Freiheit

  1. I. Philosophisch
  2. II. Theologisch
  3. III. Freiheit im Recht und als Prinzip des Rechts

I. Philosophisch

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Dieser Eintrag behandelt unterschiedliche Auffassungen menschlicher F. im praktisch-philosophischen Sinne. Er klammert hierbei die Thematik der Willens-F. aus und konzentriert sich auf die Handlungs-F. Insb. behandelt er soziale oder politische F. und somit die menschlich bedingten Umstände des Handelns (Handlungstheorie). Im Anschluss an eine Darstellung der Kontroverse um den Begriff F. liegt der Fokus auf liberalen, republikanischen und diskurstheoretischen F.s-Theorien. Diese Theorien rücken unterschiedliche Aspekte menschlicher F. in ihren Mittelpunkt – nicht nur soziale und politische, sondern auch ethische, rechtliche oder wirtschaftliche – und eröffnen dadurch einen Überblick über ein weites Spektrum an Auffassungen menschlicher F.

1. Zum Begriff der Freiheit

Spätestens seit Isaiah Berlins einflussreichem Aufsatz „Two Concepts of Liberty“ ist es gebräuchlich, zwischen negativer und positiver F. zu unterscheiden. Erstere bezeichnet die Abwesenheit einer Beeinflussung des individuellen Handlungsbereichs, etwa in Form einer intentionalen Einflussnahme, eines intentionalen Zwangs oder schlicht „äußerer Hindernisse“ (Hobbes 1984: 99); positive F. besteht hingegen darin, effektiv in der Lage zu sein, etwas Bestimmtes tun oder werden zu können. Gerald MacCallum hält diese Unterscheidung für vordergründig, da sich F. allg. als triadische Struktur „x ist (oder ist nicht) frei von y, um z zu tun (oder werden)“ darstellen lässt. Obwohl sich in der Tat die meisten negativen und positiven F.s-Begriffe in eine solche Struktur einordnen lassen, ist fraglich, ob diese Formulierung die allg.e Struktur des F.s-Begriffes bildet. So legt Charles Taylor nahe, dass G. MacCallums triadische Struktur all jene Auffassungen von F. außer Acht lässt, für die F. kein „Möglichkeitskonzept“, sondern ein „Verwirklichungskonzept“ ist (1992: 171). Letzterem zufolge „sind wir nur in dem Maße frei, in dem wir tatsächlich über uns selbst und die Form unseres Lebens bestimmen“ (Taylor 1992: 171). Ein derartiges – jedoch kollektivistisch verstandenes – Verwirklichungskonzept liegt auch der von Benjamin Constant so bezeichneten „Freiheit der Alten“ (Constant 1972) zugrunde, wonach F. in gemeinsamem politischen Handeln bzw. in kollektiver Selbstbestimmung besteht; B. Constants „Freiheit der Modernen“ (1972: 377) wiederum ist der negativen F. und dem Möglichkeitskonzept zuzuordnen, da diese bürgerliche F.en wie die Gewissens- (Gewissen, Gewissensfreiheit), Meinungs- und Versammlungs-F. umfasst. Philip Pettit beansprucht, dass seine Auffassung von F. als Nicht-Beherrschung eine dritte Auffassung neben denen von positiver und negativer F. darstellt. Dieser zufolge sind Menschen genau dann frei, wenn andere Personen sie nicht willkürlich zwingen oder beeinflussen können. Der Umstand allein, willkürlichem Zwang oder Einfluss unkontrolliert ausgesetzt zu sein, mache Menschen unfrei, so dass derart Beherrschte selbst dann unfrei sind, wenn sie weder intentionalem Zwang noch intentionalem Einfluss unterliegen sowie fähig sind, Bestimmtes zu tun oder werden.

2. Freiheitstheorien

2.1 Republikanismus

Moderne republikanische F.s-Theorien berufen sich auf antike Vorstellungen von F. Der „kommunitaristische Republikanismus“ orientiert sich an „athenischen“ Auffassungen, wonach sich Bürger aktiv an einer sich selbst regierenden und nicht unter Fremdherrschaft stehenden politischen Gemeinschaft beteiligen müssen, um frei zu sein. Freisein heißt „regieren und regiert werden“ (Aristoteles, Politik: 1259b). F. ist allerdings lediglich eine Eigenschaft des Bürgers (Bürger, Bürgertum) und nicht des Menschen. Sklaven sind unfrei, weil sie körperliche Arbeit verrichten und sich nicht am Geschehen der Polis beteiligen. Ebenso wenig verfügen sie über die Tugend und den Besitz, welche bürgerliche F. voraussetzt. Zukünftige Bürger müssen sich u. a. in der Rhetorik, der Geometrie und der Musik bilden, um am politischen Leben teilnehmen zu können. Diese Bildung setzt einen gewissen Wohlstand voraus, da es Muße und freier Zeit bedarf, um sich diese „freien Künste“ anzueignen (Aristoteles, Politik: Kap. 8). Die Beziehung zwischen Bürgern ist einer Freundschaft ähnlich. Bürger stehen füreinander ein und verwirklichen ihre gemeinsam entwickelte Vorstellung des guten Lebens durch ihr politisches Handeln. Politische Teilnahme ist deswegen ein geteiltes und intrinsisch wertvolles Gut unter Bürgern. Dies markiert einen entscheidenden Unterschied zum „neo-römischen“ Republikanismus von Quentin Skinner und P. Pettit. Diesem Republikanismus zufolge, der insb. auf Niccolò Machiavelli und dessen Rezeption von Cicero und den römischen Geschichtsschreibern Livius und Sallust basiert, ist politische Teilhabe lediglich von instrumenteller Bedeutung. Sie dient der Sicherung negativer F., indem sie den Missbrauch politischer Macht verhindert.

2.1.1 Kommunitaristischer Republikanismus

Hannah Arendt vertritt emphatisch ein Verwirklichungskonzept menschlicher F.: „Solange man handelt, ist man frei, nicht vorher und nicht nachher, weil Handeln und Freisein ein und dasselbe sind“ (1994: 206). Menschliche F. realisiert sich nur im Handeln, da nur diesem das der menschlichen F. eigentümliche Moment der Spontaneität innewohnt, das den natürlichen Verlauf der Dinge unterbricht. Gleichwohl dieses „Wunder der Freiheit“ (Arendt 1994: 223), des In-Bewegung-Setzens, „als Gabe der Freiheit“ (Arendt 1994: 225) ein Potential eines jeden einzelnen Menschen ist, realisiert sich ein Freisein nur mit anderen Menschen im „Zusammenhandeln, dem ‚acting in concert‘“ (Arendt 1994: 224). F. entsteht nur dort, wo Menschen der Initiative einer Person folgen und dieser gleichsam einen weiteren Neubeginn hinzufügen. Dadurch setzen Menschen Geschichten in Gang, die zu Automatismen verkommene Routinen und Prozesse aufzubrechen vermögen. F. wohnt dem virtuosen Handeln inne, da sie eines Publikums bzw. eines Raums politischer Öffentlichkeit bedarf. Auf diese Weise verschränkt H. Arendt F. begrifflich mit kollektivem, politischem Handeln: „Frei sein können Menschen nur in Bezug aufeinander, also nur im Bereich des Politischen und des Handelns“ (Arendt 1994: 201).

