Gleichheit

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  1. I. Philosophisch
  2. II. Sozialethisch

I. Philosophisch

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1. Philosophischer Begriff

G. bezeichnet ein Prinzip der politischen Philosophie. Mit ihm wird die Vorstellung einer gleichen Verteilung von Gütern oder Ansprüchen artikuliert, wodurch es einen zentralen Bestandteil philosophischer Gerechtigkeitskonzeptionen bildet. Die Idee der G. orientiert so das politische Handeln sowie den Aufbau der institutionellen Grundstruktur von Gesellschaften und gilt, wenn auch nicht unumstritten, neben Freiheit heute als zweiter Grundpfeiler einer normativen Theorie der Politik.

Der Begriff G. referiert auf die Beschaffenheit von Beziehungen und zwar in der Weise, dass wenigstens zwei verschiedene Personen, Gegenstände etc. dann gleich sind, wenn sie in mindestens einer, jedoch nicht jeder Hinsicht, voneinander nicht zu unterscheiden sind. Die Aussage, zwei Personen seien gleich, wäre also stets durch die Angabe zu präzisieren, in welcher Hinsicht sie dies sind. G. ist somit nicht mit Identität zu verwechseln, die eine Beziehung bezeichnet, in der wenigstens zwei Personen, Gegenstände etc. in jeder Hinsicht nicht zu unterscheiden wären. Des Weiteren ist G. auch nicht mit Allgemeinheit zu verwechseln. Aussagen, wie etwa, dass alle Menschen den gleichen Anspruch auf eine umfassende Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hätten, beziehen sich nur scheinbar auf G. In ihnen wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass Menschen im Vergleich mit anderen Menschen ein solcher Anspruch zukommt, sondern dass ihnen dieser absolut zukommt und für alle gilt.

2. Gleichheit als Egalitarismus

Die zeitgenössische Gerechtigkeitsdebatte ist wesentlich durch den Egalitarismus geprägt. Seine Hauptströmung bildet dabei der sog.e Glücksegalitarismus, dessen prominenteste Vertreter etwa John Rawls, Ronald Dworkin oder Gerald Allen Cohen sind. Die Bezeichnung Glücksegalitarismus erklärt sich dadurch, dass nur jene zwischen Menschen bestehenden Ungleichheiten ausgeglichen werden sollen, die den betroffenen Personen selbst nicht zuzurechnen sind. So soll einerseits die Bedeutung von bspw. Herkunft, Klassenzugehörigkeit und Geburtsort nivelliert werden, andererseits jedoch Eigenverantwortung und personale Autonomie gewahrt werden. In der Debatte über die Rolle von G. ist die Frage zentral, ob G. einen Eigenwert hat oder ob ihr vielmehr nur ein instrumenteller Wert zukommt. Die Forderung nach größerer G. muss nicht auf einem strikten Egalitarismus beruhen, für den gleiche Verhältnisse als solche einen Eigenwert haben. Vielmehr kann sich hinter solchen Forderungen die Einschätzung verbergen, die Herstellung von größerer G. würde das geeignete Mittel zu einem anderen Zweck darstellen. Ein solcher Zweck könnte etwa darin bestehen, dass es weniger Not oder Bedürftigkeit in einer Gesellschaft gibt, oder dass sich das Gesamtniveau des Wohlergehens erhöht oder aber, dass die Folgen von ungerechtfertigten Herrschaftsverhältnissen gemildert werden. Ideengeschichtlich von bes.r Bedeutung ist die Annahme, G. hätte einen instrumentellen Wert für die Etablierung und Bewahrung von solidarischen Sozialverhältnissen und sei hierfür sogar unverzichtbar. Einem solchen grundsätzlich instrumentellen Egalitarismus steht die Annahme gegenüber, ungeachtet der mit ihr verbundenen oder durch sie bewirkten weiteren Umstände, dass G. selbst ein Wert zukäme. Ein solcher strikter Egalitarismus richtet sich auf die spezifische Verfassung von Beziehungen, die zwischen Menschen bestehen, also darauf, wer wie viel wovon im Verhältnis zu wem hat. Eine solche Position ist mit dem Einwand der Angleichung nach unten konfrontiert. G. kann grundsätzlich dadurch erreicht werden, dass etwas gegeben oder etwas genommen wird. Die Forderung nach G. – und darauf zielt der Einwand ab – besagt an sich nichts über das Niveau an Gütern oder ähnliches, über das diejenigen verfügen, die in einer Beziehung zueinander stehen. Das Problem der Angleichung nach unten spielt in der zeitgenössischen Diskussion auch deshalb eine so große Rolle, da es sich als Testverfahren eignet, mittels dessen jeweils die Gründe aufgedeckt werden können, die einer normativen Forderung zugrunde liegen.

