Innenpolitik: Unterschied zwischen den Versionen

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K. Stüwe: Innenpolitik, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Innenpolitik}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:21 Uhr

1. Begriff

I. ist die Bezeichnung für alle politischen Prozesse und Strukturen, die sich auf die Regelung der inneren Angelegenheiten eines Staates oder einer supranationalen Organisation beziehen. Der Begriff kann in historischer und internationaler Perspektive verschiedene Bereiche umfassen. Zu unterscheiden sind die klassischen Aufgaben der I., die im bürgerlichen Staat des 19. Jh. entstanden sind und sich vorwiegend auf Rechtsetzung und Verwaltung sowie die Wahrung öffentlicher Sicherheit und Ordnung beschränken. Mit Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) und Demokratisierung kam es im 20. und 21. Jh. zu einer Ausdifferenzierung und Erweiterung der innenpolitischen Regelungsbereiche, die nunmehr auch viele weitere Handlungsfelder der Politik umfassen. Je nach politischem, wirtschaftlichem und sozialem System kann die Breite der von I. erfassten Bereiche sehr unterschiedlich sein.

2. Klassische Aufgaben

Der Typus des liberalen Rechtsstaats, in vielen Ländern im Verlauf des 19. Jh. herausgebildet, konzentrierte sich im Wesentlichen auf zwei große Aufgabenkomplexe: Gefahrenabwehr nach außen sowie Sicherung des inneren Friedens. Während der erste Aufgabenbereich durch Verteidigungs- und Außenpolitik umgesetzt wurde, war die Sicherung des inneren Friedens Gegenstand der I. Dies erfasste zum einen den Ausbau einer staatlichen Rechtsordnung, die ein friedliches Zusammenleben der Bürger ermöglichen sollte. Zum anderen zählte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mittels staatlicher Ordnungsbehörden wie der Polizei dazu. Beide Aufgaben machen den Aufbau einer staatlichen Verwaltung notwendig, die ebenfalls dem Bereich der I. zuzurechnen ist.

In den Geschäftsbereichen eines Innenministeriums, das neben den Ressorts für Auswärtiges, Justiz, Finanzen und Verteidigung zu den im 19. Jh. entstandenen „klassischen“ Ressorts zählt, spiegeln sich bis heute die klassischen Aufgaben wider. Eine der wichtigsten ist die öffentliche Sicherheit. Dieser Rechtsbegriff umfasst die Unversehrtheit der gesamten materiellen Rechtsordnung eines Staates, sowohl von Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen als auch von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates selbst. Konkret meint dies insb. den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ist in der Regel Aufgabe der Polizeien sowie der Verfassungsschutzbehörden, die in den meisten Ländern (aber z. B. nicht in der Schweiz) dem Innenministerium unterstellt sind. Neben der Kriminalitätsbekämpfung zählt in demokratischen Verfassungsstaaten insb. der Schutz vor politischem Extremismus, Terrorismus, Sabotage und Spionage zum klassischen Aufgabenfeld. Weitere Bereiche sind z. B. der Grenzschutz, der Zivil- und Katastrophenschutz oder auch die Cybersicherheit.

Ein zweites Feld, das zu den klassischen Gegenstandsbereichen gehört, sind Gestaltung und Ausbau der staatlichen Rechtsordnung. Mit Rechtsordnung ist die Gesamtheit aller Normen innerhalb ihres Anwendungsbereichs, also in der Regel eines Staates (oder einer supranationalen Organisation) gemeint. Hierzu zählen nicht nur die Verfassung als oberste Norm, sondern auch von der Legislative beschlossene Gesetze, von der Exekutive erlassene Verordnungen sowie Entscheidungen der Judikative. Die Rechtsordnung soll ein friedliches Miteinander der Bürger und dem Einzelnen zugl. ein Höchstmaß an Freiheit ermöglichen. Sie ist in Form der Verfassung Rahmen und Maßstab für politisches Handeln. Gleichzeitig stellt sie in Form der einfachen Gesetze und Verordnungen das wichtigste Produkt der Politik zur Steuerung des Gemeinwesens dar. Die politischen Organe bedienen sich der Gesetzgebung – und damit der Rechtsetzung – zur Durchsetzung innenpolitischer Ziele. Die Rechtsordnung ist somit stets das Ergebnis eines innenpolitischen Prozesses.

