Institutionenethik: Unterschied zwischen den Versionen

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M. Vogt: Institutionenethik, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Institutionenethik}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:21 Uhr

Institutionen sind öffentlich garantierte und akzeptierte Ordnungen, in denen das Zusammenleben der Menschen nach kulturellen Mustern und Zwecken mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit und eine gewisse Dauer geregelt wird. Sie integrieren und strukturieren menschliche Handlungsfelder, die von strategischer Bedeutung für das gesellschaftliche Leben sind. Der gesellschaftliche Vorgang der Gründung und Aufrechterhaltung von Institutionen ist die Basis der Regelsysteme konkreter Rechtsnormen (Normen).

Die wichtigste Funktion der Institutionen ist die Entlastung der Individuen durch eine verlässliche „Hintergrunderfüllung“ ihrer Bedürfnisse. Sie haben eine Kompensationsfunktion für die Lebensbewältigung des unspezialisierten und instinktunsicheren „Mängelwesens“ Mensch. Indem sie ihm zahlreiche Entscheidungen in basalen Bereichen der Lebenssicherung abnehmen, setzen sie seine Aufmerksamkeit für kulturspezifische Inhalte frei. Institutionen schaffen für das Zusammenleben unerlässliche Erwartungssicherheiten und stabilisieren die Routinen des täglichen Lebens. Durch institutionelle Daseinsvorsorge vom Druck der bloßen Existenzsicherung freigestellt, kann der Mensch seine biologischen Antriebe in kulturelle Interessen sublimieren und so schließlich sein Leben führen, also selbstbestimmt auf Ziele ausrichten. „Dieser Vorgang einer abgeleiteten Bedürfnisentwicklung bei Ablagerung und Dauerbefriedigung der jeweils vorgelagerten Bedürfnisse in Institutionen und anderen Kulturgebilden zeichnet die gesamte biologische und geschichtliche Entwicklung des Menschen aus“ (Schelsky 1965: 39). Mit Hilfe der Institutionen baut sich der Mensch eine sich wandelnde „zweite Natur“ auf.

In den Institutionen gewinnen die anerkannten Absichten, Leitbilder oder Zielvorstellungen (charter) einer Gruppe organisatorischen Ausdruck und werden zu gesellschaftlich wirksamen Integrationsstrukturen. Institutionen werden zu Trägern von Ideen, sie verkörpern einen Sinngehalt und machen diesen in der Welt fest. Aufgrund solcher kultureller Zwecke und Leitideen erreichen die Institutionen einen hohen Grad an „Eigenwertsättigung“, auf dem wesentlich ihr normativer Verpflichtungsgehalt beruht, den sie gegenüber dem Einzelnen geltend machen.

Ein Kennzeichen des „institutionellen Zwangs“ ist es, dass er nicht primär durch äußere Gewalt wirkt, sondern zur Grundlage für die Ausbildung von inneren Werthaltungen wird und so für das Individuum selbst sinnvermittelnd wirkt. Symbolische und theologische Vermittlungen des Sinngehaltes von Institutionen tragen dazu bei, dass diese nicht zu rein äußerlichen Organisationsstrukturen menschlicher Interaktion verblassen, sondern zugl. auch zum sozialen Ort der Identitätsfindung (Identität) werden. Dabei ist die Macht der Institutionen über den einzelnen Menschen ethisch durchaus ambivalent: Einerseits kann sie ihn zu höchsten kulturellen und sozialen Leistungen anspornen, andererseits kann sie ideologisch für totalitäre Systeme (Totalitarismus) missbraucht werden.

Die Erfahrung des Wandels der Institutionen in der modernen Gesellschaft hat die Vorstellungen eines vorgegebenen Wesens der gesellschaftlichen Ordnung zurücktreten lassen. So sind die Individuen heute mit einer Pluralität von heterogenen Lebensformen und Institutionen konfrontiert. Sie können und müssen auswählen, welchen sie sich anschließen wollen. Insofern Institutionen „die nach außen gesetzten Strukturgerüste menschlicher Selbstverwirklichung“ (Korff 1993: 171) darstellen, bauen sie sich nach sozialanthropologischen Gesetzlichkeiten auf. Sie stehen unter dem Anspruch, dem Menschen gerecht zu werden; sie müssen anthropologisch stimmig sein und zu den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Menschen passen. „Wurzelgrund nämlich, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muss auch sein die menschliche Person“ (GS 25). Institutionen engen die individuellen Handlungsspielräume ein, sind damit aber zugl. ein Instrument, um der Überforderung des Menschen durch die komplexe Fülle an Handlungsmöglichkeiten zu begegnen. Mit ihrer Selektion der möglichen Handlungen dienen sie der Kontingenz- und Komplexitätsbewältigung. Institutionen eröffnen und begrenzen die Möglichkeiten individuellen Handelns, indem sie einen Rahmen der möglichen Werte und Zwecke vorbestimmen, Mittel für individuelles Handeln zur Verfügung stellen und dessen strukturelle Folgen festlegen.

Da die ethischen Probleme moderner Gesellschaften häufig nicht direkt angezielte Handlungsergebnisse, sondern indirekte und unbeabsichtigte Nebenwirkungen des Handelns im komplexen Zusammenwirken vieler Akteure sind, können sie nicht hinreichend durch einen individual- oder tugendethischen Ansatz erfasst werden. Sie bedürfen vielmehr eines sozial- oder ordnungsethischen Zugangs. Eine Ethik der Institutionen lässt sich entweder diesem zuordnen oder als eigenständige Dimension menschlicher Praxis, in der sich spezifische Geltungsansprüche manifestieren, unterscheiden. Die mit Institutionen verbundenen Lebensformen werden mit Rückgriff auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Gegenstand der Politischen Ethik wiederentdeckt.