Extremismus

1. Entwicklung und Bedeutung des Begriffs

1.1 Begriffsgeschichte

Der Begriff E. weist dem Sinn nach eine lange Tradition auf. Mit seiner „Mischverfassung“ hat Aristoteles in gewisser Weise den Grundstein für die Theorie des demokratischen Verfassungsstaates gelegt. Das Wort E. erschien bereits 1646 beim Calvinisten Ludwig Camerarius, der es auf die Jesuiten anwandte. Es wurde aber nicht rezipiert. Der Leipziger Philosoph Wilhelm Traugott Krug hatte 1838 in einem Handwörterbuch den Begriff erstmals vergleichend gebraucht – für (rechten) „Absolutismus“ wie (linken) „Radikalismus“. Im Zuge der Russischen Revolution fand der Terminus in England und Frankreich weite Verwendung, zunächst beschränkt auf den Links-E. Von den 1920er Jahren an spielte E. in der wissenschaftlichen Forschung eine gewisse Rolle, ohne jedoch annähernd die Bedeutung des Terminus Totalitarismus zu erreichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte u. a. Seymour Martin Lipset den Gegensatz von Pluralismus und Monismus als zentral für E. heraus. In Deutschland knüpfte Erwin Kurt Scheuch an die Forschung von S. M. Lipset an und entwickelte sie in empirischen Analysen weiter. Hans-Dieter Klingemann und Franz Urban Pappi unterschieden zwischen einer Ziel- und Mitteldimension. Damit war die empirische Sozialwissenschaft in den Anfängen der E.-Forschung dominierend. 1987 bezeichneten Uwe Backes und Eckhard Jesse sie als ein „Stiefkind der Politikwissenschaft“. Dieses Urteil trifft z. T. noch immer zu, da etwa Kommunismus-, Rechts-E.- und Islamismusforschung häufig nicht als Einheit gelten.

1.2 Definition

Der politische E. mit seinen höchst unterschiedlichen Varianten ist der Widerpart des demokratischen Verfassungsstaates. Dieser fußt auf der demokratischen und der konstitutionellen Komponente. Mit der demokratischen ist die Anerkennung des Prinzips der Volkssouveränität und das Ethos fundamentaler Menschengleichheit gemeint. Die konstitutionelle stellt insb. auf die Geltung des Rechtsstaatsprinzips (Rechtsstaat) ab. Der demokratische Verfassungsstaat ist also eine Synthese aus älteren Traditionen der Freiheitssicherung mit neueren Formen der Demokratie. Extremistische Bestrebungen lehnen mindestens eines der beiden Elemente ab. Während Links-E. mit der konstitutionellen Komponente im Konflikt steht, gilt das Gleiche für den Rechts-E. im Hinblick auf die demokratische. In der Praxis verwischen sich die Unterschiede allerdings vielfältig. Rechts-E. verneint das ethische Prinzip der Fundamentalgleichheit der Menschen. Links-E. verabsolutiert – in der Theorie – das Gleichheitsdogma.

Gelangt eine extremistische Kraft an die politische Macht, kommt es zu einer defekten Demokratie, einem autoritären Regime oder einer totalitären Diktatur. Auch wenn Extremismen Gemeinsamkeiten und Analogien aufweisen (z. B. exklusiver Wahrheitsanspruch, Geschichtsdeterminismus, Missionsbewusstsein, Dogmatismus, ausgeprägte Freund-Feind-Stereotypen, vorgegebenes Gemeinwohl, Ablehnung des Pluralismus, keine Anerkennung der Universalität der Menschenrechte), gibt es zwischen ihnen vielfältige Unterschiede. Die teils empirische, teils normative E.-Forschung ist ein wichtiger Zweig der Politikwissenschaft. Zuweilen legitimiert der eine E. seine Existenzberechtigung mit dem Kampf gegen einen anderen E. Rechts- und Linksextremisten sind – den Enden eines Hufeisens gleich – benachbart und entfernt zugleich.

