Friedensverträge

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1. Definition und Form

Wesentlicher Inhalt der F. ist die Beendigung des Kriegszustands und die Herbeiführung friedlicher Beziehungen zwischen völkerrechtlichen Subjekten: Staaten, Nationen oder Staatengruppen. Andere Bestimmungen treten hinter diesem eigentlichen Ziel und Zweck der F. zurück, obwohl sie den Keim zu langwierigen Konflikten um die Auslegung und Gültigkeit der F. legen können. Sie enthalten Gebietsabtretungen, Reparationen, Entschädigungen, Strafen, Restitutionen, die Befreiung der Kriegsgefangenen, Amnestien (Begnadigung) und Garantien seitens unbeteiligter Staaten oder Staatenorganisationen. Der Abschluss von F.n und die Verpflichtung zu ihrer Einhaltung setzen eine gegenseitige Anerkennung der Partner, somit ein Gleichheitsmoment voraus. Der F. zielt auf die Regelung eigener Interessen und zugl. auf ein allg.es Gut, den Frieden. Öfters werden Vermittler oder Institute der Friedensvermittlung zu den Verhandlungen oder zur Garantie der F. herangezogen. Im Krieg Verbündete können sich verpflichten, nur gemeinsam Frieden zu schließen, oder das Bündnis verlassen und Separat-F. mit einem oder mehreren der Gegner abschließen. Bes. bei komplexen Materien und Konstellationen bietet sich der Abschluss eines Präliminar- oder Vorfriedens an. Im Idealfall folgen die Friedensverhandlungen und der Aufbau der F. dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Im Anschluss an einen Waffenstillstand oder an Friedenspräliminarien, z. B. die Verständigung über Ort und Zeit der Friedensverhandlungen, versammeln sich die Gesandten der Staatsoberhäupter zu einem Kongress. Die gegenseitig übermittelten Anträge und Antworten verdichten sich zu den Verhandlungsakten, Traktanden, Entwürfen und schließlich zu den Verträgen selbst, den Instrumenten der F. (auch urfehde, Abkommen, Übereinkommen, Akte, Convention, Capitulation, Punktation, Agreement, Statut oder Protokoll genannt). Unwichtigere Punkte oder solche, über die keine Übereinkunft erzielt werden konnte, werden in Additionalen, einseitigen Erklärungen, Deklarationen, Briefen, Protokollen, Reversen, Protesten, Reservationen und Remonstrationen mit jeweils unterschiedlicher Absicht und Rechtswirkung niedergelegt. Die Präambel der F. geht oft auf die Gründe des Kriegs ein und nennt die vertragschließenden Parteien. Es folgen die stipulierten Artikel, Angaben über Dauer und Kündigung der F., Bestimmungen über die Ratifikation und schließlich die Beglaubigung mit den Unterschriften und Siegeln. Je nach der Zahl der Teilnehmer sind multilaterale oder General-F. (Westfälischer F.) von bilateralen F.n zu unterscheiden. Das traditionelle Völkerrecht behält dem F. die Funktion vor, die Beendigung eines Krieges deklaratorisch festzustellen, im Rechtssinne einen Kriegszustand endgültig zu beenden. Der Waffenstillstand, die Kapitulation, der Präliminarfriede, einseitige Erklärungen über die Kriegsbeendigung oder andere Normalisierungen wie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen haben diese Bedeutung noch nicht. Von Erfolg gekrönt war das Offenhalten der deutschen Frage durch den F.s-Vorbehalt der BRD. Noch lange nach dem Kriegsende 1945 konnte 1990 der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (Zwei-Plus-Vier-Vertrag, Deutsche Einheit) abgeschlossen werden. Haben die Vertragspartner ihre Delegierten in den Ausschüssen und Versammlungen der Kongresse verhandeln lassen, so behalten sie sich die Zustimmung zu den F.n durch nachträgliche Ratifikation vor, die je nach den Staatsverfassungen den Parlamenten obliegt. Eine tiefere Sicht auf die den F.n zugrunde liegende innere Disposition gab der spanische Jesuit Francisco Suárez: Die personalen Willensakte des Friedens entspringen um der guten Ordnung willen der Liebe, der Gerechtigkeit und anderen Tugenden. Moderne F. setzen die Existenz eines Systems oder Konzerts der Mächte und damit einen umfassenderen Ordnungszusammenhang voraus, ebenso die Akzeptanz eines entwickelten Völkerrechts, das auf dem Gewohnheitsrecht, allg.en Rechtsgrundsätzen der Völkergemeinschaft sowie auf Treu und Glauben (Treu und Glauben) beruht. Sie können als Vorstufe einer verbindlichen internationalen Gesetzgebung angesehen werden.

