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M. Broy: Informatik, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Informatik}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:21 Uhr

1. Begriff

I. bezeichnet die Wissenschaft von der Information und die Praxis ihrer Nutzung und Anwendung unter Betonung von Methoden der maschinellen Informationsverarbeitung. Im Mittelpunkt stehen Modellierung und Darstellung von Information, deren Erfassung, Speicherung, Umformung durch Berechnung, Übertragung und Aufbereitung für die Mensch-Maschine-Interaktion und die Steuerung von Prozessen durch Maschinen. Zentral ist der Begriff des Algorithmus als eine maschinell ausführbare Beschreibung von Rechenverfahren. I. zielt auf die Entwicklung und den Einsatz von informationsverarbeitenden Systemen. Dazu ist die Erschließung des Anwendungsgebiets mit den Mitteln der I. erforderlich.

Der Begriff I. bezeichnet zum einen eine wissenschaftliche Disziplin und auch ihre Studiengänge, darüber hinaus aber ein Fachgebiet unter Einschluss seiner praktischen Anwendung. Ihr Gegenstand ist nicht leicht von der Informationstechnik abzugrenzen, die stärker auf Geräte und die physikalische, insb. elektrotechnische und elektronische Realisierung von informationsverarbeitenden Systemen abhebt – oft kurz als Hardware bezeichnet. I. hingegen zielt auf den allg.en Begriff des Algorithmus und des Programms, das eine programmiersprachliche Formulierung von Algorithmen darstellt. Programme und Daten für eine bestimmte Anwendung werden auch als Software bezeichnet. Durch das enge Wechselspiel zwischen Software und Hardware müssen I. und Informationstechnik eng miteinander verschränkt gesehen werden.

2. Historie

Die historischen Wurzeln der I. reichen weit zurück und haben viel mit der Mathematik gemeinsam. Bereits Euklid beschäftigte sich mit Rechenverfahren im Sinne eines Algorithmus. Das Rechnen mit Zahlen im Sinne der Arithmetik wie die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division werden als Teil der Mathematik gesehen, erfolgt aber durch Algorithmen, die von Menschen schematisch ausgeführt werden.

Erste Rechenmaschinen finden frühes Interesse, wie z. B. der Abakus. Später führt das zu aufwendigen mechanischen Rechenmaschinen, wie sie 1623 in einem Brief von Wilhelm Schickardt an Johannes Kepler erstmals urkundlich erwähnt sind. Danach findet sich eine Vielzahl von Arbeiten zu Rechenmaschinen, bes. hervorzuheben die von Gottfried Wilhelm Leibniz. Allerdings enthalten alle diese Rechenmaschinen starre Algorithmen, sind also nicht programmierbar.

Die moderne I. beginnt mit dem Jahr 1941, als Konrad Zuse seine Zuse Z3 konstruiert, die erste funktionstüchtige programmgesteuerte binäre Rechenmaschine. Parallel haben Arbeiten in England und den USA zum Ziel, eine programmierbare universelle Rechenmaschine zu schaffen. Universell heißt, dass alle Probleme, die überhaupt algorithmisch behandelbar sind, auf diesen Maschinen im Prinzip berechnet werden können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt die Entwicklung der Rechenmaschinen schnell Fahrt auf. Bald wird auch deutlich, wie schwierig die Programmierung der Rechenmaschinen ist. Es entstehen erste Ideen zu Programmiersprachen, die anders als die Maschinensprachen der Rechenmaschinen eher dazu geeignet sind, Algorithmen unabhängig vom Befehlssatz von Rechenmaschinen zu beschreiben. Erste Programmiersprachen entstehen, darunter bes. Algol 60 als erste, die einen internationalen Standard darstellt. Ausgehend davon und auch von weiteren Entwicklungen vornehmlich in Nordamerika entsteht das Fach I. Ende der 1960er Jahre mündet es in Deutschland in die Gründung des Studiengangs, der schnell Zulauf findet und weitere Teilstudiengänge nach sich zieht, wie etwa Wirtschafts-I., technische I. und eine Fülle von spezifischen Anwendungsfeldern wie etwa Medizin-I.

Die Grundlagen, insb. die theoretischen Kernbegriffe wurden bereits entwickelt, bevor die ersten voll programmierbaren Rechenanlagen erfunden worden sind. Hervorzuheben sind der erste Unvollständigkeitssatz von Kurt Gödel aus dem Jahr 1931, die Arbeiten von Alan Turing und Alonzo Church zu den Themen Unentscheidbarkeit, Berechenbarkeit und Turingmaschine sowie Lambda-Kalkül aus den Jahren 1936 ff. Diese Arbeiten zeigen bereits die theoretischen Grenzen der Berechenbarkeit auf.

