Faschismus

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1. Der italienische Ursprungsfaschismus

Der F. in Italien entwickelte sich aus einer während des Ersten Weltkriegs entstandenen und in der Demobilmachungskrise angewachsenen radikal nationalistischen politischen Bewegung (Nationalismus), die Krieg verherrlichte und v. a. in der Phase ihres Aufstiegs brutale Gewalt praktizierte, um politische Gegner, insb. Kommunisten und Anarchisten, Sozialisten und linke Gewerkschaftler, aber auch politisch aktive Katholiken zu terrorisieren oder auszuschalten. Der städtische Ursprungs-F., der am 23.3.1919 in Mailand als fascio di combattimento, als postinterventionistischer Kampfbund von Weltkriegsveteranen, futuristischen Intellektuellen und radikalen Gewerkschaftlern ins Leben gerufen wurde und in den Wahlen vom 16.11.1919 ein marginales Ergebnis erzielte, weil er antisozialistische und antikapitalistische Töne anschlug, stieg erst zur politisch relevanten Massenbewegung auf, als er sich mit dem gegenrevolutionären oberitalienischen Agrar-F. verband. Dem früheren Sozialisten Benito Mussolini, der die Parteizeitung Avanti geleitet hatte, 1914 wegen seines Kriegskurses jedoch aus der Partei ausgeschlossen worden war, gelang es, über viele Krisensituationen und interne Konflikte mit den Faschistenführern in der Provinz hinweg, zum unbestrittenen Anführer (Duce) dieser heterogenen Bewegung zu werden, die sich erst auf dem Parteikongress Anfang Oktober 1921 den Namen Partito Nazionale Fascista (PNF) gab. Der Begriff fascio erinnerte an die altrömischen Liktorenbündel, die mit der Französischen Revolution wieder Eingang in die Herrschaftssymbolik gefunden hatten. In Italien waren sie als fascio dei lavoratori seit 1870 zur Selbstbezeichnung für lokal verankerte Organisationskomitees der sozialistischen Arbeiterbewegung, für soziale Protestbewegungen wie agrarreformerische Bünde geworden. Für B. Mussolinis fasci di combattimento war das Liktorenbündel ein Herrschaftszeichen, das Macht- und Gewaltausübung wie die Sehnsucht nach Durchsetzung von Autorität symbolisierte, die sie in der liberal-autoritären konstitutionellen Monarchie Italiens mit ihrer schmalen politischen Spitze und schwachen Mobilisierung der Massen vermissten.

In der Frühphase der Bewegung galt Gabriele D’Annunzio als Vorbild, der am 12.9.1919 mit einer „Legion“ von demobilisierten Soldaten einen „Marsch auf Fiume“ erfolgreich vollendete und damit für B. Mussolini eine Möglichkeit aufzeigte, durch eine entschlossene Kommandoaktion die Weltkriegsveteranen gegen die liberale Politik zu mobilisieren und mit den Frontsoldaten eine wichtige gesellschaftliche Gruppe sowohl der Sozialistischen Partei, wie dem Frontkämpferverband mit dem Zukunftsversprechen zu entziehen, die Nation wieder groß zu machen und auf solche Weise das nicht ausreichend kompensierte (Vittoria mutilata) hunderttausendfache Opfer im Ersten Weltkrieg nachträglich zu rechtfertigen. Doch im November 1919 strafte das Wahlvolk die Interventionisten erst einmal ab. Die Sozialisten und die katholische Volkspartei (Partito popolare) waren die stärksten Parteien und schienen nun die Macht der liberal-konservativen Oberschicht, die 50 Jahre lang das Königreich Italien dominiert hatte, in Frage zu stellen. Die sozialistische Partei dominierte v. a. in den agrarischen Regionen der Po-Ebene. Gegen sie entstand der rasch anwachsende Agrar-F., gefördert von Grundbesitzern und Industriellen, die sich angesichts von Streiks, Fabrik- und Landbesetzungen sowie durch die Forderungen der sozialistischen und katholischen Gewerkschaften in den „beiden roten Jahren“ 1919/20 gefährdet fühlten. 1920/21 stieg die Mitgliederzahl der faschistischen Bewegung von 20 000 auf 250 000 an. Mit dem Agrar-F. kam eine höchst gewalttätige, paramilitärische Komponente in die Bewegung, die squadre d’azione, freikorpsähnliche Stoßtrupps, bald im Schwarzhemd, in denen sich ehemalige Frontkämpfer, vom Krieg entwurzelte Existenzen, aber auch Söhne von Eigentümern zusammenfanden, die geprägt waren von der Obsession des kommunistischen Feinds und Verräters im eigenen Land und die gegen die politisch organisierte und militante Linke terroristische Gewalt entfalteten. Der Polizei- und Justizapparat war gegenüber diesen Schlägerbanden viel nachsichtiger als bei Gesetzesübertretungen durch die Sozialisten, die ihrerseits nicht in der Lage waren, mit der Volkspartei ein antifaschistisches Bündnis zu schließen.