2. Geschichte der Friedensverträge

Die Hegemonialmacht Rom gebot den dem Imperium Romanum unterworfenen Staaten einen allg.en Frieden (pax Romana). F. nahmen i. d. R. die Form von Unterwerfungs-, Freundschafts- und Bündnisverträgen an. Die Universalherrscher der res publica christiana, Kaiser und Papst, nahmen zwar als Häupter der Christenheit, Schiedsrichter, Registratoren (Kurie) und Mediatoren erheblichen Einfluss auf den Abschluss und die Geltung von Verträgen. Doch gebar die mittelalterliche communitas communitatum eine Fülle unterschiedlicher Gemeinwesen und Herrschaftsformen, von den Feudalherren über die Ritter-, die Priesterschaften und die Nationenbildung bis zu den Städtebünden. Schon wenn sie ein Mindestmaß von Freiheit und Unabhängigkeit besaßen, schlossen sie Verträge mannigfacher Art, geboten auch befristete F. für bestimmte Gebiete oder Personengruppen (treuga Dei, Landfriede). Im 13. Jh. führte Thomas von Aquin das ius gentium und das ius civile auf das Naturrecht und Weltgesetz Gottes zurück. Die spanische Spätscholastik (Scholastik) ging von einem zwischenstaatlichen Recht der Völker aus, das die sittliche Einheit des Menschengeschlechts voraussetzte, aber von der natürlichen Vernunft und vom Gewohnheitsrecht ihre Regeln empfing (F. Suárez, Francisco de Vitoria): „Quod naturalis ratio inter omnes gentes constituit, ius gentium vocatur“. Die katholische Kirche blieb letzte Instanz hinter der naturrechtlich begründeten Völkergemeinschaft. Vom Ende des 15. bis zur Mitte des 16. Jh. setzte eine Dekomposition der universellen Christenheit ein, verursacht durch die Einfälle der französischen Krone in Mailand und Neapel, den Aufschwung des Gesandtschaftswesens in Italien, die Vollendung der Reconquista, die deutsche Reformation und die Entdeckung der Neuen Welt. Der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück (1648) bewirkte zwar keine dauerhafte europäische Friedensordnung, bildete aber Strukturen einer Kunst der F. aus. Die Beteiligung an F.n wurde auf souveräne Mächte, außer den teilnehmenden Reichsständen, beschränkt. Sie trafen sich für Monate oder Jahre an festen Orten, tauschten schriftliche Traktanden aus, verhandelten von gleich zu gleich, zogen diplomatisch oder juristisch versierte (Sekundar-)Gesandte heran und suchten dem Frieden durch Garantien „immerwährende“ Dauer zu verleihen. Das bisher einigende Band der christianitas trat zurück und war durch neue Legitimationsgründe zu ersetzen. Dem dienten u. a. die großen Vertragssammlungen von Michael Caspar Londorp, Johann Christian Lünig, Jean Dumont, Henri Vast, Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Jakob Schmauß und Georg Friedrich Martens. Sie spiegelten Fürstenehrgeiz und Staatsraison, aber auch das Motiv gelehrter und moralischer Eindämmung ungezügelten Machtstrebens mittels des Völkerrechts und des Reichsstaatsrechts (ius publicum). Weitere Forschung muss klären, inwieweit rhetorische und semantische Formeln und Begriffe realen Einfluss auf die Friedensfindung und die F. im 18. Jh. hatten: z. B. die Berufung auf die balance of power, auf die „Ruhe und Sicherheit Europas“, auf naturrechtliche Gesetze und moralische Prinzipien oder auf die Forderung nach eindeutiger Fassung der F., um neuen Konflikten, dem Hegemoniestreben und geheimen Absprachen vorzubeugen (Gabriel Bonnot de Mably, Emer de Vattel). Nach den napoleonischen Kriegen entband der Wiener Kongress (1814/15) eine längere Friedensperiode (Kongressdiplomatie 1814–22, Pentarchie). Die Anrufung Gottes (invocatio Dei) hielt sich in europäischen F.n bis 1866 (Friede zwischen Österreich und Italien), doch wich spätestens seit Beginn des 19. Jh. die Referenz auf die gemeinsame Christenheit der Idee einer umfassenden Gemeinschaft der zivilisierten Nationen. Beginnend mit dem Wiener Kongress und endend mit den Haager Konventionen (1899, 1907; Haager Friedenskonferenz) gingen die kollektiven Verträge des europäischen Konzerts dazu über, auch fundamentale Fragen des internationalen Lebens zu regeln. Neue Themen waren die Verurteilung der Sklaverei, die Einführung der freien Flussschifffahrt, der Minderheitenschutz (Minderheiten) und die Humanisierung der Kriegsführung. Der Zerfall des europäischen Mächtekonzerts im Ersten Weltkrieg beeinträchtigte die Wirkung von F.n (Versailler Vertrag 1919). Ein Jh. lang aus der Praxis der F. herausgehaltene Ideen der Amerikanischen und Französischen Revolution gelangten mit der Gründung des Völkerbunds (1920) und der UNO (1946; Vereinte Nationen) zur Geltung. Der Gedanke einer durch internationales Recht und kollektive Sicherheit zu verbindenden universellen Völkergemeinschaft war vorbereitet durch den Kreuzzug für die Freiheit, den das revolutionäre Frankreich 1792 gegen die Aggression der Monarchien ausgerufen hatte. Der außenpolitische Befreiungsimpuls verband sich mit einem innerpolitischen. Die ideologische Aufladung der Kriegsterminologie, die die Unterdrücker des souveränen Volks zu schlimmen Feinden erklärte, wirkte sich auch auf die zur Bannung des Krieges geschaffenen internationalen Organisationen aus. Kollektive Maßnahmen gegen den Friedensstörer schienen angebracht, weil sein Verhalten als ein Angriff auf die Staaten der zivilisierten Menschheit galt. Die Diktaturen der Zwischenkriegszeit stellten die Ansätze einer wirksamen internationalen Solidarität in Frage, ebenso die Teilung der Welt zwischen West und Ost im Kalten Krieg. Auch nach der großen Wende der Weltpolitik 1990 fehlt wegen eines möglichen „Kampfs der Kulturen“ (Huntington 1996), realer terroristischer Aktionen (Terrorismus) und unerklärter Kriege ein verbindlicher Wertekonsens, der eine weltumfassende Rechts- und Friedensordnung fundieren könnte. F. bleiben angesichts der Zunahme, Ideologisierung und willkürlichen Führung von Kriegen beschränkte, doch bewährte Ordnungsinstrumente der Völkergemeinschaft und wahren auch die Priorität der Staaten vor nicht regierenden Akteuren.