3. Wissenschaftstheoretische Einordnung

I. trägt gleichermaßen grundlagen-, ingenieur- und anwendungswissenschaftliche Züge. Sie behandelt einerseits angewandte, praktische Aufgaben des ingenieurmäßigen Entwickelns von Software-Systemen zur Verarbeitung von Information, deren Betrieb und Anwendung. Daneben wirft sie aber auch tiefgreifende wissenschaftliche und grundsätzliche Fragen über Rolle und Wirkungsweise von Information in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen auf, wie etwa in der Physik, Chemie, Biologie oder der Medizin, aber auch in der Kognition der Menschen, ohne dass sie im Kern bereits erschlossen wären.

Sehr generell formuliert ist I. damit die Wissenschaft von der Information und von der Rolle, die diese in den verschiedensten wissenschaftlichen Teilgebieten spielt.

In der theoretischen I. werden Themen der formalisierten Darstellung und der Theorie der algorithmischen Verarbeitung von Information abgehandelt, auch in Hinblick auf den Aufwand an Speicher- und Rechenleistung und die prinzipiellen Grenzen von Algorithmen. Hier finden sich enge Bezüge zur mathematischen Logik. Dies führt auf eine grundlegende Charakterisierung der Grenzen der Berechenbarkeit, des erforderlichen Berechnungsaufwandes („Berechnungskomplexität“) für gegebene Problemstellungen und Fragen der Darstellung von Informationen etwa durch formale Sprachen.

In der ingenieurmäßigen I. stehen unter dem Stichwort Software und Systems Engineering Aufgaben der Evolution von I.-Systemen im Zentrum. Sie bearbeitet Themen der strukturierten Programmierung, des Entwurfs und der Realisierung von Programmiersprachen, der Datenstrukturen, Datenbanken und Informationssysteme (z. B. in der Elektronische Datenverarbeitung). Das zielt auf die Entwicklung eigenständiger Software-Systeme sowie technischer Systeme mit eingebetteter Software. Zentrale Themen sind die Erarbeitung von Anforderungen, die Modellierung von Informationsverarbeitungs- und Übertragungsvorgängen, die Ausarbeitung von Software- und Systemarchitekturen, der Feinentwurf von Programmstrukturen, Implementierung, Test, Integration, Auslieferung und langfristige Evolution durch Pflege, Wartung und Weiterentwicklung. Hier finden sich technische, praktische, wirtschaftliche und anwendungsspezifische Aufgaben. Ein bes.r Schwerpunkt ist die Modellierung und praktische Realisierung von Software-Systemen. Gerade bei umfangreichen Software-Projekten ist die Beherrschung von Organisation und Management ein entscheidender Erfolgsfaktor. In Unternehmen sind hunderte, oft tausende von Softwareanwendungen tagtäglich im Einsatz. Die professionelle Evolution der Software-Landschaften stellt eine große Herausforderung dar.

In der technischen und maschinennahen I. werden Fragen der maschinellen Informationsverarbeitung und -übertragung abgehandelt, wie etwa die Geräte der Informationstechnik („Hardware“) aber auch Systemsoftware, einschließlich Betriebssysteme, Software zur Übertragung von Information, aber auch Themen eingebetteter Software, die über Sensoren und Aktuatoren unmittelbar mit der Umgebung interagiert.

In der angewandten I. werden zentrale Anwendungsgebiete betrachtet wie Betriebswirtschaft, Maschinenbau, Produktionsautomatisierung, Medizin, Biologie, Energie, Bauwesen, Verkehr und viele weitere sowie die Besonderheiten der Anwendung von I. auf diesen Gebieten.

4. Digitalisierung und Informatik

I. ist mittlerweile in alle Bereiche des Alltags vorgedrungen. Personal Computer, Laptop, Smart Phone, Tablet und Internet sind für viele Menschen mittlerweile unverzichtbar. I.-Technik bestimmt die Unterhaltungselektronik. Mit dem Aufkommen der sozialen Netze (Social Media) dringt I. auch in Bereiche zwischenmenschlicher Kommunikation und Interaktion vor. Entspr. bedeutsam werden alle Fragen der Mensch-Maschine-Interaktion, angefangen von rein ergonomischen Themen bis hin zur Integration von I.-Unterstützung in den Arbeitsfluss. Immer stärkere Bedeutung bekommen Assistenzsysteme.