Um seinen Führungsanspruch nach innen durchzusetzen und sich den Zentren der Macht zu nähern, steuerte B. Mussolini einen politischen Kurs mit vielen taktischen Wandlungen. Für die Wahlen vom Mai 1921 ließ er faschistische Kandidaten in den bürgerlichen Wahlblock aufnehmen. Während sich Ministerpräsident Giovanni Giolitti von dieser Absprache eine Schwächung der Sozialisten und eine parlamentarische Einbindung der Faschisten erhoffte – allerdings vergeblich, da der knapp siegreiche Nationalblock zum Regieren zu heterogen war – provozierte B. Mussolini die Radikalen in der eigenen Bewegung mit einem „Befriedungspakt“, den er mit der bisher bekämpften Sozialistischen Partei schloss. Derweil erkämpften sich die faschistischen Gewerkschaften eine Massenbasis (bis zum Juni 1922 war eine Zahl von 458 000 Mitgliedern erreicht, 60 % davon Landarbeiter und Kleinbauern), indem sie in den agrarischen Gebieten – analog zur Strategie der Sozialisten – die Arbeitgeber unter Druck setzten. Der landesweite Generalstreik der sozialistischen Gewerkschaften vom 1.8.1922, der sich gegen ein Abgleiten des Staates in den F. richtete, erhöhte die Wahrnehmung der Gefahr, die von der Linken auszugehen schien. Dies brachte den durch die revolutionären Entwicklungen in Europa ohnehin schon um seinen Thron besorgten König Viktor Emanuel III. dazu, B. Mussolini als Krisenlöser zu akzeptieren. Der Führer der „rechtsrevolutionären Bewegung des Faschismus“ (Schieder 2014: 7) kam mit einer Doppelstrategie an die Macht: Bekenntnisse zur positiven Rolle der Monarchie (Rede in Udine vom 20.9.1922), aber auch zur Gewaltausübung und zur Zerstörung der „sozialistisch-demokratischen Großstruktur“ des Staates, gingen der Drohung mit dem Staatsstreich („Marsch auf Rom“ von einigen Tausend Schwarzhemden am 28.10.1922) voraus. Da die Monarchie von einem Militäreinsatz gegen die Faschisten absah, ging B. Mussolinis erpresserisches Kalkül auf und er wurde vom König mit der Bildung der Regierung beauftragt. Der Faschistenführer stellte damit erneut unter Beweis, dass er – abgesehen von seiner scharfen Frontstellung gegen die sozialistische und kommunistische Linke – ideologisch flexibel war und – Wladimir Iljitsch Lenins Beispiel vor Augen – v. a. auf die Aktion setzte.

2. Regime-Faschismus

Nachdem B. Mussolini am 30.10.1922 Ministerpräsident sowie Innen- und Außenminister einer Koalitionsregierung geworden war, in der die Faschisten in der Minderheit waren, erfolgte in weniger als drei Jahren durch sukzessive Aushöhlung der konstitutionell-monarchischen Verfassung die Errichtung der Diktatur, die über zwei Jahrzehnte hinweg den Staat im faschistischen Sinne transformierte, jegliche Opposition erstickte, an die Anhänger Begünstigungen verteilte und die emotional angesprochenen Volksmassen mit einem widersprüchlichen Programm der Modernisierung totalitär zu mobilisieren versuchte, wobei die Ideologie eher eine „nachgelagerte“ Bedeutung hatte (Schieder 2010: 58), zu deren Programm vor allem die Überhöhung des antiken Rom und die Schaffung eines „neuen faschistischen Menschen“ gehörte.