Wer den E. nach der jeweiligen Aktions- und Organisationsweise definiert, kommt mit Übergangszonen zu einer Auffächerung, die vier Varianten umfasst:

a) E., der Gewalt anwendet und eine feste Organisation besitzt. Hierunter fällt der Terrorismus.

b) E., der Gewalt anwendet und über keine feste Organisation verfügt. Zu dieser Kategorie gehören subkulturelle „Szenen“.

c) E., der keine Gewalt anwendet und fest organisiert ist. Hierzu zählen entspr.e Parteien.

d) E., der keine Gewalt anwendet und nicht fest organisiert ist. Dabei handelt es sich vornehmlich um Intellektuelle, die den demokratischen Staat zu delegitimieren suchen.

In der Theorie scheinen viele Probleme klein, die in der Praxis große Schwierigkeiten bereiten. Schließlich bringen die meisten antidemokratischen Gruppierungen ihre Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates nicht ungeschützt zum Ausdruck. Umgekehrt kann nicht jede Organisation, die „etablierten“ Kräften „auf die Nerven geht“ und politisch unbequem ist, als verfassungsfeindlich abgetan werden. Aus der Existenz von Grauzonen lässt sich allerdings nicht die Schlussfolgerung ziehen, der Begriff des E. sei obsolet.

Dieser konkurriert mit Radikalismus und Populismus. Radikalismus ist nicht durchwegs negativ konnotiert, da ein Repräsentant des Radikalismus den Ursachen eines Problems auf den Grund gehen will. In manchen Ländern kommt diesem Begriff beinahe eine positive Bedeutung zu. Populismus, eher negativ konnotiert, zielt v. a. auf die Art und Weise, wie (simpel) eine politische Kraft gegen „die da oben“ agiert und wie sie sich auf den „wahren Volkswillen“ beruft. Eine Partei des E. kann populistisch sein, muss es aber nicht, eine demokratische ebenso. Radikalismus und Populismus können den Begriff des E. nicht ersetzen. Es ist ebenso verwirrend, jene Kräfte, die zwischen demokratisch und extremistisch angesiedelt sind, mit diesen Termini zu bedenken.

1.3 Feindbilder

Extremismen operieren zwar mit Heilsversprechen und entwickeln utopische Vorstellungen (Utopie) einer zukünftigen Gesellschaft, benötigen aber Feindbilder. Diese sind beim Rechts- und Links-E. sowie dem Fundamentalismus ähnlich (der Westen und die Globalisierung etwa) und unterschiedlich zugl. („Fremde“, „Faschisten“, „moderne Gesellschaft“). Sie gehen deutlich über mit Stereotypen angereicherte Vorurteile hinaus.

In Deutschland gibt es zwar ideologische Überlappungen (z. B. beim Kampf gegen Amerika und die Globalisierung), aber es besteht keine Kooperation bei der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates. Die Funktionen von Feindbildern sind mannigfaltig. Sie dienen u. a. dazu, die Identität von Extremisten zu festigen, die eigene Richtung zu mobilisieren und „zusammenzuschweißen“, den Feind zu dämonisieren. Sie erhöhen das Selbstwertgefühl. Extremismen benötigen Feindbilder nicht zuletzt, um für das eigene Anliegen Gehör zu finden. Bei ihnen ist das „Anti“ vielfach stärker entwickelt als das „Pro“. Der Feind wird als geschlossene Kraft perzipiert. Wer solche Bilder verwendet, immunisiert die eigene Position. Feindbilder gehen oft mit Verschwörungstheorien einher.

1.4 Intensitätsgrad

Zwar ist – von der Wortbedeutung her – E. ein nicht steigerbarer Superlativ, aber gleichwohl gibt es im antidemokratischen Intensitätsgrad Unterschiede, wie dies ebenso für Diktaturen gilt. Bei Parteien dienen als Bestimmungsgründe die klassischen Kriterien: Ideologie, politische Strategie, Organisation. So ließe sich etwa zwischen einem „harten“ E. der NPD und einem „weichen“ E. der Partei „Die Linke“ differenzieren. Dabei besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen dem Intensitätsgrad des E. und seiner Gefährlichkeit.