Die starke Verbreitung und Nutzung der I. nimmt durch den Einsatz hochflexibler multifunktionaler Endgeräte noch zu. Smart Phones und Tablets sind multifunktionale Geräte, die die mobile Nutzung vielfältiger I.-Dienste zulassen. Durch sog.e „Apps“, auf Smart Phones zugeschnittene Applikationsprogramme, die den unterschiedlichsten Zwecken dienen können, werden Smart Phones in vielfältiger Weise gezielt um Funktionalität erweitert. Dabei werden insb. Möglichkeiten genutzt, aus dem Smart Phone auf Dienste im Internet zuzugreifen aber auch Sensorinformationen, wie z. B. den geographischen Standort, zu verwenden. Dies zeigt den Weg in die I.-Systeme der Zukunft unter Stichworten wie „Cyber-Physical Systems“, bei dem weitreichende Vernetzung von eingebetteten Systemen in technischen Geräten mit Diensten und Daten im Internet zu erwarten ist. Dadurch entstehen vielfältige Dienste bis hin zu umfassenden Assistenzfunktionen für den Menschen. Durch die hohe Zahl von Sensoren in eingebetteten Systemen (Stichwort „Internet der Dinge“) und die intensive Interaktion mit dem Internet entstehen riesige Mengen von Daten, die sich für die unterschiedlichsten Zwecke nutzen lassen. Verfahren der Datenanalyse (Stichwort „Big Data“) erlauben die Gewinnung wertvoller Informationen aus diesen Daten (Nutzerverhalten, Prediktive Maintenance u. a.).

Dieses schnelle Vordringen von I.-Technik, die damit verbundene dramatisch wachsende wirtschaftliche Bedeutung wird oft unter den Stichworten Digitalisierung oder digitale Transformation behandelt. Digital trifft insoweit ihr Kerngebiet als sich die I. auf die mathematische Logik abstützt, ein Gebiet, das traditionell mit nur zwei Werten arbeitet, mit wahr und falsch, mit 0 oder 1. Alle Konzepte und algorithmische Prinzipien der I., auch die Arbeitsweise von Rechenmaschinen, lassen sich auf diese Form der zweiwertigen Logik und die logischen Verknüpfungen, die im Rahmen der Aussagenlogik behandelt werden, zurückführen. Die I. betrachtet dabei Sequenzen von Wahrheitswerten, auch Binärwörter genannt und verallgemeinert die Form der logischen Verknüpfung auf diese Binärwörter. Damit lassen sich alle Verarbeitungsschritte von Information grundsätzlich erfassen.

Die inzwischen ausufernde Bedeutung der I. begründet sich zum einen in der schnellen Weiterentwicklung der Informationstechnik. Diese schlägt sich in der immer noch gültigen Beobachtung („Mooresches Gesetz“) nieder, nach der sich die Leistung der Rechner etwa alle eineinhalb Jahre verdoppelt, ohne dass der Preis dabei steigt. Dieses exponentielle Wachstum gilt auch, wenn auch mit anderen Verdoppelungszeiträumen, für die Speicherung und Übertragung von Information: Grundlage für die rasante Entwicklung und Verbreitung. Unglaublich leistungsfähige Bausteine der Informationstechnik können in großen Stückzahlen zu sehr niedrigen Kosten produziert werden. Massenproduktion wird ergänzt durch Softwaretechnik, die es erlaubt, die uniformen Bausteine, insb. die Rechner, auf die verschiedensten Anwendungen zuzuschneiden. Der Erfolg der digitalen Technologie ist letztlich das Ergebnis des Wechselspiels zwischen hoch leistungsfähiger Rechentechnik, flexibler Softwaretechnik und den dadurch fast uneingeschränkten Möglichkeiten der Anwendungen. Durch die weltweit verfügbaren digitalen Netze und das darauf verfügbare World Wide Web (Cyberspace) entstehen vielfältige und neue Möglichkeiten der Nutzung und Anwendungen.

5. Anwendungsgebiete

I.-Systeme stellen für viele Branchen zentrale Infrastrukturen bereit. Sie sind dominante Innovationstreiber – ob in Datennetzen wie dem Internet, in Mobilfunknetzen, in der Verkehrsteuerung, in der Medizin oder etwa in Buchungssystemen. I. erlaubt Interaktion und Zusammenarbeit über weite Entfernungen, gerade auch für Teams mit weltweit verstreuten Standorten. Sie ist ein Treibriemen der Globalisierung.