Ein dritter klassischer Bereich ist die öffentliche Verwaltung. Nach Thomas Ellwein kann man die öffentliche Verwaltung begreifen als die „Summe aller Einrichtungen und organisierten Wirkungszusammenhänge, die vom Staat, den Gemeinden und den von ihnen geschaffenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften zur Erledigung öffentlicher Aufgaben unterhalten werden“ (Hesse/Ellwein 2004: 343). Handlungsträger der Verwaltung sind Behörden, die hierarchisch organisiert sind. Im Staat des frühen 19. Jh. mit seinen begrenzten Aufgaben konzentrierte sich die öffentliche Verwaltung noch sehr stark auf die Sicherheits- und Ordnungsfunktion des Staates, also im Bereich der I. v. a. auf Polizei u. a. Sicherheitsbehörden. Diese Verwaltungstätigkeiten waren und sind bis heute schwerpunktmäßig den Innenministerien zugeordnet.

3. Innenpolitik im weiteren Sinn

Zu Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, Rechtsnormensetzung und Verwaltung kamen im Verlauf des 20. und 21. Jh. weitere Aufgaben hinzu. In den meisten europäischen Staaten entstanden in der Folge der Industrialisierung und Demokratisierung verschiedene Formen von Sozialstaatstätigkeit (Sozialstaat). Darüber hinaus übernahm der Staat immer mehr Funktionen, die aufgrund der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft nicht mehr von anderen sozialen Institutionen wie der Familie oder den Religionsgemeinschaften ausgefüllt werden konnten. Später wurden weitere Staatsaufgaben, etwa im Bereich des Schutzes natürlicher Ressourcen formuliert. Die Mittel, derer sich der Staat dabei bedient, sind u. a. Sozial-, Steuer-, Haushalts-, Familien-, Umwelt-, Energiepolitik. Damit weitete sich das Verständnis von I. erheblich aus. I. betrifft heute alle Gesellschaftsbereiche und erfasst nunmehr in einem weiteren Sinn alle Regelungsbereiche innerhalb eines Staates.

Als Hauptaufgabe von I. entwickelter Industriestaaten erscheint jetzt neben der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit vor allem das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Bewältigung der im Zusammenhang mit der fortschreitenden Globalisierung entstehenden Herausforderungen (wie z. B. Migration und Integration). Die Breite innenpolitischer Aktivitäten kann dabei im internationalen Vergleich von Land zu Land, je nach historischer Tradition, kulturellem, ökonomischem und sozialem Kontext sowie nach dem politischen System sehr unterschiedlich ausfallen.

Mit der Entwicklung der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft und dem damit verbundenen Wachstum der Staatsätigkeit erfolgte zugl. ein Wachstum der öffentlichen Verwaltung. Die erweiterten innenpolitischen Tätigkeitsfelder wurden neuen Ministerien und Behörden zugewiesen, z. B. Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Landwirtschaft und Forsten, Familie, Umwelt etc. Damit verlagerte sich die Verwaltungsorganisation im Bereich der I. zunehmend über die Innenministerien hinaus in andere Ressorts. Viele heutige Ministerien haben Zuständigkeiten, die diesen urspr. zugeordnet gewesen waren, dann aber ausgegliedert wurden, um ihre Bedeutung zu betonen. In Deutschland gilt dies auf der Ebene des Bundes z. B. für das Umwelt- oder das Sozialministerium. Organisatorische Änderungen ergeben sich immer wieder aufs Neue, da jede Regierungsneubildung zu Aufgabenveränderungen führen kann. Alle Bereiche der I. unterliegen zudem dem Einfluss globaler Entwicklungen und werden zunehmend durch internationale Verflechtungen geformt. Die Geschäftsbereiche der meisten Innenministerien konzentrieren sich allerdings nach wie vor auf den klassischen Bereich.

