Gesetzgebung

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1. Allgemeine Bedeutung

Unter G. ist nicht nur das Verfahren, der Weg der G. zu verstehen, der zum Erlass des Gesetzes führt. In einer älteren, noch heute fortwirkenden Bedeutungsschicht besagt G. in erster Linie das bewusste und planmäßige Setzen von Recht, wobei nicht das Verfahren, sondern das Ergebnis des Verfahrens, die erlassenen Gesetze, im Vordergrund stehen. Insoweit ist G. Ausdruck einer gewandelten Auffassung über das Recht. Der im Mittelalter allg. gültige Vorrang des „guten alten Rechts“, das auf Herkommen und Tradition beruht, wurde abgelöst durch den Vorrang der staatlichen G. Diese stützte sich auf drei Faktoren: auf den aufklärerischen Gedanken der rationalen Erfassung und Gestaltung des naturrechtlich fundierten Rechts (Naturrecht), auf das Bedürfnis nach Vereinheitlichung des Rechts in den mehr oder weniger absolutistisch regierten europäischen Staaten und deutschen Territorien (Kodifikation) und – zunächst noch verborgen, aber mehr und mehr hervortretend – auf den Gedanken der Anpassung des Rechts an die Zeitverhältnisse. Dieser dritte Aspekt des Begriffs der G. steht mit dem kompetenz- und verfahrensrechtlichen G.s-Begriff in genetischem Zusammenhang. Mag die aufklärerische Idee der G. zunächst fern vom Verfahrensgedanken gestanden haben, da die Inhalte der G. weitgehend als naturrechtlich geprägt verstanden wurden, so warf doch die in der G. stattfindende Dynamisierung des Rechts in verschärfter Weise die Frage nach dem Gesetzgeber und nach der verfahrensrechtlichen Organisation der G. auf.

Der G. als Staatsfunktion kommt vor den beiden anderen Staatsfunktionen, der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und der Rechtsprechung, eine herausgehobene Stellung zu, da Vollziehung und Rechtsprechung an die geltenden Gesetze gebunden sind (sog.er Vorrang des Gesetzes). Dies gilt ganz allg. unabhängig davon, ob und wie die drei Staatsfunktionen voneinander getrennt sind. Die G. bestimmt im Rahmen verfassungsrechtlicher Vorgaben über den Schutz und den Ausgleich von Rechten zwischen den Bürgern, über das Strafrecht, über Rechte und Pflichten der Bürger gegenüber dem Staat, über die Staatsaufgaben, über die Art und Weise, in der diese wahrgenommen werden.