C. Taylor versteht F. ebenfalls als ein Verwirklichungskonzept. Menschen sind nur dann frei, wenn es ihnen gelingt, ein authentisches Verständnis ihrer selbst zu erlangen, das es ihnen erlaubt, entsprechend ihrer Identität zu handeln. F. setzt den gelungenen Gebrauch eines unterscheidenden Urteils voraus, nämlich dem zwischen mich fesselnden Motivationen und solchen, welche meiner Identität entsprechen. F. bedarf einer solchen Tätigkeit und ist nicht bereits nur aufgrund der Abwesenheit bestimmter äußerer Hindernisse präsent. Da aber, holistisch betrachtet, eine konkrete Gemeinschaft konstitutiv für die individuelle Identität ist, bedarf es zur Verwirklichung von F. einer kollektiven Selbstverständigung darüber, welche Gemeinschaft bzw. Mitglied welcher Gemeinschaft man ist und sein möchte.

Für H. Arendt und C. Taylor sind Bürger wechselseitig aufeinander angewiesen, da ihr Leben nur dann glückt, wenn die für ihre Identität und ihr Handeln konstitutive politische Gemeinschaft ihnen allen hinreichend politischen Raum ermöglicht. Aus dieser Interdependenz zwischen Bürgern erwächst republikanische Solidarität, weshalb der kommunitaristische Republikanismus beansprucht, ein bes. geeignetes Modell zu liefern, um die Stabilität der politischen Gemeinschaft bei inneren und äußeren Gefährdungen zu gewährleisten. Ein an liberalen F.s-Auffassungen ausgerichteter Staat könne dies hingegen nicht. Dies entspricht in praktischer Hinsicht der von Ernst-Wolfgang Böckenförde aufgestellten These, dass der liberale Staat von „Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht gewährleisten könne“ (Bockenförde 1976: 60).

2.1.2 Neo-Römischer Republikanismus

Die zentrale Idee von Q. Skinners und P. Pettits neo-römischem Republikanismus besagt, dass F. in der Abwesenheit willkürlicher Macht besteht. F. erfordert daher die Beendigung von Beherrschungsverhältnissen (Herrschaft), in welchen die Möglichkeit der Realisierung negativer F. der Willkür anderer unterliegt. F. als Nicht-Beherrschung deckt sich nicht mit einem positiven Verwirklichungskonzept der F., da der politischen Teilhabe zur Gewährleistung der Resilienz negativer Rechte nur ein instrumenteller Wert zukommt. Ebenfalls anders als in Auffassungen negativer F. sind Bürger nicht allein deswegen frei, weil sie über einen subjektiven Handlungsbereich verfügen, in dem sie keinem intentionalen Zwang und keiner intentionalen Einflussnahme ausgesetzt sind. Bürger sind unfrei solange sie keine Kontrolle über diejenigen verfügen, die diesen Bereich nach Belieben einschränken können. Ein weiterer Unterschied zum negativen F.s-Begriff besteht darin, dass intentionaler Zwang und intentionale Einflussnahme nicht unbedingt einer F.s-Beschränkung entsprechen. Sofern ein solcher Zwang und eine solche Einflussnahme unter der Bedingung stattfinden, dass diese das Interesse der Betroffenen befördern, und bei Nichterfüllung dieser Bedingung unterbunden werden, so liegt keine F.s-Einschränkung vor. Diejenigen, die nur auf solch kontrollierte Weise intentionalen Zwang und Einfluss ausüben können, verfügen über keine willkürliche Macht. Zwangsbewehrtes Recht ist daher prinzipiell mit F. kompatibel, sofern es Beherrschung unter Bürgern eindämmt und auch selbst nichtbeherrschend ist.

2.2 Liberalismus

Eine liberale F.s-Auffassung (Liberalismus) im Sinne negativer Wahl- oder Willkür-F. ist wesentliches Element des Selbstverständnisses der westlichen Moderne. Menschen genießen negative F., sofern sie keinen äußeren Hindernissen unterliegen und dadurch ihre Ziele sowie die Mittel zur Erreichung dieser selbst bestimmen können. Negative F. ist unmittelbar verknüpft mit der „Entzauberung“ jener Welt, in der jedem Lebewesen ein bestimmter Platz innerhalb der kosmischen Ordnung zugewiesen war. Befreit von den Pflichten einer nicht länger allgemeinverbindlichen höheren Ordnung, sollen Menschen ihre individuell entworfenen Lebenspläne verfolgen. Das moderne Recht gewährt ihnen hierfür einen geschützten Raum, der formal allen Rechtssubjekten negative F. garantiert und sich neutral bzw. unparteilich gegenüber den Inhalten der individuellen Lebenspläne verhält. Während für viele eine solche freiheitliche rechtliche Ordnung die Fortschrittlichkeit der westlichen Moderne ausdrückt, verbinden andere mit ihr Selbstbezogenheit und Narzissmus, wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sowie den Verlust politischer F.

2.2.1 Libertärer Liberalismus

Liberale F.s-Theorien verstehen negative F. als einen fundamentalen normativen Anspruch, so dass Einschränkungen dieser F., insb. zwangsbewehrte, rechtfertigungsbedürftig sind. Eine Hauptfragestellung aller liberaler F.s-Theorien ist daher, wie ein Staat gerechtfertigt werden kann, obwohl dieser seine ordnungsstiftende Funktion mittels zwangsbewehrtem Recht erfüllt. Libertäre F.s-Theorien behaupten, dass lediglich ein Minimal- oder Nachtwächterstaat zu rechtfertigen ist, der in möglichst geringem Umfang in den individuellen Handlungsbereich der Bürger eingreift. So definiert Friedrich August von Hayek F. als den Zustand, „in dem Zwang auf einige von Seiten anderer Menschen so weit herabgemindert ist, als dies im Gesellschaftsleben möglich ist“ (Hayek 1971: 13). Der Staat soll sich lediglich auf die Aufrechterhaltung einer privaten Eigentumsordnung beschränken und auf die Bereitstellung weiterer öffentlicher Güter verzichten, da die Finanzierung dieser auf einem illegitimen Eingriff in Privateigentum beruhen würde. Diese Skepsis gegenüber staatlichen Interventionen basiert u. a. auf den ernüchternden Erfahrungen mit totalitären Regimen im 20. Jh., die sich auf vermeintlich gemeinschaftliche Ideale beriefen, um ihre Eingriffe in subjektive Handlungsbereiche zu rechtfertigen.

John Lockes Eigentumstheorie ist klassischer Bezugspunkt libertärer F.s-Theorien, die insb. wirtschaftliche F. verteidigen. J. Locke zufolge können sich Menschen Eigentum aneignen, indem sie ungenutzte natürliche Ressourcen, die der gesamten Menschheit gehören, zur Selbsterhaltung verwenden oder hierfür bearbeiten. Sie haben einen Anspruch auf die Früchte ihrer Arbeit, da ihr Körper ihr Eigentum ist, so dass durch eine „Vermischung“ ihrer Arbeit mit den von ihnen auf legitime Weise in Besitz genommenen Ressourcen Eigentum entsteht. J. Locke formuliert allerdings die Bedingung – die Locke’sche „proviso“ –, dass dies nur dann eine zulässige Form der Aneignung von Eigentum ist, solange noch genug natürliche Ressourcen für andere Menschen zu deren Selbsterhaltung verfügbar sind. Menschen dürfen zudem überschüssiges Eigentum untereinander tauschen oder mittels der Institution des Geldes für späteren Konsum oder zukünftige Investitionen sparen. Moderne libertäre F.s-Theorien wie die von Robert Nozick entwickeln auf der Basis von J. Lockes Theorie eine historische Anspruchstheorie, die aus a) dem Grundsatz gerechter Aneignung, b) dem Grundsatz gerechter Übertragung, und c) dem Grundsatz der Wiedergutmachung bei Verletzung von a) oder b) besteht. R. Nozick versteht staatliche Interventionen zur Einkommens- und Vermögensumverteilung als Zwangsarbeit bzw. Ausbeutung der Reichen, sofern die Interventionen diese Grundsätze verletzen. Sog.e links-libertäre F.s-Theorien teilen diese Auffassung jedoch nicht, da sie J. Lockes „proviso“ umformulieren. Demnach hat jede Person Anspruch auf einen gleichen Anteil aller natürlichen Ressourcen. Verwenden Menschen einen größeren als den ihnen zustehenden Teil an Ressourcen, so müssen sie hierfür Kompensationen leisten. Einige Locke’sche Theorien teilen die Auffassung, dass Eigentum eine Form von F. ist, namentlich wirtschaftlicher F., da Eigentumsordnungen regeln, zu welchen Handlungen Menschen befugt sind. Andere libertäre F.s-Theorien betonen hingegen den lediglich instrumentellen Wert privaten Eigentums.

