Homosexualität

  1. I. Sozialethische Überlegungen
  2. II. Rechtliche Aspekte

I. Sozialethische Überlegungen

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H. ist die Fachbezeichnung für das Sichhingezogenfühlen zu und das Begehren von Personen des eigenen Geschlechts. Der Begriff H. ist erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eingeführt worden und ersetzte ältere, eindeutig verurteilende Bezeichnungen wie „Sodomie“ und „Unzucht“. Gleichgeschlechtliche Gefühle sind in vielen Kulturen mit Scham bzw. Angst besetzt. In der christlichen Tradition waren entspr.e Handlungen auf großen Strecken Gegenstand der Moral und unterlagen starken Verurteilungen (schwere Sünde), die man durch ihre Widernatürlichkeit (im Sinne eines Verstoßes gegen den Naturzweck der Sexualität) als zwingend und durch eindeutige Äußerungen der Heiligen Schrift zusätzlich legitimiert sah.

Die Bewertung der H. seit etwa 100 Jahren hängt stark davon ab, wie man sich ihre Entstehung erklärt. Die lange vorherrschende Auffassung, sie sei Ausdruck maßloser, zu früh entdeckter und fehlgeleiteter sexueller Abstinenz v. a. beim Mann, wurde zunächst in Medizin und Psychologie, dann auch in Erziehung und Recht abgelöst vom Konzept der H. als naturgegebener Veranlagung. Diese, auch in lehramtlichen Äußerungen der katholischen Kirche seit den 1970er Jahren erstmals zugrunde gelegte und bis heute nicht aufgegebene Sicht hat den Vorteil, das mit ihr anerkannt wird, dass die homosexuelle Neigung von ihrem Träger nicht gewählt ist und deshalb auch nicht geändert werden kann. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass sie die Betroffenen der Zumutung aussetzt, von anderen als Menschen anderer Art wahrgenommen zu werden, mitunter als Problemfälle, die ihren jeweiligen Trägern selbst wie auch der kirchlichen Pastoral bes. Anstrengungen abverlangen (Verzicht auf eine dieser Neigung entspr.e Lebensweise bzw. eine spezielle seelsorgliche Aufmerksamkeit).

Die Auffassung, dass homosexuelle Orientierung eine krankhafte Störung sei, ist heute aufgrund intensiver Forschungen aufgegeben (offizielle Streichung aus dem Klassifikationssystem DSM-III 1973 und aus ICD-10 der WHO 1994). Es gilt vielmehr als gesichert, dass es sich bei der H. um eine „natürliche Variante der sexuellen Orientierung beim Menschen“ handelt (so der Weltärztebund in einer Stellungnahme von 2013; World Medical Association 2013), die als solche nicht grundsätzlich unterdrückt oder umgepolt werden kann und die anzunehmen – genau wie bei Personen mit heterosexueller Neigung – Gegenstand und Aufgabe der Bildung, Gestaltung und Behauptung der persönlichen Identität ist.

Das Arbeiten an der eigenen – inkl. der sexuellen – Identität wird in der sozialen Realität erschwert durch das Vorhandensein und Fortdauern oft wenig bewusster, aber kulturell tradierter Sichtweisen von H., die zu einer Stigmatisierung von Personen mit solcher Neigung und zur Diskriminierung der gesamten Gruppe der Betroffenen führen können. Das Problematische dieses Kategorisierungsmusters und des aus ihm folgenden Verhaltens liegt darin, dass es die Menschen mit homosexueller Orientierung tendenziell auf dieses Merkmal reduziert. Damit ist die Gefahr verbunden, ihnen die Anerkennung des Personseins und ihre Würde als moralische Subjekte zu verkürzen und ihnen die Fähigkeit von personaler Liebe abzusprechen. Sozialethisch ist deshalb nicht nur respektloses Verhalten von Individuen gegenüber Männern und Frauen mit einer homosexuellen Orientierung abzulehnen (so auch die offizielle kirchliche Position, etwa KKK 2358), sondern auch alle gesellschaftlichen Konventionen und rechtlichen Regelungen, die Diskriminierung strukturell verfestigen, reproduzieren oder auch einfach nur zu belassen und hinzunehmen erlauben.