2. An der Gesetzgebung beteiligte Organe

Die verfassungsrechtlichen Modelle der G. lassen sich erst bewerten, wenn man weitere verfassungsrechtliche Grundentscheidungen und das tatsächliche Erscheinungsbild der Ausübung der staatlichen Herrschaft mit in den Blick nimmt. Nur so wird deutlich, ob z. B. die Trennung der G. von den anderen Staatsfunktionen nur äußere Fassade ist oder substantielle Bedeutung hat (Gewaltenteilung). Die wichtigste Unterscheidung in der Organisation der G. ist nämlich, ob diese zusammen mit den anderen Staatsfunktionen von ein und demselben Staatsorgan wahrgenommen wird bzw. unter der Kontrolle dieses Staatsorgans steht oder ob ein gewaltenteiliges System vorliegt, in dem die G. von den anderen Staatsfunktionen getrennt ist (Staatsorganisation). Solche Trennung lässt sich auf verschiedene Weisen durchführen, was nicht ohne Einfluss auf die Gestaltung des G.s-Verfahrens ist. Die prinzipielle Trennung von gesetzgebender und gesetzesvollziehender Gewalt hat John Locke damit begründet, dass es gefährlich sei, wenn die Legislative die von ihr erlassenen Gesetze auf den konkreten Fall anwenden könnte. Erst der Umstand, dass die der gesetzgebenden Versammlung angehörenden Bürger den Gesetzen und damit der die Gesetze anwendenden Gewalt selber unterworfen seien, garantiere gerechte Gesetze. Dieser antiabsolutistische Gedanke ist die Grundlage des gemäßigten Staates. Verfeinerungen der Gewaltenteilung liegen darin, dass die Funktion der G. selbst gewaltenteilig wahrgenommen wird. So war im monarchischen Konstitutionalismus regelmäßig die Übereinstimmung des Monarchen und der beiden Kammern zu jedem Gesetz erforderlich (z. B. Art. 62 preußische Verfassung von 1850). Das aus der vorangegangenen Zeit stammende G.s-Recht des Monarchen wurde durch die Mitwirkungsrechte der beiden Kammern beschränkt. Die beiden Kammern waren nach verschiedenen sozialen Gesichtspunkten zusammengesetzt und sollten sich gegenseitig mäßigen. Heute spielt die zweite Kammer für die G. weiterhin eine Rolle, wobei v. a. die föderalistische Staatsstruktur (Föderalismus) für die Bildung einer zweiten Kammer genutzt werden kann, die entweder aus der Mitte der Landesregierungen, aus der Mitte der Landesparlamente oder auf Grund von Wahlen in den einzelnen Ländern besetzt werden kann. Die zweite Kammer kann eine bloße Ratsfunktion haben, mitentscheiden, dazwischenliegende Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse haben oder je nach Materie verschiedene Mitwirkungsbefugnisse wahrnehmen. Außerhalb einer bundesstaatlichen Organisation kann die zweite Kammer auf Grund allg.er Wahlen, berufsständisch, auf Grund des Erbrechts oder monarchischer (präsidialer) Ernennung (englisches Oberhaus) zusammengesetzt werden. Die Frage der Intensität der Mitwirkung an der G. ist auch außerhalb föderalistischer Systeme heute eine Legitimitätsfrage, die zumeist zuungunsten solcher zweiten Kammern beantwortet wird.

G. kann in Demokratien auch unmittelbar durch das Volk durch Plebiszit (Volksentscheid) stattfinden. Regelmäßig erfolgt Verfassunggebung, seltener Verfassungsänderung durch Plebiszit. Aber auch einfache G. kann auf Grund eines Volksbegehrens, des Antrags eines am G.s-Prozess beteiligten Organs oder eines oder mehrerer Gliedstaaten dem Volksentscheid unterworfen werden. Volksentscheide verlangen ausgearbeitete Gesetzentwürfe der Antragsteller. Dem Volksentscheid können auch alternative Antworten auf eine Frage unterbreitet werden, die dann im Anschluss an den Volksentscheid vom Parlament nach Maßgabe des Volksentscheids zu regeln ist.

3. Gesetzgebung im Bundesstaat

Im Bundesstaat müssen die Zuständigkeiten auf dem Gebiete der G. durch die Bundesverfassung verteilt werden (Gewaltenteilung). Die meisten Bundesstaaten weisen die Materien der G. des Bundes ausdrücklich aus und überlassen im Übrigen den Ländern die G. Das Gewicht der den Ländern überlassenen Materien der G. entscheidet über die Substanz der ihnen verbliebenen politischen Gestaltungsmacht. Wenn im Wege der Verfassungsinterpretation ungeschriebene Bundeskompetenzen gefunden werden, so müssen sich diese auf Materien beschränken, die in untrennbarem Zusammenhang mit Bundesmaterien stehen. Eine Besonderheit des deutschen Verfassungsrechts besteht darin, dass die G.s-Kompetenz des Bundes in drei verschiedenen Formen erscheint:

a) Ausschließliche G. des Bundes besteht für Materien, in denen nur der Bund Gesetze geben soll (Art. 73 GG), es sei denn, er überträgt die G. auf die Länder (Art. 71 GG).

b) Im Bereich der konkurrierenden G. (Art. 74 GG) haben die Länder die Befugnis der G., solange und soweit der Bund von seinem G.s-Recht keinen Gebrauch macht (Art. 72 Abs. 1 GG).

c) Grundsatz-G. des Bundes im Haushalts- und Finanzplanungsrecht führt zu Gesetzen, die Bund und Länder gleichermaßen binden (Art. 109 Abs. 4 GG).

G. im Bundesstaat verlangt nicht nur Kompetenzverteilung, sondern auch gliedstaatlichen Einfluss auf die Bundes-G. Das geschieht regelmäßig durch eine zweite Kammer. Diese wird in der BRD in abgestufter Weise an der G. beteiligt.