2.2.2 Egalitärer Liberalismus

Der egalitäre Liberalismus vertritt die Auffassung, dass alle Bürger neben wirtschaftlicher F. zusätzlichen Anspruch auf soziale, politische und bürgerliche F. haben. So ist gemäß John Rawls folgender Grundsatz gleicher Grund-F.en die vorrangigste Bedingung für die Akzeptabilität staatlichen Zwangs: „Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist“ (Rawls 2006: 78). Diese Grund-F.en beinhalten Gedanken- und Gewissens-F.en, Stimm- und Versammlungsrechte sowie die zur persönlichen Integrität und Rechtsherrschaft gehörigen F.n. Sie sollen einerseits gewährleisten, dass Bürger gemäß ihrer individuellen Vorstellung des Guten einen rationalen Lebensplan aufstellen und verfolgen können; andererseits sollen sie Bürger in die Lage versetzen, sich politisch an der Ausgestaltung des öffentlichen Gemeinwesens unter Gebrauch ihres Gerechtigkeitssinns (Gerechtigkeit) zu beteiligen. Dass diese F.en vorrangig zu schützen sind, bedeutet auch, dass der Staat der von den libertären F.s-Theorien bevorzugten wirtschaftlichen F. Grenzen setzen muss, sofern die Inanspruchnahme dieser die Verwirklichung der anderen Grund-F.en behindert. Staatliche Interventionen, die diesem Zwecke dienen, gelten als freiheitsdienlich. Zudem genügt es nicht, dass die Grund-F.en lediglich formal anerkannt und in der Verfassung bzw. im GG enthalten sind. Bürger müssen unabhängig von ihrer individuellen körperlichen Verfasstheit und sozioökonomischen Kontexten die Befähigung erlangen, diese Grund-F.en effektiv verwirklichen zu können. J. Rawls fordert zudem, dass unter Bürgern eine reale Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) bestehen sollte, politisch Einfluss zu nehmen, etwa indem Wahlen öffentlich finanziert und Parteispenden eingegrenzt werden. Dies würde dem „fairen Wert“ (Rawls 2006: 230) gleicher politischer F.en entsprechen. Zusätzlich erkennt der egalitäre Liberalismus Gleichheit als Verteilungsgrundsatz für die in einem Staat entstehenden Lasten und Güter an. Er qualifiziert dadurch den Wert der F. als Legitimationsgrundlage staatlicher Ordnung.

2.2.3 Perfektionistischer Liberalismus

Für den perfektionistischen Liberalismus sind staatlich garantierte F.en in erster Linie von instrumenteller Bedeutung, da diese es Bürgern erlauben, ihre Individualität bestmöglich zu entwickeln. In Anlehnung an Wilhelm von Humboldts Schriften zur Singularität jeder Person und deren Aufgabe ihren je spezifischen Neigungen und Talenten nachzugehen sowie diese zu entfalten, verteidigt John Stuart Mill eine freiheitliche staatliche Ordnung, die ihren Mitgliedern diese Art von individueller Entwicklung erlaubt. Es sei „vorteilhaft, dass man den verschiedenen Charaktereigenschaften Spielraum lässt […] und dass man den Wert verschiedener Lebensarten praktisch ausprobiert, wenn jemand es für richtig hält, sie zu versuchen“ (Mill 1974: 82). Ähnlich argumentiert Joseph Raz, dass nur ein liberaler Staat ein hinreichendes Maß an sozialer Diversität aufweist, das nötig ist, um sich mit unterschiedlichen Lebensweisen auseinandersetzen zu können, und sich dadurch bewusst für seinen eigenen Lebensweg entscheiden zu können. Der liberale Staat soll sich aber zurückhalten, genau diese individualitätszentrierte Auffassung des Guten explizit zu favorisieren, da er dadurch indirekt jene Auffassung des Guten bestmöglich begünstigt, welche besagt, dass Menschen möglichst individuell ihre persönlichen Neigungen identifizieren und verfolgen sollen. Dieser Liberalismus ist „perfektionistisch“, da er auf eine vollkommene Entwicklung individueller Persönlichkeit abzielt. Er ist auch utilitaristisch (Utilitarismus) bzw. konsequenzialistisch, da die Entfaltung menschlicher Individualität als effektivstes Mittel zur Erreichung größtmöglichen Nutzens oder Wohlergehens gilt. Staatlich gesicherte F.en, die Individualität ermöglichen, sind hierfür von instrumenteller Bedeutung.

2.2.4 Politischer Liberalismus

Anders als der perfektionistische Liberalismus verhält sich der politische Liberalismus nicht nur auf staatlich-institutioneller, sondern auch auf philosophischer Ebene gegenüber unterschiedlichen Auffassungen des guten Lebens neutral. Hierfür klammert er „ethische“ Fragen des guten Lebens, sowie andere, nicht im engeren Sinne politische Fragen – wie z. B. die metaphysische Frage nach einem Leben nach dem Tod oder der Unsterblichkeit der Seele – explizit aus. Die politische Philosophie, so der politische Liberalismus, darf nicht als Anwendung allg.er ethischer Grundsätze auf den Bereich der Politik angesehen werden. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Begründung politischer Grundsätze ergibt sich aus dem „Faktum eines vernünftigen Pluralismus“ (Rawls 1998: 91). Diesem zufolge sind vernünftige Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der besten Konzeption des guten Lebens in einem liberalen Staat von dauerhafter Natur – zumindest sofern dieser Gedanken-, Meinungs- und Versammlungs-F. effektiv schützt. Die Begründung von F.en darf deswegen nicht auf einer bestimmten Konzeption des Guten beruhen, etwa J. S. Mills Ideal der Individualität, da eine solche nicht für alle vernünftigerweise teilbar ist. Diejenigen, welche romantische und traditionalistische Konzeptionen des Guten befürworten, begreifen die Bedeutung und den Zweck eines gelingenden Lebens lediglich innerhalb einer existierenden gemeinschaftlichen Praxis, und schreiben dieser nicht von einem distanzierten individuellen Standpunkt einen bes.n Wert zu. Folglich können sie nicht ein perfektionistisches Ideal der Individualität als normative Grundlage für die Gültigkeit der freiheitlichen staatlichen Ordnung anerkennen. Der politische Liberalismus begründet diese Ordnung deswegen ohne Rückgriff auf eine bestimmte Auffassung des Guten. Wechselseitiger Respekt, Achtung menschlicher Würde oder eine bestimmte Konzeption von Autonomie sind die alternativen moralischen Grundlagen, auf denen Grund-F.en gerechtfertigt werden.