Über die Notwendigkeit der Entdiskriminierung von H. hinaus stellt sich sozialethisch auch die Frage, wie die Menschen mit homosexueller Orientierung vor abschätzigem und verurteilendem Verhalten strukturell geschützt und beim biographischen Prozess der Findung und Stabilisierung ihrer Identität unterstützt werden können. Das Spektrum entspr.er Maßnahmen, das eine Gesellschaft dafür bereitstellen muss, reicht von öffentlicher Aufklärung und Bildungsarbeit über Maßnahmen zu Gesundheitsschutz und -prävention bis hin zur Garantierung bes.r Fürsorgerechte in Krisensituationen und zur Schaffung eines Anspruchs, Partnerschaften zwischen Gleichgeschlechtlichen durch ein Rechtsinstitut öffentlich anerkennbar zu machen und die Beziehung einschließlich der aus ihr entstandenen Verpflichtungen auf eine verlässliche rechtliche Basis stellen zu können.

Dem letztgenannten Erfordernis ist in jüngerer Zeit in verschiedener Weise Rechnung getragen worden. Eine Reihe mitteleuropäischer Länder – und zunächst auch Deutschland – haben mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft ein eigenes eheähnliches Rechtsinstitut geschaffen. Sie halten damit implizit an dem Anspruch fest, dass die heterosexuelle Ehe bleibend eine Institution eigener Art darstellt, neben der es andere institutionalisierte Arten von Lebensgemeinschaften geben kann, wenigstens und im Besonderen diejenige der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft. Länder wie Frankreich, Großbritannien, USA und (seit 2017) Deutschland haben sich hingegen dafür entschieden, das bestehende Rechtsinstitut der Ehe „für alle“ zu öffnen, d. h. auf die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner als konstitutiver Voraussetzung für das Eingehen einer Ehe zu verzichten. Die faktischen und die symbolischen Konsequenzen einer solchen Öffnung sind beträchtlich und deshalb mit erheblichem gesellschaftlichem Konfliktpotential verbunden. Bes. umstrittene Punkte sind neben der Frage, ob die Offenheit für gemeinsame Kinder ein konstitutives Element der Ehe ist, der Zugang zur (gemeinsamen) Adoption sowie die Inanspruchnahme der Fortpflanzungstechnologien (Insemination). Diese Unterschiede spielen zahlenmäßig zwar nur eine marginale Rolle, erhalten allerdings dann, wenn die Forderung nach ihnen für die Beseitigung des letzten Restes von Diskriminierung instrumentalisiert wird, eine enorme Bedeutung, die sie zur symbolischen Frontlinie in einer Art von neuem Kulturkampf werden lassen kann.

Die katholische Kirche hat in ihren bisherigen offiziellen Stellungnahmen (Glaubenskongregation 1986 und 2003) beiden Wegen, homosexuellen Partnerschaften im Zivilrecht eine anerkannte Rechtsform anzubieten, mit Verweis u. a. auf logische (Widerspruch zur bes.n Förderung der Ehe), anthropologische (Unentbehrlichkeit der Erfahrung bipolarer Elternschaft für Kinder), gesellschaftliche (Veränderung des Begriffs der Ehe) und rechtliche Argumente (Bedeutung für das Gemeinwohl) eine Absage erteilt. Faktisch gerät sie damit – ohne es zu beabsichtigen – in eine positionelle Nähe zu den Ländern in Afrika, Asien und der Karibik, die in ihren Rechtsordnungen H. als Straftatbestand behandeln und sich in den internationalen Organisationen gegen eine Anerkennung von Schutzrechten für homosexuelle Menschen aussprechen. Sozialethisch stellt sich jedoch die Frage, ob angesichts der im Zweiten Vatikanischen Konzil am Paradigma der ehelichen Beziehung als entscheidend herausgestellten Beziehungsqualität (GS 49) wie auch der wiederholten kirchlichen Selbstverpflichtung zur Gerechtigkeit das politische Bemühen, auch den homosexuellen Liebesbeziehungen eine anerkannte, Verlässlichkeit auf Dauer fördernde und die gegenseitigen Verpflichtungen verbindlich festschreibende Institution anzubieten, weiterhin als unmoralisch disqualifiziert werden darf und ob ihr zivilrechtlicher Gebrauch durch einzelne Gläubige mit homosexueller Ausrichtung arbeitsrechtliche Sanktionen rechtfertigen kann.