Als der sozialistische Parlamentsabgeordnete Giacomo Matteotti, der die Aushöhlung der liberalen Demokratie scharf angeprangert hatte, im Juni 1924 ermordet wurde, erreichte der squadristische Terror erstmals die Ebene der politischen Elite. Da der König und die das Militär vertretenden Minister den Ministerpräsidenten ausdrücklich stützten, konnte sich B. Mussolini stark genug fühlen, im Parlament die politische Verantwortung für den Mord zu übernehmen, offen seine antiliberalen und antiparlamentarischen Zielsetzungen zu proklamieren und den Weg in die Diktatur zu beschleunigen. In rascher Folge wurden jetzt zentrale Bestandteile der liberalen Monarchie beseitigt. Dissidente Staatsbedienstete konnten seit 1925 entlassen und durch Parteimitglieder ersetzt werden. Der Regierungschef brauchte keine parlamentarische Bestätigung mehr (24.12.1925); das Streikrecht wurde abgeschafft (3.4.1926), Anti-F. zum Straftatbestand erklärt. Alle gegen das Regime eingestellten Parteien und Verbände wurden mit dem 11.11.1926 aufgelöst: übrig blieb im Parlament nur noch die Einheitspartei des PNF. 1928 wurde der faschistische Großrat zum Verfassungsorgan erhoben, dem eine Mitsprache bei konstitutionell relevanten Themen zukommen sollte, einschließlich der künftigen Thronfolge, was den König unter Anpassungsdruck setzte. 1939, drei Jahre nach der Proklamation des „Kaiserreichs“, erfolgte auch die symbolische Abkehr vom Parlamentarismus mit der Umwandlung des Parlaments in eine „Kammer der Liktorenbündel und der Korporationen“, deren Mitglieder von B. Mussolini und dem faschistischen Großrat bestimmt werden konnten.

Das Verhältnis zwischen Partei und Staatsapparat war von B. Mussolini bereits 1923 zugunsten des letzteren entschieden worden. Im April 1926 wurde die Rolle der Präfekten als Statthalter der Regierung in den Provinzen weiter verstärkt: Sie waren verantwortlich für Ruhe und Ordnung, sie unterstanden dem Innenminister, ein Amt, das B. Mussolini wieder übernahm. Ab September 1926 wurden auch die Bürgermeister von der Regierung nominiert. Die „hyperfaschistischen Gesetze“ vom November 1926 erleichterten es der neugeschaffenen Politischen Polizei, ihren totalitären Anspruch (Totalitarismus) umzusetzen. Sie konnte über die Instrumentarien der Bespitzelung durch die Geheimpolizei OVRA (Opera Vigilanza Repressione Antifascista), der scharfen Verwarnung oder der plötzlichen außergerichtlichen Deportation zu Zwangsaufenthalten an Verbannungsorten eine ebenso einschneidende wie kapillare Kontrolle der Gesellschaft ausüben. Bei Fällen, in denen eine öffentlichkeitswirksame und spektakuläre Bestrafung angebracht erschien, kamen der Polizei der Sondergerichtshof, die Militärgerichtsbarkeit wie die ordentlichen Strafgerichte zu Hilfe. Die Todesstrafe wurde wieder eingeführt. Der staatliche Repressionsapparat war hocheffizient, auch wenn im Vergleich zu NS-Deutschland eine geringere Zahl von Personen in seine Mühlen geriet. Dem politischen Anti-F. blieb nur der Weg ins Exil, wo er immer noch Gefahr lief, Opfer eines geheimpolizeilichen Zugriffs zu werden.

Essentiell für die Sicherung der innenpolitischen Stabilität des Regimes erwies sich die Einbindung der traditionellen Eliten, v. a. der sich am Königshaus orientierenden Aristokratie, des Militärs, der Großindustrie und der katholischen Kirche. Mit der Unterzeichnung der Lateranverträge am 11.2.1929, die mit der Schöpfung des Vatikanstaates (Vatikanstadt) die Lösung der seit 1870 offenen „Römischen Frage“ und die „Aussöhnung“ zwischen Staat und Kirche brachte, wurde der Katholizismus zur Staatsreligion erhoben. Dies erhöhte die Akzeptanz des Regimes, das sich selbst als totalitär bezeichnete, bei einem Teil der Bevölkerung, die bei der plebiszitären „Parlamentswahl“ am 24.3.1929, wie auch 1936 nach der Eroberung Äthiopiens, zu fast 90 % der faschistischen Einheitsliste ihre Ja-Stimme gab. Allerdings waren zuvor 25 % der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen worden.

