Mittel zur Verfolgung nationaler staatlicher Interessen, wobei in IGOs die Interessen der mächtigsten Mitgliedstaaten eine bes. Rolle spielen. IGOs als Arenen stellen ein weltpolitisches „Spielfeld“ dar, auf dem einzelne Akteure versuchen, ihre Interessen oder Werte durchzusetzen, um Vorteile zu erzielen. In dieser Rolle können i. O. die zwischenstaatliche Kooperation erleichtern, indem sie eine konferenzdiplomatische Dauereinrichtung und ein internationales Verhandlungssystem etablieren. Eine dritte Funktion i.r O. ist die des eigenständigen Akteurs. Solche Akteure nehmen eine eigene, von den Mitgliedstaaten zu unterscheidende Rolle ein und versuchen mithilfe übertragener Souveränität die – meist von den größeren Mitgliedstaaten mitdefinierten – Interessen der Organisation durchzusetzen. Diese Akteure haben dann in den zwischenstaatlichen Beziehungen nicht nur eine passive, unterstützende Funktion, sondern können auch aktiv auf staatliches Verhalten einwirken. Bes. die EU hat sich durch ihre Entwicklung zunehmend als ein solcher Akteur entwickelt.

Darüber hinaus müssen i. O. von internationalen Regimen abgegrenzt werden. Diese sind zwischenstaatliche Kooperationsformen, die sich durch konstituierende Normen, Regeln, Prinzipien und Entscheidungsprozeduren auszeichnen. Sie bringen wechselseitige Verhaltenserwartungen in Bezug auf problematische soziale Situationen möglichst dauerhaft in Übereinstimmung. Internationale Regime beziehen sich immer auf ein spezifisches Problemfeld, z. B. die Nichtverbreitung von Atomwaffen oder den Schutz von Menschenrechten. In dieser Rolle bilden internationale Regime manchmal die Vorstufe von i.n O. So wurde aus der 1975 eingerichteten KSZE zwanzig Jahre später die OSZE, die für die Sicherheit in Europa wichtige Aufgaben erfüllt.

4. Struktur internationaler Organisationen

Eine i. O. wird durch einen multinationalen Gründungsvertrag geschaffen, der sozusagen die Verfassung dieser Organisation bildet. In den Gründungsverträgen werden i. d. R. der organisatorische Aufbau, die Kompetenzverteilung zwischen den Organen und Staaten, die Grundzüge des Entscheidungsverfahrens sowie die Rechte und Pflichten der Mitglieder niedergelegt. Die Grundstruktur des institutionellen Rahmens einer IGO besteht i. d. R. aus folgenden Bestandteilen: ein Plenarorgan aller Mitgliedstaaten, z. B. eine Generalversammlung; ein Exekutiv- oder Verwaltungsrat für die Bewerkstelligung der laufenden Geschäfte; ein Verwaltungsstab (Sekretariat) für die Umsetzung von Entscheidungen; ein Gerichtshof oder gerichtshofähnlicher Mechanismus für verbindliche Streitschlichtung; eine parlamentarische Körperschaft (bestehend aus direkt gewählten Vertretern aus Mitgliedstaaten oder aus Delegierten der Parlamente der Mitgliedstaaten), und immer öfter ein Vertretungsorgan für organisierte gesellschaftliche Interessen (etwa ein „Wirtschafts- und Sozialrat“).

Volker Rittberger, Bernhard Zangl und Andreas Kruck unterscheiden zwei Arten von Entscheidungen in i.n O.: „Programmentscheidungen und operative Entscheidungen. Programmentscheidungen sind Entscheidungen über eine Reihe von Normen und Regeln, die das Verhalten der an den Entscheidungen beteiligten oder von ihnen betroffenen Akteure in eine bestimmte Richtung unter Verwendung bestimmter Mittel leiten sollen. Sie treffen Festlegungen über Standards für künftiges Verhalten und künftige Werteverteilungen. […] Operative Entscheidungen beziehen sich hingegen auf die Implementierung bereits verabschiedeter Programme einschließlich der Überwachung normgemäßen Verhaltens und ggf. auch Sanktionierung normabweichenden Verhaltens“ (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 218).

I. O. können denn auch aufgrund der Art und des Ausmaßes der ihnen von den Mitgliedstaaten übertragenen Entscheidungsmacht klassifiziert werden. Bei intergouvernementalen Organisationen wird die Entscheidungsmacht weder zusammengelegt (pooled) noch übertragen (delegated). Solche Organisationen, z. B. die OSZE, bieten lediglich die Möglichkeit zur horizontalen Koordinierung nationaler Politiken auf internationaler Ebene. Letztlich sind es auch in diesen IGOs immer die Vertreter der nationalen Regierungen, die entscheiden, so dass die nationalstaatliche Souveränität erhalten bleibt. Dagegen basieren supranationale Organisationen (Supranationalität) auf einem Entscheidungsmodus, der manchmal dazu führen kann, dass einzelne Mitgliedstaaten, obwohl am Entscheidungsprozess beteiligt, überstimmt werden können. So können z. B. im Rat der Europäischen Union Entscheidungen auch mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, oder können beim EuGH wichtige Entscheidungen, die für die Mitgliedstaaten bindend sind, von unabhängigen Richtern gefällt werden. Auch unterscheiden sich i. O. bei der Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure in ihre Entscheidungsfindung.

