Industrialisierung, Industrielle Revolution: Unterschied zwischen den Versionen

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H.-W. Hahn: Industrialisierung, Industrielle Revolution, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Industrialisierung, Industrielle Revolution}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:21 Uhr

1. Begriff und Merkmale

Der lateinische Begriff industria umschrieb urspr. allg. die Tugend des Fleißes. In der Frühen Neuzeit richtete er sich zunehmend auf die professionelle Fähigkeit oder Geschicklichkeit, mit der ein Gewerbe betrieben wurde. Seit dem ausgehenden 18. Jh. bezog sich „Industrie“ dann immer stärker auf die arbeitsteilige und maschinelle großgewerbliche Produktion. Der daraus abgeleitete moderne Begriff „I.“ beschreibt somit die stetige Vergrößerung der Güterproduktion durch technologischen Fortschritt, Rationalisierung der Arbeitsprozesse in der Fabrik und systematischen Ausbau der dazu nötigen Infrastruktur. Die damit verbundenen Veränderungen gelten als „die gründlichste Umwälzung menschlicher Existenz in der Weltgeschichte, die jemals in schriftlichen Dokumenten festgehalten wurde“ (Hobsbawm 1975: 11), und erhielten schon um 1830 mit dem Begriff „I. R.“ eine den großen politisch-sozialen Revolutionen vergleichbare Bedeutung. Trotz des gewaltigen Einschnitts der I.n R. bleibt es jedoch umstritten, ob man den bis heute anhaltenden wirtschaftlichen Strukturwandel als Revolution bezeichnen soll. Viele Historiker plädieren eher für Begriffe wie „I.“ oder „modernes Wirtschaftswachstum“. Zum einen wurde die Vorstellung eines Entwicklungssprungs durch die Erkenntnis relativiert, dass der „I.n R.“ eine sehr lange Vorbereitungsphase vorausging und das von ihr ausgelöste Wachstum in den frühen Phasen viel bescheidener blieb als lange angenommen. Zum anderen spricht auch der lange Zeitraum, über den sich der immer noch nicht abgeschlossene Durchbruch der industriellen Produktionsweise weltweit vollzog, gegen die Vorstellung eines raschen, grundlegenden Umbruchs.

Ungeachtet dessen ist aber festzuhalten, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jh. ausgehend von England ein Strukturwandel einsetzte, der weltweit nicht nur das Wirtschaftsleben selbst, sondern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und am Ende auch die politischen Ordnungen grundlegend veränderte. Die Hauptmerkmale waren erstens die technologischen Neuerungen, mit denen Erkenntnisse naturwissenschaftlichen Denkens in Antriebs- und Arbeitsmaschinen sowie die Nutzung chemischer Prozesse umgesetzt wurden. Menschliche und tierische Kraft wurden ersetzt durch die Kraft der Maschinen. Das zweite Kennzeichen war der massenhafte Einsatz von bis dahin vergleichsweise wenig genutzten Rohstoffen, v. a. der Kohle, die das Holz als wichtigsten Energieträger ablöste. Dies führte drittens zu völlig veränderten Produktions- und Kommunikationsstrukturen. Mit dem Fabriksystem entstand eine neue Organisationsform gewerblicher Massenproduktion, die ältere Formen der Gütererzeugung zurückdrängte und gekennzeichnet war durch einen arbeitsteiligen Produktionsprozess, den Einsatz von Arbeits- und Kraftmaschinen, die ständige rationale Nutzung des stehenden Kapitals, die disziplinierte und spezialisierte Lohnarbeit und die Leitung durch einen marktwirtschaftlich kalkulierenden Privatunternehmer. Parallel dazu entwickelten sich viertens neue Verkehrswege und -mittel, was die Herausbildung großer nationaler und internationaler Märkte beschleunigte und die Kommunikationsstrukturen auf neue Grundlagen stellte. Die I. wurde zum Wegbereiter der Globalisierung. Zugl. ermöglichte sie die volle Entfaltung des modernen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems (Kapitalismus), in dem der Markt zur zentralen regulierenden Instanz wurde. Mit all dem war fünftens ein tief greifender soziokultureller und politischer Umbruch verbunden. Das Fabriksystem, die freie Lohnarbeit, die für immer mehr Menschen zur maßgeblichen Form des Lebensunterhalts wurde, die Herausbildung neuer sozialer Klassen (Sozialstruktur), das Aufbrechen gewohnter sozialer und kultureller Bindungen, die Urbanisierung u. a. Auswirkungen der I. führten zu völlig neuen Formen menschlichen Zusammenlebens und politischen Handelns.

