Genfer Konventionen: Unterschied zwischen den Versionen

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Dem Leiden im zivilisatorischen Ausnahmezustand des {{ #staatslexikon_articlemissing: Krieges | Krieg }} normative Grenzen zu setzen ist nicht nur eine Grundkonstante religiöser, ethischer und moralischer Reflexion, sondern es finden sich vielmehr zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen auch immer wieder (vereinzelte) Beispiele „humanitärer“ Praxis (Schonung von Frauen und Kindern, Wohn- und Kultstätten, Austausch von Gefangenen). (Völkervertrags-)rechtlich verbindliche Mindeststandards für eine unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Konfliktopfern legitime Art und Weise der Kriegführung sind indes erst ab der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jh. formuliert worden. Das Herzstück dieses Kernbereichs des humanitären {{ #staatslexikon_articlemissing: Völkerrechts | Völkerrecht }} <I>(ius in bello)</I> bilden bis heute die G. K. oder auch Genfer (Rotkreuz-)Abkommen. Dabei verbietet das „Genfer Recht“ nicht den Krieg als solchen (kein <I>ius contra bellum</I>). Sein Leitgedanke ist vielmehr die Begrenzung kriegerischer [[Gewalt]] auf das militärisch (absolut) Notwendige, ergänzt durch das allg.e Humanitätsgebot (sog.e <I>Martens’sche Klausel</I>). Dem im Genfer Recht näher spezifizierten Unterscheidungsgebot – zwischen kämpfenden {{ #staatslexikon_articlemissing: Soldaten | Soldat }} (Kombattanten) sowie militärischen Objekten einerseits und Opfern des Krieges (Verwundete, Gefangene, Zivilbevölkerung) sowie zivilen Objekten andererseits – kommt insoweit eine Schlüsselrolle zu.
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Dem Leiden im zivilisatorischen Ausnahmezustand des [[Krieg|Krieges]] normative Grenzen zu setzen ist nicht nur eine Grundkonstante religiöser, ethischer und moralischer Reflexion, sondern es finden sich vielmehr zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen auch immer wieder (vereinzelte) Beispiele „humanitärer“ Praxis (Schonung von Frauen und Kindern, Wohn- und Kultstätten, Austausch von Gefangenen). (Völkervertrags-)rechtlich verbindliche Mindeststandards für eine unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Konfliktopfern legitime Art und Weise der Kriegführung sind indes erst ab der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jh. formuliert worden. Das Herzstück dieses Kernbereichs des humanitären {{ #staatslexikon_articlemissing: Völkerrechts | Völkerrecht }} <I>(ius in bello)</I> bilden bis heute die G. K. oder auch Genfer (Rotkreuz-)Abkommen. Dabei verbietet das „Genfer Recht“ nicht den Krieg als solchen (kein <I>ius contra bellum</I>). Sein Leitgedanke ist vielmehr die Begrenzung kriegerischer [[Gewalt]] auf das militärisch (absolut) Notwendige, ergänzt durch das allg.e Humanitätsgebot (sog.e <I>Martens’sche Klausel</I>). Dem im Genfer Recht näher spezifizierten Unterscheidungsgebot – zwischen kämpfenden {{ #staatslexikon_articlemissing: Soldaten | Soldat }} (Kombattanten) sowie militärischen Objekten einerseits und Opfern des Krieges (Verwundete, Gefangene, Zivilbevölkerung) sowie zivilen Objekten andererseits – kommt insoweit eine Schlüsselrolle zu.
 
