Handwerk

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  1. I. Wirtschaftswissenschaftlich
  2. II. Geschichtlich

I. Wirtschaftswissenschaftlich

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1. Begriff

Es gibt zahlreiche Versuche, H. als Berufstätigkeit, als Unternehmensform, als Wirtschaftsbereich oder als soziale Schicht zu fassen. So kann man H. arbeitssoziologisch als eine Gruppe von Berufstätigen begreifen, deren Mitglieder ihre Arbeit stark durch ihre Personalität prägen und sie mit einem bes.n Qualifikations- und Qualitätsanspruch ausüben. Auch kann man philosophisch „H.“ als eine praktische, auf Problemlösung im Einzelfall angelegte Tätigkeit von „Mundwerk“ als einer reflexiv-theoretischen Tätigkeit unterscheiden. Vorherrschend ist jedoch eine pragmatisch-positivistische Sichtweise, die unter H. das versteht, was ihm jeweils durch Gesetzgebung zugeordnet und deshalb durch spezifische gewerbe- oder bildungsrechtliche Regelungen als Wirtschaftsbereich verfasst ist, wie dies insb. in den deutschsprachigen Ländern der Fall ist.

2. Organisation und Recht

Die wechselvolle Organisationsgeschichte des H.s in Deutschland wurde 1953 durch die als Bundesgesetz verabschiedete HandwO in festere Bahnen gelenkt. Mit ihr wurde ein mittlerer Weg zwischen den bis dahin konkurrierenden liberalen und korporatischen Ordnungsmodellen eingeschlagen. Sie sieht insb. eine Pflichtmitgliedschaft der Betriebe, der Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung und der Lehrlinge in den HWKn als Selbstverwaltungskörperschaften sowie eine Zulassungspflicht zur Gewerbeausübung („Großer Befähigungsnachweis“) vor.

Den derzeit 53 HWKn obliegt nicht nur das Führen der H.s- und der Lehrlingsrolle, die Bestellung von Vereidigung von Sachverständigen oder die Gewerbeförderung, sondern auch die Regelung und Überwachung der Lehrlingsausbildung sowie Angebote und der Erlaß von Vorschriften zur Fortbildung. Wichtigste Organe zur Selbstverwaltung der HWKn sind Vollversammlung, Vorstand und Präsidium, denen jeweils zu zwei Dritteln Vertreter der Betriebsinhaber und zu einem Drittel Vertreter der Arbeitnehmer angehören.

Wie die HWKn sind die ihnen durch Rechtsaufsicht unterstellten Innungen K. d. ö. R., allerdings mit freiwilliger Mitgliedschaft. Für jedes Gewerk kann im gleichen Bezirk jeweils nur eine Innung gebildet werden. Die Innungen sind Pflichtmitglieder bei der Kreishandwerkerschaft, in deren Bezirk sie ihren Sitz hat, und lassen i. d. R. ihre Geschäfte von dieser führen. Sie vertreten die gewerblichen Interessen eines Gewerks oder mehrerer fachlich nahestehender Gewerke, fungieren als Tarifpartner und Arbeitgeberverband und können von der jeweiligen HWK zum Erlass von Gesellenprüfungsordnungen und zum Einrichten von Gesellenprüfungsausschüssen ermächtigt werden. Deren Organisationsgrad ist je nach Gewerk sehr unterschiedlich, aber insgesamt und langfristig rückläufig. Daraus resultiert ein anhaltender Fusionsprozess.

Privatrechlich sind die HWKn und Innungen regional und auf Bundesebene jeweils zu Verbänden zusammengeschlossen. Im „Zentralverband des Deutschen Handwerks“ (ZDH) als Dachverband sind die allermeisten H.s-Organisationen repräsentiert. Aktuelle Reformdiskussionen zur H.s-Organisation in Deutschland zielen auf die Modernisierung der Kammerverwaltungen (E-Government, Transparenz), die Stärkung des ehrenamtlichen (Freiwilligenarbeit) Engagements (Rekrutierung, Wahlrecht), die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Innungen als Fachverbände und Tarifpartner sowie eine stärkere institutionelle und personelle Entflechtung von Kammer- und Innungsorganisationen.

