Heiliger Stuhl

1. Entstehung und Wandel des Begriffs

Allg. bezeichnet der Begriff „Stuhl“ (lat. sedes) den bischöflichen Sitz (sedes episcopalis) sowie, bezugnehmend auf seine Kathedra, das konkrete Amt des Bischofs. Führten urspr. nicht wenige der bedeutendsten Bischofssitze die Bezeichnung „H. S.“ – ähnlich wie die von Aposteln gegründeten diejenige des „Apostolischen Stuhls“ –, wurde im Lauf der Kirchengeschichte das Attribut zunehmend in exklusiver Weise auf die Cathedra Petri, den römischen Bischofssitz, bezogen: Bereits Papst Damasus I. (366–384) wollte die Bezeichnung des „Apostolischen Stuhls“ allein für den römischen Stuhl verwandt sehen. Länger hielt sich für andere Sitze der Begriff des H.n S.s, den heute indes außer dem römischen nur noch derjenige von Mainz führt, freilich unter expliziter Anerkennung der spezifischen Bindung an ersteren („Sancta Sedes Moguntina Ecclesiae Romanae specialis vera filia“).

2. Bedeutung im kanonischen Recht

Das kanonische Recht verwendet die Bezeichnungen H. S. und Apostolischer Stuhl synonym (can. 361 CIC/1983; ebenso can. 48 CCEO sowie zuvor bereits can. 7 CIC/1917), und zwar in einer engeren und einer weiteren Bedeutung:

Im engeren Sinn ist darunter der Papst zu verstehen, also der Bischof der Kirche von Rom, welcher in der katholischen Kirche die höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt innehat, die er immer frei ausüben kann (can. 331 CIC). H. S. im weiteren Sinne sind auch (wie es am präzisesten can. 48 CCEO formuliert) die „Dikasterien und anderen Einrichtungen der Römischen Kurie“. Ob diese Bedeutung zutrifft, muss nach den genannten Normen zufolge „aus der Natur der Sache oder aus dem Kontext“ ermittelt werden (in den Fällen der cann. 359 und 367 etwa ist ersichtlich der Papst gemeint, ebenso in can. 1404, wo er als „Prima Sedes“ apostrophiert wird).

Demgegenüber ist der Begriff des H.n S.s – in beiden Bedeutungen – abzugrenzen von denjenigen der „katholischen Kirche“ (can. 113 § 1 CIC) und des „Trägers höchster und voller Gewalt im Hinblick auf die Gesamtkirche“ (d. i. nach can. 336 CIC – zusammen mit seinem Haupt, dem Papst – auch das Bischofskollegium) sowie v. a. vom Staat der Vatikanstadt.

3. Papst und Römische Kurie

Die Römische Kurie ist die Gesamtheit der Dikasterien und Einrichtungen, die dem Papst – in seinem Namen und seiner Autorität – bei der Ausübung des obersten Hirtendienstes helfen (can. 360 CIC). Die Einzelheiten finden sich in einer extrakodikarischen Norm, aktuell der von Papst Johannes Paul II. erlassenen Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ von 1988 (AAS 80 [1988], 841–930); nähere Ausführungsbestimmungen enthält das Regolamento generale della Curia Romana des Staatssekretariats von 1999 (AAS 91 [1999], 629–699). Die Konstitution, seit ihrem Inkrafttreten wiederholt geändert, wird derzeit einer allg.en Revision durch einen im Jahr 2013 eigens dafür eingesetzten „Kardinalsrat“ unterzogen.

Zu den „Dikasterien“ der Römischen Kurie rechnen das Staatssekretariat, die Kongregationen, die Gerichtshöfe sowie die Räte und Ämter, zu ihren „Einrichtungen“ die Präfektur des Päpstlichen Hauses und das Amt für die liturgischen Feiern des Papstes (Art. 2 §§ 1 und 3 Pastor Bonus). Ihr Hilfscharakter im Hinblick auf den obersten Hirtendienst des Papstes kommt auch darin zum Ausdruck, dass mit Eintritt der Sedisvakanz alle verantwortlichen Leiter und die Mitglieder der Dikasterien ihr Amt verlieren, allein die ordentliche Geschäftsführung darf weiter durch die Sekretäre erfolgen (Art. 6 Pastor Bonus).

Dem Papst vorbehalten sind die Bereiche der Gesetzgebung sowie der Selig- und Heiligsprechungen, dgl. bedürfen die causae maiores seiner Genehmigung. Im Rahmen ihrer Kompetenz entscheiden hingegen eigenständig die Apostolischen Gerichte der Rota Romana und des Höchstgerichts der Apostolischen Signatur (Einzelheiten: Art. 18 Pastor Bonus).