2.3 Diskurstheorie

Jürgen Habermas’ Diskurstheorie des demokratischen Rechtsstaats enthält ein F.s-Verständnis, das „zwischen“ den republikanischen und liberalen Theorien situiert ist. Kern dieses Verständnisses ist die „Gleichursprünglichkeit von politischer und privater Autonomie“ (1992: 161), das liberale und republikanische F.en in ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis setzt. Einerseits sind die liberalen, negativen F.en ohne die Verwirklichung politischer Autonomie unzureichend legitimiert und inhaltlich unterdeterminiert. Andererseits sind die republikanischen, politischen F.en unbedeutsam, solange Bürger keine private Autonomie genießen und keine eigenen Auffassungen des Guten entwickeln und praktizieren können. Diesen „internen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Volkssouveränität“ (1992: 157) rekonstruiert J. Habermas als eine Anwendung des sog.en „diskursethische[n] Grundsatz[es]“ (1983: 76) auf die Rechtsform. Dieser Grundsatz, demgemäß alle potentiell von Normen Betroffenen diesen zustimmen können müssten, erscheint im rechtlichen Kontext als ein Demokratieprinzip, das den „Kern eines Systems von Rechten“ (Habermas 1992: 157) bildet. Dieses Rechtssystem muss sowohl negative als auch positive F.en gewährleisten, um somit der Idee der Autonomie von Rechtsträgern, die sich als Adressanten sowie Autoren des Rechts verstehen können müssen, Rechnung zu tragen.

Dieser diskurstheoretische Ansatz unterscheidet sich vom kommunitaristischen Republikanismus, da die Ausübung politischer F. nicht als ethische Selbstverständigung darüber charakterisiert wird, worin für alle Bürger das gute Leben besteht. Gleichwohl können ethisch orientierte politische Diskurse dazu dienen, zu bestimmen, worin das spezifisch politische Gemeinwohl besteht, obwohl diese nicht darauf abzielen, ethische Differenzen bzw. „das Faktum eines vernünftigen Pluralismus“ (Rawls 1998: 91) zu überwinden. Diese Identifizierung und Begründung des Gemeinwohls realisiert politische Autonomie, betrifft aber auch die inhaltliche Ausgestaltung negativer F.en. Somit dient politische F., anders als im neo-römischen Republikanismus, nicht nur dem effektiven Schutz bereits auf nicht-politische Weise begründeter negativer F.en. Die Trennung von Fragen politischer Normativität von denen des guten Lebens eines Individuums oder einer nicht-politischen Gemeinschaft entspricht vielmehr dem politischen Liberalismus, der ebenfalls auf eine solche Unterscheidung besteht.

II. Theologisch

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1. Das Christentum als Religion der Wahrheit und Freiheit

Seitdem die Kirchenväter die menschliche F. als eine zentrale Implikation und Konsequenz des christlichen Glaubens gegenüber dem antiken Fatalismus verteidigten, versteht sich das Christentum als die Religion der Wahrheit und F. Denn der Wahrheitsanspruch der biblischen Offenbarung lässt sich ohne den korrespondierenden Begriff der F. nicht angemessen denken. Der zentrale Inhalt des christlichen Glaubens, die Offenbarung Gottes als Liebe, verlangt, dass Gott sich in ein freies Verhältnis zu seiner Schöpfung setzt. Damit ist nicht nur die F. Gottes im Schöpfungsakt gegenüber philosophischen Konzepten der Weltentstehung festgehalten, die von einer notwendigen Emanation der Welt aus dem göttlichen Urgrund ausgehen. Vielmehr erschafft Gott ein mit Autonomie und F. ausgestattetes Gegenüber, das ihm in freier Gegenliebe antworten kann.

Dasselbe die menschliche F. konstituierende Grundverhältnis setzt sich im Offenbarungsgeschehen fort: Die als freie Selbstmitteilung Gottes an den Menschen gedachte Gnade zerstört menschliche F. nicht, sondern setzt sie voraus. Das klassische gnadentheologische Axiom gratia non destruit, sed supponit naturam wird von der gegenwärtigen Theologie im Anschluss an Karl Rahner auf die Konstitution der geschaffenen, endlichen F. des Menschen bezogen. Selbständigkeit und Eigentätigkeit des Menschen widersprechen nicht seiner Abhängigkeit von Gott, sondern werden durch diese begründet. Die menschliche F. und die Abhängigkeit von Gott wachsen daher nicht im umgekehrt proportionalen, sondern im gleichen Verhältnis. Dies bedeutet: Theonomie und Autonomie, Glaubensgehorsam und sittliche F. sind keine prinzipiellen Gegensätze. Sie können in der gegenwärtigen Theologie vielmehr in versöhnter Weise aufeinander bezogen werden, indem diese unter Aufnahme kritischer Denkmotive der neuzeitlichen F.s-Philosophie die von Gott in der Schöpfung grundgelegte und in Jesus Christus geschenkte F. als eine notwendige Konsequenz des christlichen Heilsverständnisses denkt.

Ansätze dazu finden sich bereits in der mittelalterlichen Theologie bei Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus. Für Thomas sind Geist, freier Wille und Selbstmächtigkeit des Menschen Folge seiner Gottebenbildlichkeit. Die gesamte Ethik des Thomas betrachtet den Menschen als Bild Gottes unter der Rücksicht, dass „er der Ursprung seiner Handlungen ist, d. h. freien Willen und Macht über sein Handeln besitzt“ (STh I-II, Prolog). J. Duns Scotus betrachtet Schöpfung und Erlösung des Menschen nicht als zwei sukzessive Etappen der Heilsgeschichte, sondern nach dem Modell zweier konzentrischer Kreise: Danach bewegt der Wunsch, Mitliebende zu finden, Gott bereits dazu, die Schöpfung als das Andere seiner selbst ins Dasein zur rufen. Der Mensch verwirklicht seine Bestimmung zum Bild-Gottes-Sein, indem er sich Gott in freier Gegenliebe für sein Handeln in der Welt zur Verfügung stellt.

Die Konstitution des Menschen als freies Gegenüber zu Gott und die Grundlegung seiner sittlichen Autonomie müssen in der Verlängerung solcher Ansätze als denknotwendige Konsequenz einer Theologie angesehen werden, die Gott und Mensch nicht als Konkurrenten bestimmt, sondern Gottes schöpferisches Sein als vollendete F. und Liebe denkt. Es liegt freilich in der inneren Logik eines derartigen theologischen F.s-Denkens, dass Gottes frei gewähltes Verhältnis zur endlichen F. des Menschen eine Einschränkung seiner Allmacht impliziert, in der diese zugl. ihre höchste Steigerung erfährt. Denn als wahrhaft schöpferische Kraft kann sie sich erst in der Hervorbringung eines Anderen vollenden, das ihr gegenüber selbst frei ist. In der Perspektive des christlichen Glaubens ist die menschliche F. daher Voraussetzung und Folge der Liebe Gottes, über die hinaus eine größere Liebe nicht gedacht werden kann.

2. Das biblische Freiheitsverständnis

Dieses theologische F.s-Verständnis ist in der Heiligen Schrift vielfach vorgebildet. Die Geschichte des Volkes Israel beginnt mit einem F.s-Geschehen, dem Exodus aus der Knechtschaft Ägyptens, der im jährlichen Paschafest erinnernd vergegenwärtigt wird. In der Theologie der Synoptiker verweisen die Krankenheilungen Jesu darauf, dass die Versklavung unter dämonische Mächte im Reich Gottes ein Ende hat. Das Evangelium ist ein „Ruf der Freiheit“ (Käsemann 1972), der den Menschen aus allen Bindungen entlässt und in die F. der Gottesherrschaft hineinruft. Die Jünger folgen diesem Ruf „sofort“ und lassen sich auch durch die Verpflichtungen zur Verwandtschaftssolidarität und zur Pietät gegenüber den Toten nicht von der Nachfolge Jesu abhalten (Mk 1,16–20; Mt 22; Lk 14,26). Die F. im Reich Gottes zeigt sich als F. von ängstlicher Sorge, Menschenfurcht und Todesangst (Mt 6,25–34). V. a. aber zeigt sich die neue F. des Evangeliums in der Souveränität Jesu gegenüber dem jüdischen Gesetz, die dessen urspr.en Sinn, dem Menschen zu dienen, wieder freilegt.