Während die organisationsrechtlichen Vorschriften der HandwO seit 1953 nicht grundlegend verändert wurden, erlebten die gewerberechtlichen Regelungen zwei wesentliche Reformen: Zum einen wurden 1965 etliche Berufe (z. B. Bestatter, Kosmetiker) als „handwerksähnliches Gewerbe“ ohne Zulassungspflicht in das H. (Anlage B, heute B2) integriert, zum Anderen erfolgte 2004 im Zusammenhang mit der „Agenda 2010“ eine weitgehende Liberalisierung der Zulassungspflicht, mit der verfassungs- und europarechtliche Bedenken aufgenommen wurde. So wurden nicht nur die Zulassungsvoraussetzungen erheblich flexibilisiert (z. B. „Altgesellenregelung“), sondern auch die Zulassungspflicht in vielen, nun zulassungsfreien H.en ganz abgeschafft (Anlage B1). Diese Liberalisierung blieb umstritten, dürfte aber in ihren Wirkungen sowohl von Befürwortern als auch Kritikern überschätzt werden. Stark gestiegenen Betriebszahlen und rückläufigen Meisterfortbildungen in einzelnen Gewerken (z. B. Fliesenleger) stehen geringe oder nicht nachweisbare Effekte auf Umsatz, Preisentwicklung, Beschäftigung oder Ausbildungsleistung gegenüber. Auch nach der erfolgten Liberalisierung bleibt die Zulassungspflicht im H. – wie auch Zulassungsregeln in anderen Berufen – im Visier der europäischen Wettbewerbspolitik, obwohl sie verfassungsrechtlich und wettbewerbspolitisch v. a. mit Verweis auf die Gefahrgeneigtheit bestimmter Tätigkeiten begründet werden kann. 2017 sind 41 Gewerke dem zulassungspflichtigen H., 53 dem zulassungsfreien H. und 57 dem handwerksähnlichen Gewerbe zugeordnet, wobei die Abgrenzung zum IHK-Bereich nicht ganz trennscharf ist und viele Betriebe Doppelmitgliedschaften führen.

3. Wirtschaftliche Bedeutung und Struktur

Funktional erstreckt sich die Bedeutung des H. in der Gesamtwirtschaft auf Herstellung von Gütern, Installation und Montage, Wartung und Reparatur, Erbringung von Dienstleistungen, Planungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeiten, Handelstätigkeit sowie Ausbildung des Fachkräftenachwuchses über den eigenen Bedarf hinaus. Diese Funktionen spiegeln sich auf unterschiedliche Weise in den sieben Gewerbegruppen des H.s wider: Bauhauptgewerbe (z. B. Maurer), Ausbaugewerbe (z. B. Elektrotechniker), H.e für den gewerblichen Bedarf (z. B. Metallbauer), Kfz-Gewerbe, Lebensmittelgewerbe (z. B. Bäcker), Gesundheitsgewerbe (z. B. Augenoptiker) und Personenbezogene Dienstleistungen (z. B. Friseur).

Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung des H.s stehen insb. aus den organisationseigenen Statistiken des ZDH, aus der vierteljährlichen H.s-Berichterstattung der statistischen Ämter sowie aus den amtlichen H.s-Zählungen zur Verfügung, die seit 2008 als jährliche Auswertungen der im Unternehmensregister verfügbaren Verwaltungsdaten vorgelegt werden. Das deutsche H. stellte demnach 2016 mit knapp 1 Mio. Betriebe über 16 % aller Unternehmen, beschäftigte mit 5,5 Mio. tätigen Personen etwa jeden achten Erwerbstätigen und trug mit einem Umsatz von ca. 561 Mrd. Euro etwa 8 % zur Bruttowertschöpfung bei. Dahinter steht eine Betriebsstruktur, die zu 80 % von Betrieben unter 10 Beschäftigten und von Einpersonenunternehmen geprägt ist. In den letzten Jahrzehnten sank die Beschäftigung leicht und die Umsatzentwicklung blieb wegen der starken Abhängigkeit des H.s von der Binnenkonjunktur zumeist hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurück. Die Betriebszahlen nahmen wegen der Gründungsdynamik im zulassungsfeien H. v. a. nach 2004 deutlich zu, haben sich aber inzwischen stabilisiert. Das zulassungspflichtige H. ist v. a. beim Umsatz nach wie vor dominant, das zulassungsfreie H. trägt wegen des personalintensiven und von großen Betriebseinheiten geprägten Gebäudereiniger-H.s stark zur Beschäftigung bei. Typologisch lassen sie die heterogenen Entwicklungen von Betriebszahlen, Umsatz und Beschäftigung fassen, indem man unterscheidet zwischen: schrumpfenden Gewerken (z. B. Informationstechniker, Schuhmacher), expansiven Gewerken (Feinwerkmechaniker, Gesundheits-H.e), Konzentrationsgewerken mit wachsendem Gewicht großer Betriebe (Lebensmittelgewerbe, Elektromaschinenbauer), Dekonzentrations-H.en mit wachsender Bedeutung von kleinen und Kleinstbetrieben (Fliesenleger, Maler und Lackierer) sowie Polarisierungs-H.en (Elektrotechniker, Glaser), in denen mittlere Betriebsgrößen an Gewicht verlieren. Dahinter stehen in den einzelnen Märkten erhebliche Herausforderungen für die Wettbewerbssituation des H.s: technologisch bedingte Dynamik der Berufsbilder und Geschäftsmodelle, Konkurrenz durch nichthandwerkliche Anbieter, Infragestellung des dreistufigen Vertriebswegs durch Hersteller, Großhandel oder Plattformanbieter, Druck durch öffentliches Vergaberecht und -praxis (Generalunternehmer- und Öffentliche-Private-Partnerschaft-Vergabe statt Fach- und Teillosvergabe) und durch wirtschaftliche Betätigung öffentlicher Unternehmen, Nachfrageveränderungen durch demographischen Wandel, Auswirkungen der Digitalisierung auf Produktionsprozesse, Marketing und Unternehmenskooperation sowie Dynamik der technischen und betriebswirtschaftlichen Qualifikationsanforderungen. Das H. ist wie der Mittelstand insgesamt durch politische Regulierung verhältnismäßig stärker als Großunternehmen belastet (z. B. ESt und GewSt, Bürokratiebelastung, industriepolitisch geprägte Normierung technischer Standards). Eine ordnungspolitisch reflektierte H.s-Politik sollte als wichtige Säule der Mittelstandspolitik daher vorrangig darauf achten, dass die Rahmenbedingungen von vornherein handwerks- und mittelstandsverträglich gestaltet werden, und nicht erst im Nachhinein über Ausnahmeklauseln auf einen Nachteilsausgleich hinzuwirken versuchen. In der handwerksspezifischen Gewerbeförderungspolitik spielen Beratungsangebote sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen, Betriebsübergaben und Innovationsprozessen eine wichtige Rolle.

4. Bedeutung für Qualifizierung

Mit 363 000 Auszubildenden und über 96 000 Gesellenprüfungen (2016) trägt das H. zu etwa 27 % zur beruflichen Bildung bei, wobei etwa die Hälfte der Ausgebildeten früher oder später in andere Wirtschaftsbereiche wechselt und dort zur Fachkräftesicherung beiträgt. Die Ausbildung erfolgt dual in den Betrieben und in den Berufskollegs. Im kleinbetrieblich geprägten H. wird die Ausbildung im Betrieb unterstützt durch überbetriebliche Unterweisungen, für die Kammern und Innungen eigene Bildungsstätten betreiben. Identitätsprägend für das H. ist das differenzierte System der Fort- und Weiterbildung, das der fachlichen Qualifizierung und der Rekrutierung des Unternehmernachwuchses dient und insb. die jährlich etwa 21 000 Meisterprüfungen umfasst.