2. Ursachen und Anfänge der Industrialisierung

Der Beginn der industriellen Produktionsweise im England der zweiten Hälfte des 18. Jh. wird heute auf das Zusammentreffen und die wechselseitige Beeinflussung mehrerer günstiger Faktoren zurückgeführt. Hierzu zählte auch die überseeische Expansion, die Europa und v. a. Großbritannien seit dem 16. Jh. zusätzliche Ressourcen verschaffte. Die Akkumulation von Kapital und die Bereitschaft, dieses in den Aufbau neuer Gewerbestrukturen zu investieren, hingen aber auch mit günstigen inneren Faktoren zusammen. Die lange Gewerbetradition, die relative Offenheit der Gesellschaft, das Streben nach wissenschaftlichem Fortschritt und eine berechenbare institutionell-rechtliche Ordnung, die individuelle Verfügungsrechte garantierte und den effizienten Einsatz von Kapital ermöglichte, eröffnete Unternehmertalenten günstige Entfaltungschancen. Zentral waren ferner die wachsende Binnennachfrage nach gewerblichen Produkten, die Steigerung der Agrarproduktion und das damit begünstigte Bevölkerungswachstum sowie Veränderungen des Konsumverhaltens. Der durch öffentlichen Diskurs popularisierte Konsum förderte eine Fleißrevolution, in der immer größere Bevölkerungsgruppen mehr Zeit aufwandten, um Güter für einen Markt zu produzieren, aus deren Erlös sie wiederum andere Güter erwerben konnten. Engpässe bei der Befriedigung der Nachfrage und die Steigerungen des Lohnniveaus verstärkten wiederum den Anreiz, durch Einsatz von Maschinen die Arbeitskosten zu senken und die Produktion zu erhöhen. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den neuen Hauptenergieträger Steinkohle, der durch günstige Abbau- und Verkehrsverhältnisse billig angeboten werden konnte. Dass England zum Pionier der I. wurde, hing also weniger vom zielgerichteten Handeln gesellschaftlicher oder politischer Akteure ab, sondern war eher Folge eines Experimentierens mit Ressourcenüberschüssen.

3. Verlauf und Ausbreitung

Der erste Sektor, der seit den sechziger Jahren des 18. Jh. zunehmend von der industriellen Produktionsweise bestimmt wurde, war die Baumwollspinnerei, deren Entwicklung sich durch die Kombination von neuen Spinnmaschinen und der von James Watt entwickelten Dampfmaschine (1769) beschleunigte. Das Zentrum hierfür war Manchester (1760 17 000 Einwohner, 1830 180 000 Einwohner). Das rasante Wachstum der Eisenindustrie setzte zwar erst mit dem Eisenbahnbau der 1820er Jahre ein, doch auch hier gab es vor 1800 bereits wichtige technische Neuerungen (Koksverhüttung, Puddelverfahren). Das quantitative Ausmaß des 1780–1800 erreichten industriellen Wachstums blieb dennoch erheblich niedriger, als diese ältere Forschungen behauptet haben. Zudem war die I. in England wie anderorts kein flächendeckendes, sondern ein regionales Phänomen. In Führungsregionen wie Lancashire oder Yorkshire erreichte der Strukturwandel jedoch in wenigen Jahrzehnten eine bis dahin ungekannte Dynamik, die schnell auch auf den europäischen Kontinent ausstrahlte.