5. Funktionen internationaler Organisationen

Funktionen von i.n O. sind

a) Bildung eines Kooperationsrahmens grenzüberschreitender Zusammenarbeit;

b) Schaffung neuer Einflussmöglichkeiten, insb. schwacher Akteure, durch Zusammenschluss;

c) Bündelung multilateraler Interessen;

d) Förderung der Stabilität des internationalen Systems;

e) Schaffung von internationaler Öffentlichkeit;

f) Bildung von Verifikationsinstrumenten;

g) Durchführung operativer Tätigkeiten wie z. B. bei der Entwicklungszusammenarbeit oder Rüstungskontrolle; und

h) Schaffung eines Forums für INGOs, um deren Interessen und Ziele in i. O. einzubringen.

IGOs und INGOs sind Ausdruck einer immer stärkeren Verflechtung des internationalen Systems. Ihre Zusammenarbeit kann als Fortsetzung der nationalen Problemlösungskapazitäten und Problembewältigungsmechanismen verstanden werden.

I. O. setzen Normen und Regeln zur Festlegung künftigen Verhaltens und zukünftiger Werte- oder Güterverteilungen. Dabei unterscheidet man regulative (verhaltensteuernde), distributive (güterverteilende) und redistributive (güterumverteilende) Politikprogramme. Dazu kommen die Prüfung von etwaigen Norm- und Regelverstößen durch die Mitgliedstaaten und die Verhängung von Sanktionen bei Normverletzungen und Regelverstößen. Schließlich verfügen i. O. auch über informationelle Tätigkeiten. Sie sind zugl. Informationssammelstellen, Erzeuger von Informationen und Informationsbörsen.

6. Theorien internationaler Organisationen

Derzeit gibt es im Wesentlichen drei Theorieschulen, die für sich beanspruchen, Entstehung, Design, Funktionsweisen und Auswirkungen von i.n O. erklären zu können. Es handelt sich um die miteinander konkurrierenden Theorien des Neorealismus, des Neoinstitutionalismus und des Sozialkonstruktivismus.

Der Neorealismus (Realismus) geht von einer anarchischen Struktur des internationalen Systems aus und sieht darin das größte Hindernis für die Zusammenarbeit in und durch i. O. I. O. sind gemäß diesem Theorieverständnis weitgehend wirkungslos und darüber hinaus nicht von langer Dauer. Zur Ausnahme kommt es, entspr. der Theorie der hegemonialen Stabilität, wenn eine Hegemonialmacht existiert, die fähig und willens ist, einen überproportionalen Anteil der mit der Errichtung und Aufrechterhaltung einer i.n O. verbundenen Kooperationskosten zu tragen.

Anhänger des Neoinstitutionalismus sehen in der Gründung i.r O. eine Möglichkeit, das anarchische System zu regulieren. In dieser Sichtweise tragen i. O. dazu bei, das Misstrauen zwischen potenziellen Kooperationspartnern zu überwinden und Sorgen über relative Gewinne und Verluste im Zug zwischenstaatlicher Zusammenarbeit nachhaltig zu begrenzen. So gesehen, erbringen i. O. wichtige Leistungen beim Abbau von Kooperationshindernissen. Auch senken sie die Transaktionskosten zwischenstaatlicher Interaktionen und fördern auf diese Weise die anarchiebegrenzende Kooperation. Zudem garantieren sie Beteiligungs- und Mitspracherechte schwächerer Staaten und verbessern so die überstaatliche Kooperation erst recht.

Der Sozialkonstruktivismus (Konstruktivismus) sieht die Entstehung i.r O. abhängig von den sie tragenden Werten und Normen. Sie entstehen und bleiben stabil, wenn es annähernd einheitliche Problemwahrnehmungen bei den betreffenden Staaten gibt sowie eine gemeinsame Überzeugung, dass die jeweiligen i.n O. zur Problemlösung geeignet wären. Insgesamt spielen i. O. in dieser Sichtweise eine Doppelrolle: Sie wiederspiegeln die in ihnen verankerten oder ausgedrückten Werte oder Normen – und als feste Sozialkonstruktionen können sie andererseits genau diese Werte und Normen auch in den Gesellschaften der beteiligten Staaten ihrerseits verstärken oder prägen.

In der Forschung wurden in den letzten drei Jahrzehnten verstärkt neoliberal-institutionalistische und konstruktivistische Ansätze verfolgt, während der Realismus-Ansatz während der letzten Jahre in den Hintergrund gedrängt wurde. Doch es gibt es vielerlei Entwicklungen (z. B. aus sicherheitspolitischer Sicht im asiatisch-pazifischen Raum oder im Nahen Osten), die mithilfe eines neorealistischen Ansatzes besser zu erklären sind als mit liberalen oder konstruktivistischen Theorien. Hingegen besitzen in Räumen mit komplexen Interdependenzen und Wertvorstellungen, z. B. im EU-Raum, liberale und konstruktivistische Ansätze einen größeren Erklärungswert.

7. Internationale Organisationen und „global governance“

Die UN Commission on Global Governance definierte 1995 Global Governance (Governance) wie folgt: „Ordnungspolitik bzw. Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse und unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse angesehen werden.“ (Commission on Global Governance 1995: 4). Regelbasierte Zusammenarbeit zwischen Staaten wie auch zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren findet v. a. in und durch i. O. statt. I. O. bieten daher Foren für Global Governance und sind gleichzeitig auch aktive Global-Governance-Akteure. In einer wachsenden Zahl von Politikfeldern – Sicherheit, Wohlfahrt, Herrschaft – haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg relativ stabile Kooperationsmuster unter Staaten und zwischen Staaten in i.n O. herausgebildet, die somit zu immer bedeutenderen Akteuren in den internationalen Beziehungen geworden sind.