Das paulinische F.s-Verständnis ist christologisch und pneumatologisch bestimmt. Der Mensch ist nicht deshalb frei, weil Freisein zur Naturausstattung seines Wesens gehört, sondern weil ihm aus der Bindung an Christus die eschatologische F. erwächst. Jesus Christus ist für Paulus der schlechthin Freie, der „Sohn“ inmitten von Sklaven, die durch ihn „Söhne“ und darin frei werden können (Gal 4,4–7; Röm 8,21). Diese aus der Annahme des Evangeliums und dem Empfang der Taufe folgende F. ist negativ als F. vom Gesetz, von der Sünde und von Todesangst und positiv als F. zur Liebe bestimmt. Im Galaterbrief deutet Paulus die gesamte Existenz des Christen als Berufung zur F. (Gal 5,1.13). Den Akt der Befreiung aus Sünde und Tod deutet Paulus als Übergang von einem Herrschaftsbereich in den anderen, als Wechsel vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ zum „Gesetz des Geistes und des Lebens“ (Röm 8,2). Dieses kann als ein Gesetz ohne Gesetzlichkeit beschrieben werden. Wahre F. bedeutet daher nicht Ungebundenheit, sondern findet ihren Maßstab in der Liebe. Den Übergang zu diesem neuen Gesetz der F. beschreibt Paulus häufig im Bild des Sklavenloskaufs (1 Kor 6,20; Gal 3,13; 4,5; 2 Petr 2,1). In äußerster Prägnanz beschreibt Paulus den neuen Lebensraum mit dem Satz: „Wo der Geist der Freiheit ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17).

Während das paulinische F.s-Verständnis negativ vom Gesetz und positiv durch den Geist bestimmt ist, folgt F. nach der johanneischen Konzeption aus der Bindung an die Wahrheit. Wie kein anderes Wort aus der Bibel hat der Satz „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32) das philosophische Nachdenken über die F. beeinflusst. Umgekehrt eignet sich die vom paulinischen und johanneischen F.s-Verständnis inspirierte philosophische Terminologie, um die Struktur des biblischen F.s-Denkens zu erfassen: Christliche F. ist nicht nur ein leerer Möglichkeitsbegriff, der sich im Freihalten von Optionen erschöpft, sondern als F. zum Einsatz im Reich Gottes und als F. zur Liebe ein Verwirklichungsbegriff, der eine umfassende Sinndeutung des Lebens nach dem Muster der strong evaluations von Charles Taylor voraussetzt.

3. Die Kirche als Anwältin der Freiheit

Die europäische F.s-Geschichte ist entscheidend durch das Gegenüber von geistlicher und weltlicher Gewalt geprägt. Der Dualismus von Kirche und Staat (Kirche und Staat) führte einerseits zu einer Säkularisierung der politischen Autorität des Staates, so dass es, anders als unter dem Einfluss des orthodoxen Christentums, im Westen nicht zur Ausbildung einer theokratischen Herrschaftsordnung (Theokratie) kommen konnte. Andererseits ist aber auch die Kirche in ihrer geschichtlichen Ausprägung nicht mit dem Reich Gottes identisch, obwohl sie diesen Anspruch aufgrund einer Fehldeutung der augustinischen Geschichtstheologie lange Zeit erhob. Deshalb forderte die Kirche in der Geschichte für sich F. und Unabhängigkeit gegenüber dem Staat. Die Forderung nach der libertas ecclesiae führte zur Entsakralisierung und Säkularisierung des Staates, einem Vorgang, der sich infolge der Religionsspaltung und Konfessionalisierung des Christentums zu Beginn der Neuzeit nochmals verstärkte. Auf indirekte Weise trugen Religion und Christentum in Europa so zur Entstehung eines freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsverständnisses bei, dessen harten Kern, die Gewissens- (Gewissen, Gewissensfreiheit) und Religionsfreiheit, die religiöse Neutralität des Staates und die politische Herrschaftsform der liberalen Demokratie die Kirche allerdings bis ins 20. Jh. hinein bekämpfte. Im 19. Jh. verurteilten die Päpste Gregor XVI., Pius IX. und Leo XIII. ein liberalistisches Verständnis der Gewissens- und Religions-F., in dem sie einen Angriff auf den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens erkannten. In dem Konflikt zwischen Wahrheit und F. anerkannte die Kirche nur das Recht der Wahrheit, der gegenüber der Irrtum keinen gleichrangigen Anspruch auf Unterstützung und Propaganda erheben könne. Gemäß der sog.en Toleranzhypothese konzedierte die Kirche dem Staat allenfalls das Recht, den Irrtum zu tolerieren, wenn unter den gegebenen Umständen der gesellschaftliche Friede und das bürgerliche Zusammenleben im Staat eine Duldung des Irrtums erfordern. In abgemilderter Form wurde die Verpflichtung des Staates, Sorge für die rechte Gottesverehrung seiner Bürger zu tragen, noch in der Toleranzansprache von Papst Pius XII. vom 6.12.1953 vertreten. Wenige Jahre später kam es in der Enzyklika „Pacem in terris“ von Papst Johannes XXIII. zu einem Umschwung, als das Lehramt erstmals einen Katalog allg.er und unveräußerlicher, in der Würde des Menschen als Person gründender F.s-Rechte vorlegte. Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religions-F. „Dignitatis humanae“ (DH) von 1965 vollzog explizit den Wechsel von einem Recht der Wahrheit zum Recht der Person. Dadurch anerkennt die Kirche das in der unverlierbaren Menschenwürde gründende Recht, frei und ungezwungen nach der Wahrheit zu suchen und der erkannten Wahrheit ebenso frei und ungehindert zu folgen. Die Eingrenzung auf die „gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Belangen“ (DH) führt zu einer klaren Unterscheidung der politisch-bürgerlichen F. von der christlichen F. und der F. in der Kirche. Generell ist die Erklärung, die allg. als ein Meilenstein im Prozess der Annäherung an die Moderne Anerkennung fand, durch den die katholische Kirche ihre geistige und kulturelle Isolation im 19. Jh. überwand, durch eine Hochschätzung der F. geprägt.

Die Anerkennung der Religions-F. als grundlegendes Menschenrecht wurde durch die Einsicht ermöglicht, dass nicht die Wahrheit als abstrakte Größe, sondern nur die menschliche Person Trägerin bürgerlicher Rechte sein kann. Ebenso hält das Konzil fest, dass das Recht auf religiöse F. nicht im Widerspruch zum Anspruch der Wahrheit steht und keineswegs zur Indifferenz ihm gegenüber führt. Mit Rücksicht auf die innere, den Menschen im Gewissen bindende Verpflichtung durch die erkannte Wahrheit muss sich die staatliche Gewalt jeder Einmischung in das religiöse Leben der Bürger enthalten. Zugl. wird festgehalten, dass dieser Anspruch der Wahrheit nur in einer ihr gemäßen Weise, nämlich in der Kraft der Wahrheit selbst und in der F. des Gewissens, anerkannt werden kann.