Die schon um 1800 einsetzenden I.s-Prozesse der „Nachzüglerstaaten“ stellten keineswegs eine vollständige Imitation des englischen Vorbildes dar, vielmehr bildeten sich je eigene Wachstumsmuster heraus. So ging etwa in Dänemark im 19. Jh. die Dynamik vom Agrarsektor aus. In den frühindustriellen Regionen des westlichen Kontinentaleuropas folgte man zwar in vielem dem englischen Vorbild, aber der Staat besaß einen viel stärkeren Einfluss auf die industrielle Entwicklung. Dies galt sowohl für Frankreich als auch für das 1830 entstandene Königreich Belgien, das als erster Industriestaat des europäischen Kontinents bezeichnet worden ist. In Frankreich wirkten sich die Staatseingriffe teilweise hemmend aus, weil Schutzzölle und staatliche Gewerbeförderung in der Unternehmerschaft traditionelles Verhalten begünstigten und die Innovationsbereitschaft schwächten. Typisch für die französische Entwicklung war, dass es im 19. Jh. zu keinem großen industriellen Entwicklungsschub kam.

Deutschland verzeichnete dagegen in den 1850er Jahren einen Wachstumsschub, der dem Modell des „take off“ nahe kam, mit dem Walt Whitman Rostow den Durchbruch zu einem dauerhaften, von der Industrie getragenen Wirtschaftswachstum beschreibt. Obwohl es in einzelnen Regionen schon um 1800 zur Adaption englischer Produktionsmethoden gekommen war, verlief der deutsche I.s-Prozess bis in die 1840er Jahre eher verhalten. Die Gründe lagen in Belastungen durch Kriege, in unzureichenden Verkehrsverhältnissen, im gesellschaftlichen Traditionalismus und in der nur schrittweise vollzogenen Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen (Gewerbeordnung). Auch die föderative Struktur des Deutschen Bundes wirkte sich zunächst hemmend aus, weil ein einheitliches Maß-, Gewichts- und Münzsystem ebenso fehlte wie eine gemeinschaftliche Zoll- und Handelspolitik. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins (1834) und weiteren Reformen der Wirtschaftsgesetzgebung verbesserten sich jedoch schon vor 1850 die Voraussetzungen. Durch den Eisenbahnbau und den Aufbau der Eisenindustrie, den Steinkohlenbergbau und den Maschinenbau entstand in den 1840er Jahren ein industrieller Leitsektor. Zugl. bildeten sich industrielle Wachstumskerne wie das Ruhrgebiet, Sachsen oder Oberschlesien heraus. Zwischen 1850 und 1873 beschleunigte sich auch in anderen Teilen Europas und v. a. in den USA der Ausbau des neuen Industriesystems. Durch das wachsende Angebot neuer Waren, die verstärkte Marktnachfrage und die erheblich verbesserten Kommunikationsstrukturen (Telegraphie, Dampfschifffahrt) wuchs der gesamte Welthandel um mehr als das Doppelte, wobei der größte Zuwachs auf den Handel zwischen den sich industrialisierenden Staaten entfiel. Umfangreiche Goldfunde in Kalifornien, Mexiko und Australien vermehrten die Zahlungsmittel und sorgten für stabilere Währungen und niedrige Zinsen. Der Siegeszug der neuen, fortschrittsoptimistischen industriellen Welt zeigte sich augenfällig auf den ersten Weltausstellungen (London 1851, New York 1853, Paris 1855).

