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Bei E. stehen der Verwaltung mehrere dem Gesetzeszweck entspr.e Rechtsfolgen zur Auswahl, von denen sie die ihr zweckmäßigste anordnen darf. Bei E. geht die Rechtsordnung also von mehreren gleichermaßen gesetzmäßigen Entscheidungen aus. Die Behörde muss ihr E. nach dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des E. einhalten (§&nbsp;40 VwVfG). Das Ausmaß des eingeräumten E. ist folglich durch Interpretation der Norm zu ermitteln. Man unterscheidet zwischen Entschließungs-E. (wird überhaupt gehandelt) und Auswahl- und Gestaltungs-E. (wie wird gehandelt). Behörden sollen also in Ansehung der Umstände des Falles sowie der Interpretation der Norm zweckmäßig handeln. Das setzt auf Seiten der Verwaltung häufig eine Tatsachenkenntnis und Feinfühligkeit voraus, die angesichts der personellen und sachlichen Ressourcen nicht immer gewährleistet ist. Behörden haben daher oft ein Interesse daran, ihre E.-Entscheidungen zu typisieren (E.-Richtlinien) oder standardisiert zu entscheiden (Selbstbindung der Verwaltung). Die Funktion von E. verschiebt sich dann von der Einzelfallgerechtigkeit zur standardisierten Normkonkretisierung. Im Gesetzesvollzug ({{ #staatslexikon_articlemissing: Implementation | Implementation }}) tritt durch die Scheu der Verwaltung, eigenständige E.-Entscheidungen zu treffen, bisweilen eine stärkere Ritualisierung ein, als es der Gesetzgeber mit der Einräumung von E. bezweckt hat, weil das Abweichen von der ritualisierten E.-Ausübung mit erhöhtem Begründungsaufwand einhergeht. Es überwiegt dann Regeltreue vor Angemessenheit. Freilich kann der Bürger die Verwaltung auf alternative zweckmäßige Entscheidungen hinweisen und entspr. vorstellig werden. Früher bot das (für viele Verwaltungstätigkeiten inzwischen abgeschaffte) Widerspruchsverfahren (§§&nbsp;68–80b VwGO) einen gezielt auf die Überprüfung der Zweckmäßigkeit zugeschnittenen innerbehördlichen Rechtsbehelf. Dass dieser weitgehend für entbehrlich gehalten wird, verdeutlicht die geringe Entscheidungsvarianz, die sich die Verwaltung selbst zutraut und die erstaunlich hohe gerichtliche Kontrolldichte von E.-Entscheidungen. Die Normunterworfenen vertrauen offenbar stärker der gerichtlichen Fremd- als der exekutivischen Eigenkontrolle und bevorzugen den Gerichtsweg, was bes. bei Großvorhaben (Planungs-E.) inzwischen zur prinzipiellen Einschaltung der {{ #staatslexikon_articlemissing: Verwaltungsgerichtsbarkeit | Verwaltungsgerichtsbarkeit }} geführt hat.
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Bei E. stehen der Verwaltung mehrere dem Gesetzeszweck entspr.e Rechtsfolgen zur Auswahl, von denen sie die ihr zweckmäßigste anordnen darf. Bei E. geht die Rechtsordnung also von mehreren gleichermaßen gesetzmäßigen Entscheidungen aus. Die Behörde muss ihr E. nach dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des E. einhalten (§&nbsp;40 VwVfG). Das Ausmaß des eingeräumten E. ist folglich durch Interpretation der Norm zu ermitteln. Man unterscheidet zwischen Entschließungs-E. (wird überhaupt gehandelt) und Auswahl- und Gestaltungs-E. (wie wird gehandelt). Behörden sollen also in Ansehung der Umstände des Falles sowie der Interpretation der Norm zweckmäßig handeln. Das setzt auf Seiten der Verwaltung häufig eine Tatsachenkenntnis und Feinfühligkeit voraus, die angesichts der personellen und sachlichen Ressourcen nicht immer gewährleistet ist. Behörden haben daher oft ein Interesse daran, ihre E.-Entscheidungen zu typisieren (E.-Richtlinien) oder standardisiert zu entscheiden (Selbstbindung der Verwaltung). Die Funktion von E. verschiebt sich dann von der Einzelfallgerechtigkeit zur standardisierten Normkonkretisierung. Im Gesetzesvollzug ([[Implementation]]) tritt durch die Scheu der Verwaltung, eigenständige E.-Entscheidungen zu treffen, bisweilen eine stärkere Ritualisierung ein, als es der Gesetzgeber mit der Einräumung von E. bezweckt hat, weil das Abweichen von der ritualisierten E.-Ausübung mit erhöhtem Begründungsaufwand einhergeht. Es überwiegt dann Regeltreue vor Angemessenheit. Freilich kann der Bürger die Verwaltung auf alternative zweckmäßige Entscheidungen hinweisen und entspr. vorstellig werden. Früher bot das (für viele Verwaltungstätigkeiten inzwischen abgeschaffte) Widerspruchsverfahren (§§&nbsp;68–80b VwGO) einen gezielt auf die Überprüfung der Zweckmäßigkeit zugeschnittenen innerbehördlichen Rechtsbehelf. Dass dieser weitgehend für entbehrlich gehalten wird, verdeutlicht die geringe Entscheidungsvarianz, die sich die Verwaltung selbst zutraut und die erstaunlich hohe gerichtliche Kontrolldichte von E.-Entscheidungen. Die Normunterworfenen vertrauen offenbar stärker der gerichtlichen Fremd- als der exekutivischen Eigenkontrolle und bevorzugen den Gerichtsweg, was bes. bei Großvorhaben (Planungs-E.) inzwischen zur prinzipiellen Einschaltung der {{ #staatslexikon_articlemissing: Verwaltungsgerichtsbarkeit | Verwaltungsgerichtsbarkeit }} geführt hat.
 
