Evangelische Hilfswerke

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1. Einführung

Die Anfänge der e.n H. im Rahmen des Entwicklungsdienstes der Kirchen liegen in den späten 1950er Jahren. Ihre Institutionalisierung vollzog sich parallel zum Beginn der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und ist auch als Antwort auf den Prozess des Unabhängig-Werdens der ehemaligen Kolonien und die Entstehung eigenständiger Kirchen in diesen Ländern zu sehen. Nach der weiteren Ausdifferenzierung e.r H. erfolgte 2012 ihre institutionelle Bündelung unter dem Dach des EWDE mit Sitz in Berlin.

2. Geschichte und Struktur

Die ersten systematischen Bemühungen der protestantischen Kirchen (Protestantismus), grenzüberschreitende Hilfe zu leisten, reichen in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Das 1922 gegründete „Europäische Zentralbüro für zwischenkirchliche Hilfe“ unterstützte die Kirchen Europas beim Wiederaufbau und bei der Hilfe für Flüchtlinge. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden u. a. beim LWB und dem 1948 gegründeten ÖRK Hilfsstrukturen geschaffen, um die Not in den kriegszerstörten Ländern zu lindern. Das 1945 von der Kirchenversammlung gegründete „Hilfswerk der evangelischen Kirche“, aus dem später 1957 das Diakonische Werk (DW) hervorging, sollte den kirchlichen Beitrag zum Wiederaufbau und die Hilfe für Vertriebene und Flüchtlinge (Flucht und Vertreibung) organisieren. Es konnte sich hierfür v. a. auf die Solidarität der Kirchen aus Europa und den USA stützen. Das Hilfswerk der EKD und der deutsche Zweig des LWB wurden ab Mitte der 1950er Jahre ihrerseits als Spender für ökumenische Hilfsprogramme aktiv. Im Advent 1959 baten der Rat der EKD und die evangelischen Freikirchen die evangelischen Christen in beiden Teilen Deutschlands mit dem Aufruf „Brot für die Welt“ um ein Weihnachtsopfer für die Notleidenden. Die zunächst als einmalige Spendenaktion (Spende) gedachte Sammlung wurde angesichts ihres Erfolgs und der wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit für die Notlagen in der Welt fortgesetzt und unter dem Dach des DW der EKD organisatorisch verortet. Die erste Aktion hat eine Initialzündung ausgelöst. Sie hat zugl. den Anstoß dafür gegeben, dass sich die EZ als eigenständiges Tätigkeitsfeld der Kirche etablieren konnte. Auch im Bund der Evangelischen Kirchen der DDR wurde für BfdW gesammelt, die Aktion verfügte allerdings in der DDR nie über eine eigene institutionelle Struktur.

Dem 1960 vorgetragenen Angebot der Regierung Konrad Adenauers, den Kirchen staatliche Mittel für die EZ zur Verfügung zu stellen, begegnete BfdW auch mit Rücksicht auf die Kirchen im Osten mit Zurückhaltung. Während die KZE unter dem Dach des Bischöflichen Hilfswerks „Misereor“ angesiedelt wurde, gründete die evangelische Seite daher mit der EZE 1962 in Bonn eine Organisation, die Entwicklungsprojekte mithilfe staatlicher EZ-Mittel umsetzte. 1960 war zudem auf Initiative von BfdW der Verein DÜ als Agentur für die Vermittlung von Fachkräften gegründet worden. Die Synode der EKD beschloss 1968, dass die Kirchen einen höheren Beitrag zur Bekämpfung der Not in der Welt leisten müssten und dass dafür – neben den Kollekten – auch Haushaltsmittel im Umfang von 2 % bereitgestellt werden sollten. Zur Koordination der Vergabe und zur Förderung der entwicklungsbezogenen Inlandsarbeit wurde 1969 ein Referat für den KED im Kirchenamt der EKD eingerichtet. Die Koordination der fünf Werke BfdW, DÜ, EZE, KED und „Evangelischem Missionswerk“ oblag dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft KED.

Aus der Fusion von EZE, DÜ, KED, „Ökumenischem Weltdienst“ und „Ökumenischem Stipendienwerk“ entstand 1991 der EED mit Sitz in Bonn, der für seine Projekte in erster Linie staatliche EZ-Mittel und kirchliche Haushaltsmittel zur Verfügung hatte, wohingegen BfdW als spendensammelndes Werk noch unter dem Dach des DW verblieb. 2012 entstand durch die Fusion von EED und DW das EWDE mit Sitz in Berlin. Es bildet nunmehr das größte kirchliche Hilfswerk dieser Art in Europa.