Die Gesamtentwicklung der Berufsbildung ist langfristig deutlich rückläufig – nicht nur im H. Gründe dafür liegen im demographischen Wandel, im Wandel von Berufsvorstellungen von Jugendlichen, im sinkenden Stellenwert unternehmerischen Selbständigkeit und im durch EU und OECD forcierten Trend zu Abitur und akademischer Bildung. Zwar ist die Berufsbildung inzwischen durch den Europäischen bzw. Deutschen Qualifikationsrahmen anerkannt und damit z. B. die Gleichwertigkeit von Meisterfortbildung und Bachelor-Abschluss definiert. Aber der Stellenwert der Berufsbildung und die Rekutierung von Fachkräften und Unternehmernachwuchs sind damit nicht gesichert. Die Herausforderungen bestehen in der Attraktivität und Modernisierung der Berufsbilder, in einer verstärkten Rekrutierung von bislang unterrepräsentierten Zielgruppen wie Abiturierenten oder Frauen, der Etablierung von verbindlichen Qualitätsstandards in der Berufsbildung und der Verbesserung der Finanzierungssituation für Lehrpersonal, Infrastruktur und Ausstattung, in der Stärkung einer freiwilligen Qualifikationskultur im nicht zulassungspflichtigen Bereich, in dem Aufzeigen attraktiver Karrierewege (Durchlässigkeit zur akademischen Bildung, Entwicklung von dualen und trialen Angeboten zur Verknüpfung beruflicher und akademischer Bildung und/oder Ausbau einer „höheren Berufsbildung“ als Alternative zur akademischen Bildung). Profitieren würde die Berufsbildung darüber hinaus von einer stärkeren Profilierung der ökonomischen Bildung (Wirtschaftsordnung, Unternehmerbild) und der technischen Bildung (MINT-Fächer) sowie von einer ergebnisoffenen und praxisnahen Berufsorientierung und -vorbereitung an allen allgemeinbildenden Schulen.

5. Gesellschaftspolitische Bedeutung

Das H. wird geprägt von mittelständischen Unternehmensrechtsformen (Familienunternehmen, Mittelstand), bei denen Eigentum und Leitung bei voller Haftung in einer Hand liegen. Es bildet daher eine ordnungspolitische Gegenwelt zu managergeführten Unternehmen. Dank seiner hohen ökonomischen Stabilität trägt das H. – anders noch als in der Weimarer Republik – die Mittelschicht und das Bürgertum (Bürger, Bürgertum) mit seinen Werthaltungen. Durch die Möglichkeiten zum Aufstieg durch Qualifizierung hat es von je her große Bedeutung für die Integration von Zuwanderern (Migration). In Deutschland lässt sich wie in der Schweiz erkennen, dass ein breit verankertes System der Berufsbildung maßgeblich zu einer niedrigen Jugendarbeitlosigkeit führt. Das ehrenamtliche Engagement vieler H.er und die bes. Unternehmenskultur im H. tragen in hohem Maße zum Sozialkapital auf kommunaler Ebene bei. In der Lebenspraxis des H.s sind Prinzipien wie Personalität, Freiheit, Verantwortung und Subsidiarität, wie sie von der christlichen Soziallehre ausformuliert wurden, sehr präsent. Anders als in früheren Epochen steht das H. heutzutage für den freien und fairen Leistungswettbewerb und bildet damit soziologisch gesehen ein Fundament der Sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung.