Der Intensitätsgrad des jeweiligen extremistischen Phänomens hängt von einer Reihe von Faktoren ab (wie z. B. Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols auf der einen Seite und Bejahung bzw. sogar Anwendung von Gewalt auf der anderen), jedoch nicht davon, ob es sich um eine linke, rechte oder fundamentalistische Bestrebung handelt. Die politischen Extremismen von linker, rechter oder fundamentalistischer Seite sind verschieden, wobei diese Verschiedenheit nicht i. S. v. „schlimmer“ oder „weniger schlimm“ zu interpretieren ist.

Die Intensität von Feindbildern lässt Rückschlüsse darauf zu, ob die betreffende Gruppierung eher eine harte oder eine milde Form des E. ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für „Freundbilder“ von tatsächlichen oder vermeintlichen Extremisten. Wer die Ideologie autoritärer oder totalitärer Staaten offen unterstützt, verficht im Allgemeinen eine harte Form.

2. Varianten

Unter Rechts-E. fallen alle strikt antiegalitär ausgerichteten Strömungen – einerseits Rassismus, andererseits Nationalismus. Mit Links-E. ist einerseits jene Art des E. gemeint, die alle gesellschaftlichen Übel auf die kapitalistische Klassengesellschaft zurückführt, wie dies beim Kommunismus der Fall ist, oder die generell jede Form der Herrschaft ablehnt, wie das für den Anarchismus (Anarchie, Anarchismus) gilt. Der religiös geprägte Fundamentalismus – etwa in der Form des Islamismus – gilt als eine eigenständige Form des E., die sich der gängigen Rechts-Links-Dimension entzieht. Extremistischer Fundamentalismus strebt einen Gottesstaat an (Theokratie). Der „Heilige Krieg“ zielt gegen die westliche Welt. Rechts- und linksextremistische sowie fundamentalistische Kräfte bekämpfen sich oft untereinander: Dies ist Ausdruck eines hohen ideologischen Dogmatismus.

Kaum ein Begriff ist so häufig missverständlich rezipiert worden wie der von S. M. Lipset geprägte „Extremismus der Mitte“. Dessen Kernthese lautet, in jeder sozialen Schicht seien neben demokratischen Positionen auch extremistische beheimatet. Die demokratische Variante der Mittelklasse sei der Liberalismus, der „Extremismus der Mitte“ der Faschismus. Der Begriff des „Extremismus der Mitte“ kam im Zusammenhang v. a. mit fremdenfeindlichen Ausschreitungen und den Erfolgen rechtsextremer bzw. -populistischer Parteien in der ersten Hälfte der 1990er Jahre erneut auf, allerdings in einem anderen Sinn. Wer vom „Extremismus der Mitte“ spricht, entgrenzt den E.-Begriff und macht ihn unbrauchbar, delegitimiert gar den demokratischen Verfassungsstaat. Der Topos vom „Extremismus der Mitte“ zielt auf eine begrifflich diffus bleibende Mitte der Gesellschaft.

3. Erscheinungsformen in der BRD

3.1 Rechtsextremismus

a) Der Rechtsterrorismus spielte in der BRD lange eher eine marginale Rolle (z. B. Anfang der 80er Jahre). Durch die Untaten eines „Nationalsozialistischen Untergrundes“ wurde die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Diese Morde einer Kleinstgruppe an neun Kleingewerbebetreibenden ausländischer Herkunft und an einer deutschen Polizistin lösten einen gesellschaftlichen Schock aus.

b) Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist seit der deutschen Einheit angestiegen (Ende 2016: 8 500). Die Ursachen im Osten sind zum einen in den sozial-ökonomischen Folgen der deutschen Einheit zu suchen, zum anderen wohl auch in den Verhältnissen der wenig weltoffenen ostdeutschen Gesellschaft. Die Zahl der jährlichen Gewalttaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund liegt (mit Schwankungen) bei rund 1 000. Wenige Jahre nach der deutschen Einheit gab es einen massiven Anstieg solcher Delikte, unter denen Körperverletzungen dominierten. Auch hier sticht der Osten hervor. Die häufig unter Alkoholeinfluss begangenen Taten, v. a. gegen Personen aus anderen Kulturkreisen, dgl. gegen tatsächliche oder vermeintliche Linksextremisten, sind selten geplant (expressive Gewalt).