4. Gestaltung und Umsetzung von Innenpolitik

Wie I. gestaltet und umgesetzt wird, hängt entscheidend von der Herrschaftsform bzw. dem Typ des politischen Systems eines Landes ab. In autokratischen Systemen, die politische Macht auf einen einzelnen Träger oder eine bestimmte Gruppe konzentrieren, werden innenpolitische Ziele meist ohne Beteiligung des Volkes definiert und realisiert. In der Regel kontrolliert keine übergeordnete Instanz die Entscheidungen. Um die Herrschaft zu stabilisieren und politische Forderungen an das System zu unterdrücken, setzen Autokratien ihre innenpolitischen Ziele mit einem System von Überwachung, Repression und auch Gewalt durch. Die Instrumente und Organe des Politikfelds I. im engeren Sinn, also Rechtsordnung, Verwaltung und insb. Sicherheitsbehörden, werden darüber hinaus genutzt, um den Bestand der autokratischen Herrschaft selbst zu sichern.

In demokratischen Verfassungsstaaten hingegen ist I. Aufgabe demokratisch legitimierter Verfassungsorgane. Innenpolitische Entscheidungen werden durch die Regierung nicht willkürlich getroffen, sondern beruhen auf Gesetzen und sind durch Gerichte überprüfbar. Die politische Willensbildung im Politikfeld I. erfolgt im Rahmen eines öffentlichen Diskurses, an dem die verschiedenen Parteien, unterschiedliche Interessengruppen, Bürgerinitiativen und viele weitere Akteure mitwirken. Politische Parteien wiederum sollen den politischen Willen ihrer Wähler in den Parlamenten in konkrete innenpolitische Entscheidungen umsetzen. Zwar ist primär die Regierung für die Umsetzung innenpolitischer Maßnahmen zuständig, doch in einer rechtsstaatlichen Demokratie sorgt das System der Gewaltenteilung dafür, dass auch Parlamente und Rechtsprechung erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von I. nehmen.

Abhängig vom jeweiligen Demokratietyp, fallen die konkrete Ausgestaltung des innenpolitischen Willensbildungsprozesses sowie die Verteilung von Kompetenzen und Zuständigkeiten sehr unterschiedlich aus. In konkordanzdemokratischen Systemen wie dem der Schweiz werden viele Entscheidungen durch Volksabstimmung und unter Berücksichtigung der zentralen Interessengruppen getroffen. Demgegenüber sind Mehrheitsdemokratien nach dem Muster Großbritanniens von einer stärkeren Konzentration des Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses in der Kabinettsregierung gekennzeichnet. In parlamentarischen Regierungssystemen wie der BRD, wo die Regierung des Vertrauens des Parlaments bedarf, können Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit im Bereich der I. zur Ablösung der Regierung führen.

Hingegen ist in einem präsidentiellen System wie den USA die Existenz der Administration unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten. Konträre innenpolitische Positionen, wie sie sich z. B. immer wieder zum Recht auf Waffenbesitz äußern, können dort zwar zu einer Lähmung des politischen Prozesses, aber nicht zur Ablösung der Regierung führen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen die klassische Gewährleistung der inneren Sicherheit dem Innenministerium zugeordnet ist, führt diese Funktionen in den USA das „Heimatschutzministerium“ bzw. das Justizministerium aus. Das eigentliche Innenministerium der USA ist stattdessen vorwiegend mit der Verwaltung des bundeseigenen Landes sowie der Programme bezüglich der indigenen Bevölkerung betraut.