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<h2 class ="headline-w-margin">3. Gerichtliche Überprüfung</h2>
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:07 Uhr

1. Begriff

Der Begriff E. bezeichnet eine Letztentscheidungskompetenz im Gewaltenteilungsverhältnis (Gewaltenteilung). Eine generell-abstrakte Rechtsnorm erhält erst durch die konkretisierende Anwendung auf einen spezifischen Fall ihre individuell-konkrete Bindungswirkung. Jeder Anwendungsakt ist daher zugl. ein Akt der Rechtserzeugung mit konkretisierter Bindungswirkung. Der Rechtsanwender verfügt immer über Freiräume zur Konkretisierung und Individualisierung der Rechtsnorm. Mit E. wird dem Rechtsanwender ein zusätzlicher Entscheidungsfreiraum übertragen, der über die Konkretisierung und Individualisierung der Bindungswirkung einer Norm hinausgeht. E. bezeichnet die Befugnis zu einer Letztentscheidung, die von späterer gerichtlicher Überprüfung freigestellt ist. Man unterscheidet das E. des Gesetzgebers, der als Erstadressat der Verfassung seine Kompetenzen nach eigenen Vorstellungen zu konkretisieren hat (Gesetzgebungs-E.), das Rechtsprechungs-E. (bezogen etwa auf die Strafzumessung, oder Kostenentscheidungen) sowie das Verwaltungs-E.

2. Verwaltungsermessen

Die Verwaltung hat E. wenn eine Rechtsnorm der Behörde bei der Erfüllung des Tatbestandes die Wahl zwischen mehreren Rechtsfolgen lässt. Gesetze räumen E. durch Formulierungen ein wie: „kann, darf, soll“ oder: „befugt, ermächtigt, erforderlich, angemessen, zweckmäßig“. E. kann sich auch aus dem Zweck der Norm heraus ergeben, etwa wenn die Behörde planerische Gestaltungsaufträge (Planungs-E., z. B. Bauleitpläne nach § 1 Abs. 3 BauGB) oder multipolare Abwägungsentscheidungen (Abwägung) vorzunehmen hat, die eigenständige Beurteilungen voraussetzen (Regulierungs-E. der BNetzA, z. B. bei Entscheidungen nach §§ 10, 11 TKG). Mit E. delegiert der Gesetzgeber die letztverbindliche Konkretisierung der Rechtsfolge an die Behörde, damit den Umständen des Einzelfalles (Einzelfallgerechtigkeit) flexibel Rechnung getragen und zweckmäßig entschieden wird. Die Einräumung von E. an die Exekutive erleichtert der Legislative die generell-abstrakte Normsetzung, weil Normen nicht jede Eventualität vorhersehen müssen, was wiederum der Rechtsklarheit und Bestimmtheit der Norm dient. Überdies will und kann der Gesetzgeber bestimmte Fragen nicht selbst entscheiden (komplexe Abwägungssituation, Risikoabschätzung, zeitliche Dynamik, Wandel der Umstände) so dass die Einräumung von E. die Gesetzgebung entlastet. Die Einräumung von E. ist daher ein wichtiges Mittel, wie die Verwaltung Gesetze (Gesetz) so vollziehen kann, dass dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprochen wird und die Gesetze zugl. nicht überfrachtet werden und ein hinreichendes Abstraktionsniveau behalten.

E. ist stets dem jeweiligen Träger der Verwaltung, nicht dem einzelnen Organwalter eingeräumt; es kann daher innerhalb der Verwaltungshierarchie ersetzt werden. Abzugrenzen ist E. vom „unbestimmten Rechtsbegriff“ auf der Tatbestandsseite einer Norm: Hier überträgt der Gesetzgeber die Letztkonkretisierungsbefugnis der Rechtsprechung.