Einer der Gründe für diese starke Ablehnung liegt vermutlich darin, dass H. sowohl dort, wo sie moralisch verurteilt wird, wie auch dort, wo für die Entdiskriminierung von homosexuellen Personen gekämpft wird, als Ausnahme vom Regelfall der Heterosexualität oder als Differenz zur Normalität konstruiert wird oder stillschweigend zugrunde gelegt ist. Die Anerkennung einer weiteren oder mehrerer Arten sexueller Orientierung, erst recht aber eine Mehrzahl von institutionalisierten Formen intimen Zusammenlebens bedeutet infolgedessen auch eine Verunsicherung der etablierten Modelle von Beziehungen, Sexualität, Kinderhaben und Elternschaft, wie sie in der Alltagskultur, in Erziehung und Bildung vorausgesetzt werden. Der Blick auf solche Verunsicherungen und die mentale Erregung und das Gefühl einer von oben bzw. von außen aufgenötigten Änderung dürfte es sozialethisch ratsam erscheinen lassen, Rechtsformen bzgl. neuer Lebensformen und Zivilstände nicht überstürzt und ohne Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen auf die Bereitschaft zu Bindung, Elternschaft und Familiesein (Familie) vorzunehmen.

II. Rechtliche Aspekte

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Während in der heidnischen Antike gleichgeschlechtliche Beziehungen teilweise erlaubt, teilweise sogar geschätzt waren, setzte mit dem Aufkommen des Christentums, das darin ein sündhaftes Sexualverhalten erkannte, allmählich deren Pönalisierung ein. Praktizierte H. wurde zu einem gesetzlichen Verbrechen, das fast überall in Europa mit der Todesstrafe bedroht wurde. In Deutschland war sie seit Beginn der Neuzeit reichsweit strafbewehrt verboten. Die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation subsidiär gegenüber Landesstrafrecht geltende Constitutio Criminalis Carolina von 1532 stellte sie in § 116 („Straff der vnkeusch, so wider die natur beschicht“) – ebenso wie Unzucht mit Tieren – unter die Todesstrafe der Verbrennung: „Item so eyn mensch mit eymem vihe, mann mit mann, weib mit weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vmd man soll sie der gemeymen gewomheyt mach mit dem fewer vom leben zum todt richten.“

Nach § 175 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 war „die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, […] mit Gefängniß zu bestrafen“. Die Gründe für die Beschränkung der Strafbarkeit auf das männliche Geschlecht sind nicht feststellbar. Nach der von 1935 bis 1969 geltenden Fassung dieser Vorschrift machte sich „ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt“, strafbar; bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, konnte das Gericht in bes. leichten Fällen von Strafe absehen. Für bestimmte Qualifikationstatbestände (§ 175a StGB) war Zuchthausstrafe vorgesehen.