4. Das Verfahren der Gesetzgebung

Dieses besteht aus drei oder vier Verfahrensabschnitten. a) Die Gesetzesinitiative führt zu b) Beratung und evtl. Beschlussfassung im Parlament; c) bei Mitwirkung einer zweiten Kammer sind deren Einflussrechte zu bestimmen und Verfahren für den Fall des Dissenses mit der ersten Kammer zu schaffen; d) das G.s-Verfahren endet mit der Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes.

a) Das Recht der Gesetzesinitiative haben regelmäßig die an der G. beteiligten Kammern (Häuser) und die Regierung, die zur Durchführung ihres Programms Gesetze braucht und deshalb von dem Initiativrecht sehr häufig Gebrauch macht. Innerhalb der Volksvertretung hat regelmäßig eine qualifizierte Minderheit das Recht der Gesetzesinitiative. Die eigentliche Anregung einer Initiative braucht nicht von dem initiativberechtigten Organ, sondern kann von Parteien, Verbänden oder einer Landesregierung ausgehen. In den meisten Zweikammersystemen werden Initiativen der Regierung über die zweite Kammer geleitet und umgekehrt, damit die erste Kammer vor Eintritt in die Beratung sowohl die Meinung der Regierung wie die der zweiten Kammer kennt.

b) Die Beratungen im Parlament werden eingeteilt in Plenar- und Ausschussberatungen. Nachdem im Plenum die Grundsatzfragen eines Gesetzentwurfs beraten worden sind, wird der Entwurf an Ausschüsse überwiesen, die über das Ergebnis ihrer Beratungen dem Plenum berichten, das dann nach weiterer Befassung mit dem Entwurf einen Gesetzesbeschluss fassen kann.

c) Falls eine zweite Kammer besteht, schließen sich deren Beratungen, die regelmäßig ebenfalls in Plenar- und Ausschussberatungen gegliedert werden, an die Beschlussfassung der ersten Kammer an. Unabhängig davon, ob eine zustimmende Entscheidung der zweiten Kammer für den Erlass des Gesetzes erforderlich ist oder ob die zweite Kammer nur ein von der ersten Kammer (ggf. qualifiziert) überstimmbares Veto einlegen kann, ist ein Vermittlungsausschuss notwendig, zumindest aber nützlich, der Kompromisslösungen erarbeiten und vorschlagen kann.

d) Nach einem zustimmenden Beschluss der zweiten Kammer oder nach Überstimmung deren Vetos durch die erste Kammer folgt die Ausfertigung durch das Staatsoberhaupt. In einem Einkammersystem könnte auch die Ausfertigung durch den Parlamentspräsidenten vorgesehen werden. Der Ausfertigung geht in den meisten Staaten eine Prüfung voraus, ob das Gesetz nach den dafür in der Verfassung normierten Regeln zustande gekommen ist. Gesetze, die außerhalb dieser Regeln verabschiedet worden sind oder die inhaltlich evident gegen die Verfassung verstoßen, brauchen nicht ausgefertigt zu werden und sollten es auch nicht. In den parlamentarischen Demokratien (anders in den Präsidialdemokratien) kommt dem Präsidenten hingegen keine Befugnis zu, ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz auf dessen politische Zweckmäßigkeit und Opportunität zu überprüfen.

