Einkommensteuer

Version vom 20. November 2019, 17:36 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Einkommensteuer)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

  1. I. Rechtlich
  2. II. Wirtschaftswissenschaftlich

I. Rechtlich

Abschnitt drucken

1. Einleitung

Die E. ist die Steuer auf das Einkommen einer natürlichen Person, die an die Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit infolge einer vom Gesetzgeber als steuerbar bestimmten „Betätigung“ zur Einkunftserzielung am Markt anknüpft. Besteuert wird die Erzielung des Einkommens, nicht dagegen seine Verwendung. Die Einkommensverwendung belasten USt und andere Verbrauchsteuern als Konsumsteuern. Als eine direkte Steuer belastet die E. den Steuerpflichtigen selbst und ist nicht wie eine indirekte Steuer nach der Intention des Gesetzgebers auf die Abwälzung auf einen anderen „Steuerträger“ angelegt, wie etwa die Umsatzsteuer. Die E. wird in der BRD auf der Rechtsgrundlage des EStG erhoben und ist derzeit die aufkommensstärkste Steuer. Als Gemeinschaftsteuer steht sie Bund, Ländern und Gemeinden (Gemeinde) gemeinsam zu (Art. 106 Abs. 3 GG).

2. Leistungsfähigkeitsprinzip und Einkommensbegriff

Für die Ausgestaltung des E.-Rechts und für die Bestimmung des „Einkommens“ ist das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grundlegend. Als Maßstab für die Verteilung von Steuerlasten steht es auch im Dienste einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Besteuerung. Es ist im Ausgangspunkt ein hoch abstraktes Leitprinzip, das den Rechtssetzer und Rechtsanwender nicht bis in Details anleitet, sondern auf Konkretisierung anhand von Wertungen und Subprinzipien angewiesen ist. Unter Berufung auf das abstrakte Leistungsfähigkeitsprinzip darf nicht lediglich Erwünschtes postuliert werden, vielmehr sind primär gesetzgeberische Konkretisierungen erforderlich. Der Gesetzgeber ist bei der Definition der Leistungsfähigkeit zwar keineswegs völlig frei und ungebunden. Ihm kommt jedoch die Belastungs- und Einschätzungsprärogative zu, wann er bei wem welche Leistungsfähigkeit besteuern will. Zur Auswahl des Gesetzgebers stehen verschiedene Einkommenstheorien wie die Quellentheorie (Besteuerung laufender Erträge aus bestimmten Quellen), die Reinvermögenszugangstheorie (Besteuerung sämtlicher „Vermögensmehrungen“ unter Einschluss von Nutzungen und Wertschöpfungen) oder die Markteinkommenstheorie (Besteuerung des am Markt erwirtschafteten Einkommens). Der deutsche Gesetzgeber hat sich nicht für eine Einkommenstheorie entschieden, sondern verwendet traditionell einen pragmatischen Einkommensbegriff (§ 2 Abs. 1, 2 EStG). Da sich jedes Gesetz auch im praktischen Vollzug bewähren muss, hat der Gesetzgeber die Aufgabe, das Leistungsfähigkeitsprinzip bereits bei der Definition des Einkommens gegen das Praktikabilitätsprinzip abzuwägen. Auch wenn sich idealtypisch über viele Quellen der Leistungsfähigkeit nachdenken lässt, bspw. über das Potential zur Bedürfnisbefriedigung und die Konsumfähigkeit, die etwa auch das Reitpferd sowie den eigenen Hausgarten und viele andere Nutzungen einbezieht, wäre eine solche idealtypische Ausweitung des Einkommensbegriffs überambitioniert. Es wäre eine unerfüllbare Vollzugsaufgabe, die notwendigerweise zu Vollzugsungleichheiten und zu verfassungsrechtlichen Gleichheitsfragen führen würde. Das BVerfG hat zu Beginn der 90er Jahre für den Steuergesetzgeber die Gewähr einer strukturellen Vollzugsfähigkeit der Steuergesetze zur Verfassungspflicht erhoben. Dieser muss strukturell sicherstellen, dass eine Gleichheit im Belastungserfolg eintritt. Daran sind auch die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Einkommensbegriff, der diese verwirklichen soll, zu messen.

3. Objektives und subjektives Nettoprinzip

Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird durch das Nettoprinzip in seinen Ausprägungen als objektives und als subjektives Nettoprinzip konkretisiert. Es zielt darauf ab, dass nur disponibles Einkommen besteuert wird. Während das objektive Nettoprinzip darauf gerichtet ist, Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten/Betriebsausgaben) von der Bemessungsgrundlage der E. abzuziehen, ist nach dem subjektiven Nettoprinzip sicherzustellen, dass existenzsichernde Aufwendungen eines Menschen (Existenzminimum, Vorsorgeaufwendungen etc.) von der Besteuerung freigestellt sind.

Der Stellenwert und die verfassungsrechtliche Verwurzelung des objektiven Nettoprinzips werden schon seit vielen Jahren diskutiert. Das BVerfG hat es bislang ausdrücklich offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip verfassungsrechtlich vorgegeben ist, denn jedenfalls soll die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zur Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit umzusetzen sein. Demnach darf der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip nur mit einer bes.n Rechtfertigung durchbrechen. Trotz zahlreicher substantieller Durchbrechungen im geltenden Recht bleibt das objektive Nettoprinzip weiterhin eine folgerichtig auszugestaltende Grundentscheidung des Gesetzgebers. Unabhängig von den Anforderungen des gleichheitsrechtlich fundierten Folgerichtigkeitsgebots kann die Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips dazu beitragen, die in der deutschen Finanzverfassung enthaltene konzeptionelle Unterscheidung zwischen E. und Umsatzsteuer zu wahren. Eine systematische Abkehr vom objektiven Nettoprinzip könnte die E. zu einer Steuer auf Umsätze denaturieren und damit von der USt nicht mehr unterscheidbar machen. Insoweit hat der Gesetzgeber aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen ein Abstandsgebot zwischen den Steuerarten zu wahren.

Im Unterschied zum objektiven Nettoprinzip ist die verfassungsrechtliche Radizierung des subjektiven Nettoprinzips durch das Sozialstaatsprinzip (Sozialstaat), aber auch durch grundrechtliche Gewährleistungen allg. anerkannt. Die danach zu berücksichtigenden Aufwendungen können aus Praktikabilitätsgründen mitunter nur pauschal, etwa als Grundfreibetrag für das sächliche Existenzminimum, abgezogen werden. Die damit einhergehenden Ungleichbehandlungen sind unter bestimmten Voraussetzungen auch verfassungsrechtlich hinzunehmen. Trotz seiner verfassungsrechtlichen Verwurzelung ist die Verwirklichung des subjektiven Nettoprinzips nicht unbestritten. