Interesse

  1. I. Philosophisch
  2. II. Politikwissenschaftlich

I. Philosophisch

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Nach seiner frühen Bedeutung (von mittellateinisch inter-esse, teilnehmen, substantiviert als Rechtswort: „aus Ersatzpflicht“) für die Regelung von Schadenersatz im römischen Recht hat der Begriff des I.s in der frühen Neuzeit im Zuge der Entwicklung des Individualismus bereits seine moderne Bedeutung (Selbst-I., Nutzen, Vorteil) als ein Motiv des Handelns (Handlungstheorie) angenommen. Thomas Hobbes, der erstmals die individuellen menschlichen Motive des Denkens und Handelns naturalistisch im ersten Teil seines „Leviathan“ (1968) beschreibt, verwendet zwar das Wort I. nicht, gibt den vielfältigen Affekten (passions) insb. der Furcht vor dem Tod eine naturrechtliche Bedeutung (Naturrecht) und eine direkte physische und indirekt auch moralisch-politische Wirksamkeit. Ähnlich naturalistisch, aber offen egoistisch-individualistisch meint Bernard Mandeville, dass die natürlichen Neigungen und das private I. stärker seien als alle moralischen Lehren und Selbstkontrollen, dass dies aber durchaus dem I. der Gesellschaft insgesamt diene. Im Gegensatz dazu beschreibt Adam Smith, der psychologische Konzepte von David Hume und James Hutchison Stirling aufnimmt, in seiner „Theory of Moral Sentiments“ (1976) den Begriff des I.s als Selbst-I. und Selbst-Liebe (self-love) kritisch. Der Verlust eines sehr kleinen eigenen I.s errege den Widerwillen mehr als das wichtigste Anliegen eines anderen. A. Smith fordert daher, dass zur Korrektur des egoistischen Verhaltens und zur Förderung des öffentlichen I.s die Perspektive eines unparteiischen Beobachters (impartial spectator) einzunehmen sei, aus der das private I. durch allg.e Regeln und nicht durch Affekte bestimmt werde. Der Utilitarismus hat sich als Hedonismus zu einer naturalistischen Auffassung des I.s als Nutzen und Selbst-I. bekannt, aber auch kritisch dazu qualitative sittliche Motive zur Förderung des größten gemeinsamen Nutzens der Menschheit (sog.es Nutzenkalkül, -prinzip) in das individuelle I. integriert. Eine Verbindung des Nutzenprinzips mit kantianischen Pflichten vertreten Henry Sidwick und in jüngerer Zeit Derek Parfit. Immanuel Kant lehnt eine solche Verbindung grundsätzlich ab und unterscheidet in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1986) scharf zwischen „pathologischem“ I. am Gegenstand der Handlung (Kant 1986: 413) und dem „praktischen“ moralischen I. an der Handlung selbst, aus „Achtung fürs Gesetz“ (Kant 1986: 401). Das moralische I. wird durch den kategorischen Imperativ bestimmt. Entscheidend ist dabei nicht nur die widerspruchsfreie Verallgemeinerbarkeit einer Handlungs-Maxime zu einem Gesetz, sondern die „Menschheit“ als „Zweck an sich selbst“ in der eigenen Person und in der Person jedes anderen (Kant 1986: 429). Jürgen Habermas hat in „Erkenntnis und Interesse“ (1968) I. Kants Unterscheidung zwischen dem praktischen und dem pathologischen I. gesellschaftstheoretisch modifiziert. Das Erkenntnis-I. ist ein emanzipatorisches I., das intersubjektive Handlungsorientierung bieten soll, aber auch dem I. an technischer Verfügung dienen kann. J. Habermas unterscheidet auf dieser Grundlage kommunikatives von instrumentellem Handeln. Letzteres wird, wenn es nicht dem emanzipatorischen I. dient, pathologisch und ideologisch. Eine Selbstreflexion der Erkenntnis, welche die Strukturen von Arbeit, Sprache und Herrschaft aufklärt, kann dies verhindern. Die erkenntnisleitenden I.n dienen dann der Emanzipation. J. Habermas verbindet I. Kants Vernunft-I. mit der von Karl Marx geforderten Überwindung der Entfremdung. Die Kritik an dem pathologischen I. instrumentellen Handelns steht im Mittelpunkt von „Technik und Wissenschaft als ‚Ideologie‘“ (1968), einer Schrift, in der er sich mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Herbert Marcuse auseinandersetzt und die strukturelle, ideologisch ermöglichte Verbindung zwischen Technik und Herrschaft kritisiert. In seinem zweibändigen Hauptwerk „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) transformiert er mit unverändert emanzipatorischem I. seinen urspr.en ideologie- in einen rationalitätskritischen Ansatz. Dabei nimmt er Impulse der soziologischen Theoriebildung seit Max Weber, Talcott Parsons und Herbert Mead auf und integriert sie in eine eigene normativ fundierte, handlungstheoretische Synthese.

II. Politikwissenschaftlich

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In sozialwissenschaftlicher Hinsicht können drei Dimensionen des I.n-Begriffs unterschieden werden: Bei der Mobilisierungsdimension geht es um die Frage, ob das jeweilige I. lediglich als passive Verhaltensdispositionen existiert (latentes I.) oder aber durch soziale Organisationen aktiv vertreten wird (manifestes I.). Die Orientierungsdimension verweist zweitens darauf, dass I.n sowohl spezialisierter Natur sein (partikulares I.) als auch die gesamte Gesellschaft im Fokus haben können (universales I.). Drittens ist die Nutzendimension zu beachten, denn I.n können sowohl den eigenen Belangen dienen (egoistisches I.) als auch dem Wohl der Allgemeinheit (altruistisches I.).

Durch die Kombination dieser Dimensionen lässt sich die Vielfalt sozialer I.n abbilden. Manifeste I.n, die zugl. partikularer und egoistischer Natur sind, kommen etwa in der Form offenen Lobbyings (Lobby) einzelner Unternehmen zum Ausdruck. Als Gegenentwurf dazu fungieren latente I.n, die gleichzeitig universalen und altruistischen Charakters sind. Als Beispiel dafür kann das Ideal nachhaltiger Entwicklung (Nachhaltigkeit) dienen, das zwar auch von Verbänden artikuliert wird, aber ebenso als unorganisierte I.n-Disposition in der Gesellschaft existiert und v. a. das Wohl der Zukunft zum Ziel hat.

Verbandliche I.n-Vertretung schließlich ist im Regelfall manifest, kann aber sowohl ausgesprochen partikular sein, wenn sie etwa einer speziellen Wirtschaftsbranche dient, oder aber in Form von Umweltverbänden auch universal. Zwischen egoistischen und altruistischen I.n haben Verbände allerdings regelmäßig zu vermitteln, was ihre soziale Brückenfunktion und damit ihre zentrale Herausforderung verdeutlicht: Denn zum einen müssen sie verbandsintern den spezifischen Belangen der einzelnen Mitglieder Rechnung tragen, zum anderen daraus eine gesamtverbandliche Position erarbeiten, die auch die I.n der Allgemeinheit im Blick behält, um politisch vermittelbar zu sein.

Neben diesen Beispielen sind noch viele weitere Kombinationen denkbar. Dabei ist zu betonen, dass keine dieser I.n-Formen in moralischer Hinsicht besser oder schlechter ist. Sie sind folglich als komplementäre Elemente einer gesamtgesellschaftlichen Ordnung zu begreifen, die nur Stabilität verspricht, wenn ein gesunder Ausgleich zwischen latenten Verhaltensdispositionen und manifestem Lobbying, partikularen Orientierungen (Partikularismus) und Gemeinwohlperspektive (Gemeinwohl) sowie Eigennutz und Altruismus gefunden wird.