Im Laufe der dreißiger Jahre wurde der F. immer mehr zu einer Diktatur, die von der Person B. Mussolinis abhing. Die Einheitspartei wuchs zu einem Apparat, der Wohlfahrtsleistungen erbringen und Propagandaaufgaben (Propaganda) erfüllen sollte, um den „Konsens“ bei der Bevölkerung zu erhöhen. Unter der Führung des Squadristen Achille Starace wurde die Partei ein Instrument zur Inszenierung von Massenveranstaltungen. Politische Entscheidungen verlagerten sich zunehmend in das System der Audienzen B. Mussolinis, während der Propagandaapparat flankierend dazu den Duce zum Übermenschen stilisierte und mittels Radio, Bildmedien und Presse in der Öffentlichkeit virtuell allgegenwärtig machte. B. Mussolini kann als ein charismatisch (Charisma) wirkender Vermittlungsdiktator angesehen werden, dem es über zwei Jahrzehnte gelang, ein komplexes Interessenbündnis zwischen Partei, Monarchie, Kirche und Wirtschaft zusammenzuhalten. Während B. Mussolini sowohl von faschistischer wie von katholischer Seite als der Sendbote der Vorsehung hingestellt wurde, entfalteten die Partei und ihre Untergliederungen paraliturgische Riten für ihre nationale Erlösungsmetaphorik, die auf der Idee einer identitären Volksgemeinschaft und auf einer extremen Überhöhung der Nation beruhte. Für den kolonialen Eroberungskrieg in Äthiopien und v. a. bei der Intervention im Spanischen Bürgerkrieg erhielt B. Mussolini auch die Zustimmung der katholischen italienischen Kirchenobrigkeit.

Unter den Ministern Alberto De Stefani und Giuseppe Volpi wurde eine Wirtschaftspolitik betrieben, die der Großindustrie zugutekam. Während B. Mussolinis mit lauter Rhetorik seinen „Getreidekampf“ um die Nahrungsautarkie und einen allzu ambitionierten Wechselkurs zum Pfund (Quota Novanta) proklamierte, geriet die kleine und mittlere Industrie, v. a. die exportabhängige, in die Krise, was zu Lohnkürzungen, zu erhöhter Arbeitslosigkeit und zur Binnenmigration in die industriellen Ballungszentren führte. Der Weltwirtschaftskrise wurde mit einer massiven Ausweitung öffentlicher Aufträge begegnet, während die Löhne, v. a. in der Landwirtschaft und in Süditalien, massiv sanken. Das zwischen 1929 und 1934 gesetzlich geschaffene Sozialversicherungssystem (mit Leistungen bei Berufsunfähigkeit, Arbeitsunfall, Invalidität und Familienzuschlägen) kompensierte die Lohnabhängigen nur teilweise. Die vom Regime genährte Illusion einer Beseitigung der Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeiterschaft über das Korporativsystem (Gesetz vom 5.2.1934), das im Ausland mit großem Interesse verfolgt wurde, begünstigte die Industriellen, da die Staats- und Parteibürokratie die ihr zugedachte Steuerungsfunktion nicht erfüllte. So war die neugeschaffene Arbeitsgerichtsbarkeit nicht für Konflikte zuständig wenn ein Tarifvertrag bestand.

Trotz der Aushöhlung der Verfassung blieb Italien eine Monarchie, der König – der mit B. Mussolinis imperialistischem Ausgreifen nach Afrika (Imperalismus) 1936 auch Kaiser von Äthiopien wurde – unterzeichnete alle Gesetze, und der Duce erstattete ihm während seiner gesamten Amtszeit regelmäßig Rapport. Die Realisierung der faschistischen Diktatur basierte auf einem stufenweisen Prozess, der keineswegs irreversibel war, denn B. Mussolini wurde am 25.7.1943, als die italienische Niederlage im Zweiten Weltkrieg unabweisbar wurde, durch den König gestürzt – nachdem der faschistische Großrat, der seit 1939 nicht mehr zusammengetreten war, den Diktator kurz zuvor zur Abgabe des militärischen Oberbefehls aufgefordert und damit das Misstrauen ausgesprochen hatte.