3. Ergebnis- oder Chancengleichheit

Eine egalitaristische Position, die auf eine strikte Ergebnis-G. abzielt, stellt die strikteste Form von Egalitarismus dar. Diese sieht vollkommen davon ab, wie die in einer Beziehung zueinanderstehenden Individuen selbst gehandelt und entschieden haben. Selbst wenn ein Individuum durch ihm vollständig zurechenbare Entscheidungen (etwa bezogen auf die Konsumtion von Gütern) ein anderes Niveau erreicht, spielt dies dem strikten Egalitarismus zufolge keine Rolle. Eine solche Position wird heutzutage von vielen Autoren als wenig plausibel angesehen. Aus der Perspektive der Gerechtigkeit scheint eine solche Perspektive auf G. nicht zu überzeugen, da sie Fragen von Verantwortung und individueller Zurechenbarkeit von Entscheidungen gerade nicht einbezieht. Demgegenüber verteidigen viele Autoren die Idee der Chancen-G. (Chancengerechtigkeit, Chancen-G.). Dieser zufolge soll jeder und jede die gleiche Gelegenheit im Leben haben, Vorstellungen und Ziele auch erreichen zu können. Während eine Ergebnis-G. von der Rolle des individuellen Handelns absieht, versucht die Idee der Chancen-G. dieses zu integrieren. Der Grundgedanke ist, dass „das Schicksal der Menschen von ihren Entscheidungen und nicht von ihren Lebensumständen bestimmt wird“ (Kymlicka 1997: 60). Obwohl es aktuell einen großen Konsens darüber gibt, dass Chancen-G. das angemessene Verständnis von G. ist, wird darunter Verschiedenes behandelt. Grundsätzlich lassen sich drei große Ansätze erkennen, die hier zum Zweck der Unterscheidung als formal, moderat und radikal bezeichnet werden. Dem formalen Verständnis von Chancen-G. zufolge, sollen unverdiente Eigenschaften wie Hautfarbe, Geschlecht oder Religion keine Nachteile darstellen. Die moderate Position geht hier weiter, da sie auch die Bedingungen des Erwerbs der Fähigkeiten egalisieren will, d. h. das Augenmerk auf die soziale Herkunft und Klasse der betroffenen Personen richtet. Hier geht es darum Chancen-G. dadurch zu erreichen, dass jede Form der gesellschaftlichen Benachteiligung beseitigt wird. Die radikale Konzeption geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Frage, wodurch die Nachteile jeweils verursacht werden – ob sie etwa durch die institutionelle Grundstruktur einer Gesellschaft bewirkt werden oder aber das Ergebnis von Zufall sind – für unerheblich erklärt. Entscheidend ist für diese Position alleine die Frage der realen Chancen-G.

