Implementation

1. Implementation und Implementationsforschung

Der Begriff I. bezeichnet den Vollzug oder die Umsetzung von Gesetzen, Rechtsvorschriften und sonstigen Programmen durch die zuständigen Behörden oder mit dem Vollzug beauftragte nicht-staatliche Organisationen (Verbände, NGOs oder ähnliche). Der Begriff wird im Kontext des analytischen Rahmens der Politikfeldanalyse (auch: Policy-Forschung [ Policy ]) verwendet, die den Prozess der Formulierung und Umsetzung politischer Handlungsprogramme in idealtypische Phasen nach dem sog.en Politik-Zyklus strukturiert hat. In dieser idealtypischen Betrachtung folgt I. logisch auf Problemwahrnehmung, Agenda-Setting sowie Politikformulierung. Ihr schließen sich Evaluation und möglicherweise Terminierung oder Anpassung des jeweiligen Programms an. I. schließt damit alle Schritte und Maßnahmen ein, die nach dem formellen Beschluss einer Rechtsvorschrift bis zur vollständigen Umsetzung bei der Zielgruppe notwendig sind – also etwa die Konkretisierung des Programms, die Zuständigkeitsverteilung, Budget- und Personalbereitstellung und schließlich die Entscheidung über den Einzelfall, z. B. über Anträge auf Förderung von Investitionen im Rahmen eines Programms zur Wirtschaftsförderung. I. gilt häufig als letztlich entscheidende Phase des Politik-Zyklus, in der über den Erfolg oder Misserfolg eines Handlungsprogramms entschieden wird. Ihre bes. Bedeutung hängt auch damit zusammen, dass politisches und administratives Handeln durch Programme und Rechtsvorschriften nicht vollständig steuerbar ist. Vielmehr können Programme und ihre Intentionen in der I. verändert oder verzögert werden oder auch komplett scheitern.

Die Entstehung eigenständiger I.s-Forschung als Teilbereich der Politikfeldanalyse stand dementsprechend in enger Verbindung mit den Umsetzungsproblemen und enttäuschten Erwartungen anspruchsvoller Reformvorhaben (Reform) Ende der 1960er/Anfang der 70er Jahre. Die Politikfeldforschung entwickelte sich seit Mitte/Ende der 1960er Jahre in Deutschland als Teil einer politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung, der es v. a. darum ging, den Beitrag der Verwaltung in politischen Entscheidungsprozessen – also in der Formulierung und Umsetzung politischer Programme – zu untersuchen. Seit Anfang der 1970er Jahre rückte dabei zunehmend das Thema des administrativen Vollzugs von Handlungsprogrammen in den Vordergrund, v. a. motiviert durch die vielfach beobachteten Umsetzungsprobleme ambitionierter Reformprogramme, in Deutschland etwa im Bereich der Umweltpolitik oder der Raumplanung (Raumordnung und Landesplanung). Der entscheidende Anstoß für die Herausbildung einer eigenständigen I.s-Forschung kam dabei aus den USA, wo sich Umsetzungsprobleme v. a. im Kontext der sozialpolitischen und -reformerischen Programme von Präsident Lyndon B. Johnsons „Krieg gegen die Armut“ zeigten. Die schulbildende Studie von Jeffrey Pressman und Aaron Wildavsky „Implementation“ (Pressman/Wildavsky 1973) war auch für viele Politik- und Verwaltungsforscher in Deutschland ein wichtiger Anstoß. Dabei ging es zunächst um den Grad der zielgenauen Umsetzung der auf übergeordneter (meist zentralstaatlicher) Ebene definierten Politikziele und die Gründe für Abweichungen davon in verwaltungsinternen Prozessen sowie die Interaktion der Vollzugsbehörden mit den betroffenen Adressaten. Die von Renate Mayntz 1980 und 1983 bzw. von Hellmut Wollmann 1980 herausgegebenen Bände stellen so etwas wie den Kanon der sich seit Mitte der 1970er herausbildenden I.s-Forschung dar.