II. Geschichtlich

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1. Begriff

Eine exakte Definition des H.s ist weder über seinen Gegenstandsbereich noch funktional möglich. Die namengebende Handarbeit findet sich auch in anderen Gewerben. Von der „Urproduktion“ in Landwirtschaft und Bergbau unterscheidet sich das H. durch die Weiterverarbeitung von Produkten, vom Dienstleistungssektor durch die Konzentration auf die Warenproduktion und von der Fabrikindustrie durch kleinere Betriebe, geringere Mechanisierung, individuelle und hochwertige Produkte und einen vornehmlich regionalen Absatz. Für alle Kriterien können Übergänge und Ausnahmen festgestellt werden, weshalb es sich beim H. um einen Typusbegriff im Sinne Max Webers handelt, der sich dem historischen Wandel flexibel angepasst hat.

2. Geschichte

2.1 Vorgeschichte

Die sensible Greifhand ist eines der Merkmale, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Handwerklich hergestellte Werkzeuge, Waffen und Kunstobjekte gehören zu den Artefakten vorschriftlicher Kulturen. Die ältesten Steingeräte werden auf ein Alter von 2,7 Mio. Jahren geschätzt. Anhand typischer Werkzeug- und Produktklassen werden Kulturen unterschieden. Die technische Perfektion vieler H.s-Erzeugnisse lässt den Schluss zu, dass es schon früh zur Spezalisierung und Unterweisung von „Lehrlingen“ gekommen sein muss. Fernhandel, etwa mit Feuersteinklingen, ist bereits in der Steinzeit nachweisbar. Großsiedlungen im Fruchtbaren Halbmond wiesen seit dem 10. Jahrtausend v. Chr. ein differenziertes, qualitativ hochstehendes H. auf.

2.2 Antike und frühes Mittelalter

Eine hohe Wertschätzung des H.s wird im Epos Homers sichtbar, wo die Götter selbst handwerklich tätig sind, und in Signaturen der Handwerker an ihren Werkstücken im 1. Jahrtausend v. Chr. In der klassischen Antike beschäftigten Werkstätten Sklaven, worunter das Ansehen des H.s litt. In der Spätantike ging mit dem Niedergang der Städte ein qualitativer und quantitativer Rückgang des H.s einher. Aus den Städten wanderten die Handwerker ab in Villikationen, große Grundherrschaften auf dem Land. Der langsame Wiederaufschwung des Gewerbes seit dem 7. Jh. brachte eine wachsende Marktproduktion, Spezialisierung und die Ansiedlung von Handwerkern in Handelsemporien (z. B. Haithabu beim heutigen Schleswig) hervor. Nachdem Rückschläge infolge der Einfälle von Normannen, Sarazenen und Hunnen überwunden waren, setzte sich der Aufschwung im Hochmittelalter fort. Das Zeitalter der Städtegründungen gab dem H. einen fruchtbaren Nährboden.

2.3 Hohes Mittelalter bis 19. Jh.

Zum H. zählten in Mittelalter und Früher Neuzeit auch Berufe wie Bader, Fischer, Gärtner und Krämer (Einzelhändler). Die meisten H.s-Betriebe bestanden aus dem Meister allein oder mit seiner Familie, vielleicht durch ein, zwei Lehrlinge oder Gesellen verstärkt. In Exportgewerben, dem Bausektor und der Buchdruckerei gab es größere Betriebe mit bis zu mehreren Dutzend Beschäftigten. Wer als Handwerker reich werden wollte, begann am besten mit einem Großhandelsgeschäft, z. B. als Verleger, der die Erzeugnisse seiner Kollegen fertigstellte und überregional verkaufte oder den Produzenten Rohstoffe, Werkzeuge oder Geld lieh.

Das H. konzentrierte sich in den Städten. In Gewerbezentren differenzierten sich die H.s-Berufe aus. Neben horizontaler entwickelte sich eine ausgeprägte vertikale Arbeitsteilung. Kunsthandwerkliche Spitzenprodukte wurden in Reichsstädten wie Nürnberg, Augsburg oder Köln und in Residenzen wie Berlin oder Wien gefertigt.