4. Hochindustrialisierung und „zweite Industrielle Revolution“

Mit der Weltwirtschaftskrise 1873 endete in den europäischen und nordamerikanischen Industrieregionen der große, lange Wachstumszyklus, der maßgeblich vom Eisenbahnbau geprägt worden war. Der im Deutschen Reich als „Gründerkrise“ bezeichnete konjunkturelle Einbruch leitete eine Phase verminderten Wirtschaftswachstums ein (bis in die 1890er Jahre). Der I.s-Prozess schritt aber auch in dieser Zeit voran und erfasste zudem weitere Staaten und Regionen. Mit Japan trat der erste asiatische Staat in die Reihe der Industrienationen. Zu den Besonderheiten der japanischen I., die Teil eines nationalen Erneuerungsprozesses war, gehörte die starke Rolle des Staates, der den Aufbau industrieller Großbetriebe massiv unterstützte. In den USA, die bereits in der ersten Jh.-Hälfte erfolgreich auf den I.s-Pfad eingeschwenkt waren, verlief der nach Ende des Bürgerkriegs einsetzende Aufstieg zur führenden Industriemacht der Welt bes. dynamisch. Trotz der Imitation englischer Vorbilder wiesen Ausgangslage und Entwicklung hier ebenfalls Unterschiede zum Pionierland auf: Das höhere Pro-Kopf-Einkommen in den USA sorgte für ein Konsumverhalten, das sich durch eine hohe Akzeptanz standardisierter Produkte auszeichnete. Das frühe Entstehen eines Massenmarktes und die Knappheit bei Arbeitskräften förderten v. a. im letzten Drittel des 19. Jh. die Tendenz, hochproduktive Technologien zu entwickeln. Aber auch in West- und Mitteleuropa gab es technologische Innovationsschübe. Die Bedeutung der früheren Leitsektoren, der Textilindustrie und der Schwerindustrie (Eisenbahnbau), trat dabei zurück, ein neuer Führungssektor in der Elektrotechnik, der Optik und der Chemie bildete sich heraus. Damit verlagerte sich in Europa die industrielle Dynamik von Großbritannien nach Deutschland. War der industrielle Fortschritt in Deutschland bisher v. a. der Imitation englischer Technologien zu verdanken, trieben nun Erfinder und Unternehmer wie Werner von Siemens, Ernst Abbe oder die Schüler Justus von Liebigs die Entwicklungen durch eigene Innovationen voran. Die Vernetzung von naturwissenschaftlicher Forschung und technischer Bildung einerseits und unternehmerischen Erfolgen andererseits war ein hervorstechendes Merkmal einer neuen Phase, die auch als „zweite I. R.“, „zweite wirtschaftliche Revolution“ oder Hoch-I. bezeichnet wurde. Zu den weiteren Kennzeichen dieser Phase gehörten der Aufstieg anonymer Kapitalgesellschaften (bes. wichtig Großbanken), die Entstehung großer, bürokratisierter Konzernstrukturen, die Konzentration und Kartellbildung (Kartell) ganzer Branchen sowie die Herausbildung neuer multinationaler Produktions- und Vertriebsstrukturen. Begünstigt durch das koloniale Ausgreifen begannen große Konzerne in einer ersten Phase der Globalisierung mit einer beispiellosen Durchdringung des Weltmarkts. Wie schon zuvor in Großbritannien übertraf der industriell-gewerbliche Sektor nun auch in vielen Nachfolgestaaten sowohl bei den Beschäftigtenzahlen als auch bei der Wertschöpfung die Anteile der beiden anderen Sektoren der Volkswirtschaft. Zudem wurden der Agrarsektor (Dampfpflüge, Dreschmaschinen, künstlicher Dünger) wie der tertiäre Sektor (Handel, Verkehr, Dienstleistungen) immer stärker von Fortschritt und Bedürfnissen der modernen Industrie bestimmt. Der rasch wachsende Anteil städtischer Bevölkerung beförderte die Expansion der Lebensmittelindustrie, wie überhaupt die Urbanisierung durch den steigenden Bedarf an Wohnungen und Infrastruktur zu einem wichtigen Wachstumsmotor wurde.

5. Industrialisierung im 20. und 21. Jh.

Im 20. Jh. schwenkten v. a. außerhalb Europas weitere Staaten und Regionen auf den I.s-Pfad ein. Verlauf und Erfolg hingen von den jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Ausgangslagen, den kulturellen Prägungen und den politischen Ordnungen ab und wiesen folglich große Unterschiede auf. Der sozialistische Weg der I., der zuerst in der UdSSR sichtbar wurde, knüpfte an die wirtschaftlichen Fortschritte an, die Russland erst im späten Zarenreich erreicht hatte. Die starke staatliche Förderung eines extensiven, auf die Schwerindustrie konzentrierten Wachstums ermöglichte zwar einen beachtlichen Entwicklungsschub. Das Festhalten an diesem Modell, die extreme staatliche Steuerung und das Ausbleiben eines intensiven Wachstums der Konsumgüterindustrie führten aber langfristig zur Deformation der entstandenen industriellen Strukturen. Die Anfangserfolge der sowjetischen I. wurden zunächst auch deshalb überschätzt, weil die Wachstumsraten der bereits industrialisierten kapitalistischen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg deutlich hinter denen der Vorkriegszeit zurückblieben (Kriegsfolgen, Weltwirtschaftskrise 1929). Dennoch zeichneten sich auch zwischen den beiden Weltkriegen wichtige Entwicklungen ab, legten technologische Innovationen, neue Fertigungstechniken (Fließbandproduktion/Fordismus) und die neuen Produkte des Massenkonsums (zuerst in den USA) Grundlagen für künftige Wachstumsschübe. Seit den 1950er Jahren beschleunigte sich der Strukturwandel der Industriewirtschaft in einem bis dahin ungekannten Ausmaß. Das preiswerte Erdöl löste die Kohle als wichtigsten Energieträger ab und schuf die Voraussetzung für Massenmotorisierung, veränderte weltweit das Konsumverhalten und ermöglichte neue Formen landwirtschaftlicher Produktion. Die neuen Techniken erfassten zunehmend auch den Alltag der Menschen (Auto, Waschmaschine, Kühlschrank, Unterhaltungselektronik).

