Erdsystemforschung: Unterschied zwischen den Versionen

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Die E. (auch: Erdsystemwissenschaft, Erdsystemanalyse; englisch: <I>Earth System Science</I>) befasst sich mit den für die globale Entwicklungsdynamik relevanten physikalischen, chemischen, biologischen und gesellschaftlichen Komponenten, Prozessen und Wechselwirkungen auf der Erde. Das Erdsystem stellt dabei im Sinne der Systemwissenschaften die Gesamtheit der aufeinander bezogenen oder miteinander verbundenen, sich selbst organisierenden Funktionseinheiten der Erde dar, deren Interaktionen zu jedem Zeitpunkt ihren Zustand festlegen. Die E. ist interdisziplinär und vereint in ihrer vollen Breite Disziplinen wie Geographie, Geologie, Glaziologie, Geschichtswissenschaften ([[Geschichtswissenschaft]]), Kulturwissenschaften ({{ #staatslexikon_articlemissing: Kulturwissenschaft | Kulturwissenschaft }}), Meteorologie, {{ #staatslexikon_articlemissing: Ökologie | Ökologie }}, {{ #staatslexikon_articlemissing: Ökonomie | Ökonomie }}, Ozeanographie und {{ #staatslexikon_articlemissing: Soziologie | Soziologie }} mit dem Ziel eines holistischen Verständnisses der Entwicklungsdynamik des Erdsystems.
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Die E. (auch: Erdsystemwissenschaft, Erdsystemanalyse; englisch: <I>Earth System Science</I>) befasst sich mit den für die globale Entwicklungsdynamik relevanten physikalischen, chemischen, biologischen und gesellschaftlichen Komponenten, Prozessen und Wechselwirkungen auf der Erde. Das Erdsystem stellt dabei im Sinne der Systemwissenschaften die Gesamtheit der aufeinander bezogenen oder miteinander verbundenen, sich selbst organisierenden Funktionseinheiten der Erde dar, deren Interaktionen zu jedem Zeitpunkt ihren Zustand festlegen. Die E. ist interdisziplinär und vereint in ihrer vollen Breite Disziplinen wie Geographie, Geologie, Glaziologie, Geschichtswissenschaften ([[Geschichtswissenschaft]]), Kulturwissenschaften ([[Kulturwissenschaft]]), Meteorologie, {{ #staatslexikon_articlemissing: Ökologie | Ökologie }}, {{ #staatslexikon_articlemissing: Ökonomie | Ökonomie }}, Ozeanographie und {{ #staatslexikon_articlemissing: Soziologie | Soziologie }} mit dem Ziel eines holistischen Verständnisses der Entwicklungsdynamik des Erdsystems.
 
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E. ist ein junger, dynamischer Wissenschaftszweig, wobei die urspr. vorherrschende naturwissenschaftliche Analyse der Entwicklung des Erdsystems und die Beobachtung seiner rezenten Veränderungen zunehmend durch die systematische Untersuchung zukünftiger, für die Menschheit gefährlicher bzw. günstiger Entwicklungspfade erweitert wird. Themen sind die Mensch-Umwelt-Beziehung, die Erforschung des [[Anthropozän|Anthropozäns]], die Erkundung planetarer Grenzen, möglicher Kipppunkte und sicherer „Betriebsbedingungen“ für den Planeten sowie die systematische Erforschung globaler und regionaler Zielkonflikte und Handlungsoptionen für nachhaltige Entwicklung ({{ #staatslexikon_articlemissing: Nachhaltigkeit | Nachhaltigkeit }}). Die wichtigsten Forschungsfelder sind die Wechselwirkungen zwischen und Veränderungen von Land, Atmosphäre, Wasser, Eis und Biosphäre, die Mechanismen der zunehmenden Beeinflussung dieser durch Gesellschaften, Technologien und Wirtschaft sowie angewandte Themen zu Ressourcennutzung, Landnutzungsdynamik, Urbanisierung, Transformation der globalen Energiesysteme ([[Energiepolitik]]), nachhaltige Landwirtschaft ({{ #staatslexikon_articlemissing: Land- und Forstwirtschaft | Land- und Forstwirtschaft }}), Überfischung und Müllproduktion. Zu ihnen gehört auch das Geoengineering, das sich mit Möglichkeiten und Grenzen gezielter technischer Eingriffe ins Erdsystem z.&nbsp;B. zur Verhinderung des {{ #staatslexikon_articlemissing: Klimawandels | Klimawandel }} bei gleichzeitiger Weiternutzung fossiler Energieträger beschäftigt.
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E. ist ein junger, dynamischer Wissenschaftszweig, wobei die urspr. vorherrschende naturwissenschaftliche Analyse der Entwicklung des Erdsystems und die Beobachtung seiner rezenten Veränderungen zunehmend durch die systematische Untersuchung zukünftiger, für die Menschheit gefährlicher bzw. günstiger Entwicklungspfade erweitert wird. Themen sind die Mensch-Umwelt-Beziehung, die Erforschung des [[Anthropozän|Anthropozäns]], die Erkundung planetarer Grenzen, möglicher Kipppunkte und sicherer „Betriebsbedingungen“ für den Planeten sowie die systematische Erforschung globaler und regionaler Zielkonflikte und Handlungsoptionen für nachhaltige Entwicklung ({{ #staatslexikon_articlemissing: Nachhaltigkeit | Nachhaltigkeit }}). Die wichtigsten Forschungsfelder sind die Wechselwirkungen zwischen und Veränderungen von Land, Atmosphäre, Wasser, Eis und Biosphäre, die Mechanismen der zunehmenden Beeinflussung dieser durch Gesellschaften, Technologien und Wirtschaft sowie angewandte Themen zu Ressourcennutzung, Landnutzungsdynamik, Urbanisierung, Transformation der globalen Energiesysteme ([[Energiepolitik]]), nachhaltige Landwirtschaft ([[Land- und Forstwirtschaft]]), Überfischung und Müllproduktion. Zu ihnen gehört auch das Geoengineering, das sich mit Möglichkeiten und Grenzen gezielter technischer Eingriffe ins Erdsystem z.&nbsp;B. zur Verhinderung des [[Klimawandel|Klimawandels]] bei gleichzeitiger Weiternutzung fossiler Energieträger beschäftigt.
 