4. Der Heilige Stuhl als Subjekt des Völkerrechts

Seit seinen Anfängen betrachtet und behandelt das Völkerrecht den H.n S. als gleichberechtigten Akteur im internationalen Verkehr. Seit der Spätantike vertraten päpstliche Gesandte („Apokrisiare“ oder „Responsales“) den H.n S. am byzantinischen (später am karolingischen) Kaiserhof (bzw. beim Exarchat von Ravenna), weitere Gesandtschaften wurden aus bestimmten Anlässen und zu bestimmten Zwecken bestellt. Das Hochmittelalter brachte als zusätzlichen Entwicklungsschritt den Abschluss von Verträgen zwischen Papst und Fürsten zur einvernehmlichen Regelung der zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt streitigen Fragen (Konkordate, erstmals das Wormser Konkordat von 1122 zur Beendigung des Investiturstreits). Zeitweise fungierte der Papst auch als oberster Schiedsrichter bei Konflikten innerhalb der weltlichen Gewalt. Den rechtstatsächlichen Hintergrund bildete die (neben der unbestritten geistlichen Suprematie des Papstes) politische Relevanz des Papsttums, augenfällig in Gestalt seines weltlichen Territoriums ab dem 8. Jh. (Kirchenstaat, „patrimonium Petri“).

War auch mit dem Entstehen der modernen Territorialstaaten ab der Frühen Neuzeit und erst recht mit dem Absolutismus des 17. und 18. Jh. die politische Bedeutung des Papsttums zurückgegangen, blieb dessen völkerrechtliche Stellung unangefochten: Ab dem 15. Jh. richtete, dem Beispiel italienischer Städte folgend, auch der H. S. ständige Missionen („Nuntiaturen“) ein. Im Wege des Konkordatsschlusses werden – über Jh. – die Beziehungen von Kirche und Papst mit dem Reich (Wiener Konkordat 1448) und Frankreich (1516) geregelt, ehe im 19. Jh. die Ära der modernen Konkordate beginnt (erstmals das Napoleonisches Konkordat 1801).

Auch das Ende des Kirchenstaates im Zuge der staatlichen Einigung Italiens 1870 beeinträchtigte den völkerrechtlichen Status des H.n S.s nicht: Obgleich ohne territoriale Souveränität (die Päpste verstanden sich als „Gefangene im Vatikan“, deren Schutz Italien einseitig im Wege des „Garantiegesetzes“ gewährleistete) blieben sowohl das päpstliche Gesandtschaftswesen wie auch der Abschluss von Konkordaten zwischen H.m S. und den Staaten fortbestehende Praxis des Völkerrechts. Durch die Lateranverträge von 1929 tritt zu der ungebrochenen Souveränität des H.n S.s auf internationalem Gebiet die Schaffung des Staates der Vatikanstadt hinzu, dessen „ausschließliche Souveränität und Jurisdiktion“ dem H.n S. zusteht. Mithin sind seither zwei Subjekte des Völkerrechts zu unterscheiden, der H. S. und (als Staat im „klassischen“ Sinn) die Vatikanstadt. Auf internationalem Gebiet ist die Präsenz des H.n S.s seit dem Notenwechsel zwischen dem UN-Generalsekretariat und dem Päpstlichen Staatssekretariat vom 16./29.10.1957 auch formal festgehalten.

Völkerrechtssubjektivität meint die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten des Völkerrechts zu sein. Herkömmlich wird dabei zwischen den Staaten als geborenen und den internationalen Organisationen als gekorenen Subjekten unterschieden. Nach dieser Klassifikation handelt es sich beim H.n S. um ein originäres, wenngleich (insofern untypisch) nicht-staatliches Subjekt des Völkerrechts. Den Anknüpfungspunkt für die Rechtsfähigkeit bildet dabei, anders als beim modernen Staat, nicht eine abstrakte Konstruktion (Staat als juristische Person), sondern die Person des Papstes in seiner Funktion als Inhaber der höchsten und obersten Gewalt in der Kirche. Folge dieser Rechtsfähigkeit ist, dass der H. S. seine Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten (Staaten und internationalen Organisationen) auf der Basis der Gleichordnung und Gleichberechtigung zu regeln befugt ist. Konkret geschieht dies durch das Institut des völkerrechtlichen Vertrags (ius foederis) sowie durch das Unterhalten von diplomatischen Beziehungen (ius legationis).

So hat der H. S. seine sowie der katholischen Kirche Beziehungen zu einer Vielzahl von – auch mehrheitlich nichtkatholischen und nichtchristlichen – Staaten durch Konkordate (für diese herkömmliche Bezeichnung verwendet die neuere Praxis vermehrt die Bezeichnung „Vertrag“ bzw. „conventio“) geregelt, ebenso bestehen Basisabkommen mit der PLO und der OAU. Der H. S. ist 2017 in 182 Staaten durch Nuntien diplomatisch vertreten, zudem bei der EU und beim Souveränen Malteserorden. Entspr. seiner Rolle als in erster Linie geistliche Autorität hat der H. S. zu den meisten internationalen Organisationen lediglich Beobachter entsandt (UNO, UNHCR, FAO, ILO, WHO, UNESCO, WTO, Europarat), bei manchen von ihnen ist er Vollmitglied (OSZE, UNIDROIT, IAEA, WIPO). Gerade auf dem Gebiet der Förderung von Frieden und Menschenrechten findet die einstige Vermittlungsrolle des H.n S.s ein modernes Äquivalent, was im Einzelfall eine bilaterale Schlichtung und Streitbelegung auf Bitte der Beteiligten nicht ausschließt (so 1885 im Streit um die Karolinen zwischen dem Deutschen Reich und Spanien; zuletzt 1979–84 im Beagle-Konflikt zwischen Chile und Argentinien).