4. Kritik des Egalitarismus

In der zeitgenössischen Debatte der politischen Philosophie wird der strikte Egalitarismus in drei Hinsichten kritisiert. Erstens wird kritisiert, dass ein Gerechtigkeitsverständnis, das nur Nachteile ausgleichen würde, die nicht in der individuellen Verantwortung von Personen liegen, inhuman sei. So argumentiert etwa Elizabeth Anderson, der Egalitarismus beinhalte, dass man den Opfern kalkulierten Pechs nicht zur Hilfe kommen müsse und dies wiederum würde „eine Missachtung des Gebots darstellen, diese Unglücklichen mit gleicher Achtung und gleicher Rücksicht zu behandeln“ (Anderson 2000: 128). Als Beispiel führt E. Anderson den Fall eines nicht versicherten Autofahrers an, der durch fahrlässiges Handeln einen Unfall verursacht, bei dem er stark geschädigt wird. Da dem Glücksegalitarismus zufolge dem Autofahrer vollständig die Folgen seiner Entscheidungen zuzurechnen seien, könne dieser nicht von der Gemeinschaft verlangen, dass diese ihm etwa eine medizinische Betreuung zukommen lasse. Auch würde der Glücksegalitarismus in anderen Fällen, in denen er etwa benachteiligten Personen Ansprüche zugestehen würde, dies aus falschen Gründen tun. So wäre es E. Anderson zufolge ein falscher Grund, wenn man kranken oder vereinsamten Menschen deswegen helfen sollte, da sie im Vergleich zu anderen schlechter gestellt wären. Diese auf einem Vergleich beruhende Begründung würde eine Stigmatisierung der Betroffenen darstellen und vollkommen den Punkt übersehen, dass Krankheit und Vereinsamung intrinsisch schlecht wären. Ähnlich argumentiert auch Joseph Raz, der die Ansicht vertritt, dass es eigentlich nie die Ungleichheit selbst sei, die uns an ungleichen sozialen Verhältnissen moralisch empören würde, sondern stets das jeweilige Elend, was mit diesen verbunden ist. Durch den Vergleich der Lebenssituation zweier Personen tritt nach J. Raz nur schärfer hervor, was praktisch geboten sei: dass nämlich derjenigen Person geholfen wird, die stärker von einem Missstand betroffen ist. Aber der Missstand besteht J. Raz zufolge nicht in der Ungleichheit, sondern ist aus sich heraus oder absolut schlecht. Eine weitere einflussreiche Form der Egalitarismuskritik hat Michael Walzer in seinem Buch „Sphären der Gerechtigkeit“ (Walzer 1992) vorgelegt. Gesellschaften seien durch unterschiedliche Bereiche geprägt, in denen jeweils unterschiedliche Gerechtigkeitsprinzipien angemessen wären. Diese Komplexität von Gerechtigkeit würde durch den Egalitarismus fälschlicherweise auf ein in allen Sphären gleichermaßen geltendes G.s-Prinzip reduziert werden.

In der Gegenwart begegnen v. a. zwei Positionen, die sich als eine Alternative zum Egalitarismus verstehen. Die an die Überlegungen von J. Raz anknüpfende Vorrangposition (prioritarianism) geht davon aus, dass nicht G. moralisch wertvoll sei, sondern das menschliche Wohlergehen in einer nicht-komparativen Weise den normativen Referenzpunkt darstellen müsse. Die Verteilung von Gütern wird hier dadurch ermittelt, dass den am schlechtesten gestellten Personen ein bes.r Vorrang zugestanden wird. Dieser erklärt sich jedoch nicht dadurch, dass diese Personen in Relation zu anderen schlechter gestellt sind, sondern dass sie absolut betrachtet in einer so schlechten Situation leben, dass ihnen elementare Güter zugesprochen werden müssen. Eine weitere Alternative stellt der u. a. von Harry Frankfurt entwickelte Suffizienzansatz dar. Diesem zufolge käme einer gleichen Verteilung auch kein intrinsischer Wert zu, entscheidend sei vielmehr, dass die betreffenden Individuen in einem ausreichenden Maße über die fraglichen Güter verfügen. Ungleichheiten jenseits eines solchen Niveaus kommen nach H. Frankfurt moralisch keine Bedeutung zu.

II. Sozialethisch

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1. Begriffliche Orientierung

Hilfestellung bei der Systematisierung des G.s-Begriffs liefern die in der englischen Sprache ausgebildeten Termini sameness und equality. Sameness bezieht sich auf inhaltliche Aspekte von G. und meint die Beziehung zwischen unterschiedlichen Dingen, wonach diese eine/mehrere (niemals alle) Eigenschaften gemeinsam haben; im Blick auf bestimmte Eigenschaften werden Vergleiche gezogen, denen zufolge G./Ungleichheit konstatiert wird. Equality füllt den Begriff in einem formal-normativen Sinn (alle Menschen sind „gleich“) und bezieht sich auf Konzeptionen der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. In der Geschichte geht dieser Equality-Anspruch oftmals mit einer erkämpften Forderung nach Gleichstellung einher.