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Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Genfer Rechts gilt es wie folgt zu unterscheiden: Umfassend anwendbar sind die Bestimmungen der vier G. K. von 1949, ergänzt und erweitert durch das ZP I von 1977, nur auf internationale, d.&nbsp;h. zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte, und zwar unabhängig von der Anerkennung eines Kriegszustandes bzw. einer Kriegserklärung seitens der Konfliktparteien, sowie daneben auch auf Gebietsbesetzungen, selbst wenn diese gewaltlos erfolgen (Besatzungsrecht). Hingegen gilt für nicht-internationale bewaffnete Konflikte (also solchen unter Beteiligung zumindest einer nichtstaatlichen Partei), die eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten (keine bloßen Tumulte oder nur vereinzelt auftretende Gewalttaten) und deren (nichtstaatliche) Konfliktpartei(en) über einen gewissen (Mindest-)Organisationsgrad verfügen, völkervertragsrechtlich nur ein im gemeinsamen Art.&nbsp;3 der G. K. 1949 festgelegter humanitärer Mindeststandard, der sodann durch das ZP II (1977) weiter ausgebaut worden ist. Unter den Begriff der Streitkräfte fallen zwar heute alle organisierten bewaffneten Kräfte, Gruppen und Einheiten, die sich einer Konfliktpartei zuordnen lassen und unter deren verantwortlichem Kommando stehen (erweiterter Streitkräftebegriff unter Einschluss von Guerillakämpfern; [[Guerilla]]). (Nichtstaatliche) Teilnehmer an „traditionellen“ Bürgerkriegen sind aber nach wie vor nicht als Kombattanten anerkannt, ihnen kommt damit auch kein Kriegsgefangenstatus zu. Das Genfer Recht schützt den von ihm erfassten Personenkreis vor Beeinträchtigungen der {{ #staatslexikon_articlemissing: Menschenwürde | Menschenwürde }}, [[Folter]], Tötung, Verurteilung und Hinrichtung ohne ordentliches Gerichtsverfahren, [[Geiselnahme]] und Vergeltungsmaßnahmen (strenges Repressalienverbot). Die Geschützten können nicht wirksam auf ihre Rechte verzichten. Das ZP I (1977) verbietet nun auch ausdrücklich Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie „unterschiedslose Angriffe“, die militärische Ziele und Zivilpersonen bzw. zivile Objekte unterschiedslos treffen können und schließlich konnte auch der Schutz der natürlichen Umwelt sowie von Kulturgütern vor Kriegseinwirkungen gestärkt werden. Das (2017) von 123 Staaten ratifizierte Römische Statut des IStGH (1998; {{ #staatslexikon_articlemissing: Internationale Strafgerichtsbarkeit | Internationale Strafgerichtsbarkeit }}) stellt schwere Verstöße gegen die Schutznormen der G.&nbsp;K. als Kriegsverbrechen unter Strafe; entspr.e Verurteilungen sind bereits zuvor schon im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg (1991–95) und dem {{ #staatslexikon_articlemissing: Völkermord | Völkermord }} in Ruanda (1994) erfolgt. In einer Vielzahl von Bestimmungen weisen die G.&nbsp;K. dem IKRK eine bes. Rolle als Motor und Hüterin des humanitären Völkerrechts zu (u.&nbsp;a. Zugangsrechte zu Kriegsgefangenlagern, Hilfsaktionen zugunsten von Kriegsopfern).
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Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Genfer Rechts gilt es wie folgt zu unterscheiden: Umfassend anwendbar sind die Bestimmungen der vier G. K. von 1949, ergänzt und erweitert durch das ZP I von 1977, nur auf internationale, d.&nbsp;h. zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte, und zwar unabhängig von der Anerkennung eines Kriegszustandes bzw. einer Kriegserklärung seitens der Konfliktparteien, sowie daneben auch auf Gebietsbesetzungen, selbst wenn diese gewaltlos erfolgen (Besatzungsrecht). Hingegen gilt für nicht-internationale bewaffnete Konflikte (also solchen unter Beteiligung zumindest einer nichtstaatlichen Partei), die eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten (keine bloßen Tumulte oder nur vereinzelt auftretende Gewalttaten) und deren (nichtstaatliche) Konfliktpartei(en) über einen gewissen (Mindest-)Organisationsgrad verfügen, völkervertragsrechtlich nur ein im gemeinsamen Art.&nbsp;3 der G. K. 1949 festgelegter humanitärer Mindeststandard, der sodann durch das ZP II (1977) weiter ausgebaut worden ist. Unter den Begriff der Streitkräfte fallen zwar heute alle organisierten bewaffneten Kräfte, Gruppen und Einheiten, die sich einer Konfliktpartei zuordnen lassen und unter deren verantwortlichem Kommando stehen (erweiterter Streitkräftebegriff unter Einschluss von Guerillakämpfern; [[Guerilla]]). (Nichtstaatliche) Teilnehmer an „traditionellen“ Bürgerkriegen sind aber nach wie vor nicht als Kombattanten anerkannt, ihnen kommt damit auch kein Kriegsgefangenstatus zu. Das Genfer Recht schützt den von ihm erfassten Personenkreis vor Beeinträchtigungen der [[Menschenwürde]], [[Folter]], Tötung, Verurteilung und Hinrichtung ohne ordentliches Gerichtsverfahren, [[Geiselnahme]] und Vergeltungsmaßnahmen (strenges Repressalienverbot). Die Geschützten können nicht wirksam auf ihre Rechte verzichten. Das ZP I (1977) verbietet nun auch ausdrücklich Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie „unterschiedslose Angriffe“, die militärische Ziele und Zivilpersonen bzw. zivile Objekte unterschiedslos treffen können und schließlich konnte auch der Schutz der natürlichen Umwelt sowie von Kulturgütern vor Kriegseinwirkungen gestärkt werden. Das (2017) von 123 Staaten ratifizierte Römische Statut des IStGH (1998; [[Internationale Strafgerichtsbarkeit]]) stellt schwere Verstöße gegen die Schutznormen der G.&nbsp;K. als Kriegsverbrechen unter Strafe; entspr.e Verurteilungen sind bereits zuvor schon im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg (1991–95) und dem {{ #staatslexikon_articlemissing: Völkermord | Völkermord }} in Ruanda (1994) erfolgt. In einer Vielzahl von Bestimmungen weisen die G.&nbsp;K. dem IKRK eine bes. Rolle als Motor und Hüterin des humanitären Völkerrechts zu (u.&nbsp;a. Zugangsrechte zu Kriegsgefangenlagern, Hilfsaktionen zugunsten von Kriegsopfern).
 