Die Gründer der Vereinigten Staaten von Amerika kamen beim Entwurf der US-Verfassung 1787 auf den Gedanken, durch die Zweiteilung staatlicher Souveränität im Bundesstaat die potentiell freiheitsgefährdenden Aspekte der Sicherheitsfunktion des Staates zu verringern. Der Bund sollte nach ihrem Willen lediglich für die Gewährleistung der äußeren Sicherheit zuständig sein, die Aufrechterhaltung der inneren hingegen sollte im Kompetenzbereich der Einzelstaaten bzw. der Kommunen verbleiben. Auch wenn sich diese sicherheitspolitische Arbeitsteilung zwischen Zentrale und Gliedstaaten in der weiteren Entwicklung der USA nicht einhalten ließ, wurde das Konzept von vielen anderen Bundesstaaten übernommen. Im föderativen System (Föderalismus) der BRD ist die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ebenfalls grundsätzlich eine Zuständigkeit der Bundesländer. Aus diesem Grund besitzen in Deutschland die Bundesländer zahlreiche Kompetenzen im Bereich der I. im engeren Sinn. Die Verwaltungshoheit sowie das Polizei- und Ordnungsrecht stellen sogar Kernbereiche dar, mit denen die Staatsqualität der Bundesländer begründet wird. Daneben besitzt in Deutschland aber auch der Bund innenpolitische Zuständigkeiten sowie dem Bundesinnenministerium unterstellte Sicherheitsbehörden wie z. B. die Bundespolizei, den Verfassungsschutz des Bundes oder das Bundeskriminalamt.

5. Das Verhältnis von Innenpolitik und Außenpolitik

Das Verhältnis von I. und Außenpolitik wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Dabei lassen sich drei verschiedene Sichtweisen unterscheiden. In der Geschichtsschreibung des 19. Jh. dominierte die Lehre vom „Primat der Außenpolitik“. Wilhelm Dilthey prägte diesen Begriff und berief sich dabei auf Leopold von Ranke, der 1836 im „Politischen Gespräch“ formuliert hatte: „Das Maß der Unabhängigkeit gibt einem Staate die Stellung in der Welt; es legt ihm zugleich die Notwendigkeit auf, alle inneren Verhältnisse zu dem Zweck einzurichten, sich zu behaupten. Dies ist sein oberstes Gesetz“ (Ranke 1940: 62). Nach dieser Vorstellung ist die I. eines Staates dessen außenpolitischen Machtinteressen untergeordnet und wird von diesen entscheidend bestimmt. Nicht nur die „Rankeaner“ unter den deutschen Historikern des 19. Jh., sondern auch die Vertreter der von Hans Morgenthau in der Mitte des 20. Jh. begründeten realistischen Schule der Internationalen Politik (Realismus) gingen vom Primat der Außenpolitik aus, wonach die Handlungen des internationalen Systems das Verhalten eines außenpolitischen Akteurs mehr bestimmen als innenpolitische Faktoren. Die Stellung einer Nation im internationalen System beeinflusse die I. in hohem Maße. Außenpolitik werde so zur Richtschnur für die innenpolitischen Aktivitäten.

Seit den 1960er Jahren ist diese Sichtweise von geschichts- und politikwissenschaftlicher Seite zunehmend in Frage gestellt worden. An vielen Beispielen wurde sichtbar gemacht, dass innenpolitische Faktoren entscheidenden Einfluss auf außenpolitische Aktionen haben können. So vertrat Hans-Ulrich Wehler die These vom „Primat der Innenpolitik“ (1970): Der Imperialismus des Kaiserreiches etwa habe ab 1884 nicht rein machtpolitische Zielsetzungen gehabt, sondern sollte vorwiegend von den inneren Spannungen ablenken. In den USA waren es Arno Mayer und Paul Kennedy, die nachwiesen, dass soziale, ökonomische u. a. innenpolitische Motive, aber auch politische Stimmungen und die veröffentlichte Meinung Auswirkungen auf die Außenpolitik eines Landes besitzen. Dies gilt insb. für demokratische Verfassungsstaaten: Kein demokratischer Politiker kann Außenpolitik ohne Rücksicht auf innenpolitische Verhältnisse betreiben.

Beide Sichtweisen sind nicht mehr zeitgemäß. Eine dritte Position (Wilhelm Grewe) geht mit Recht davon aus, dass die beiden Spielarten des „Primatsprinzips“ der komplizierten politischen Wirklichkeit nicht gerecht werden. Zum einen fällt es im Zeitalter der Globalisierung immer schwerer, die innenpolitische Sphäre eindeutig vom Bereich der Außenpolitik abzugrenzen. Die ständig zunehmende internationale Verflechtung – im Rahmen supranationaler Organisationen wie der EU und auch weltweit – lässt in vielen Politikbereichen kaum noch eine klare Differenzierung von I. und Außenpolitik zu.