In einer nahezu unbeschränkten Zahl von Anwendungsfeldern werden spezifische I.-Konzepte für die betreffenden Anwendungsdomänen erarbeitet und eingesetzt: im Maschinenwesen wie in der Robotik, der Produktionsautomatisierung, in der Unterstützung von Ingenieurprozessen („Digital and Virtual Engineering“), im Bauwesen wie etwa in der Gebäudeautomatisierung oder in der Telekommunikation. Auf einigen Anwendungsgebieten sind spezifische I.en entstanden, die mit den Fachgebieten eine Symbiose eingehen wie in Wirtschafts-I., Medizin-I. oder Bio-I.

Eine bes. Rolle nimmt die künstliche Intelligenz ein. Sie zielt auf die Nachbildung intelligenten Verhaltens durch Mittel der I. Oft mit übersteigerten Erwartungen versehen, hat sie inzwischen einige bemerkenswerte Beiträge im Bereich der Linguistik, dem Verstehen natürlicher Sprache und dem Suchen in großen Datenmengen vorzuweisen. Bes. Bedeutung kommen diesen Ansätzen im Rahmen der zunehmenden Adaptivität und Autonomie der Systeme zu.

Durch hohe Vernetzung und vielfältige Zugriffsmöglichkeiten werden Fragen der Datensicherheit (Cyber Security) und der Privatheit immer bedeutsamer. Bei der Nutzung von I.-Systemen in sicherheitskritischen Anwendungen ist die funktionale Sicherheit der Systeme zu gewährleisten, um auszuschließen, dass durch Fehlfunktionen Menschen zu Schaden kommen.

6. Wirtschaftliche Bedeutung

Die schnelle Steigerung der Leistungsfähigkeit, die vorhandene Infrastruktur in Form der Datennetze und der Endgeräte, die hohe Attraktivität der Anwendungen und die Vielfalt der adressierten Anwendungsgebiete haben gegen Ende des 20. Jh. zu einem dramatischen Zuwachs von Anwendungen geführt. Gleichsam aus dem Nichts (Stichwort: „Garagenfirmen“) sind Unternehmen entstanden, die innerhalb weniger Jahre weltweite Bedeutung erlangten. Diese Firmen gehören heute, gemessen am Börsenwert, zu den wertvollsten Unternehmen überhaupt. Sie agieren international und dominieren in einer ganzen Reihe von Themen die Wirtschaft. Auch für die etablierten Unternehmen wird damit I. immer stärker zum beherrschenden und entscheidenden Faktor. I. hat sich in nur wenigen Jahrzehnten zu einer umfassenden wissenschaftlichen Disziplin und von einem Nischenfach zu höchster strategischer Bedeutung für Wirtschaft und Staat entwickelt. Bes. bemerkenswert ist hierbei ihre Ambivalenz. Ist sie zum einen eine technische Disziplin mit starkem mathematischem Charakter und ingenieurmäßiger Ausprägung, dringt sie doch tief in klassische Gebiete der Geisteswissenschaft (Digital Humanities) und der Betriebswirtschaftslehre vor.

Die fast unbegrenzten Anwendungsmöglichkeiten und das schnelle Skalieren von Softwaresystemen und deren hohe Attraktivität haben die wirtschaftliche Bedeutung in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch erhöht. I.-Systeme verändern Produkte und Prozesse, schaffen neue Geschäftsmodelle und lösen damit disruptive Veränderungen in der Wirtschaft aus. I.-Kompetenz und I.-Wissen werden immer stärker zum entscheidenden Bestandteil strategischer Unternehmensführung.

Durch die immer weiter fortschreitende Vernetzung von Informatiksystemen wächst die Gefährdung durch Angriffe in Form von Viren und Trojanern. Das Thema der Cyber Security hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich an Brisanz gewonnen und stellt eine große Herausforderung beim Einsatz von Informatiksystemen dar.

Mit dem zu erwartenden Leistungszuwachs der Hardware wird das schnelle Vordringen der I. und das Erschließen weiterer Anwendungsgebiete anhalten. Ihre Erfolgsgeschichte ist ungebrochen. Zweifellos ist sie eine der Disziplinen, die in der ersten Hälfte des 21. Jh. die Welt am stärksten verändern.