3. Konzeptionelle Grundsätze

Die ersten evangelischen Sammelaktionen für die Hungernden waren Ausdruck des Dankes für die internationale Unterstützung, welche Deutschland nach dem Krieg erfahren hatten. „Nur die Not“ sollte der Maßstab dieser Hilfe sein und daher allen Notleidenden, egal welcher Volkszugehörigkeit, Religion oder politischen Orientierung, zukommen. Aus dieser Grundmotivation heraus ging BfdW in seinem ersten Jahrzehnt auf Distanz zur staatlichen Entwicklungspolitik, der damals vorgeworfen wurde, zu stark von außen- und wirtschaftspolitischen Eigeninteressen geprägt zu sein.

Nach dem karitativen Ansatz der Anfangsjahre rückten im Laufe der 1960er Jahre Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Entwicklungsförderung in den Vordergrund. Zugl. wurde die Notwendigkeit einer bewusstseinsbildenden Arbeit im eigenen Land als Bestandteil des entwicklungsbezogenen Handelns der Kirche anerkannt. Es waren v. a. Impulse aus der weltweiten Ökumene, insb. der Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala, die eine stärkere Profilierung des kirchlichen Entwicklungshandelns angestoßen haben. 1973 legte die EKD die Denkschrift „Der Entwicklungsdienst der Kirche – ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit“ vor, die in den folgenden Jahrzehnten als theologische und konzeptionelle Grundlegung evangelischer EZ breite Anerkennung fand. Die Entwicklungsverantwortung der Kirche wird darin ins Zentrum der Praxis des christlichen Glaubens gerückt: „[d]er christliche Glaube findet im entwicklungspolitischen Engagement unter den heutigen Umständen eine entscheidende Bewährungsprobe“ (Rat der EKD 1973: 50). Die Kirche wird aufgefordert, sich an der Schaffung „einer weltweiten verantwortlichen Gesellschaft mit Gerechtigkeit für alle“ (Rat der EKD 1973: 17) zu beteiligen. Die Entwicklungsverantwortung der Kirchen ist am Ziel der sozialen Gerechtigkeit orientiert. Christliche Solidarität äußert sich in erster Linie im Beistand für die Armen und Unterdrückten. „Den Armen Gerechtigkeit“ lautete die Grundsatzerklärung von BfdW 1989. Neben dem Empowerment der Benachteiligten liegt die Einflussnahme auf politische Rahmenbedingungen, die die Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit behindern, im Mandat des Handelns e.r H. Dabei sind e. H. i. d. R. nicht selbst im Süden operativ tätig, sondern unterstützen gemäß dem Partnerschaftsprinzip lokale Partnerorganisationen in der Umsetzung ihrer Arbeit vor Ort.

4. Das EWDE

Im 2012 gegründeten EWDE arbeiten Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband und Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst zusammen. BfdW nimmt für die evangelischen Kirchen die Aufgaben des Entwicklungsdienstes, der humanitären Hilfe und der weltweiten zwischenkirchlichen Hilfe wahr. Diakonie, Katastrophenhilfe und Kirchen helfen Kirchen sind Teil des Werkes BfdW. Die Mitgliedschaft des EWDE setzt sich aus mehr als 120 Mitgliedern zusammen, darunter die evangelischen Landes- und Freikirchen, die diakonischen Landes- und Fachverbände, sowie die EKD. BfdW standen 2016 insgesamt 274 Mio. Euro zur Verfügung, davon 140 Mio. aus staatlichen Mitteln des BMZ, Spenden und Kollekten in Höhe von 62 Mio. Euro sowie kirchliche Mittel von 54 Mio. Euro. Weltweit bewilligte das Werk 2016 631 neue Projekte.

Die Fusion von Diakonie und Entwicklungsdienst ermöglicht eine engere Verzahnung von diakonischer Arbeit im Inland und internationaler EZ, was sich angesichts der Herausforderungen der globalisierten Welt (Globalisierung) u. a. in Fragen der internationalen Sozialpolitik, von Migration und Flucht, der Hilfe im Katastrophenfall oder im Blick auf die Umsetzung der „Agenda 2030“ der UNO bes. bewährt.