Auf der praktischen Ebene folgt aus dem Prinzip der Religions-F. das Recht, frei von jedem Zwang den eigenen Glauben privat und öffentlich, als einzelner und in Gemeinschaft mit anderen innerhalb der Grenzen des ordre public zu vertreten. In bewusster Abkehr von der Tradition des Anti-Liberalismus der klassischen kirchlichen Staatslehre anerkennt das Konzil damit zwei zentrale Grundsätze des modernen Verfassungsdenkens, das Prinzip der Nichtzuständigkeit des säkularen Staates in Bezug auf religiöse oder weltanschauliche Fragen und die F.s-Vermutung als Beweislastregel im Verhältnis der Bürger zum Staat. Das Recht auf religiöse F. umfasst daher auch das Recht, Gott nicht anzuerkennen und keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Die Bedeutung der Erklärung DH kann kaum überschätzt werden. Durch die Anerkennung der in der Menschenwürde begründeten bürgerlichen F.s-Rechte und die politisch-ethische Legitimation des liberalen Verfassungsstaates befreit sich die katholische Kirche aus der Gefangenschaft einer splendid isolation gegenüber der F.s-Kultur der modernen Welt, in die sie im 19. Jh. geraten war. Das Konzil schuf die Grundlage dafür, dass die katholische Kirche heute in der internationalen Politik und Diplomatie als weltweit agierende Anwältin der Menschenrechte anerkannt ist, die für die F. des Glaubens und des Gewissens, für die Unverletzlichkeit von Leib und Leben jedes Menschen und für die Respektierung der bürgerlichen F.s-Rechte eintritt.

4. Die Kirche als Ort der Freiheit

Wenn das Recht auf religiöse F. in der Würde der Person gründet, muss dieses Recht auch innerhalb der Kirche, im Verhältnis der Getauften untereinander und in ihrem Verhältnis zu den kirchlichen Amtsträgern Anerkennung finden. Nicht nur die evangelische Kirche, sondern auch die katholische Kirche ist von ihrem eigenen Selbstverständnis her ein Ort der F., auch wenn die praktische Verwirklichung dieses Postulats bis in die Gegenwart noch nicht überzeugend gelungen ist. Damit die F. der Gläubigen nicht nur auf einer allg.en anthropologisch-ethischen Ebene als Grundbestimmung einer christlichen Existenz geglaubt, sondern als konkrete F. des Einzelnen in der Kirche anerkannt ist, muss die theologische Lehre von der F. des Glaubensaktes umfassender verstanden werden, als dies in ihrer scholastischen Form der Fall war. Im Anschluss an das augustinische Axiom Non potest credere nisi volens („Man kann nur aus freien Stücken glauben“) hatte die Theologie zwar stets die F. des Glaubensaktes postuliert, ihr aber die unbedingte Pflicht zur Seite gestellt, an der einmal erkannten Glaubenswahrheit festzuhalten (STh II-II, q. 10 a. 8). Da nach mittelalterlichem Verständnis die frei erfolgte Glaubenszustimmung ein rechtsartiges Treueverhältnis (fides) begründet, legitimierte die scholastische Theologie (Scholastik) auch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel gegen Häretiker und Schismatiker. Dabei deutete sie das johanneische Wort von der freimachenden Wahrheit in dem Sinn, dass die F. durch die Annahme der Glaubenswahrheit ihre innere Erfüllung gefunden hat und insofern in die F. der Entschiedenheit, den Glauben zu bekennen und im eigenen Leben zu verwirklichen, übergegangen ist. Zudem bestehe innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Kirche kein Spielraum für die Anerkennung einer privaten Urteils-F. einzelner Gläubiger, da dies die Einheit der Kirche bedrohe und die Verpflichtung aufhebe, den katholischen Glauben zu bekennen.

Gegenüber derartigen Tendenzen zur Einschränkung der F. in der Kirche ist zu betonen, dass der Glaube nicht nur in seinem Ursprung, sondern in seinem gesamten lebendigen Vollzug als Realisierung christlicher F. gelten muss. Auf dem Konzil entstand deshalb der Gedanke, dem kirchlichen Gesetzbuch korrespondierend zu den Pflichten der Gläubigen einen Katalog von Grundrechten in der Kirche einzufügen, der im CIC 1983 dann aber nicht weiter verfolgt wurde. Da die Menschenrechte urspr. als Abwehrrechte der Bürger gegen einen weltanschaulich neutralen Staat konzipiert sind, lässt sich die Idee der Menschenrechte nur in analoger Weise auf die Verfassungsstrukturen der katholischen Kirche übertragen.

III. Freiheit im Recht und als Prinzip des Rechts

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1. Freiheit als Leitprinzip der Moderne

1.1 Freiheit als Tatsache und als Prinzip rechtlicher Ordnung

Das Recht als äußere Ordnung des Verhaltens von Menschen nimmt die F. des Einzelnen zunächst ungeachtet ihrer Begründung als Tatsache zur Kenntnis. Sie ist heute maßgeblicher Faktor jeder politischen Ordnung und ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Offenkundig gehen selbst diejenigen Regime von ihr aus, die jedwede Beunruhigung durch den Geltungsdrang individueller F. fürchten und ihn wo immer möglich unterdrücken. Der moderne Verfassungsstaat, wie ihn die nordamerikanische und Französische Revolution des ausgehenden 18. Jh. hervorgebracht haben, pflegt zur individuellen F. allerdings ein bes.s Verhältnis, indem er sie als Leitprinzip proklamiert und seiner Ordnung zugrunde legt. Von hier aus hat F. als Prinzip rechtlicher Ordnung weltweite Verbreitung gefunden. Das belegen neben den Verfassungsurkunden der Einzelstaaten die Menschenrechtserklärungen, -konventionen und -pakte, die sie in Gestalt urspr.er, mit dem Menschen geborener Rechte anerkennen und die ihrem Schutz zu dienen bestimmt sind.

1.2 Freiheit als positives Vermögen

Fragt man nach der Herkunft der vom Recht affirmativ in Bezug genommenen menschlichen F., befindet Georg Wilhelm Friedrich Hegel kurzerhand „daß die Freiheit als eine Tatsache des Bewußtseins gegeben sei und an sie geglaubt werden müsse“ (Hegel 1970: 48). Immanuel Kant erläutert, dass das (innere) Vermögen der Selbstbestimmung (sich unabhängig von den unausweichlichen Sachzwängen der Naturkausalität und von sozialer Prägung Zwecke, dadurch sich stets auch selbst als Zweck setzen zu können) die individuelle F. des Menschen ausmacht. Es zeichnet den Menschen kraft seiner Moralität aus, d. i. als Person, „als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft“ (Kant 1956: 569). Auch hiernach ist die F. unabweisbare, allseits vorauszusetzende und vorausgesetzte Tatsache: Faktum der praktischen Vernunft. Die praktische Vernunft macht einem jeden die Wirklichkeit der F. in praktischer Hinsicht unmittelbar bewusst durch die allg.e, jederzeit gegenwärtige Verbindlichkeit des Moralgesetzes, wie sie der kategorische Imperativ auf den Begriff bringt (Kant 1956: 140): „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Das positive Vermögen, sein Verhalten selbst – autonom, unabhängig von Naturkausalität – durch Prüfung der jeweiligen Handlungsmaxime auf ihre Tauglichkeit zum allg.en Gesetz zu bestimmen, ist dem Menschen in der Situation der Entscheidung als selbstverpflichtender, unausweichlicher moralischer Zwang zum Rechthandeln offenbar. Es gibt, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, keine dem so als verpflichtend erkannten Gebot zuwiderlaufende Handlung (oder Unterlassung), die rückblickend nicht hätte zugunsten gesetzmäßigen Verhaltens vermieden werden können. In dieser Moralität des Menschen erweist sich seine F. – als positives Vermögen, sein Handeln stets am selbstgegebenen Gesetz orientieren zu können (Autonomie). Die daraus sich ableitende Einsicht, nach der „eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist“ (Kant 1956: 329 f.), ist zentral für die Rechtslehre im Rechts- und Verfassungsstaat – nicht zuletzt, weil nur der Person ihre Handlungen als Taten zugerechnet werden können.