Auf dem Land fanden vorbereitende Arbeiten statt, einfache Tätigkeiten als winterlicher Nebenerwerb der Bauern, die Produktion für den Eigenbedarf sowie gewerbliche Arbeiten für die ländliche Grundversorgung und den Bedarf von Reisenden. Um Kosten zu senken und dem Zunftzwang zu entgehen, zogen Handwerker aus der Stadt in das Umland. Seit dem 16. Jh. entstanden ländliche Gewerberegionen, die für den Fernhandel arbeiteten, v. a. da, wo die Landwirtschaft allein zum Leben nicht ausreichte oder wo passende Rohstoffe oder Energiequellen vorhanden waren. Auf diesen Traditionen bauen bis heute Industriegebiete auf.

Reich, Territorien und Kommunen nahmen Einfluss auf das H. Sie regulierten Herstellung und Vertrieb der Grundnahrungsmittel (Brot, Fleisch, Bier, Wein), sorgten für Vorratshaltung für den Notfall, nutzten spezifische Ressourcen der Handwerker für öffentliche Aufgaben und normierten die Qualität der Fernhandelswaren.

Bes. kümmerten sie sich um die Zünfte. Die ältesten Hinweise auf H.s-Zünfte stammen aus Italien und Byzanz im 10. Jh. Seit dem 12. Jh. entfaltete sich das Zunftwesen in den meisten europäischen Ländern mit dem Schwerpunkt in Deutschland. Typische Kennzeichen waren die Zwangsmitgliedschaft aller Berufsangehörigen einer Stadt oder Region („Zunftzwang“) und die Funktion als marktordnende Einrichtungen. Zünfte erließen allg.e Geschäftsbedingungen, regelten die Usancen der Werbung, führten Qualitätskontrollen, Rohstoffeinkauf oder Zwischenhandel durch und sorgten für den Absatz auf Messen und die Festsetzung von Preisen, Löhnen und Angebotsmengen. Sie nahmen kommunale und staatliche, religiöse und soziale Aufgaben wahr und vertraten ihre Mitglieder in politischen Gremien. Die Ehre des H.s bedeutete Sozialprestige, einen angemessenen Platz in der Ständegesellschaft (Stand) und eine Basis für den Absatz. Nachdem anfänglich der Lehrling unmittelbar Meister geworden war, schuf man mit dem Wandergesellen eine Zwischenexistenz, die dem System wirtschaftliche Flexibilität verlieh. Die Wurzel vieler Zünfte in christlichen Gebetsbruderschaften schloss Juden von einer Mitgliedschaft aus, die Bedeutung der Ehre sog.e „unehrliche“ Leute und die Pflichtwanderschaft seit dem 16. Jh. Frauen.

Als die Staatsverwaltungen mächtiger wurden, verringerten sie den Einfluss der Zünfte unter dem Vorwand, gegen „Missbräuche“ (Abschlusstendenzen, Verschwendung) zu kämpfen. Sie genehmigten Ausnahmen von Zunftvorschriften und verringerten die Zunftautonomie. Mit dem Aufkommen der Industrie wurde der Zunftzwang unhaltbar. Trotz des Widerstandes von Meistern und v. a. Gesellen, die den Verlust ihres Status fürchteten, wurden die Zünfte zwischen 1810 (in Preußen) und 1869 zugunsten der Gewerbefreiheit abgeschafft.

2.4 Das Industriezeitalter

Weit mehr als Manufakturen war das H. eine Quelle der Industrialisierung. Unternehmer, Techniker und Arbeiter der Fabriken rekrutierten sich oft aus dem H. Während einige H.s-Zweige im Zuge der Industrialisierung sofort entfielen, weiteten andere sich zunächst noch aus oder verlagerten sich in Fabriken. Oft wurde die eigene Produktion ergänzt um den Handel mit auswärtig oder industriell hergestellten Produkten seiner Branche („H.s-Handel“).