Zum anderen befinden sich I. und Außenpolitik immer in einem interdependenten Verhältnis: Die Außenpolitik eines Staates hängt von innenpolitischen Verhältnissen ab, und diese wiederum werden von außenpolitischen Faktoren beeinflusst. Abhängig von der jeweiligen Situation, kann sich einmal der Vorrang der einen oder der anderen Politiksphäre ergeben.

6. Innenpolitik, Supranationalität und Europäisierung

I. wurde lange Zeit als ein Wesenselement von Staatlichkeit angesehen. Das Ordnungsprinzip des souveränen Territorialstaates, das mit dem Westfälischen Frieden von 1648 allg. anerkannt wurde, betrachtete I. als nationales Hoheitsrecht. Die wachsende internationale Verflechtung führte jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dazu, dass I. immer mehr zu einem Gegenstand multinationaler und supranationaler Zusammenarbeit wurde. Das Fortschreiten der Globalisierung auf wirtschaftlichem Gebiet und zunehmende grenzüberschreitende Mobilität brachten neue innenpolitische Herausforderungen, die nicht mehr isoliert von einzelnen Staaten gelöst werden konnten. V. a. im Bereich der I. im engeren Sinn, z. B. der öffentlichen Sicherheit, ist effektives Handeln ohne Zusammenarbeit mit anderen Staaten nahezu unmöglich geworden. Das Gleiche gilt für viele Handlungsfelder von I. im weiteren Sinn, z. B. der Klima- oder der Migrationspolitik. Daher kann heute von einer autonomen, nationalen I. kaum mehr die Rede sein. Gleichwohl zeigt sich, dass dieses Politikfeld nach wie vor sehr stark vom Konzept nationaler Souveränität geprägt ist.

Zu den klassischen Formen zwischenstaatlicher Kooperation im Bereich der I. zählen internationale Vereinbarungen bzw. Verträge, die unter vollständiger Wahrung der nationalen Souveränität einen Rahmen für Informationsaustausch und gegenseitige Unterstützung bieten. So gibt es z. B. zahlreiche bi- und multinationale Abkommen über gegenseitige Amtshilfe (Amts- und Rechtshilfe) bei Strafverfolgung. Bereits 1959 verpflichteten sich zahlreiche westeuropäische Staaten im Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, sich in allen Strafverfahren soweit wie möglich Rechtshilfe zu gewähren. Auch die, urspr. allerdings privatrechtlich gegründete, internationale Polizeiorganisation Interpol soll der Unterstützung kriminalpolizeilicher Behörden dienen, ohne in die nationale Souveränität einzugreifen.

Weitaus enger ist die innenpolitische Zusammenarbeit in der EU, die sich als supranationale Organisation versteht. Die urspr.e Konzeption der europäischen Verträge sah noch keine Kooperation im Bereich der I. vor. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus kam es 1976 mit der sog.en TREVI-Kooperation erstmals zu regelmäßigen Treffen der Justiz- und Innenminster der damaligen EG-Mitgliedstaaten. In den folgenden Jahren erfolgte eine weitere Intensivierung. Im Schengener Abkommen von 1985 vereinbarten einige Mitgliedsländer den Wegfall der Personenkontrollen an den Grenzen. Gleichzeitig wurde die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit verstärkt, um der erhöhten Mobilität von Kriminellen begegnen zu können. Dazu gehören ein erleichterter Informationsaustausch, gemeinsame Streifen im Binnengrenzraum sowie die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Verfolgung von Straftätern. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde der Bereich „Inneres und Justiz“ zur dritten Säule des europäischen Vertragswerkes. Diese erfasste die Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und flankierende Maßnahmen zum freien Personenverkehr für Angehörige von Drittstaaten, u. a. die Harmonisierung der Asyl-, Flüchtlings-, Visa- und Zuwanderungspolitik. Allerdings blieb die dritte Säule zunächst noch intergouvernemental geprägt: Beschlüsse konnten nur einstimmig von allen Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union getroffen werden; das Europäische Parlament hatte keine Mitspracherechte.