5. Prinzipien des Gesetzgebungsverfahrens

5.1 Diskussion und Information

Diskussion und Information sind bereits entscheidende Merkmale im Stadium der Gesetzesinitiative. Die Initiativberechtigten sind i. d. R. Kollektivorgane oder, was die Initiative aus der Volksvertretung anbelangt, kollektiver Teil eines Kollektivorgans. Vor der Abstimmung über eine Vorlage wird durch Austausch von Argumenten eine Verständigung gesucht. Bei Regierungsvorlagen, die in der Staatspraxis der parlamentarischen Demokratien die größte Bedeutung haben, sind die je nach Sachgebiet sachkundigen Ministerien zu beteiligen. Ferner können schon im Initiativverfahren Sachverständige und Interessenvertreter herangezogen werden, die zusätzliche Informationen liefern. Auf dem Wege vom Referentenentwurf zum Kabinettsbeschluss kann der Gesetzentwurf veröffentlicht und damit eine ganz allg.e Diskussion angeregt werden, die in jedem Fall, spätestens mit der Einbringung ins Parlament, möglich wird. Das Regierungskabinett berät und stimmt über Gesetzentwürfe ab. Die Diskussion im Initiativverfahren setzt sich nach Vorlage des Gesetzentwurfs im Parlament fort, und zwar strukturiert in Diskussion über allg.e und Einzelfragen, um möglichst Klarheit über Konzeption und Detail zu gewinnen. Hilfen für die Diskussion stellen die Schriftlichkeit aller Diskussionsgrundlagen und ein gewisser Zeitabstand zwischen den Beratungsabschnitten dar, wenn neue Gesichtspunkte eingeführt werden. Damit wird dem einzelnen Abgeordneten die Möglichkeit gegeben, sich das zur Debatte stehende Gedankengut – ggf. mit Hilfe von Rücksprachen mit sachverständigen Fraktionsfreunden – klarzumachen. Da das Plenum des Parlaments ein zu großes Gremium für eine gründliche Diskussion ist, werden Gesetzentwürfe regelmäßig in Ausschüssen erörtert, die mit relativ sachkundigen Abgeordneten besetzt sind. Die Ausschüsse können bes. Informationssitzungen veranstalten, in denen Sachverständige angehört werden. Die Schlussabstimmung im Parlament beruht regelmäßig auf umfassender Information und Diskussion. Ggf. findet nochmalige Diskussion und Erweiterung der Information innerhalb der zweiten Kammer statt.

5.2 Öffentlichkeit

Neben Diskussion und Information zeichnet sich das G.s-Verfahren durch weitgehende Öffentlichkeit aus. Öffentlich sind die Beratungen im Plenum des Parlaments und ggf. der zweiten Kammer. Die Darlegung des G.s-Konzepts und die daran anschließende Diskussion finden vor der Öffentlichkeit statt und setzen sich damit der öffentlichen Kritik aus. Dabei können Gruppeninteressen sichtbar werden. Differenzierter ist das Verhältnis von Öffentlichkeit und Diskussion im Stadium der Gesetzesinitiative. Dieser Verfahrensabschnitt soll überhaupt erst einen Entwurf hervorbringen, der zur parlamentarischen und damit öffentlichen Beratung gestellt wird. Öffentlichkeit hat in diesem Verfahrensabschnitt zunächst den Sinn, sachliche Information über die der Regelung zugrunde liegende Materie zu ermöglichen, wobei Ansichten der vom Gesetz Betroffenen bedeutsam sind. Weiter bewirkt die Öffentlichkeit schon im Stadium des Initiativverfahrens, dass bis zu den Beratungen des Gesetzes im Parlament für Kritiker mehr Zeit bleibt, Argumente zu sammeln und zu begründen. Im Gegensatz zur Diskussion in den Plena der gesetzgebenden Kammern ist es zweckmäßig, deren Ausschüsse i. d. R. nicht öffentlich beraten zu lassen. Gerade durch einen nichtöffentlichen Verfahrensabschnitt kann das Verfahren gefördert werden. Die nichtöffentliche Debatte ermöglicht, die vor der Öffentlichkeit ausgetragenen politischen Kontroversen wenigstens teilweise auf Sachfragen zurückzuführen. Sofern ein Ausschuss die Aufgabe hat, zwischen gegensätzlichen Mehrheitsauffassungen zweier an der G. beteiligter Kammern zu vermitteln, ist es geradezu zwingend, dass dieser Ausschuss nicht öffentlich tagt. Mit der Zurückgabe der Sache an das Plenum des Parlaments wird das Verfahren wieder öffentlich, und zwar rückwirkend, indem über das Ergebnis der Ausschussberatungen öffentlich berichtet wird. Das Verfahren endet regelmäßig mit öffentlichen Abstimmungen.