2. Sitz im Leben – Erkämpfte Gleichheit

Historisch sind G.s-Bestrebungen insb. dort aufgetreten, wo innerhalb einer hierarchisch gestuften Ordnung Unrechts- und Ausschlusserfahrungen artikuliert worden sind. Es gab immer wieder – sozial mehr oder weniger dauerhaft wirksame – Bewegungen, die G. einforderten, wie etwa die Sklavenaufstände im Römischen Reich oder die Bauernkriege im 16. Jh. Zu einem gesellschaftlichen Durchbruch gelangte der G.s-Gedanke jedenfalls zur Zeit der Aufklärung, im Zuge derer G. sozial erkämpft wurde (vgl. die amerikanische „Bill of Rights“ von 1776; die französische „Erklärung der Menschenrechte“ von 1789). Infolgedessen wurde die G. als wesentlicher, meist in den politischen Verfassungen verankerter Grundwert implementiert. Im Kontext von Humanismus und Aufklärung erlangt die G.s-Idee somit eine politisch-rechtliche Relevanz. G. zählt fortan zu den wesentlichen Grundprinzipien moderner Staatlichkeit, wonach alle Staatsbürger die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen, egal welcher Herkunft, Religion, Hautfarbe oder welchem Geschlecht sie angehören. Die auf der G.s-Idee basierenden Grundrechte führen z. B. zur Abschaffung der Sklaverei oder zur Einführung des Frauenwahlrechts. Im Kontext dieser Entwicklungen entfaltete sich die Idee der Menschenrechte als universales, ethisches Prinzip und als Grundprinzip von Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) in demokratischen Gesellschaften.

3. Biblische Bezüge auf Gleichheit und deren Rezeption

Die Bibel hat eine lange Auslegungstradition, im Zuge derer auf den biblischen G.s-Begriff durchaus unterschiedlich Bezug genommen wurde. Häufig wird die in der Bibel verankerte G. als geistiges Ideal oder als Eigenschaft von Einzelnen verstanden (G. vor Gott), zumal sie in den damaligen, hierarchischen Gesellschaftssystemen meist keinen unmittelbaren gesellschaftlich-rechtlichen Niederschlag gefunden hat. Im AT wird G. anhand der Gottesebenbildlichkeitsvorstellung verdeutlicht: Der Mensch ist als Bild Gottes erschaffen; als Bild, d. h. als Repräsentant, demzufolge jeder Mensch auch zur Mitherrschaft Gottes berufen ist (z. B. Gen 5,1–2; Gen 9,6). Im NT wird auf jene Passagen Bezug genommen, die den Menschen als Ebenbild Gottes bezeichnen, der in bes.r Weise göttlichem Schutz untersteht (z. B. Jak 3,9). Jesu Umgang mit Zöllnern und Sündern (z. B. Lk 5, 27–32) wird als Verweis auf die G. aller Menschen gegenüber der vergebenden Liebe Gottes interpretiert (z. B. Lk 15; Mt 20,1–15). Bei Paulus wird die G.s-Idee fortgeführt, indem Gott sein Urteil „ohne Ansehen der Person“ fällt (z. B. Röm 2,11; aber auch Apg 10,34 f.) und alle Getauften „eins in Christus“ (z. B. Gal 3,27 f.; Kol 3,10 f.) sind, wenngleich sie als Sünder der Gnade bedürfen (z. B. Röm 3,23 f.).

Wenngleich es immer wieder Bestrebungen hinsichtlich einer sozial-ethischen Auslegung der Bibel in der Geschichte gab, fand die soziale Interpretation erst im 20. Jh. eine stärkere Verbreitung und weitgehende Akzeptanz. Demzufolge wird das biblische G.s-Ideal in der kirchlichen Soziallehre des 20. Jh. als sozialethische Kategorie ins Feld geführt und erhebt so einen gesellschaftlichen Anspruch auf Gleichbehandlung für alle.

4. Soziallehre der Kirche

Vor dem Hintergrund einer ständisch durchstrukturierten, hierarchisierten Gesellschaft musste um die Implementierung der G. innerhalb der Soziallehre der Kirche gerungen werden. Erst im 20. Jh. wird G. als normativ-ethische Kategorie mit einer sozialen Bedeutung in der Soziallehre der Kirche dauerhaft etabliert.