Mit dem Vertrag von Amsterdam wurden 1997 die innenpolitischen Aspekte unter dem Begriff „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zusammengefasst. Zugl. wurden die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen sowie die flankierenden Maßnahmen zum freien Personenverkehr aus der intergouvernementalen dritten Säule der EU in die supranationale erste Säule überführt, sodass darüber nun im Mitentscheidungsverfahren entschieden werden konnte. Der im Jahr 2007 geschlossene Vertrag von Lissabon sieht vor, dass auch die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und polizeiliche Zusammenarbeit supranational entschieden wird. Damit werden Entscheidungen über die gemeinsame I. und Justizpolitik in der EU nunmehr grundsätzlich nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, also unter Beteiligung des Rats und des Europäischen Parlaments, getroffen.

Als Folge dieses Europäisierungsprozesses geht inzwischen rund ein Viertel der im Bereich der klassischen I. verabschiedeten Gesetze in Deutschland auf einen europäischen Impuls zurück. Hinzu kommen die EU-Verordnungen, die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden und keines nationalen Umsetzungsgesetzes bedürfen. Justizpolitik und I. gehören mittlerweile zu den am stärksten expandierenden Politikfeldern der EU. Dass sich Staaten wie Großbritannien und Irland aufgrund von Zusatzprotokollen zum Vertrag von Lissabon nur sehr begrenzt an diesen Politiken beteiligen wollten, zeigt jedoch, dass dieser Bereich nach wie vor stark von nationalen Souveränitätskonzepten geprägt ist.

7. Innenpolitik als Gegenstand von Lehre und Forschung

Gemeinsam mit den Bereichen „Politische Theorie und Ideengeschichte“ und „Außenpolitik/Internationale Beziehungen“ bildet I. eines der drei klassischen Teilbereiche der Politikwissenschaft. Untersuchungsgegenstand von I. als Gegenstand von Forschung und Lehre sind Strukturen und Prozesse politischer Systeme im einzelnen oder auch in vergleichender Perspektive. Zurückzuführen ist dieses Forschungsinteresse auf eine Tradition, die bis in die griechische Antike zurückreicht. Als ein Kernbereich des Universitätsfachs Politikwissenschaft entwickelte sich I. in der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg v. a. unter dem Einfluss der USA, wo sie sich als akademische Teildisziplin schon länger etabliert hatte. Integriert in ein Konzept der Demokratisierung und den damit verbundenen Auftrag zur politischen Bildung, verstand sich das Teilfach wie die gesamte Politikwissenschaft in der Aufbauphase zunächst primär als Demokratiewissenschaft. Sie beschäftigte sich damals hauptsächlich mit der Analyse, der Funktionsweise und den formellen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen politischer Institutionen wie Regierung, Parlament und Parteien. In der Folgezeit kam es dann – u. a. unter dem Eindruck der Systemtheorie und nicht zuletzt aufgrund der Rezeption US-amerikanischer Ansätze – zu einer Ausdifferrenzierung des Faches. Über die Analyse des formellen, administrativen politischen Systems hinaus wandte es sich verstärkt anderen Fragestellungen zu. V. a. politisch-kulturelle Aspekte, Folgen des sozialen Wandels, politische Konflikte, aber auch relevant werdende einzelne Politikfelder, Beziehungen zwischen Ökonomie und Ökologie, informelle politische Prozesse oder Probleme föderaler Mehrebenensysteme rückten in den Mittelpunkt des Interesses.

Seitdem schließen Analysen der I. eine Vielzahl von Elementen eines politischen Systems ein, von der Politischen Kulturforschung über Strukturen und Prozesse bis hin zur Erforschung einzelner Politikfelder wie der Sozialpolitik, der Umweltpolitik oder der Migrationspolitik. Aus diesem Grund findet sich die ältere Bezeichnung I. nur noch in wenigen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Stattdessen wird, der in den letzten Jahrzehnten erfolgten Entwicklung und Ausdifferenzierung des Fachs Politikwissenschaft entspr., heute meist von Politischer Systemlehre oder Vergleichender Politikwissenschaft gesprochen.