6. Die Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens für den Inhalt des Gesetzes

Das Gesetz als Ergebnis eines verfassungsrechtlich geregelten Verfahrens steht im Gegensatz zur Vorstellung vom Gesetz als Befehl des Herrschers. Die übermäßige Betonung des Willens in der zweiten Formel wird in der ersten Formel durch Argumentation, Information, Öffentlichkeit, Vernunft, Kompromiss und durch Schutz vor leichtfertiger Majorisierung ersetzt. Das demokratische Element des Verfahrens bietet eine wichtige Garantie dafür, dass die G. nicht in die Hand der Vertreter einer bestimmten Weltanschauung fällt. Insoweit gewährleistet bereits das G.s-Verfahren eine gewisse inhaltliche Güte des Gesetzes. Daneben lässt sich dem Verfahren noch ein weiteres inhaltliches Moment entnehmen, und zwar eine Proportionalität von Erzeugungsverfahren und Wichtigkeit der Regelung. Die Qualität der gesetzgebenden Organe weist auf die grundlegende Bedeutung der Gesetze hin. Diese Organe können weder in beliebigem Umfang Einzelfälle regeln noch Normen erlassen, die zwar generell sind, die aber kaum allg.e politische Bedeutung haben oder die so schnell überholbar sind, dass das Erzeugungsverfahren länger dauert als die Normen anschließend wirksam sind. Die Knappheit der Zeit und die Grenzen der Detailkenntnis der gesetzgebenden Organe verbieten die Schaffung unwichtiger Normen. Das G.s-Verfahren ist darauf angelegt, möglichst dauerhafte, weitsichtig vorausgeplante und gut abgewogene Regelungen zu wichtigen Fragen des menschlichen Zusammenlebens hervorzubringen. Was wichtige Fragen von allg.er Bedeutung sind, beantworten die Verfassung durch die Gesetzesvorbehalte und der Gesetzgeber im Rahmen des Vorrangs des Gesetzes (Gesetz). Die Proportionalität von G.s-Verfahren und Gesetzesinhalt kann das G.s-Verfahren nur beherrschen, wenn der parlamentarische Gesetzgeber Delegationsmöglichkeiten hat (Rechtsverordnung, Satzung).

7. Notgesetzgebung

Für Zeiten schwerer Störungen des inneren Friedens oder für den Verteidigungsfall sehen die meisten Verfassungen ein vereinfachtes G.s-Verfahren der ordentlichen G.s-Organe vor und bestimmen für den Fall, dass diese nicht zusammentreten können, ein anderes gesetzgebendes Organ (Parlamentsausschuss, Regierung oder Präsident). Falls die Regierung oder der Präsident die G. übertragen bekommt, spricht man von Notverordnungsrecht. Das Beispiel des Art. 48 WRV, nach dem der Reichspräsident zur Wiederherstellung der erheblich gestörten öffentlichen Sicherheit und Ordnung die „nötigen Maßnahmen treffen“ konnte, stellt eine extrem weitgehende Ermächtigung dar, die zu Recht als Diktaturgewalt bezeichnet worden ist. Die schlechten Erfahrungen, die damit gemacht worden sind, haben dazu geführt, dass das GG bis zur Einführung der Notstandsverfassung ein Notgesetzgebungsrecht gar nicht vorgesehen hatte. Seit 1968 gilt für den Verteidigungsfall (Art. 115a GG) ein abgekürztes G.s-Verfahren (Art. 115d GG) bei erweiterter G.s-Kompetenz des Bundes (Art. 115c GG); falls einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, nimmt der Gemeinsame Ausschuss (Art. 53a GG) die G.s-Befugnisse von Bundestag und Bundesrat einheitlich wahr (Art. 115e GG) (Staatsnotstand und Staatsnotrecht).

Der in Art. 81 GG geregelte G.s-Notstand betrifft nicht eine Notstandslage des Staates, sondern eine Störung der Staatsfunktionen durch einen Mehrheitsverlust der Bundesregierung im Bundestag. Wenn in solch einem Fall der Bundestag nicht aufgelöst wird (Art. 68 GG), bekommt die Bundesregierung für eine kurz bemessene Zeit die Chance, für ihre Politik notwendige Gesetze mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen.

8. Gesetzgebungswissenschaft

In Staaten mit verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, in denen der Vorrang der Verfassung nicht nur auf dem Papier steht, sondern stets zur Wirksamkeit gebracht werden kann, ist die G.s-Wissenschaft in erster Linie mit der Frage beschäftigt, welche Voraussetzungen ein Gesetz erfüllen muss, um mit der Verfassung im Einklang zu stehen. Die Auslegung und Anwendung der Grundrechte spielt dabei eine bedeutende Rolle. G.s-Wissenschaft ist insoweit eine der Verfassungsrechtsdogmatik verpflichtete Wissenschaft. In der BRD hat das nahezu ausschließliche Interesse an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze andere Aspekte der G.s-Wissenschaft verkümmern und vergessen lassen.