Ein fundamentaler Durchbruch hin zur Verankerung der G.s-Idee in der Soziallehre der Kirche findet in der Enzyklika „Pacem in terris“ (1963) statt. Schockiert von den menschenverachtenden Ereignissen des Zweiten Weltkrieges betont Papst Johannes XXIII. die Bedeutung der Achtung der Menschenrechte als notwendige Konsequenz einer christlichen Anthropologie. Zugl. wird die unauflösliche Beziehung zwischen Rechten und Pflichten in derselben Person unterstrichen, die wiederum für alle Menschen gleichermaßen gilt. Indem der Papst die AEMR von 1948 guthieß und unterstützte, wurde das Konzept unveräußerlicher Menschenrechte und Grundfreiheiten, und in diesem Sinne auch das Gebot der G. als „Menschenrecht für alle“, in die katholische Soziallehre integriert. Im Rahmen des dort verankerten Personalitätsprinzips, welches auf der Personenwürdevorstellung beruht, wird der G.s-Anspruch innerhalb der Soziallehre der Kirche entfaltet. Zwar besagt dieser, dass die Menschen an sich nicht gleich (i. S. v. samenesss) sein können, da sie einmalig und individuell geschaffen sind; doch hinsichtlich ihrer Würde, die auf der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beruht, sind sie gleich. Die G. der Menschenwürde fordert sowohl eine freiheits- und bürgerrechtliche G. sowie ein sozial-gerechtes System, welches unter dem Postulat der Menschenrechte allen Bürgern die gleichen Chancen und Mittel bietet, am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren und frei das eigene Leben zu gestalten.

5. Systematische Aspekte

5.1 Gleichheit und Freiheit

Die Forderung nach Gleichbehandlung wurzelt in der Achtung des Menschen als Person. Ganz wesentlich zum Person-Sein des Menschen gehört wiederum die Freiheit. Das Freiheitspostulat befähigt den Menschen zur Entscheidung und macht ihn gleichsam zum Träger von Verantwortung (Personprinzip). Darauf baut wiederum die Idee der Menschenrechte auf, die gegenseitige Achtung und individuelle Freiheit fordert. Der universale Anspruch der Menschenrechte sowie der Universalismus der G. bringen die konkrete Handlungsmaxime hervor: „Alle Menschen sollen als Gleiche behandelt werden“. Ronald Dworkin interpretiert das Prinzip der Gleichbehandlung als Recht des einzelnen „auf dieselbe Weise mit Achtung und Rücksicht behandelt zu werden“ (Dworkin 1993: 79). Das bedeutet, dass niemand sozial und gesellschaftlich bevorzugt gegenüber einem anderen behandelt werden darf, solange nicht gute Gründe dafür eingebracht werden können.

G. und Freiheit werden mitunter auch in ein Spannungsverhältnis zueinander gesetzt. Während die Forderung nach mehr G. (z. B. Kommunismus) die Einschränkung von Privilegien nach sich zieht und die Freiheitsausübung mindert, kommt die Forderung nach mehr Freiheit (z. B. Libertarismus) den sozial Stärkeren zugute und mindert tendenziell die G. innerhalb der Gesellschaft. Im Zuge des Non-Egalitarismus wird G. als Grundnorm für entbehrlich gehalten und durch Normen der Solidarität ersetzt, die sich etwa aus der Pflicht ergeben, allen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Damit Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft erreicht werden kann, braucht es ein rechtlich gesichertes, relativ stabiles Gleichgewicht von Freiheit und G. Der normative Kern der G. soll dabei in gleicher individueller Freiheit bestehen.