2. Implementationsprobleme und Erfolgsbedingungen

Kern der I.s-Forschung ist die Betrachtung von politischen Handlungsabläufen als Prozess der Problemverarbeitung, der in idealtypische Phasen der Problemdefinition, Programmentwicklung und -I. gegliedert wird. Ziel ist es, die Faktoren zu analysieren, die über Erfolg oder Misserfolg des Vollzugs politischer Handlungsprogramme bestimmen. Dabei wurden drei zentrale Faktorenbündel als entscheidend identifiziert: a) die Merkmale des Programms, b) die Merkmale des I.s-Systems, also v. a. die administrativen Strukturen, Zuständigkeiten und Handlungsmuster, und c) die Merkmale der Adressaten. Dem lag insofern ein hierarchisches Verständnis politischer Steuerung zugrunde, als dass ausgehend von der Unterscheidung von Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt analysiert wurde, mit welchen Instrumenten (Geld, Recht, Anreize, Information, Infrastruktur) das staatliche Steuerungssubjekt das gesellschaftliche Steuerungsobjekt (den Adressaten des Handlungsprogramms) so beeinflussen kann, dass die Ziele des Programms erreicht werden.

Ein zentrales Ergebnis ist dabei die Feststellung, dass unterschiedliche Policy-Instrumente mit je spezifischen I.s-Problemen verbunden sind. Regulative Programme sind v. a. mit dem Kontrollproblem verbunden, das zudem mit dem Widerstandspotenzial der Adressaten variiert und im Ergebnis zu einer asymmetrischen Durchsetzung regulativer Normen führen kann. Anreizprogramme sind mit dem Risiko verbunden, lediglich bloße Mitnahmeeffekte (Inanspruchnahme des Anreizes für ohnehin geplante Verhaltensänderung auszulösen). Das Problem besteht hier darin, die Förderbedingungen entspr. der Motivlagen der Adressaten zu kalibrieren, also zu verschärfen oder zu lockern. Auch bei der Bereitstellung öffentlicher harter (etwa: Verkehrswege) und weicher (z. B. Bildungseinrichtungen) Infrastruktur, stellt sich dieses Problem der Über- und Unterversorgung. Bei Informationsprogrammen fragt sich, welchen handlungsrelevanten Einfluss Informationen, etwa über die gesundheitsschädliche Wirkung von Alkohol- und Tabakkonsum, überhaupt haben. Die Verhaltensökonomik hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Verhaltensänderungen weniger am Wissen über negative oder positive Effekte (etwa: private Vorsorge) bestimmter Aktivitäten scheitern, sondern an der begrenzten Rationalität menschlichen Handelns (Handeln, Handlung) bei der Umsetzung dieses Wissens in Handeln. Sog.e Nudges zielen daher darauf ab, das Verhalten von Adressaten mehr oder weniger unmerklich in die gewünschte Richtung zu beeinflussen, etwa durch die Wahl bestimmter Voreinstellungen (Default Options). In Deutschland ist dieses Instrument im Kontext der Diskussion um Organspenden bekannt geworden.

Auf der Ebene der I.s-Struktur kann als wichtiges Ergebnis der I.s-Forschung einerseits festgehalten werden, dass komplexe administrative Strukturen mit einer Vielzahl von Beteiligten unterschiedlicher administrativer und politischer Ebenen im Vollzug tendenziell zu Abweichungen vom urspr.en Programmziel führt. Dieses Ergebnis der klassischen Studie von Pressman und Wildavsky wurde im deutschen Kontext, wo die spezifische Form des kooperativen Föderalismus zur Trennung von Politikformulierung (vorwiegend auf Bundesebene) und I. (vorwiegend auf Länder- und Kommunalebene) führt, vielfach bestätigt. Andererseits bestätigen Studien aber auch die Vorteile dezentraler und verflochtener Strukturen, die gerade in der Anpassungsfähigkeit zentralstaatlicher Programme an (unterschiedliche) lokale Kontexte bestehen.