Seit den 1970er Jahren lässt sich eine Besinnung auf die außerverfassungsrechtlichen Aspekte der G.s-Wissenschaft feststellen, die bes. aus Österreich Impulse erhalten hat. Es geht dabei um wichtige Zweckmäßigkeitsfragen der G., z. B. um die Wirtschaftlichkeit (auch des Vollzugs), Einfachheit, Verständlichkeit, Effektivität und Dauerhaftigkeit von Gesetzen. Die Vermeidung unliebsamer Neben- und Folgewirkungen sowie die Wirksamkeitskontrolle der Gesetze sind in die wissenschaftliche Fragestellung aufgenommen worden. Die Aufgabe einer umfassenden G.s-Wissenschaft ist es, Kriterien für sowohl zweckmäßige als auch verfassungsmäßige Gesetze sowie gegen jedes Übermaß an G. zu entwickeln. Zweckmäßig sind Gesetze dann nicht, wenn neben ihrer guten (beabsichtigten) Wirkung schlechte Nebenwirkungen eintreten, die wiederum staatliche Aktivitäten herausfordern.

Die Gründe für die mangelnde oder verfehlte Wirksamkeit von Gesetzen sind zahlreich und miteinander verwoben. Häufig erörtert worden sind die Fehlerursachen, die darauf zurückzuführen sind, dass die Gesetze nicht verständlich, nicht klar, nicht einfach genug sind, dass sie Missbrauch ermöglichen, weil sie menschlichen Grundhaltungen nicht genügend Rechnung tragen. So können festgefügte Auffassungen und Lebensgewohnheiten der Bürger nicht durch einen Federstrich des Gesetzgebers geändert werden. Es werden zu viele und zu detaillierte Gesetze erlassen, die zu oft geändert werden. Gesetze zielen häufig nur auf kurzfristige oder gar nur auf propagandistische Wirkung zur Beruhigung aufgebrachter Teile der Bevölkerung. Der Gesetzgeber nimmt die Realien des Soziallebens nicht immer hinreichend zur Kenntnis. Dabei geht es zum einen um Einzelheiten, über die man sich mit Hilfe von Sachverständigen informieren kann, aber auch um innere Zusammenhänge mit anderen gesetzlichen Regelungen, die nicht genügend berücksichtigt werden, weil die Wirklichkeit, nach ministeriellen Zuständigkeiten abgegrenzt, nur noch sektoral zur Kenntnis genommen wird. Ideologische Verengung der Wirklichkeitssicht und der Glaube an die Machbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse in einer sozialtechnologischen Sicht der Gesellschaft verleiten dazu, über Lebenserfahrungen hinwegzugehen, da diese als für die Zukunft nicht verbindlich betrachtet werden.

Die geschilderte Lage der G. ist tief verwurzelt in den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, die zu einer ständigen Überforderung der G. führen. Erst wenn die Bürger und die Politiker in den westlichen Demokratien wieder bereit sind, weniger vom Staat zu fordern bzw. weniger mit den Mitteln der G. erreichen zu wollen, kann die G. stabiler und besser werden. Insb. müssen die Politiker der Verlockung widerstehen lernen, aus der Position der Mehrheit Gesetze zu erlassen, die nicht hinreichend durchdacht, nicht mit dem übrigen Recht abgestimmt, schlecht konstruiert und unangemessen teuer im Vollzug sind. Von Seiten der G.s-Wissenschaft kann dazu beigetragen werden, dass die Gesetze sprachlich, technisch und unter dem Gesichtspunkt der Kongruenz mit den bestehenden Gesetzen verbessert werden. Außerdem halten solche Bemühungen, die institutionalisierten G.s-Diensten übertragen werden könnten, das Bewusstsein wach, dass der G. Grenzen gezogen sind. Soweit sich die Gesetzesmaterien dazu eignen, sollten Gesetzentwürfe durch Praxistests auf ihre Vollzugseignung geprüft werden. Über geltende Gesetze sollten Vollzugsberichte für die Parlamente erstellt werden.