Sah es im 19. Jh. anfänglich so aus, als zögen Dampfmaschinen zwingend große Betriebseinheiten nach sich, so gaben Petroleum-, Gas- und Elektromotoren bald den Kleinbetrieben wieder eine Chance. Dass H.s-Zweige wegen technischen Fortschritts oder neuer Kundenbedürfnisse wegfielen, war nichts Neues. Auf der anderen Seite entstanden neue Berufe wie Maschinenbauer oder Elektriker; Wagner, Sattler und Hufschmiede wurden durch Kfz-Mechaniker ersetzt, die schließlich Mechatronikern wichen. Aus Dentisten und Chirurgen, die zum H. zählten, wurden dank eines Studiums Ärzte, die man den freien Berufen zurechnet. Einige H.s-Zweige wandelten sich im Industriezeitalter vom Produzenten zum Zuarbeiter der Industrie, andere fanden ihren Erfolg in der Herstellung individueller, oft bes. hochwertiger Produkte. Im Nahrungs- und Baugewerbe bewähren sich H.s-Betriebe nach wie vor neben Fabriken; Vielfalt und Qualität ihrer Produkte garantieren ihnen ihren Platz.

In die Werkstätten der Handwerker zogen industriell hergestellte Werkzeuge und Maschinen ein. Gut ausgestattete H.s-Betriebe lassen sich von kleinen Fabriken technologisch kaum unterscheiden.

Vom Zunftwesen blieben Brauchtumsreste bei öffentlichen Festen und wandernde Gesellen, die das Straßenbild beleben, sowie Utensilien in Archiven und Museen. In Traditionsvereinen, Krankenkassen, Genossenschaften nach Hermann Schulze-Delitzsch, Gewerkschaften, die aus Gesellenverbänden entstanden, und Innungen lassen sich Spuren des Zunftwesens finden. Nach einer kurzen Phase der radikalen Gewerbefreiheit wandelte sich das politische Klima seit den 1880er Jahren. Seither ist H.s-Politik ein Kernbereich der Mittelstands- und – da das H. für die Industrie mit ausbildet – Teil der Industriepolitik.

Seit 1881 besitzen Innungen öffentlich-rechtlichen Charakter und die Zuständigkeit für die Lehrlingsausbildung. Freiwillige Innungen wurden ab 1900 zur „fakultativen Zwangsinnung“, der sämtliche Berufstätige einer Region angehören müssen, wenn die Mehrheit es beschließt. Seit 1908 gilt der „kleine Befähigungsnachweis“, der die Ausbildungsberechtigung, seit 1935 der „große Befähigungsnachweis“, der die Leitung eines Betriebes vom Meistertitel abhängig macht. Mit der HandwO von 1953 knüpfte die Bundesrepublik nach einer Unterbrechung durch die NS-Zwangswirtschaft und die Innungsferne der Alliierten wieder an die bewährte Linie an. Seit 1998 wurden einige Berufe vom großen Befähigungsausweis ausgenommen.

Ab dem 17. Jh. existierten im Gewerbe Körperschaften, die der Selbstverwaltung und der Beaufsichtigung durch den Staat dienten. Aus ihnen entwickelten sich zum 1.4.1900 per Reichsgesetz die HWKn. Was die Innungen für einzelne Berufe auf der örtlichen Ebene waren, wurden die Kammern für alle H.s-Zweige einer größeren Region.

3. Forschungsfragen

In den letzten Jahrzehnten ist die H.s-Geschichte um neue Problemstellungen bereichert worden: Fragen der Kultur-, Geschlechter- und Mentalitätsgeschichte, ausgewogenere Sichtweisen des Zunftwesens oder die Ergebnisse der Mittelalterarchäologie sind zu nennen. Trotzdem bestehen weiterhin viele offene Fragen. So gibt es etwa bis heute für die Epochen vor dem 19. Jh. keine präzisen Daten zu Anzahl und wirtschaftlicher Bedeutung der Handwerker. Auch die innovatorische Kraft des H.s ist nicht exakt zu messen.