3. Krieg, Sturz und „Nazi-Faschismus“

Der Machtverlust des F. stellte sich nach dem Erreichen des Zenits seit 1938 schleichend ein. Dies waren genau die Jahre, in der das faschistische Regime der wichtigste Bündnispartner des nationalsozialistischen Deutschland war. Seit der Unterzeichnung des Abkommens über die gegenseitige Zusammenarbeit („Achsenpakt“) im Oktober 1936, dem italienischen Austritt aus dem Völkerbund wie dem Abschluss des Antikominternpakts 1937 wurde die Annäherung immer intensiver. Den italienischen Rassegesetzen und dem Kulturabkommen vom November 1938 folgte im Mai 1939, nach der italienischen Eingliederung Albaniens, der „Stahlpakt“, ein aggressives Militärbündnis, dann 1940 der Dreimächtepakt unter Einschluss Japans. B. Mussolini war von der raschen territorialen Erweiterung NS-Deutschlands so gebannt, und aufgrund der langjährigen Mobilisierung der Gesellschaft für den Krieg auch unter Zugzwang, dass er nach dem Kriegseintritt vom 10.6.1940 die königlich-italienischen Truppen in den Süden Frankreichs einfallen ließ. Der Zweite Weltkrieg war in weiten Teilen Europas zwischen 1940 und 1943 ein Krieg der „Achse“: in Frankreich, in Griechenland, auf dem Balkan, in Nordafrika und in der Sowjetunion. Als der Krieg am 10.7.1943 das italienische Staatsgebiet erreichte, distanzierte sich die alte Oberschicht und der konservative Flügel des F. vom Regime und seinem Duce. Nicht der Unmut der Heimatfront, die ab 1940 zwar Risse gezeigt und sich seit den Bombardierungen italienischer Städte durch die Alliierten in den Jahren 1942/43 immer mehr vom F. abgewandt hatte, führte zum Sturz B. Mussolinis, sondern erst die Palastrevolte von Großrat und Monarchie am 24./25.7.1943. Der gigantische Apparat von Miliz und faschistischer Partei wurde ohne Gewaltanwendung ausgeschaltet. Als Italien am 8.9.1943 durch die Wehrmacht besetzt und B. Mussolini aus seiner Haft befreit wurde, wurde Italien zum „besetzten Verbündeten“: Es kam zur Errichtung eines faschistischen Rumpfstaates, einer Republik von deutschen Gnaden in Ober- und Mittelitalien, mit Regierungssitz am Gardasee (Repubblica Sociale Italiana), die in den 20 Monaten ihrer Existenz eine noch brutalere Gewalt gegen ihre Feinde im Inneren entfesselte als der Squadrismus der Frühzeit. Parallel zu den Kämpfen an der Front, die sich aufgrund der prioritären alliierten Landung in der Normandie nur langsam nach Mittel- und Norditalien verschob, kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen radikalen „Nazi-Faschisten“ und der Widerstandsbewegung, die 1944 zur Massenbewegung heranwuchs und deren politische Führung mit der königlichen Regierung in Süditalien Kontakt hielt. Sie beruhte auf einem Bündnis aller antifaschistischen Parteien, die die italienische Politik nach Kriegsende bestimmen sollten. Zusammen mit einigen seiner Getreuen wurde B. Mussolini von Partisanen am Comer See am 28.4[. .]1945 auf Geheiß des Nationalen Befreiungsausschusses erschossen. Die Ausstellung seines Leichnams auf der Mailänder Piazzale Loreto sollte die über zwanzigjährige Präsenz des Duce-Mythos, mit der Allgegenwart seines hochgradig stilisierten Konterfeis und seiner via Radio und Wochenschau verbreiteten Stimme, auf einen Schlag ungeschehen machen – doch vergeblich. Die Auseinandersetzung um die Bewertung des faschistischen Regimes und der Person des Diktators reichen bis heute und spalten die italienische Gesellschaft immer noch.

4. Faschismus in Europa

Der italienischen Diktatur kam bis Mitte der 1930er Jahre eine bes. Bedeutung als politisches Modell für andere Staaten zu, umso mehr, als es auf der internationalen Bühne versuchte, die Staaten Europas im faschistischen Sinne zu beeinflussen. Der italienische F. war der Ursprungs-F., der in einer Reihe von anderen Staaten rasch rezipiert wurde und dort zur Bildung von faschistischen oder faschismusähnlichen Bewegungen führte, die sich nach 1929 weiter ausbreiteten und auch in Konkurrenz zueinander standen. Als Adolf Hitler 1923 das italienische Modell nachahmen wollte, scheiterte der Putsch kläglich. Doch zehn Jahre später erschien die „europäische Demokratie im vollen Rückzug gegenüber dem Vormarsch des Faschismus“ (Woller 1999: 148).