1.3 Notwendigkeit und Bedingtheit des Rechts

Das innere Vermögen des Menschen zu moralischer Orientierung, das seine F. als Person ausmacht, garantiert nicht die Vermeidung oder Bewältigung von Konflikten im Verhältnis der moralischen Subjekte. V. a. geht zwar die Prüfung der eigenen Maximen auf ihre Tauglichkeit zum alle verpflichtenden allg.en Gesetz aufs Ganze und mag darum im Umgang mit anderen gewisse Anhaltspunkte für die Berechtigung eigener Verhaltenserwartungen liefern. Denn sie bezieht hypothetisch diese anderen als moralische Subjekte und Mitgesetzgeber ein. Dadurch werden aber vornehmlich deren mögliche Zwecksetzungen und sie selbst als Personen ernst genommen. Die Maximenprüfung bleibt gleichwohl subjektiv auf das eigene Rechthandeln gerichtet, bietet keinerlei Grundlage für unvermittelt einforderbare (Leistungs-, Duldungs-, Unterlassungs-)Ansprüche im Außenverhältnis zu anderen. Es bedarf einer verbindlichen Ordnung äußeren Verhaltens, die nicht (wie die Ethik) auf die inneren Beweggründe abzielt, sondern erzwingbare Gesetze für Handlungen gibt. Das ist die Aufgabe des Rechts. Auch soweit es von der Autonomie des Menschen als Person ausgeht, „gründet [es] sich […] zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetz, aber die Willkür darnach zu bestimmen darf und kann es […] sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen […]“ (Kant 1956: 339; vgl. I, 3, § 3 PrALR: „Wo das Vermögen frey zu handeln, ganz mangelt, da findet keine Verbindlichkeit aus den Gesetzen statt“). Das Recht soll F. gerade als Ausdruck individueller Autonomie ordnen, ohne unmittelbar auf die innere Zwecksetzung der Rechtsunterworfenen durchgreifen zu dürfen. Diese Aufgabenstellung eröffnet unterschiedliche Perspektiven auf das F.s-Prinzip im Recht, die sich in der Person als dem maßgeblichen Zurechnungspunkt einer freiheitlichen Rechtsordnung treffen.

2. Freiheit und Recht

Wird F. als individuelle F. des Menschen und diese als subjektives inneres Vermögen zur Selbstgesetzgebung verstanden, das dem Menschen dank seiner Vernunftnatur zukommt, folgt daraus, über die Einsicht in die Notwendigkeit adäquater rechtlicher Ordnung hinaus, ein urspr.er, vorpositiver Rechtsanspruch des Menschen auf ein Recht, das dieses F.s-Vermögen im Außenverhältnis allgemeinverbindlich anerkennt und schützt. In Anbetracht des subjektiven Charakters des F.s-Vermögens handelt es sich notwendig um ein „Recht auf Rechte“ (Enders 1997: 502 f.), das die Würde des Menschen kennzeichnet. Dieser urspr.e Rechtsanspruch verlangt, dass die Rechtsordnung den Menschen zu ihrem letztverbindlichen Zurechnungspunkt erklärt, indem sie ihn als Person in seiner Rechtsfähigkeit anerkennt, das bedeutet: als Träger von Rechten und Pflichten (§ 16 des österreichischen ABGB von 1811: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als Person zu betrachten“). Diese Anerkennung formuliert auch eine Zumutung: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“, lautet nach G. W. F. Hegel das grundlegende Rechtsgebot (Hegel 1970: 95). Nur wer sich selbst als Person (damit Selbstzweck) schätzt, sieht sich überhaupt – ungeachtet möglichen äußeren Zwangs – durch vernunftgebotene Verhaltensregeln gebunden und wird Pflichten auch gegenüber anderen akzeptieren können. Dem Selbstmordattentäter bedeutet das Leben der anderen so wenig wie das eigene – er macht gleichermaßen sich selbst wie alle anderen zum bloßen Mittel vermeintlich höherer Zwecke.

Steht im Zentrum einer Rechtsordnung, die der F. als Rechtsprinzip verpflichtet ist, der Mensch als Person, erscheinen in der Folge die Beziehungen zwischen Menschen (auch) als Rechtsverhältnisse wechselseitig gleicher Rechte und Pflichten, in denen die Beteiligten jeweils sich als Selbstzweck zu behaupten bestrebt, dabei zugl. gehalten sind, ihr Gegenüber als Person zu respektieren. Hier gilt: Wer Pflichten haben soll, muss Rechte haben. Der Mensch als Person kann nie auf eine reine Pflichtenstellung reduziert werden. Sklaverei und Leibeigenschaft sind unter einer solchen Rechtsordnung ausgeschlossen (Art. 4 AEMR, Art. 4 EMRK, Art. 8 ICCPR). Indem aber individuelle F. sich derart in Rechtsverhältnissen zwischen Personen realisiert, äußert sie sich in der Gleichheit der wechselseitigen Zwangsrechte. Die wechselseitig gleichen Zwangsrechte konstituieren die Eigenrechtssphäre, die den Einzelnen von Zumutungen der Außenwelt abschirmt und in der jeder selbstverantwortlich seine Vorstellungen eines guten Lebens, orientiert an den eigenen moralischen Grundsätzen, realisieren kann. Sie bewehren die dem Rechtsbegriff der F. immanente Schranke, die das maßgebliche Konstruktionsprinzip rechtlicher F. auf der Ebene der Gleichordnung der Rechtssubjekte bezeichnet: die gleiche gesetzmäßige F. aller anderen. Deshalb stellt das Bürgerliche Recht (§ 903 BGB) das Eigentümerbelieben unter den Vorbehalt der Rechte Dritter, darf im öffentlichen Baurecht der Grundstückseigentümer die Einhaltung derjenigen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen, denen er in der Ausnutzung seines Grundstücks unterliegt, auch vom Nachbarn verlangen (BVerwGE 94, 151, 155) oder ist ein Gebrauch der Versammlungsfreiheit unzulässig, der missliebige andere Demonstrationen gezielt verhindern soll (vgl. § 2 Abs. 2 VersG). Ein „Grundrecht auf Sicherheit“ (vor Übergriffen Dritter; Art. 2 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) hat demgemäß zwangsläufig rein deklaratorische Bedeutung.

3. Freiheit und Staat; Grundrechte

Die Bestimmung des Rechts aus dem Prinzip der F. lässt offen, wie die Eigenrechtssphäre gesetzmäßig – für alle gleich und in jedem Fall verbindlich – zu bestimmen wäre. Das kann in Konsequenz des F.s-Prinzips nur im Wege einer allg. durch Beteiligung verpflichtenden Gesetzgebung und d. h. durch den vereinigten Willen aller geschehen. Damit gerät aus der Perspektive der spezifischen Ordnungsfunktion des Rechts der Staat als Organisationsform und Garant allg. gesetzmäßiger F. in den Blick. Der Staat fungiert zunächst als „Vereinigung zur Einführung des Rechtsverhältnisses, das ist der Freiheit aller von der Freiheit aller“ (Fichte 1971: 411; vgl. die F.-Schranke der gesetzmäßigen Rechte anderer in Art. 4 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte; Art. 2 Abs. 1 GG), wie dies im Herrschaftsbegründungsmodell des Gesellschafts- und Staatsvertrags (Vertragstheorien) versinnbildlicht wird. Der aus seinem F.s-Vermögen sich ableitende Rechtsanspruch des Einzelnen mündet daher, das verbürgt die Verfassung des modernen Staates, in ein Staatsbürgerrecht auf Mitbestimmung, auf Repräsentanz in der Gesetzgebung des politischen Gemeinwesens.