c) Weder vor noch nach der deutschen Einheit spielte der parlamentsorientierte Rechts-E. eine nennenswerte Rolle. Zwar gelang der „Deutschen Rechtspartei“ der Sprung in den ersten Deutschen Bundestag (die Fünfprozentklausel galt nur landesweit), doch in der Folge war dies keiner rechtsextremistischen Kraft mehr beschieden. Die NPD scheiterte 1969 mit 4,3 % knapp an der Fünfprozenthürde, nachdem sie zuvor sieben Mal in Landtagen repräsentiert gewesen war (1966–68). Der radikalisierten NPD (Mitgliederbestand Ende 2017: unter 5 000) blieben im vereinigten Deutschland größere Erfolge versagt (bestes Bundestagswahlergebnis 2005: 1,6 %; 2017: 0,4 %). Immerhin gelangte sie in Sachsen und Mecklenburg zweimal in die Landtage (2004–09 sowie 2006–11). Auch andere rechtsextreme Parteien zogen zeitweilig in Landtage ein – die „Republikaner“ zweimal in Baden-Württemberg (1992/96) und die (inzwischen mit der NPD verschmolzene) DVU in Sachsen-Anhalt (1998) und zweimal in Brandenburg (1999/2004). Der parteiförmige E. von rechts schneidet im Osten Deutschlands besser ab als im Westen. So erreichte die NPD bei den Bundestagswahlen 2013 im Osten Deutschlands 2,8 % und im Westen 1,0 % (insgesamt 1,3 %). – In den letzten Jahren entstandene Kleinstparteien wie „Die Rechte“ und der „Der III. Weg“ treten aggressiv auf. Die 2013 gegründete und 2017 mit 12,5 % der Stimmen in den Bundestag eingezogene AfD ist keine rechtsextremistische Partei, obwohl es in ihr auch Kräfte gibt, die den demokratischen Verfassungsstaat in Zweifel ziehen.

d) Im intellektuellen Diskurs ist Rechtsextremisten nicht annähernd der Durchbruch gelungen. Sie konnten so gut wie niemals Einfluss auf die Mehrheitskultur gewinnen und verblieben in ihrem abgeschotteten Milieu. Doch gibt es seit längerem eine gewisse Intellektualisierung, die mit dem diffusen Begriff der „Neuen Rechten“ nur unzureichend umschrieben ist.

3.2 Linksextremismus

a) Der Terrorismus in Deutschland war ein Spaltprodukt der Studentenbewegung. Neben der RAF, die für zahlreiche Morde in den 1970er und 1980er Jahren an den Repräsentanten des Staates verantwortlich war, und der in Berlin operierenden „Bewegung 2. Juni“ gab es die „Revolutionären Zellen“, die sich zwar abschotteten, aber nicht in den Untergrund abtauchten.

b) Der Verfassungsschutz zählt zu den gewaltbereiten Linksextremisten 8 500 Personen (Ende 2016). Die Gewaltdelikte belaufen sich jährlich auf etwa 1 000. Dieser Links-E., dessen „Massenmilitanz“ etwa am 1. Mai hervortritt, wird v. a. von der Szene der Autonomen getragen. Diese Szene, die in manchen westdeutschen Universitätsstädten stark beheimatet ist, bekämpft mit ihren militanten Aktionen das „Schweinesystem“. Sie propagiert „Gewalt gegen Sachen“, nicht „Gewalt gegen Personen“. Zu ihren klandestinen Aktionen zählen schon seit Jahren Brandanschläge auf „Luxusautos“. Beim „Kampf gegen den Faschismus“ ist Gewaltanwendung aus Sicht der Autonomen legitimiert (instrumentelle Gewalt).