In der internationalen F.-Forschung zeichnet sich ein Konsens über das – im Sinne von Wolfgang Schieder – regimefaschistische Minimum ab; d. h. zum Forschungsgegenstand sind zumindest jene faschistischen Bewegungen zu rechnen, denen ohne auswärtige Intervention eine Machtergreifung gelang und die sich über eine entfesselte Massengewalt erst nach innen und dann nach außen als faschistische Diktaturregime etablierten, nämlich das faschistische Italien seit 1922 und – in deutlichem Abstand, aber dafür mit umso größerer Geschwindigkeit und Hemmungslosigkeit in der Radikalisierung – das nationalsozialistische Deutschland ab 1933. Demgegenüber blieben die faschistischen Bewegungen in Nord- und Westeuropa Splitterparteien, mit geringer Bedeutung bei Wahlen. Die Umsturzversuche, die in Österreich, Ungarn oder Rumänien gegen die bestehenden autoritären Regime erfolgten, waren in den 1930er Jahren ohne Hilfe von außen wenig erfolgreich. Erst während des Zweiten Weltkriegs und unter dem Druck der „Achse Berlin-Rom“ kamen faschistische Akteure an die Macht, wie Vidkun Quisling 1940 in Norwegen (dessen Nasjonal Samling in den Wahlen 1933 und 1936 nur ca. 2 % erhalten hatte), wie die von Ante Pavelić geführte Ustascha-Bewegung 1941 in Kroatien. In Rumänien griff A. Hitler 1941 nicht zugunsten Horia Simas ein, sondern stützte die Militärdiktatur des Generals Ion Antonescu. Schon 1938 war die „Legion Erzengel Michael“ des rumänischen Faschistenführers Corneliu Zelea Codreanu, die 1937 mit 16 % der Wählerstimmen zur drittstärksten Partei aufgestiegen war, von der Königsdiktatur gewaltsam unterdrückt worden, so wie auch die Falange in Spanien 1937 unter Francisco Francos Militärregime gezwungen wurde. In Südosteuropa gelang es den faschistischen Parteien nicht, die alten Eliten zu entmachten oder zu einem Bündnis zu zwingen. Auch in Ungarn kamen die Pfeilkreuzler erst 1944 unter deutscher Besetzung an die Macht. Nur in Italien und Deutschland entwickelten sich faschistische Bewegungen mit einer hinreichend großen Massenbasis, um die alten Führungsschichten, die sich politisch durch starke Linksparteien bedroht sahen, so erfolgreich unter Druck zu setzen, dass sie die Machtergreifung des F. billigten.

V. a. die Ausstrahlung des italienischen F. auf Europa hat dazu geführt, dass der Terminus F. frühzeitig im Sinne eines verallgemeinerbaren Begriffs diskutiert wurde. Auch sein Führer polarisierte schon die Zeitgenossen: die einen sahen B. Mussolini als Totengräber der Demokratie, die anderen als Heilsbringer oder neuen Cäsar des 20. Jh. So kam es frühzeitig zu stark divergierenden, oft von Lebensentscheidungen geprägten Interpretationen des F. Gerade die antifaschistische Opposition, die den Weg ins Exil gehen mußte, um überleben zu können, hob die Neuartigkeit des Phänomens hervor, um die Weltöffentlichkeit gegen die Diktatur und ihren Staatsterror zu mobilisieren. Die Form der faschistischen Soziabilität, so Carlo Rosselli 1934/35, sei tyrannisch und unterwerfend, frenetisch und unpersönlich, ihre Massenmobilisierung unmenschlich. Mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus erhielt die Auseinandersetzung um das Wesen des F. einen noch konfliktreicheren und existentielleren Charakter. Die Katastrophe des von den faschistischen Regimen entfesselten Zweiten Weltkriegs und die Verbrechensdimension des deutschen Radikal-F. haben nach 1945 eine intensive historische F.-Forschung ausgelöst. Seitdem reißt die Suche nach einer Definition des F. nicht ab, seitdem bewegen sich die Deutungen des F. zwischen historisch-erklärenden und politikwissenschaftlich-definitorischen Ansätzen, doch kaum ein anderer Begriff blieb über Jahrzehnte hinweg politisch so aufgeladen, auch weil nach 1945 die Gegnerschaft zum F. als Instrument im Kampf um politische Legitimation eingesetzt wurde.