Kennzeichnend für den Verfassungs- als Rechtsstaat ist darüber hinaus, dass er den aus seinem F.s-Vermögen sich ableitenden Rechtsanspruch des Einzelnen, seine allg.e Rechtsfähigkeit kraft seiner Verfassung zum Strukturprinzip erhebt. Missachtung der Rechtsfähigkeit kennzeichnet den Unrechtsstaat (Art. 16 ICCPR). Bejahung der Rechtsfähigkeit bedeutet, dass die Beziehungen des Einzelnen auch zum Staat in einem Rechtsverhältnis korrespondierender Rechte und Pflichten zusammengefasst und ausgestaltet werden. Die allg.e Pflicht zum Gesetzesgehorsam findet ihre Entsprechung in einer rechtsstaatlichen Rücksicht auf den Rechtsanspruch der Verpflichteten, in ihrer inneren (Selbst-)Zwecksetzung als moralische Subjekte wie in ihrem äußeren F.s-Gebrauch respektiert zu werden. Dem Staat ist kategorisch untersagt, die innere (Selbst-)Zwecksetzung der Gewaltunterworfenen unterlaufen und seiner Fremdregie unterstellen zu wollen – daher das Folterverbot (Art. 5 AEMR, Art. 3 EMRK, Art. 7 ICCPR). Darüber hinaus bedarf, da der Staat im Rechtsprinzip der F. deren Vorrang anerkennt, jede F.s-Beschränkung des rechtfertigenden Titels – eine grundsätzliche Argumentationslastverteilung, die als „rechtsstaatliches Verteilungsprinzip“ bezeichnet worden ist.

Die verfassungsmäßigen Grundrechte gewährleisten diesen individuellen Rechtfertigungsanspruch urspr. nur mittelbar. Sie statuieren keineswegs allg.e Gesetze, die die Einzel-F. mit dem Herrschaftsanspruch des Staates rechtsförmig zum Ausgleich bringen. Sie sind nicht subjektive Rechte des Individuums, sondern „Volksrechte“ (Gerber 1852: 76; vgl. die „Grundrechte als geringstes Maaß deutscher Volksfreiheit“, gefordert im Beschluss des Vorparlaments zu Frankfurt vom 4.4.1848), die diejenigen Bereiche bürgerlicher Interessen markieren, an deren gesetzlicher Regelung das Wahlvolk über seine Abgeordneten in der Ständeversammlung repräsentativ zu beteiligen ist. Den F.s-Schutz des Einzelnen gewährleistet die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ein Prinzip, das individuelle Selbst- und demokratische Mitbestimmung verknüpft. Erst indem die Grundrechte unmittelbar bindend werden für die gesamte Staatsgewalt, werden sie zu echten subjektiven öffentlichen Rechten, die auch vor Übergriffen des gesetzesförmigen Mehrheitswillens schützen (vgl. Art 1 Abs. 3 GG).

4. Demokratische Organisation, soziale Voraussetzungen von Freiheit

Da sich die individuelle Selbstbestimmung in der Teilhabe an der allg.en Gesetzgebung durch den vereinigten Willen aller Staatsbürger fortsetzt, spielt die verfassungsmäßige Organisation der politischen Willensbildung im Staat eine wichtige Rolle für die Durchsetzung der F. Sie muss die Allgemeinheit der Teilhabe (Mitbestimmung) sicherstellen, die das F.s-Prinzip erfordert und die eine adäquate Ordnung der F. garantiert. Dabei erweist sich, dass das Verständnis von „Allgemeinheit“ nicht feststeht, sondern sich mit den sozialen, historisch-politischen Umständen verändert und erweitert hat: Von den frühen Verfassungen auf selbständige männliche Aktivbürger beschränkt, häufig von einem Zensus abhängig, ist heute das demokratische Wahlrecht vom sozialen Status abgekoppelt und steht selbstverständlich auch Frauen zu. Ungeachtet der Frage, ob es ein „Menschenrecht auf Demokratie“ geben kann, ist die Beteiligung an öffentlichen Wahlen ihrerseits möglicher Gegenstand subjektivrechtlicher Gewährleistung (Art. 38 GG). Ob dagegen auch die materiellen Voraussetzungen der formalrechtlich allen gleichermaßen eröffneten Entfaltungschancen durch soziale Rechte individuell gewährleistet werden können, ist zweifelhaft. Allerdings bliebe F. ohne materielle Absicherung der Realisierungsvoraussetzungen ein Privileg des sozial Stärkeren. Das anerkennt der Staat als Sozialstaat. Die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit ist demgegenüber schwerlich durch Rechtsansprüche auf Verfassungsebene zu leisten, da sie immer unter dem Vorbehalt des aktuell (zufällig) wirtschaftlich Möglichen steht und deshalb besser der Entscheidung des Gesetzgebers überantwortet wird. Davon unbeeindruckt hat das BVerfG inzwischen ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ (BVerfGE 125, 175–260) anerkannt.

5. Internationale Zukunftsperspektiven des Freiheitsprinzips

Heute konzentriert sich das Interesse, F. im Wege des Rechts zu ordnen und durchzusetzen, nicht mehr auf die Organisationshoheit des nationalen Staates. Das menschenrechtlich anerkannte individuelle wie kollektive Recht auf Selbstbestimmung ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. zu einer normativen Größe internationalen Rangs geworden. Die Souveränität der Staaten scheint darüber ihre Funktion als Fixpunkt internationaler Rechtsverhältnisse zu verlieren – bis hin zur grenzüberschreitenden gewaltsamen Durchsetzung von Menschenrechtsforderungen in humanitären Interventionen. Indessen zeichnet sich bislang nicht ab, wer anstelle des Staates die zur Durchsetzung des F.s-Prinzips im Wege des Rechts erforderte zwangsbewehrte Organisations-, Treuhänder- und Schutzfunktion wirksam wahrnehmen sollte, mag es auch vielerorts an demokratischer Legitimation mangeln und der Staatsapparat reformbedürftig sein. Ein „Menschenrecht auf Demokratie“ gibt jedenfalls keine Berechtigung, staatliche Souveränität im Interesse des F.s-Prinzips zu überspielen: Zielen Menschenrechte in der Konstituierung einer Eigenrechtssphäre auf Aus- und Abgrenzung, können sie kein positives Recht auf demokratische Teilhabe begründen. Sieht man demgegenüber in ihnen Ursprung und Inbegriff von „Volksrechten“, die eine repräsentative Beteiligung des Einzelnen am politischen Willensbildungsprozess verlangen, so ist eine solche Beteiligung nur in organisierter Form möglich. Sie verlangt Vorkehrungen, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Beteiligung festlegen (Wahlgrundsätze, Wahlalter, Wahlsystem). Ob und wie sie getroffen werden, hängt unmittelbar ab von historisch-politischen Umständen und sozio-kultureller Prägung und kann nicht kraft universal gültigen Rechtsanspruchs eingefordert werden.

Es muss darum im Verhältnis zwischen den Staaten jenseits konsentierter Zwangsmechanismen bei Prinzipien der Moral sein Bewenden haben. Allein beispielgebendes Verhalten liefert hier, wo die Zwangsordnung lückenhaft bleibt, einen Beleg für die Überzeugung von der Allgemeinverbindlichkeit der eigenen handlungsleitenden Maximen und empfiehlt sie so anderen zur Befolgung. Wer Menschenrechte propagiert, sollte sein Handeln an ihren Geboten orientieren. F. ist darum nicht nur im Verfassungsstaat, sondern mehr noch, wenn sie als Rechtsprinzip im globalen Kontext Anerkennung finden soll, „risikoreich und anstrengend“ (Hollerbach 1973: 40).