Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)

Version vom 4. Januar 2021, 11:08 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS))

Die GUS ist ein loser Verband von Staaten auf dem Territorium der früheren UdSSR. Sie ist weder ein Subjekt des Völkerrechts noch eine Konföderation. Die GUS entstand im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion als ein Auffangbecken für ehemalige Sowjetrepubliken und diente zunächst der Regelung des gemeinsamen Erbes. Sie war aber auch als Rahmen für politische und ökonomische Integration gedacht. Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sollte dem Prinzip der Gleichberechtigung folgen.

Die Entstehung der GUS vollzog sich in mehreren Schritten. Am Anfang stand die Bildung eines ostslawischen Dreibunds aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Er kam unter der Regie des russischen Präsidenten Boris Nikolajewitsch Jelzin am 8.12.1991 in Minsk zustande. Die förmliche Gründung der GUS erfolgte am 21.12.1991 durch den Beitritt weiterer acht früherer Sowjetrepubliken: Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. 1993 kamen Georgien und die Republik Moldau hinzu, sodass vorübergehend alle ehemaligen Unionsrepubliken bis auf die drei baltischen diesem losen Staatenverbund angehörten. Estland, Lettland und Litauen verfolgten seit ihrer staatlichen Unabhängigkeit eine konsequente Westintegration. Auch andere vormalige Sowjetrepubliken blieben gegenüber der GUS auf Distanz. Ihre Vertreter sahen in der Bildung der formlosen Union in erster Linie den Weg zu einer „zivilisierten Scheidung“ voneinander. V. a. die Ukraine, aber auch Aserbaidschan, Turkmenistan und die Moldowa stellten sich einem engeren Zusammenschluss der GUS entgegen. Sie befürchteten den Anspruch Russlands auf regionale Vormachtstellung. Die Ukraine zeigte von Anfang an eine Orientierung auf Europa und verweigerte sich allen Vorstellungen von einer gemeinsamen Armee und von supranationalen Strukturen. Turkmenistan stützte seine unabhängige Position auf die sichere Erwartung in Erträge aus den nationalen Erdgasvorkommen ab. Aserbaidschan verweigerte sich aus dem gleichen Grund der Ressourcenautonomie jeder engeren Integration. Die vom Konflikt über Transnistrien erschütterte Moldowa nahm nur selektiv an der Agenda der GUS teil. Georgien erklärte nach dem Krieg mit Russland im August 2008 den förmlichen Austritt.

Demgegenüber schälten sich Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan als Kernzone weiterer Integration heraus. Die treibenden Kräfte hinter einer möglichst engen Kooperation waren Russland und Kasachstan. Russland zögerte zunächst, seinen Führungsanspruch im postsowjetischen Raum zu behaupten, da es nicht des Neoimperialismus bezichtigt werden wollte. Diese Haltung spiegelte das anfänglich dominierende Ziel einer wünschenswerten engen Westintegration des Landes wider. Dieses Denken wurde jedoch vom bald wieder erstarkenden Glauben an Russlands natürliche regionale Vormachtstellung und als gewichtiger Spieler in einer multipolar konzipierten Welt verdrängt. Bereits im September 1995 behauptete Moskau in der von B. N. Jelzin verabschiedeten Doktrin der GUS-Politik den Anspruch auf regionale Vormachtstellung. Als Beweggrund wurde die notwendige Verteidigung lebenswichtiger nationaler Interessen im postsowjetischen Raum genannt und erstmals der Aufbau eines wirtschaftlich wie politisch integrierten Staatenbundes zum vorrangigen Ziel russischer Politik erklärt. Als eine Art Gegengewicht zu den russischen Ansprüchen kam es auf Betreiben der Ukraine zur Bildung der Gruppe der GUUAM aus Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldowa. Dieses Emanzipationsprojekt, das v. a. auf eine verstärkte ökonomische Integration der Gründerstaaten hinauslief, blieb jedoch eine virtuelle Assoziation.

Je weiter sich Moskau vom Ziel der Westintegration entfernte, umso intensiver besann sich die russische Führung auf die wünschenswerte Vereinigung des postsowjetischen Raums. Dies kam in konkreten Integrationsprojekten ebenso wie in wichtigen außenpolitischen Grundsatzdokumenten zum Ausdruck. In der im Oktober 1999 präsentierten „Mittelfristigen Strategie für die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union im Zeitraum von 2000 bis 2010“ wurde das neue Selbstverständnis Russlands als eurasische Vormacht vollends deutlich. Hier heißt es: „Als eine Weltmacht, die sich auf zwei Kontinente erstreckt, sollte sich Russland die Freiheit bewahren, seine Innen- und Außenpolitik ebenso zu bestimmen und zu implementieren wie seinen Status und seine Vorteile eines euroasiatischen Staates und des größten GUS-Landes sowie die Unabhängigkeit seiner Position und seiner Aktivitäten in internationalen Organisationen“ (Diplomatitscheskij Westnik 1999: 21). Erklärungen dieser Art atmeten den Geist der von Jewgeni Maximowitsch Primakow erfolgreich propagierten Doktrin einer multipolaren Welt, in der Russland nicht in irgendwelchen Integrationsunionen wie etwa der EU aufzugehen vermöge, sondern diese um sich selbst herum schaffe.

An konkreten Initiativen zur Gründung eigener Integrationsprojekte ließ es Russland nicht fehlen. Ein Vertrag über Kollektive Sicherheit wurde bereits 1992 in Taschkent von sechs vormaligen Unionsrepubliken unterzeichnet. Die Ukraine blieb dem Vertragsabschluss jedoch fern. Zwischen 1995 und 2000 wurde eine weißrussisch-russische Union auf den Weg gebracht. Allerdings blieb die staatliche Fusion der beiden Länder ein weitgehend unverbindliches Ziel. Die von Präsident Vladimir Vladimirowitsch Putin initiierten Integrationsprojekte im postsowjetischen Raum kulminierten im Januar 2015 in der Gründung einer EWU.

Unstrittig vermochte die GUS seit ihrer Entstehung im Jahr 1991 keine integrative Dynamik zu entfalten. Sie verkam vielmehr zu einem mehr oder weniger regelmäßigen Treffen der Staatsoberhäupter ihrer Mitgliedstaaten. Als potentielle Nachfolgeorganisation der UdSSR hat die neue EWU der GUS mittlerweile den Rang abgelaufen.