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<h2 class ="headline-w-margin">4. Entwicklungen und Ausblick</h2>
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:08 Uhr

1. Grundgedanken

Dem Leiden im zivilisatorischen Ausnahmezustand des Krieges normative Grenzen zu setzen ist nicht nur eine Grundkonstante religiöser, ethischer und moralischer Reflexion, sondern es finden sich vielmehr zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen auch immer wieder (vereinzelte) Beispiele „humanitärer“ Praxis (Schonung von Frauen und Kindern, Wohn- und Kultstätten, Austausch von Gefangenen). (Völkervertrags-)rechtlich verbindliche Mindeststandards für eine unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Konfliktopfern legitime Art und Weise der Kriegführung sind indes erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. formuliert worden. Das Herzstück dieses Kernbereichs des humanitären Völkerrechts (ius in bello) bilden bis heute die G. K. oder auch Genfer (Rotkreuz-)Abkommen. Dabei verbietet das „Genfer Recht“ nicht den Krieg als solchen (kein ius contra bellum). Sein Leitgedanke ist vielmehr die Begrenzung kriegerischer Gewalt auf das militärisch (absolut) Notwendige, ergänzt durch das allg.e Humanitätsgebot (sog.e Martens’sche Klausel). Dem im Genfer Recht näher spezifizierten Unterscheidungsgebot – zwischen kämpfenden Soldaten (Kombattanten) sowie militärischen Objekten einerseits und Opfern des Krieges (Verwundete, Gefangene, Zivilbevölkerung) sowie zivilen Objekten andererseits – kommt insoweit eine Schlüsselrolle zu.