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Die Schwäche der <I>Global Change Programme</I> offenbarte sich in den 2000er Jahren in dem Maß, in dem ihre Ergebnisse auf steigendes gesellschaftliches und politisches Interesse stießen. Sie erwiesen sich trotz ihrer Breite als zu disziplinär und deshalb nur bedingt geeignet, die zunehmend komplexeren Fragen von Gesellschaft und Politik zur Gestaltung des globalen Wandels durch disziplinübergreifende Integration zu behandeln (z.&nbsp;B. Anpassung an den [[Klimawandel]], nachhaltige Energieversorgung [ [[Energiepolitik]] ], Nahrungsmittelsicherheit, Dienstleistungen der Ökosysteme, Wert der [[Biodiversität]]). Als Konsequenz entstand aus ihnen Anfang der 2010er Jahre das E.s-Programm <I>FutureEarth</I>. <I>FutureEarth</I> ist seither die internationale Plattform der E. und widmet sich drei Themen: dem dynamischen Planet Erde, der globalen nachhaltigen Entwicklung und, als vordringliche Aufgabe der E., der gesellschaftlichen Transformation hin zur {{ #staatslexikon_articlemissing: Nachhaltigkeit | Nachhaltigkeit }}. <I>FutureEarth</I> folgt dem Prinzip, dass das dafür nötige Wissen nur in einer Partnerschaft mit der Gesellschaft und den Wissensnutzern erzeugt werden kann.
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:07 Uhr

1. Definition

Die E. (auch: Erdsystemwissenschaft, Erdsystemanalyse; englisch: Earth System Science) befasst sich mit den für die globale Entwicklungsdynamik relevanten physikalischen, chemischen, biologischen und gesellschaftlichen Komponenten, Prozessen und Wechselwirkungen auf der Erde. Das Erdsystem stellt dabei im Sinne der Systemwissenschaften die Gesamtheit der aufeinander bezogenen oder miteinander verbundenen, sich selbst organisierenden Funktionseinheiten der Erde dar, deren Interaktionen zu jedem Zeitpunkt ihren Zustand festlegen. Die E. ist interdisziplinär und vereint in ihrer vollen Breite Disziplinen wie Geographie, Geologie, Glaziologie, Geschichtswissenschaften (Geschichtswissenschaft), Kulturwissenschaften (Kulturwissenschaft), Meteorologie, Ökologie, Ökonomie, Ozeanographie und Soziologie mit dem Ziel eines holistischen Verständnisses der Entwicklungsdynamik des Erdsystems.

2. Forschungsbereiche

E. ist ein junger, dynamischer Wissenschaftszweig, wobei die urspr. vorherrschende naturwissenschaftliche Analyse der Entwicklung des Erdsystems und die Beobachtung seiner rezenten Veränderungen zunehmend durch die systematische Untersuchung zukünftiger, für die Menschheit gefährlicher bzw. günstiger Entwicklungspfade erweitert wird. Themen sind die Mensch-Umwelt-Beziehung, die Erforschung des Anthropozäns, die Erkundung planetarer Grenzen, möglicher Kipppunkte und sicherer „Betriebsbedingungen“ für den Planeten sowie die systematische Erforschung globaler und regionaler Zielkonflikte und Handlungsoptionen für nachhaltige Entwicklung (Nachhaltigkeit). Die wichtigsten Forschungsfelder sind die Wechselwirkungen zwischen und Veränderungen von Land, Atmosphäre, Wasser, Eis und Biosphäre, die Mechanismen der zunehmenden Beeinflussung dieser durch Gesellschaften, Technologien und Wirtschaft sowie angewandte Themen zu Ressourcennutzung, Landnutzungsdynamik, Urbanisierung, Transformation der globalen Energiesysteme (Energiepolitik), nachhaltige Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft), Überfischung und Müllproduktion. Zu ihnen gehört auch das Geoengineering, das sich mit Möglichkeiten und Grenzen gezielter technischer Eingriffe ins Erdsystem z. B. zur Verhinderung des Klimawandels bei gleichzeitiger Weiternutzung fossiler Energieträger beschäftigt.