Die Erforschung des F. hat verschiedene Phasen durchlaufen. Zunächst stand die Suche nach einem faschistischen Wesenskern im Vordergrund. Da im Zwischenkriegseuropa in jedem Land Gruppierungen entstanden waren, die nach ihrem Gedankengut, nach Selbstverständnis, Stil und politischer Praxis einem gemeinsamen Ursprung zugerechnet werden konnten, wurde der Annäherungs- bzw. Verwandtschaftsgrad zum Idealtyp mit Termini wie Halb-F., Proto-F., Philo-F., aber auch Pseudo-F., umschrieben, im Unterschied zu dem „in verschiedenen Stufen voll ausgebildeten Faschismus“ (Nolte 1982: 190). Dabei erwies sich nicht nur die Abgrenzung zur autoritären Rechten als schwierig, sondern mehr noch die Notwendigkeit, den F. in seiner Formenvielfalt, in seiner zeitversetzten historischen Entwicklung und in seinem jeweiligen nationalen Kontext adäquat wahrzunehmen. Seit den 1970er Jahren hat die vergleichende F.-Forschung versucht, eine additive Reihung von Nationalfällen zu überwinden, und über die Herausarbeitung von strukturellen Übereinstimmungen, von Konvergenzen und Parallelen, aber auch von signifikanten Unterschieden, den F.-Begriff zu präzisieren, ohne die Vergleichbarkeit als solche in Frage zu stellen. In Italien war die Neigung zum F.-Vergleich nach 1945 wenig ausgeprägt. Die These des liberalen Philosophen Benedetto Croce, beim F. habe es sich um einen Betriebsunfall in der Erfolgsgeschichte des italienischen Nationalstaats gehandelt, hat viele Anhänger gefunden. Renzo De Felice hat den italienischen F. im Laufe seiner Forscherkarriere immer stärker als nationalen Sonderfall verstanden, der insb. mit dem Nationalsozialismus keine Übereinstimmungen gehabt habe.

Die moderne F.-Forschung hat die theoretischen Zugriffe ausdifferenziert: neben dem idealtypisch-systematischen Ansatz einer Suche nach dem faschistischen Allgemeinbegriff, nach einer „Anatomie“ des F., nach einem faschistischen „Minimum“, einer faschistischen „Matrix“ oder einer „Familie“ von faschistischen Staaten, steht nach wie vor der genetische Ansatz, der Entstehungsbedingungen faschistischer Bewegungen und mögliche parallele Entwicklungen auch vergleichend aufzuzeigen versucht. Hinzugekommen sind der aktionen- und akteurszentrierte praxeologische Ansatz, der es erlaubt, eine Analyse der Trägerschichten faschistischer Bewegungen mit deren Gewaltpraxis und Erwartungshaltungen zu kombinieren, sowie der beziehungsgeschichtliche, transferkulturelle und transnationale Ansatz, der nach gegenseitigen Lern- und Austauschprozessen zwischen faschistischen Funktionsträgern, Bewegungen oder gar Regimen fragt. Die Art der strukturellen Übereinstimmungen der jeweiligen Faschismen wird je nach Forschungsansatz unterschiedlich bewertet: Die „palingenetische“ Interpretation von Roger Griffin verortet sie in einem mythischen Kern ihrer Ideologie. Bei Michael Mann liegt der Akzent auf der paramilitärischen Organisation, der Gewalt und dem Streben nach einem den inneren Feind ausschaltenden, die Massen über Klassengrenzen amalgamierenden und sich radikalisierenden Ordnungsstaat. Neue Anregungen entwickelten sich aus der Rezeption von George Mosse. Eine verstärkte Aufmerksamkeit gilt seitdem dem Selbstverständnis, der Selbstdarstellung, der Inszenierung, den Ausdrucksformen und den Glaubensüberzeugungen der faschistischen Akteure. Eine solche kulturgeschichtliche Erweiterung hat ältere Sichtweisen auf den F., v. a. solche, die auf das reaktionäre und irrationale Moment abzielten, in Frage gestellt: Faschistische Bewegungen „repräsentieren alternative […] Visionen der Moderne im Zeitalter der Weltkriege“ (Baumeister 2008: 31). Die neuere Forschung konvergiert dahingehend, die Genese des F. als Reaktion auf eine spezifische Krisensituation im Europa der Zwischenkriegszeit zu deuten: als ein genuin neues politisches Modell, dessen ambivalent schillernde Modernität immer deutlicher wird, wobei dessen Gewaltverherrlichung und eliminatorischer Wille in der radikalsten Form seiner Realisierung, im nationalsozialistischen Deutschland, zu Vernichtungskrieg und Völkermord führte.