Mit der Ölkrise der 1970er Jahre endete diese Wachstumsphase. In den älteren Industriestaaten erlebten traditionelle Branchen wie Bergbau, Stahlindustrie und Textilindustrie nun einen beispiellosen Niedergang. Zugl. setzten hier aber neue Entwicklungen ein, die als „dritte I. R.“ bezeichnet worden sind. Mikroelektronik und Informationstechnologien stellten die Fabrikproduktion etwa durch den Einsatz von Industrierobotern auf neue Grundlagen. Wesentliche Wachstumsimpulse gingen dabei von großtechnischen Systemen aus, bestimmt durch wachsende Interaktion wirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer und staatlicher Akteure. Dies zeigte sich etwa bei der Energiewirtschaft (Atomkraft, dann erneuerbare Energien) und der Herausbildung militärisch-industrieller Komplexe, ferner bei der Bio- und Gentechnologie. Mit ihnen wurde eine industrielle Welt geschaffen, die sich in Produktionsformen, Arbeitsprozessen und Erzeugnissen weit von dem entfernt hat, was man jahrzehntelang unter industrieller Produktion verstanden hat. Die Umwälzungen durch künstliche Intelligenz und globale Vernetzung werden hier teilweise schon als „vierte I. R.“ charakterisiert. Da mit diesen Entwicklungen in vielen Staaten der Dienstleistungssektor bereits eine größere gesamtwirtschaftliche Bedeutung erhalten hat als der industriell-gewerbliche Sektor, wird auch vom Ende des industriellen Zeitalters und einer neuen postindustriellen Gesellschaft gesprochen. Allerdings werden auch in den hochindustrialisierten Gesellschaften der Gegenwart alle Wirtschaftssektoren von Ordnungselementen bestimmt, die erst mit der I. entstanden sind.

Das vor etwas mehr als 200 Jahren entstandene Industriesystem war und ist somit selbst immer wieder grundlegenden Wandlungen unterworfen. Während ältere industrielle Führungsregionen ihre Positionen verloren haben, drängen neue Regionen, v. a. der durch den industriellen Aufbruch in China bestimmte ostasiatische Raum, stärker nach vorn. Der lang anhaltende und weltweit ausstrahlende I.s-Prozess führte zu einer stetigen Veränderung der sozialen Strukturen und revolutionierte zugl. das Alltagsleben der Menschen (Arbeitswelt, Wohnverhältnisse, Konsumverhalten, beschleunigtes Zeitgefühl). Auch Staat und Gesellschaft wurden immer wieder vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Einerseits ermöglichte die I. ungeahnte Wohlstandsgewinne. Andererseits führte sie zu neuen Formen sozialer Ungleichheit und verschärfte auch die Wohlstandsgefälle zwischen hochindustrialisierten Gesellschaften und den weniger entwickelten Regionen der Welt. Die mit den I.s-Prozessen verbundene Fortschrittseuphorie war daher stets begleitet von Fortschrittskritik. Thematisiert wurden dabei zunächst die sozialen Kosten, die man durch die Herausbildung des modernen Sozialstaates abzufangen versuchte. Mit den weltweiten I.s-Prozessen und den von ihnen ausgelösten Umweltzerstörungen und -katastrophen rückten aber auch die mit dem Industriesystem verbundenen Umweltrisiken immer stärker in den Blick.