c) Die PDS, Linkspartei (2005–07) und „Die Linke“ (seit 2007) verficht einen schwachen E. Von den 60 600 Mitgliedern gehört nur ein kleiner Teil offen verfassungsfeindlichen Zusammenschlüssen an. Erfolge waren nach der deutschen Einheit zunächst nicht absehbar. Doch nur nach der Wahl 2002 war sie nicht im Bundestag vertreten. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte sie 9,2 % der Stimmen (West: 7,4 %; Ost: 17,8 %), bei der Wahl 2009 sogar 11,9 %. Die PDS bzw. „Die Linke“ zog bei allen Landtagswahlen in die Parlamente der neuen Bundesländer ein. Die Tendenz wies anfangs nahezu beständig nach oben. Allerdings schneidet sie in denjenigen Ländern deutlich schlechter ab, in denen sie als Juniorpartner eine Koalition eingegangen war (Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg). In Thüringen stellt sie nach der Wahl 2014 sogar den Ministerpräsidenten. Lange war die PDS in den alten Bundesländern eine zu vernachlässigende Größe. Durch ihren Zusammenschluss mit der (westlichen) WASG 2007 trat jedoch ein Wandel ein. Bis auf Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz war die Partei zeitweilig in den Landtagen vertreten. – Die Ergebnisse für die DKP und die MLPD (Kommunistische Parteien) sind vernachlässigenswert, sofern beide Parteien überhaupt antreten.

d) Linksextremisten verbinden ihren Antifaschismus mit Attacken gegen das etablierte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem – gegen „Neoliberalismus“, gegen „Marktliberalismus“. Antifaschismus hat eine weitaus stärkere Mobilisierungs- und Zugkraft als Antikommunismus. Im intellektuellen Milieu gibt es neben „Antiimperialisten“, die ihren Hauptfeind in den USA sehen, auch „Antideutsche“, die erst mit der deutschen Einheit entstanden sind.

3.3 Fundamentalismus

Z. T. umfassen die abgeschotteten islamistischen Netzwerke (Islamismus) Personen, die aus muslimischen Ländern eingewandert sind, z. T. Konvertiten, die das Missionsbewusstsein des Salafismus fasziniert („Homegrown“-Netzwerke). Bes.s Aufsehen erregten die Anschlagspläne einer sog.en Sauerland-Zelle, deren Mitglieder einer usbekischen „Islamistischen Dschihad-Union“ angehörten. Bei aller Unterschiedlichkeit der Einschätzungen besteht in einem Punkt Konsens: Die abstrakte Gefährdung durch den islamistischen Fundamentalismus könnte zu einer konkreten werden. 2016, im Zuge der Flüchtlingsströme, war dies der Fall. Der schwerste Anschlag ereignete sich zu Weihnachten 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz mit 12 Toten und 50 Verletzten. Der islamistische Fundamentalismus findet keinen Anklang bei militanten Gruppierungen von rechts und links, wie diese auch nicht durch fundamentalistische Kräfte unterstützt werden. Die Mitgliederzahl islamistischer Organisationen betrug Ende 2016 knapp 25 000, wobei 10 000 Personen der sich zunehmend mäßigenden Vereinigung „Millî Görü&scedi;“ angehören.

4. Kritik am Begriff

4.1 Kritik

Die Kritik am Begriff und an der Forschung zum E. reicht von Detail- bis zu Fundamentalkritik. So heißt es, Analysen zum E. seien unterkomplex, staatszentriert, ideologiegesättigt, auf Analogien höchst unterschiedlicher Phänomene bedacht und stark an der als repressiv geltenden streitbaren Demokratie orientiert, also auf den Erhalt des Status quo. V. a. die vergleichende Forschung zum E. – die das Äquidistanzgebot bejaht – ruft viele Einwände hervor. Der Begriff des E. sei unbrauchbar, weil er gänzlich verschiedenartige Phänomene gleichsetze und damit den Einfluss rechtsextremistischer Ideologien relativiere. Mit der Fixierung auf den „Rand“ gelte die „Mitte“ als „normal“, kämen Schwächen der Demokratie nicht angemessen zur Sprache.