5.2 Gleichheit und Differenz

Die Diskussion um G. und Differenz wurde v. a. sehr stark im Rahmen feministischer Theoriebildung (Feminismus) geführt. Im Zuge des G.s-Feminismus stellt die G. der Geschlechter (Geschlechtergerechtigkeit) den ethischen Bezugsrahmen dar. G. bildet das normative Hintergrundkonzept für diverse Forderungen nach gesellschaftlicher und politischer Gleichstellung sowie nach Umverteilung der Ressourcen. Es geht darum, Frauen genauso wie Männer zu behandeln, ihnen die gleichen gesellschaftlichen Möglichkeiten, Chancen und Rechte zuzugestehen. Der starke G.s-Bezug als normative Kategorie hat etwa ab den 1980er-Jahren Kritik hervorgerufen, die bes. auf die Bedeutung der Differenz als kategorialen Schlüsselbegriff hingewiesen hat. Der – in sich heterogen aufgestellte – sog.e Differenzfeminismus geht davon aus, dass es einen authentischen, eigentlichen Unterschied der Geschlechter gibt, der herausgearbeitet und beleuchtet werden muss. Gefordert wird die Aufwertung von Weiblichkeit (weibliche Werte, Erfahrungen, Eigenschaften) i. S. d. Anderen. Bei aller anfänglichen Kritik an der G.s-Idee und dem Versuch der Überwindung des G.s-Konzepts durch den Differenzfeminismus sind mittlerweile die Vermittlungsnotwendigkeit und -möglichkeiten in den Fokus gerückt. Einen G.s-Grundsatz mit Differenzbewusstsein schlägt Herta Nagl-Docekal vor: Indem alle Menschen „als Gleiche“ zu behandeln sind, sind einerseits der Anspruch auf Gleichberechtigung im Sinne einer Umverteilung von Arbeiten, Chancen, Macht und Einfluss sowie andererseits die kulturelle Anerkennung von Differenzen zusammenzudenken.

5.3 Gleichheit und Gerechtigkeit

Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklungen v. a. im 20. Jh. wurde die G.s-Idee auch auf sozialstaatliche Themen (Sozialstaat) bezogen, so etwa um gegen essenzielle Unterschiede in der Behandlung durch das ökonomische, politische, religiöse, sittliche Regelsystem einzutreten. In diesem Kontext wird etwa mehr Chancen-G. (Chancengerechtigkeit, Chancen-G.) eingefordert, um Benachteiligungen aufgrund unangemessener Wesenszuschreibungen bzw. Ausgangsbedingungen entgegenzuwirken. Mit der Forderung nach Chancen-G. wird auf sozial-gesellschaftlicher Ebene i. d. R. vom Staat verlangt, dass er kompensierende Maßnahmen setzt. So etwa im Sinne einer Kompensations-G. durch Sozialhilfe und Fürsorgearbeit, wodurch das Kriterium der Leistung bzw. der Begabung in Hinblick auf die Ausgangsbedingungen Privilegierter relativiert wird. Soziale G. richtet sich schließlich auch gegen das Bestehen von (allzu großen) Differenzen hinsichtlich Eigentum, Einkommen, (Aus-)Bildungsmöglichkeiten und Bildungsstand. Insb. in diesem Kontext bedarf die Vermittlung von G./Gleichbehandlung und Differenz einen Bezug auf die übergeordnete Kategorie der Gerechtigkeit (im Sinn eines tertium comparationis). G.s- und Gerechtigkeitsbestrebungen sind insofern unverzichtbar aufeinander bezogen, als dass einerseits sozio-ökonomische Voraussetzungen z. B. für gleiche Chancen zu schaffen sind (Distributionsebene) und andererseits auf der Anerkennungsebene jene Wertvorstellungen zu überwinden sind, die gleiche gesellschaftliche Beteiligungschancen verhindern. In diesem Kontext sind die sozialethischen Kriterien der Umverteilung und Anerkennung zentral, welche zwar als zwei unterschiedliche, aber miteinander zu verschränkende Aspekte sozialer Gerechtigkeit zu interpretieren sind. Gleiche Anerkennung ist als fundamentales Element von Gerechtigkeit zu integrieren, weil viele Ungerechtigkeitsverhältnisse mit mangelnder Anerkennung korrelieren. Letzteres stellt ein gerechtigkeitsethisches Problem dar, insofern mangelnde Anerkennung durch gesellschaftliche Institutionen entweder erzeugt oder zum Ausdruck gebracht wird. Eine andere Art der Verzahnung von G. und Gerechtigkeit unternimmt der Ansatz des Capability Approach: Durch die Ausbildung von Fähigkeiten sollen gleiche gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten (Partizipation) geschaffen werden und zukünftige berufliche sowie private Herausforderungen bewältigt werden können. Damit sollen die prinzipiellen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben geschaffen werden.