Bei E. stehen der Verwaltung mehrere dem Gesetzeszweck entspr.e Rechtsfolgen zur Auswahl, von denen sie die ihr zweckmäßigste anordnen darf. Bei E. geht die Rechtsordnung also von mehreren gleichermaßen gesetzmäßigen Entscheidungen aus. Die Behörde muss ihr E. nach dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des E. einhalten (§ 40 VwVfG). Das Ausmaß des eingeräumten E. ist folglich durch Interpretation der Norm zu ermitteln. Man unterscheidet zwischen Entschließungs-E. (wird überhaupt gehandelt) und Auswahl- und Gestaltungs-E. (wie wird gehandelt). Behörden sollen also in Ansehung der Umstände des Falles sowie der Interpretation der Norm zweckmäßig handeln. Das setzt auf Seiten der Verwaltung häufig eine Tatsachenkenntnis und Feinfühligkeit voraus, die angesichts der personellen und sachlichen Ressourcen nicht immer gewährleistet ist. Behörden haben daher oft ein Interesse daran, ihre E.-Entscheidungen zu typisieren (E.-Richtlinien) oder standardisiert zu entscheiden (Selbstbindung der Verwaltung). Die Funktion von E. verschiebt sich dann von der Einzelfallgerechtigkeit zur standardisierten Normkonkretisierung. Im Gesetzesvollzug (Implementation) tritt durch die Scheu der Verwaltung, eigenständige E.-Entscheidungen zu treffen, bisweilen eine stärkere Ritualisierung ein, als es der Gesetzgeber mit der Einräumung von E. bezweckt hat, weil das Abweichen von der ritualisierten E.-Ausübung mit erhöhtem Begründungsaufwand einhergeht. Es überwiegt dann Regeltreue vor Angemessenheit. Freilich kann der Bürger die Verwaltung auf alternative zweckmäßige Entscheidungen hinweisen und entspr. vorstellig werden. Früher bot das (für viele Verwaltungstätigkeiten inzwischen abgeschaffte) Widerspruchsverfahren (§§ 68–80b VwGO) einen gezielt auf die Überprüfung der Zweckmäßigkeit zugeschnittenen innerbehördlichen Rechtsbehelf. Dass dieser weitgehend für entbehrlich gehalten wird, verdeutlicht die geringe Entscheidungsvarianz, die sich die Verwaltung selbst zutraut und die erstaunlich hohe gerichtliche Kontrolldichte von E.-Entscheidungen. Die Normunterworfenen vertrauen offenbar stärker der gerichtlichen Fremd- als der exekutivischen Eigenkontrolle und bevorzugen den Gerichtsweg, was bes. bei Großvorhaben (Planungs-E.) inzwischen zur prinzipiellen Einschaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt hat.

3. Gerichtliche Überprüfung

Als Ausdruck einer Letztentscheidungsbefugnis im Gewaltenteilungsverhältnis (Gewaltenteilung) können E.-Entscheidungen im Rechtsweg nur auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden (§ 114 VwGO). Den Verwaltungsgerichten (Verwaltungsgerichtsbarkeit) ist es jedoch gelungen, die Ausübung von E. in einem erstaunlichen Umfang der Gerichtskontrolle zu unterziehen, weil die Rechtskontrolle die Interpretation der Norm umfasst, die E. einräumt, so dass der gesetzliche Zweck und die Grenzen des E. justiziabel sind. Damit wurde der verselbständigte Entscheidungsbereich der Verwaltung von den Gerichten wieder eingeengt. Man unterscheidet drei Arten von E.-Fehlern: Bei der E.-Unterschreitung (E.-Nichtgebrauch, E.-Ausfall) geht die Behörde von einer gebundenen Entscheidung aus und betätigt ihr E. nicht (etwa weil sie lediglich Verwaltungsvorschriften befolgt und übersieht, auf den Einzelfall mit E. zu reagieren). Bei der E.-Überschreitung wählt die Behörde eine gesetzlich nicht vorhergesehene Rechtsfolge oder verstößt gegen höherrangiges Recht (Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, Verhältnismäßigkeit). Zum E.-Fehlgebrauch zählen Konstellationen, in denen die Behörde sachfremde Erwägungen anstellt, die nicht vom Sinn und Zweck des ermächtigenden Gesetzes gedeckt sind.

Im verwaltungsgerichtlichen Prozess ist ein ermessensfehlerhafter Verwaltungsakt aufzuheben, soweit er den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Begehrt der Kläger eine Leistung (Verwaltungshandeln) aufgrund eines E.-Tatbestands ergeht nur ein Bescheidungsurteil unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 VwGO): Die Behörde wird zur ermessensfehlerfreien Neubescheidung verpflichtet; der Bürger hat nur einen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Nur in den seltenen Fällen, in denen nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei wäre (sog.e E.-Reduzierung auf null), darf das Gericht die E.-Entscheidung ersetzen und ausnahmsweise selbst verpflichten.