4.2 Gegenkritik

Diese Kritik beruht zum einen auf Unterstellungen, zum anderen auf einem Verständnis, das dem der normativen E.-Forschung entgegensteht. Offenbar wird ein oft antifaschistisches Konzept bevorzugt. Der antiextremistische Konsens ist heute nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Eine lediglich antifaschistische, eine lediglich antikommunistische sowie eine lediglich antifundamentalistische Position trägt nicht. Diese Maxime ist eine Konsequenz aus dem antithetischen Verhältnis von E. und Demokratie. Mit „Anti-E.“ steht das Gebot der Äquidistanz in engem Zusammenhang. Wer „gesellschaftliche Alternativen“ anstrebt, ruft die E.-Forschung nicht auf den Plan, sofern diese sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegen.

5. Bekämpfung

Die im antiextremistisch ausgerichteten GG verankerte Konzeption der streitbaren Demokratie will die Hilflosigkeit der relativistisch geprägten Demokratie des Weimarer Typs überwinden. Ihr zentraler Gedanke ist die Vorverlagerung des Demokratieschutzes in den Bereich des legalen politischen Handelns. Alle Varianten der streitbaren Demokratie umfassen drei Charakteristika: die Wertgebundenheit, die Abwehrbereitschaft und die Vorverlagerung des Demokratieschutzes, wobei dieser letzte Punkt eine Präzisierung des zweiten darstellt. Wertgebundenheit meint, dass der Verfassungsstaat eine Reihe von Merkmalen nicht zur Disposition stellt (Menschenwürde und Staatsstrukturprinzipien). Zur Abwehrbereitschaft gehört die Verteidigung des demokratischen Verfassungsstaates gegenüber extremistischen Positionen. Art. 9 Abs. 2 GG sieht die Möglichkeit des Vereinigungsverbots, Art. 21 Abs. 2 die des Parteiverbots vor. Nach Art. 18 GG können Grundrechte verwirkt werden. Vorverlagerung des Demokratieschutzes meint: Der demokratische Verfassungsstaat kann nicht erst bei einem Verstoß gegen (Straf-)Gesetze reagieren. Der Zusammenhang von Wehrhaftigkeit und Werthaftigkeit liegt auf der Hand. Ein Staat, der auf unveränderbaren Werten ruht, muss abwehrbereit sein. Und wer Abwehrbereitschaft bejaht, kommt ohne Wertgebundenheit nicht aus. Die Verfassungsschutzberichte (Verfassungsschutz), deren Entstehung auf die antisemitischen Schmierereien an der Jahreswende 1959/60 zu datieren ist, sind ein legitimer Ausdruck der Sorge des demokratischen Staates vor Unterwanderung, dürfen jedoch keine Verdachtsberichterstattung pflegen. Mittlerweile erstellt sie jedes Bundesland.

Allerdings wirft die Vorverlagerung des Demokratieschutzes für die zu gewährleistende Liberalität des Staates gravierende Probleme auf. Wird nicht gerade dadurch, dass die Legalität des Verhaltens keineswegs der einzige Maßstab für die Beurteilung ist, die Demokratie unterminiert und Legalität gegen Legitimität ausgespielt? Fördert die streitbare Demokratie, wenn auch unbeabsichtigt, McCarthyismus?

1952 wurde die SRP verboten, 1956 die KPD. Die junge – verunsicherte – Demokratie wollte mit den beiden Verboten Exempel statuieren. Die Urteile des Gerichts zeichneten sich in hohem Maße durch Zurückhaltung und Liberalität aus. Gegen die NPD wurde 2001 ein Verbotsverfahren eingeleitet – von der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat. Aufgrund verschiedener Pannen (z. B. Existenz von V-Leuten in der Führungsspitze der Partei) stellte das BVerfG im März 2003 das Verfahren ein. 2013 wurde vom Bundesrat ein erneuter Verbotsantrag erfolglos gestellt, da das BVerfG im Urteil von 2017 zwar die Verfassungsfeindlichkeit der Partei erkannte, aber die konkrete Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch sie verneinte. Die Zahl der Verbote gegen bloße Vereinigungen ist beträchtlich, insb. gegen solche von rechts. Hingegen ist die Grundrechtsverwirkung wohl viermal gegen Rechtsextremisten beantragt, jedoch niemals vollzogen worden.