2. Geschichte

Entstehung, Entwicklung, Inhalt und Durchsetzung der G. K. sind eng verknüpft mit der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, und insoweit an erster Stelle mit dem IKRK in Genf (Rotes Kreuz). Auf Initiative des Komitees (u. a. Henry Dunant, Gustave Moynier) wurde 1864 die erste G. K. „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde“ unterzeichnet und deren Anwendungsbereich – nach Erweiterungen und Verbesserungen (1906) – im Jahre 1907 (10. Haager Abkommen) auf den Seekrieg ausgedehnt (Neufassung 1929). Anknüpfend an Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung (1899/1907), die sich im Ersten Weltkrieg als lückenhaft erwiesen hatten, wurde 1929 eine zweite G. K. „über die Behandlung der Kriegsgefangenen“ beschlossen, die im Zweiten Weltkrieg mangels ausreichender Ratifikation (z. B. UdSSR) und teilweise gröbster Missachtung ihres humanitären Kerngehalts (z. B. Deutsches Reich) allerdings nicht die erhoffte Wirkung entfalten konnte. Unter dem Eindruck der verheerenden Folgen des Weltkrieges (insb. für die Zivilbevölkerung), wurde am 12.8.1949 – auf der Grundlage eines Entwurfs des IKRK (Jean Pictet) – ein umfassendes Vertragspaket angenommen, das nunmehr ein völkerrechtliches Schutzregime für alle Opferkategorien normiert:

a) erste G. K. zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde;

b) zweite G. K. zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, der Kranken und der Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See;

c) dritte G. K. über die Behandlung von Kriegsgefangenen;

d) vierte G. K. über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten.

Von allen 196 Staaten der Welt ratifiziert (Stand 2017), stellen die vier G. K. von 1949 heute das wohl erfolgreichste Kodifikationsprojekt der Völkerrechtsgeschichte überhaupt dar. Die Zunahme „kleiner Kriege“ (Bürgerkrieg) sowie neue Formen der Kriegführung, welche Zivilbevölkerung und Umwelt einer 1949 noch unbekannten Gefährdung aussetzten, bewogen das IKRK bereits 20 Jahre später dazu, konkrete Vorschläge zur Vervollständigung des humanitären Rechts auszuarbeiten; eine Initiative, die 1977 in der Annahme von zwei Zusatzprotokollen mündete (ZP I für internationale, ZP II für nicht-internationale bewaffnete Konflikte/Bürgerkriege). Um die effektive Durchsetzung des humanitären Völkerrechts nicht durch den Streit um Symbole zu gefährden, wurde 2005 schließlich ZP III zu den G. K. angenommen, das neben den etablierten Schutzzeichen „Rotes Kreuz“ (seit 1864) und „Roter Halbmond“ (seit 1877/78 inoffiziell, seit 1929 auch formal im Rahmen der zweiten G. K.) nunmehr die Verwendung eines weiteren, dritten Schutzzeichens ermöglicht („Roter Kristall“). Dies ist insb. im Rahmen des Nahostkonflikts von praktischer Bedeutung („Roter Davidsstern“ eingebettet in das neue Schutzzeichen). Gegenwärtig (2017) haben 174 Staaten das ZP I, 168 Staaten das ZP II sowie 73 Staaten das ZP III ratifiziert und damit als völkerrechtlich verbindlich anerkannt.

