Gender Mainstreaming

G. M. ist eine politische Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter. Mainstreaming meint, dass die Verwirklichung von Geschlechtergleichheit nicht allein Aufgabe einer bes.n Einheit in einer Organisation ist (i. d. R. der Gleichstellungsbeauftragten), sondern „als Querschnitts- oder als Gemeinschaftsaufgabe“ (Krell/Mückenberger/Tondorf 2011: 86) potentiell alle Einheiten einer Organisation betrifft. Dem Anspruch nach soll bei jedem politischen Programm, bei jeder Verwaltungsmaßnahme, bei jeder rechtlichen Regulierung geprüft werden, welche Konsequenzen für die Gleichstellung der Geschlechter damit verbunden sind. Der Europarat versteht G. M. als „the (re-)organisation, improvement, development and evaluation of policy processes, so that a gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and at all stages, by the actors normally involved in policy-making“ (Council of Europe 2004: 12). Was dies in der Praxis konkret bedeutet, ist offen für unterschiedliche Interpretationen. Krell/Mückenberger/Tondorf (2011: 88) zufolge gibt es „keine rechtlich verbindliche oder politisch autorisierte Definition“ von G. M.

Die Ursprünge von G. M. liegen in der Entwicklungspolitik. Aus dem Bemühen, Frauen in Entwicklungsprozesse zu integrieren und frauenspezifische Belange durchgängig zu berücksichtigen („Women in Development“), erwuchs mit dem Ansatz „Gender and Development“ eine ganzheitliche Perspektive auf Geschlechterverhältnisse. Als „Schlüsselereignis für die Verbreitung von Gender Mainstreaming“ (Frey 2004: 25) gilt die vierte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahr 1995. In deren Folge erfuhr das Konzept eine breite Aufmerksamkeit. In der EU ist G. M. mit dem Amsterdamer Vertrag von 1997 zur „Grundlage für die Gleichstellungspolitik“ avanciert (Klein 2013: 97). Die Gleichstellung der Geschlechter wird gleichrangig in einer Reihe mit anderen Zielen wie Entwicklung des Wirtschaftslebens, Sicherung eines hohen Beschäftigungsniveaus oder Verbesserung der Umweltqualität aufgeführt. In Deutschland begründet die Bundesregierung die Verpflichtung zu G. M. mit Art. 3 Abs. 2 GG, demzufolge der Staat „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ fördert und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinwirkt. Weitere rechtliche Grundlagen sind das BGleiG und das AGG. In § 2 GGO ist G. M. explizit als „durchgängiges Leitprinzip“ benannt. Umgesetzt wird G. M. in Deutschland vornehmlich in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes und in K.d.ö.R., weniger in privatwirtschaftlichen. Hier dominiert das Konzept des Diversity Managements.

Gleichstellungspolitik wurde in Deutschland (wie in vielen anderen Ländern) ab Ende der 1970er Jahre zunächst in Gestalt institutionalisierter Frauenpolitik etabliert. Diese Form von Gleichstellungspolitik existiert weiterhin, G. M. tritt nicht an deren Stelle, sondern wird als Teil einer Doppelstrategie („‚twin track‘ strategy“, Council of Europe 2004: 13) verstanden. Allerdings rief die Implementation von G. M. Befürchtungen hervor, es könne missbraucht werden, „um frauenpolitische Errungenschaften abzubauen“ (Döge/Stiegler 2004: 150). Männerpolitische Aktivisten hingegen kritisieren, G. M. sei oft nichts anderes als eine Fortführung bisheriger Frauengleichstellungspolitik unter einem neuen Label. G. M. hat das Feld der Geschlechterpolitik insofern geöffnet, als Kämpfe um Definitionsmacht stattfinden, an denen beide Geschlechter beteiligt sind. Benefiziare sind nicht mehr nur Frauen; vielmehr gerät „die Einengung von Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen und Männern durch rigide Geschlechterstereotype“ in den Blick (Klein 2013: 100). Zudem werden auch Männer zu gleichstellungspolitischen Akteuren.

Institutionalisierte Frauenpolitik und G. M. folgen unterschiedlichen Verfahrenslogiken. Institutionalisierte Frauenpolitik nutzt Instrumente einer positiven Diskriminierung, insb. Quotenregelungen, die dem Typus der „Konditionalprogrammierung“ (Luhmann 1971: 70) entsprechen. G. M. stellt hingegen eine Form der „Zweckprogrammierung“ (Luhmann 1971: 118) dar, welche größere Spielräume organisatorischer Selbststeuerung eröffnet. Gleichstellungsziele werden in Organisationsziele umformuliert. Den Akteuren im Implementationsfeld bleibt es überlassen, Wege zu finden, auf denen die Ziele erreicht werden können. Die Interpretationsherrschaft bleibt weitgehend in den Händen der Organisationsmitglieder, insb. der Führungsebene. Anders als bei institutionalisierter Frauenpolitik wird die Verantwortung für Gleichstellung nicht einer spezifischen und i. d. R. untergeordneten Stelle (der Frauenbeauftragten, dem Gleichstellungsbüro) überantwortet, sondern Geschlechterfragen werden, so lautet zumindest der Anspruch, in das Zentrum der Organisation transferiert und zu einer Routineaufgabe der Organisationsentwicklung gemacht. Eine Gender-Analyse müsste demnach genauso selbstverständlich erfolgen wie die Erstellung eines Haushaltsplans. Das unterscheidet G. M. deutlich von Frauengleichstellungspolitik, die auf bestimmte Maßnahmen fokussiert und begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund kann gesagt werden, Geschlechtergleichheit werde aus der „marginalisierten ‚Frauenecke‘“ herausgelöst (Lewalter/Geppert/Baer 2009: 126).

Die Umsetzung von G. M. impliziert, dass Geschlecht zu einem Routinekriterium des Monitoring von Organisationen wird. Dies erzeugt eine Nachfrage nach entsprechender Expertise in Form professionalisierten Gender-Wissens. G. M. befördert die Entwicklung von spezifischen „Gender- und Gleichstellungsindikatoren“ (Pimminger/Wroblewski 2017). Insgesamt erfährt das Feld der Geschlechterpolitik eine Professionalisierung. Im Zuge der Implementation von G. M. hat sich ein Markt von Weiterbildungsangeboten entwickelt, auf dem Gender-Trainings und Gender-Coachings angeboten werden, in denen die Gender-Kompetenz vermittelt werden soll, die für die Initiierung und Durchführung von G. M.-Prozessen als erforderlich erachtet wird. Über die Notwendigkeit einer solchen Kompetenz herrscht weitgehend Einigkeit. Was sie ausmacht, ist hingegen umstritten. Die Definitionen von Gender-Kompetenz variieren zwischen einem politischen und einem ökonomischen Begründungsrahmen. Ein politisches Verständnis bestimmt Gender-Kompetenz in der Tradition des politischen Feminismus als Fähigkeit, Wege und Mittel zu finden, um fortbestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abzubauen. In einem ökonomischen Begründungsrahmen werden die Geschlechterdifferenzen nicht primär in Kategorien sozialer Ungleichheit beschrieben, sondern als eine Ressource der Organisationsentwicklung. Gender wird als eine Dimension von Humankapital thematisiert und Gender-Kompetenz zu einer Qualifikation im Rahmen des Change-Managements von Organisationen. In dieser Weise erhält mit G. M. die Semantik des modernen Managements Eingang in die Gleichstellungspolitik.