3. Politische Implementation und kooperativer Staat

Über die Analyse programmspezifischer Handlungsmuster und I.s-Probleme hinaus hatten die empirischen Forschungsergebnisse nachhaltigen Einfluss auf die politik und verwaltungswissenschaftliche Forschung zu staatlicher Steuerung. Während dem analytischen Paradigma der I.s-Forschung anfangs noch ein hierarchisches Verständnis staatlicher Steuerung zugrunde lag, und der Verwaltung eine eher unpolitische Rolle im Sinne eines Vollzugs von auf anderer Ebene beschlossenen politischen Programmen zugeschrieben wurde, führten die empirischen Forschungen zur nachhaltigen Hinterfragung dieser Annahmen. Zu diesen Ergebnissen gehörten etwa die Beobachtung, dass Aufsichtsbehörden häufig wenig Interesse an Informationen über Probleme auf der Vollzugsebene haben – weil Wissen darüber eine Mitverantwortung für diese bewirkt sowie politische und administrative Anpassungsprozesse mit Konfliktpotenzial mit sich bringt. Ferner wurde deutlich, dass I. kaum als administrativer Vollzug feststehender Regeln und Programme adäquat zu beschreiben ist. Vielmehr lassen sich Vollzugsbehörden aktiv und systematisch auf Verhandlungsprozesse mit den Adressaten ein und sind damit zu Normanpassungen im Vollzugsprozess bereit. Hierbei beziehen Vollzugsbehörden sowohl das Widerstandspotenzial der Adressaten wie auch ihre politische und ökonomische Relevanz und die administrativen Folgekosten einer harten Durchsetzung von Standards in ihr Entscheidungskalkül ein. Damit verbunden ist die Beobachtung unterschiedlicher empirischer Studien, nach der Akteursbeziehungen zwischen I.s-Instanzen und Adressaten zentralen Einfluss auf Verlauf und Ergebnis von Vollzugsprozessen haben und wichtiger sein können als Spezifika des Handlungsprogramms. So haben Fritz Scharpf und Mitarbeiter in einer Studie über die I. von Förderprogrammen auf dem Arbeitsmarkt die Bedeutung von etablierten Netzwerkstrukturen zwischen Arbeitsämtern (Arbeitsverwaltung) und Unternehmen für den Erfolg dieser Programme identifiziert. Schließlich wurde beobachtet, dass die analytische Trennung von Normsetzung und Vollzug – oder Politikformulierung und -I. – in der Realität unscharf ist und zwischen diesen Ebenen zahlreiche Wechselwirkungen bestehen, bspw. wenn die Beteiligung von Interessenvertretern in der Programmformulierung zu einer reibungsloseren I. dadurch beiträgt, dass Akzeptanz hergestellt oder die I. sogar aktiv unterstützt wird.

Diese Forschungsergebnisse haben zu einer Unterminierung des analytischen Paradigmas der I.s-Forschung geführt. Einerseits wurde die Kritik an einer bei den (zentral-)staatlichen Programmen und somit den Zielen und Handlungslogiken des zentralstaatlichen Akteurs ansetzenden Forschung laut. Die „Gesetzgeberperspektive“ dieser Orientierung an den staatlichen Zielparametern wurde kritisiert und die Notwendigkeit geäußert, vor dem Hintergrund widersprüchlicher oder vager Programmziele die politische Rolle und Bedeutung der I.s-Phase systematisch zu analysieren. Diese Kritik hat z. B. H. Wollmann seinen Analysen zur I. wohnungspolitischer Programme zugrunde gelegt. Diese Debatte folgte Diskussionen in den USA über die Grenzen des top-down-Ansatzes und den Nutzen einer bottom-up-Perspektive, welche die Handlungssituation der Akteure auf unmittelbarer Vollzugsebene (Street-level Bureaucrats) in den Blick nimmt. Wesentliche Erkenntnisse über die Handlungsmuster von Mitarbeitern der Vollzugsverwaltung wurden dadurch gewonnen – etwa im Umgang mit problematischen Klientelen und bzgl. der bevorzugenden Behandlung „einfachen“ Klientels, aber auch in Bezug auf die Berücksichtigung von Widerstandspotenzial.

Daneben entwickelte sich im Anschluss eine Forschungslinie um „kooperative Verwaltung“, „kooperatives Recht“ und den „kooperativen Staat“, welche die begrenzte Rolle hierarchischer Steuerung und die wesentliche Bedeutung von Verhandlungsprozessen und auch gesellschaftlicher Selbststeuerung und -regulierung betonte. Im Zuge dessen wurden die Interaktionsmuster zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren in Netzwerken und Verhandlungssystemen zu dominierenden Themen, während die zentralen Fragen der I.s-Forschung nach dem Verlauf und Ergebnissen von Vollzugsprozessen zunehmend in den Hintergrund gerieten. Teilweise wurden sie von anderen Disziplinen aufgegriffen, so insb. der Vollzug von regulativer Politik in der interdisziplinären Regulierungsforschung, die durch rechtswissenschaftliche und ökonomische Perspektiven geprägt ist. Die interne Verwaltungssteuerung als Teil der I. spielt im Rahmen eines an Formen der Leistungsmessung und Steuerung durch Ziele interessierten Public Managements eine zentrale Rolle.