3. Grundsätze

Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Genfer Rechts gilt es wie folgt zu unterscheiden: Umfassend anwendbar sind die Bestimmungen der vier G. K. von 1949, ergänzt und erweitert durch das ZP I von 1977, nur auf internationale, d. h. zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte, und zwar unabhängig von der Anerkennung eines Kriegszustandes bzw. einer Kriegserklärung seitens der Konfliktparteien, sowie daneben auch auf Gebietsbesetzungen, selbst wenn diese gewaltlos erfolgen (Besatzungsrecht). Hingegen gilt für nicht-internationale bewaffnete Konflikte (also solchen unter Beteiligung zumindest einer nichtstaatlichen Partei), die eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten (keine bloßen Tumulte oder nur vereinzelt auftretende Gewalttaten) und deren (nichtstaatliche) Konfliktpartei(en) über einen gewissen (Mindest-)Organisationsgrad verfügen, völkervertragsrechtlich nur ein im gemeinsamen Art. 3 der G. K. 1949 festgelegter humanitärer Mindeststandard, der sodann durch das ZP II (1977) weiter ausgebaut worden ist. Unter den Begriff der Streitkräfte fallen zwar heute alle organisierten bewaffneten Kräfte, Gruppen und Einheiten, die sich einer Konfliktpartei zuordnen lassen und unter deren verantwortlichem Kommando stehen (erweiterter Streitkräftebegriff unter Einschluss von Guerillakämpfern; Guerilla). (Nichtstaatliche) Teilnehmer an „traditionellen“ Bürgerkriegen sind aber nach wie vor nicht als Kombattanten anerkannt, ihnen kommt damit auch kein Kriegsgefangenstatus zu. Das Genfer Recht schützt den von ihm erfassten Personenkreis vor Beeinträchtigungen der Menschenwürde, Folter, Tötung, Verurteilung und Hinrichtung ohne ordentliches Gerichtsverfahren, Geiselnahme und Vergeltungsmaßnahmen (strenges Repressalienverbot). Die Geschützten können nicht wirksam auf ihre Rechte verzichten. Das ZP I (1977) verbietet nun auch ausdrücklich Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie „unterschiedslose Angriffe“, die militärische Ziele und Zivilpersonen bzw. zivile Objekte unterschiedslos treffen können und schließlich konnte auch der Schutz der natürlichen Umwelt sowie von Kulturgütern vor Kriegseinwirkungen gestärkt werden. Das (2017) von 123 Staaten ratifizierte Römische Statut des IStGH (1998; Internationale Strafgerichtsbarkeit) stellt schwere Verstöße gegen die Schutznormen der G. K. als Kriegsverbrechen unter Strafe; entspr.e Verurteilungen sind bereits zuvor schon im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg (1991–95) und dem Völkermord in Ruanda (1994) erfolgt. In einer Vielzahl von Bestimmungen weisen die G. K. dem IKRK eine bes. Rolle als Motor und Hüterin des humanitären Völkerrechts zu (u. a. Zugangsrechte zu Kriegsgefangenlagern, Hilfsaktionen zugunsten von Kriegsopfern).

4. Entwicklungen und Ausblick

Das Genfer Recht ist, insb. was Qualifizierung und Schutzstandards der Teilnehmer an den Feindseligkeiten angeht, immer noch von der Dichotomie zwischen internationalem und nicht-internationalem bewaffneten Konflikt und der Idee eines sowohl in zeitlicher und räumlicher als auch personeller Hinsicht klar definierten Kriegs- und Kampfgeschehens geprägt. Die neue Unübersichtlichkeit und Vielgestaltigkeit der Szenarien organisierter Gewaltausübung (Asymmetrie, transnationale und „gemischte“ Konflikte, Cyber War, Drohnenkrieg, internationaler Terrorismus etc.) stellen dieses traditionelle Normprogramm nicht nur vor enorme (interpretatorische) Herausforderungen. Es besteht vielmehr auch die zunehmende Gefahr von Schutzlücken (Guantanamo). Eine grundsätzliche Revision, oder auch nur eine den neueren Entwicklungen faktischer und rechtlicher Natur (etwa auf dem Gebiet des Internationalen Menschenrechtschutzes) punktuell Rechnung tragende substantielle Ergänzung der G. K. im Wege des Vertragsschlusses erscheint in der derzeitigen Weltlage kaum erfolgversprechend. Umso größere Bedeutung kommt dem 2005 unter der Ägide des IKRK erstellten Inventar der geltenden gewohnheitsrechtlichen Normen (Gewohnheitsrecht) des humanitären Völkerrechts zu: Die Tatsache, dass die zentralen Schutznormen der G. K. einen für alle Konfliktformen gleichermaßen universell anerkannten zivilisatorischen Mindeststandard verkörpern, findet hier völlig zu Recht eine ausdrückliche Bestätigung.