3. Hintergrund und Geschichte

Die Wurzeln der E. gehen zurück auf die holistischen Interpretationen der Natur durch Alexander von Humboldt im 19. Jh. Mitte der 1960er Jahre erkannte James Lovelock als erster die regulatorische Wirkung der Rückkopplung der Biosphäre mit dem Erdsystem. Die Etablierung der E. wurde Anfang der 1970er Jahren gefördert durch

a) die seit 1957 laufenden Messungen der Veränderung des Kohlendioxidgehalts der Erdatmosphäre, die erstmals den engen Zusammenhang zwischen Atmosphäre und Biosphäre dokumentierten;

b) die Mondflüge, die erstmals den Blick auf die Erde als Ganzes erlaubten und die „Blue Marble“ zum Ausdruck eines neuen globalen Bewusstseins machten;

c) die Erdbeobachtung mit Satelliten, die erstmals die globale Erfassung von Veränderungen auf der Erde ermöglichten;

d) die explodierende Leistung der Computer, die erste Wetter- und Klimamodelle sowie vereinfachte, holistische Abschätzungen zur Zukunft der ökosystemaren Existenzbedingungen der Menschheit hervorbrachten.

Der Begriff E. wurde Mitte der 1980er Jahre von der NASA geprägt. Sie sollte die Beobachtungen ihrer Satelliten durch mathematische Modelle der Wechselwirkungen und Rückkoppelungen im natürlichen Erdsystem nachbilden und damit verstehen. Der Bretherton-Bericht definierte vier Inhalte der E.:

a) globale Messungen, um die physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse in der Evolution der Erde zu verstehen;

b) Dokumentation globaler Veränderungen über mehrere Dekaden;

c) Vorhersagen künftiger Veränderungen mit quantitativen Modellen;

d) Aufbereitung der Informationen, um auf Konsequenzen globaler Veränderungen effektiver reagieren zu können.

Die ersten Dokumente globaler Veränderungen förderten in den späten 1980er und den 1990er Jahren die Bildung von vier internationalen Erdsystem-Forschungsprogrammen zum globalen Wandel (Global Change): das World Climate Research Program (WCRP); das International Geosphere-Biosphere Program (IGBP); das International Human Dimensions Program of Global Environmental Change (IHDP) und das globale Biodiversitäts-Programm DIVERSITAS (Biodiversität). Ihre Erkenntnisse prägen unser heutiges Verständnis über die Zusammenhänge im Erdsystem. In dieser Zeit entwickelte Hans Joachim Schellnhuber (2004) sein Konzept der Erdsystemanalyse. Paul Crutzen (2002) leistete durch die Prägung des Begriffs „Anthropozän“ als dem Zeitalter, in dem der Mensch die Führungsrolle in der Gestaltung der Erde übernommen hat, einen wichtigen Beitrag zur Öffnung der E. für Beiträge aus den Geistes- sowie sozio-ökonomischen Wissenschaften.

4. Zukunft

Die Schwäche der Global Change Programme offenbarte sich in den 2000er Jahren in dem Maß, in dem ihre Ergebnisse auf steigendes gesellschaftliches und politisches Interesse stießen. Sie erwiesen sich trotz ihrer Breite als zu disziplinär und deshalb nur bedingt geeignet, die zunehmend komplexeren Fragen von Gesellschaft und Politik zur Gestaltung des globalen Wandels durch disziplinübergreifende Integration zu behandeln (z. B. Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Energieversorgung [ Energiepolitik ], Nahrungsmittelsicherheit, Dienstleistungen der Ökosysteme, Wert der Biodiversität). Als Konsequenz entstand aus ihnen Anfang der 2010er Jahre das E.s-Programm FutureEarth. FutureEarth ist seither die internationale Plattform der E. und widmet sich drei Themen: dem dynamischen Planet Erde, der globalen nachhaltigen Entwicklung und, als vordringliche Aufgabe der E., der gesellschaftlichen Transformation hin zur Nachhaltigkeit. FutureEarth folgt dem Prinzip, dass das dafür nötige Wissen nur in einer Partnerschaft mit der Gesellschaft und den Wissensnutzern erzeugt werden kann.