5. Nach 1945

Ist es schon umstritten, den F. vor 1945 über Italien hinaus als Gattungsbegriff zu interpretieren, weil damit weder der spezifische Charakter des italienischen F. noch die totalitäre Dynamik des deutschen Nationalsozialismus ausreichend zur Geltung kommen (Ernst Noltes Unterscheidung zwischen „Normal-F.“ und „Radikal-F.“ versucht diesem Einwand Rechnung zu tragen), so ist der geradezu inflationäre Gebrauch des F. für Diktaturen im Allgemeinen oder für Rechtsdiktaturen im Besonderen nach 1945 erst recht wenig aussagekräftig. Es gibt rechte und linke Diktaturen, auch solche fundamentalistischer Observanz, entweder totalitärer oder autoritärer Natur. Die Aussage, der italienische F. sei totalitär gewesen, beantwortet die Forschung höchst unterschiedlich.

Marxistische Theorien (Marxismus), die den F. als eine Herrschaftsform der Bourgeoisie zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems ansahen oder als eine Kraft, bei welcher der Kapitalismus zwar durch eine Diktatur politischen Einfluss verlor, aber nicht den ökonomischen (Bonapartismusversion), hatten zumal in den 1970er Jahren gewissen Einfluss. Für manche stellte der F. ebenso eine Variante „bürgerlicher Herrschaft“ dar wie der Liberalismus. Doch mittlerweile spielt diese Position, die dem „Großkapital“ eine alles beherrschende Macht unterstellt, in Wissenschaft, Politik und Publizistik keine Rolle mehr. Der zentrale Gegensatz von Demokratie und Diktatur überlagert die Frage, ob ein System als faschistisch gilt oder nicht.

Nach 1945 knüpfte die italienische Partei Movimento Sociale Italiano an den F. B. Mussolinis an (meist mit einem Stimmenanteil von mehr als 5 %), allerdings in einer weichen Variante. Diese Partei, lange geführt von Giorgio Almirante, stand außerhalb des Verfassungsbogens, bis sie sich 1995 auflöste. Die Nachfolgepartei Alleanza Nationale wandte sich strikt von neofaschistischen Ideen ab. Allerdings existieren in Italien kleine Gruppierungen, die ihnen huldigen. Zuweilen wurden die Franco-Diktatur in Spanien und die Salazar-Diktatur in Portugal als Varianten angesehen, ebenso südamerikanische Staaten (etwa Argentinien unter Juan Peron). Jedoch verliert der Begriff des F. dadurch an Klarheit. Die Berufung auf ihn, wie bei Alessandra Mussolini, der Enkelin des Duce, ist in der politischen Kultur Italiens trotz Personenkults einiger Kräfte von marginaler Relevanz.

Es gibt aber unterschiedliche Strömungen des Rechtsextremismus (Extremismus), die teils nationalistisch, teils rassistisch auftreten. Sie verfechten allesamt Ungleichheitsideologien. Heute ist F., wird er überhaupt benutzt, weithin zum Kampfbegriff mutiert. Obwohl seine Gegner ihn weniger verwenden, wirkt sich der Befund nicht auf den Gegenbegriff des Anti-F. aus. Dieser hat im öffentlichen Gebrauch paradoxerweise zugenommen. Dabei geht es weniger um die Ablehnung des F. als um die Bekämpfung aller Formen des Rechtsextremismus. Neben einem demokratischen Anti-F. dominiert ein antidemokratischer, der auch liberale und konservative Strömungen attackiert, z. T., als „Antifa“, in aggressiver Form. War der Anti-F. Staatsdoktrin der DDR (die Mauer galt als „antifaschistischer Schutzwall“), so wird heute mit der Verwendung dieses Begriffs suggeriert, die Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat gehe nur vom F. aus, also vom Rechtsextremismus. Verbreitet ist der Satz: F. ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. In diesem Sinne ist Anti-F. ebenso ein Kampfbegriff wie mittlerweile F.