Entspannungspolitik

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Epochenübergreifend spricht man von E., wenn es zur Deeskalation internationaler Konflikte kommt. Im engeren Sinn wird unter E. der Abbau von Konfrontation im Ost-West-Konflikt verstanden. Davon zu unterscheiden ist der Zustand von Entspannung. Ob Entspannung infolge von E. tatsächlich eingetreten war und wie ein zufriedenstellender Zustand von Entspannung definiert sein sollte, war schon zeitgenössisch umstritten und wird auch in der Forschung kontrovers diskutiert.

Am Anfang der E. standen angesichts des nuklearen Wettrüstens sicherheitspolitische Überlegungen. Erste Schritte erfolgten nach der Doppelkrise um Berlin und Kuba (1958–1962), als die USA und die UdSSR 1963 die Einrichtung einer direkten Nachrichtenverbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml vereinbarten. Um einen „heißen“ Krieg zu vermeiden, wie er während der Kubakrise gedroht hatte, wurde ein „heißer Draht“ installiert, der in künftigen Krisensituationen ein angemessenes Krisenmanagement durch direkte Kommunikation ermöglichen sollte. Im selben Jahr kam es zu einer Einigung über die teilweise Beendigung von Kernwaffenversuchen. Ende 1967 erklärte die NATO im sog.en Harmel-Bericht die Vereinbarkeit von Sicherheit und Entspannung. Mit dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, den die USA, die UdSSR und Großbritannien 1968 vorlegten, während die beiden anderen Atommächte China und Frankreich auf Distanz blieben, sollte die Verfügung über Nuklearwaffen (ABC-Waffen) begrenzt bleiben. Seit 1969 verhandelten die Supermächte USA und UdSSR über die Begrenzung von strategischen Offensivwaffen, was 1972 und 1979 mit SALT I und II zur Festlegung von Obergrenzen, aber nicht zu Abrüstung führte und in Gestalt von neuen Technologien und sog.er Modernisierung von Waffensystemen auch das Wettrüsten andauern ließ. Abrüstung wurde nach dem Grundsatz einer ausgewogenen und beiderseitigen Truppenreduktion seit 1973 im Zuge der MBFR-Verhandlungen angestrebt, die aber ohne Ergebnis blieben.

Als zweite Wurzel der E. ist die deutsche Frage und die damit verbundene Nachkriegsordnung in Europa zu nennen. Die Respektierung des territorialen Status quo, ohne ihn jedoch förmlich anzuerkennen, war der ausschlaggebende und unverzichtbare Beitrag der BRD zur E. in Europa. Die Regierung der Großen Koalition (1966–1969) bestand nicht mehr auf einer Lösung der deutschen Frage als Voraussetzung für Ost-West-Entspannung. Damit erfüllte sie nicht nur Forderungen der Warschauer Pakt-Staaten (Warschauer Pakt), sondern entsprach auch den Erwartungen ihrer Bündnispartner, nicht zuletzt Frankreichs. Détente, das französische Wort für Entspannung, diente zur Benennung einer ganzen Epoche. Ebenso fand das deutsche Wort Ostpolitik Eingang in den internationalen Sprachgebrauch, als die sozial-liberale Regierung in Bonn zwischen 1970 und 1973 Gewaltverzichtsverträge mit der UdSSR, Polen und der Tschechoslowakei abschloss und im Grundlagenvertrag mit der DDR 1972 das innerdeutsche Verhältnis (Innerdeutsche Beziehungen) regelte. Parallel dazu brachte die Vier-Mächte-Vereinbarung über Berlin 1971 Klarheit über die Art der Anbindung West-Berlins an die BRD. Danach war Ende 1972 der Weg frei für die KSZE (OSZE, KSZE), an der 35 europäische und nordamerikanische Staaten teilnahmen und die 1975 mit der Schlussakte von Helsinki zu Ende ging. Darin verpflichteten sich die beteiligten Regierungen zur Unverletzlichkeit der Grenzen, aber auch zur Verbesserung von Wirtschaftsbeziehungen und Reisemöglichkeiten sowie zur Achtung der Menschenrechte.

Das in allen beteiligten Ländern verbreitete Schlussdokument von Helsinki war kein völkerrechtlich bindender Vertrag, sondern eine Absichtserklärung, die unterschiedlich interpretiert wurde. Dies gilt für die E. allg. In der BRD führte sie zu einer erst allmählich schwächer werdenden innenpolitischen Polarisierung. Die KSZE deutete man vielfach als Sieg der UdSSR, deren Hauptziel, die Bestätigung der Nachkriegsordnung, erreicht war. Aus westlicher Sicht konnte ein Erfolg darin gesehen werden, dass der friedliche Wandel von Grenzen (Grenze) ausdrücklich möglich sein sollte und die universelle Bedeutung der Menschenrechte anerkannt wurde, so dass die deutsche Frage offen blieb und Dissidenten im Ostblock sich auf die KSZE berufen konnten. Allerdings war nicht wirklich vorhersehbar, dass der KSZE-Prozess zu einer Überwindung des Status quo führen würde. Die UdSSR war infolge ihrer wirtschaftlichen Stagnation auf Austausch mit dem Westen angewiesen. Aber sie schien in ausreichendem Maß über die Macht zu verfügen, ihr Regime im Innern und in ihrem bis in die Mitte Europas reichenden Imperium aufrechterhalten zu können.

Die E. war möglich, weil alle Akteure daran interessiert waren, den Grad an Konfrontation zu vermeiden, der im Kalten Krieg der 1950er Jahre geherrscht hatte. Sie ermöglichte ein Verhältnis zwischen Ost und West, das als antagonistische Kooperation zu bezeichnen ist. Angesichts des weiterhin bestehenden Grundkonflikts konnten Enttäuschungen und Krisen nicht ausbleiben. Die USA monierten die fehlende Respektierung der Menschenrechte in den kommunistisch regierten Staaten, was die UdSSR wiederum als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückwies. Für die westliche Welt ungewohnt war die zunehmende Präsenz der UdSSR in der Dritten Welt mit der Invasion in Afghanistan 1979 als Höhepunkt. Das Kernproblem der E. bestand darin, dass die politische Entspannung erst gegen Ende der 1980er Jahre eine Ergänzung im Bereich der Sicherheitspolitik fand. Zuvor arbeiteten beide Seiten an der Perfektionierung ihrer Waffensysteme. Als die UdSSR neue Mittelstreckenraketen (SS 20) aufstellte, reagierte die NATO im Rahmen ihres 1979 gefassten Doppelbeschlusses mit der Stationierung eigener Raketen (Pershing II) und Marschflugkörper. Die zeitgenössische Bezeichnung dieser Phase als „Zweiter Kalter Krieg“ hat auch Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Andere Autoren sprechen von einer Krise der E., aber nicht von ihrem Ende.