Diese Strafvorschriften überdauerten das Ende der NS-Herrschaft und galten auch in der BRD zunächst fort. Die Strafbarkeit wurde jedoch mit Blick auf die verfassungsrechtlich geforderte Gleichbehandlung der Geschlechter und wegen mangelnden Strafbedürfnisses kritisiert und angefochten. Das BVerfG erklärte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 389) § 175 StGB für verfassungskonform. Für das Gebiet der H. rechtfertigten biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. Zudem verstoße gleichgeschlechtliche Betätigung, wie sich aus der Lehre der für große Teil des Volkes maßgeblichen beiden christlichen Konfessionen ergebe, eindeutig gegen das Sittengesetz, was einen sonst unzulässigen oder doch in seiner Zulässigkeit zweifelhaften Eingriff des Gesetzgebers in die menschliche Freiheit wie die freiwillige Ausübung homosexuellen Verkehrs unter Erwachsenen nach Art. 2 Abs. 1 GG zu legitimieren vermöge. Zwischen 1949 und 1969 kam es in der BRD zu etwa 50 000 Verurteilungen nach § 175 StGB.

Ab Ende der 1960er Jahre begann im Rahmen einer allg.en Liberalisierung des Strafrechts eine allmähliche Entkriminalisierung. Seit 1969 waren gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern nur noch strafbar, wenn einer der Männer minderjährig war, wobei die Schutzaltersgrenze seit 1973 bei 18 Jahren lag, wenn sie unter Missbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen oder gewerbsmäßig erfolgten (§ 175 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB a. F.). Gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen ohne bes. Qualifikation wurden dagegen nunmehr straffrei gestellt. Die vom BVerfG (BverfGE 36, 41) für mit dem GG vereinbar erklärte Vorschrift wurde damit im Kern zu einer qualifizierten Jugendschutzbestimmung umgestaltet, durch die männliche Jugendliche vor Schädigungen ihrer Entwicklung durch sexuelle Verführung geschützt werden sollten. 1994 wurde § 175 StGB aufgehoben; seitdem besteht nur noch die allg.e Strafvorschrift des § 176 StGB gegen den sexuellen Missbrauch an Kindern (Altersgrenze: 14 Jahre) durch (homo- wie hetero-) sexuelle Handlungen.

Die seit längerem wegen des Fortbestehens eines Strafmakels erhobene Forderung nach einer Rehabilitierung der nach § 175 StGB a. F. in der BRD Verurteilten durch eine gesetzliche Aufhebung der einschlägigen Strafurteile und Gewährung einer Entschädigung ist mit dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) vom 17.7.2017 erfüllt worden.

Die Rechtsentwicklung in der Schweiz und in Österreich verlief ähnlich. In der Schweiz wurde die Strafbarkeit praktizierter H. zwischen Erwachsenen allerdings schon 1942 aufgehoben, in Österreich dagegen die homosexualitätsspezifische Jugendschutzbestimmung des § 209 StGB von 1975 erst mit verfassungsgerichtlicher Erkenntnis 2002 aufgehoben.

Der Rechtswandel in Europa in dieser Frage wurde auch durch die Rechtsprechung des EGMR maßgeblich beeinflusst, der in den 1980er Jahren mehrfach entschied, dass die Strafbarkeit einvernehmlicher homosexueller Handlungen das in Art. 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens verletze.

Nach heute allg. geteilter Rechtsauffassung nimmt die H. an dem durch das allg.e Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG) geschützten Recht auf sexuelle Selbstentfaltung teil. Einverständliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen fallen dabei unter den staatlichen Eingriffen unzugänglichen Kernbereich privater Lebensgestaltung.

Während in den westlichen Ländern homosexuelle Handlungen mittlerweile durchgängig straffrei sind, bestehen in vielen afrikanischen sowie in einigen asiatischen Ländern noch Sonderstraftatbestände.

Der Entkriminalisierung in den westlichen Ländern schloss sich seit Anfang der 2000er Jahre die Anerkennung eheähnlicher und in den Rechtsfolgen der Ehe weitgehend gleichgestellter gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft (Eingetragene Lebenspartnerschaft; civil union) an, die sich in einer Reihe von Staaten (seit 2017 auch in Deutschland) mittlerweile zu einer Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner (civil marriage; marriage pour tous) fortentwickelt hat.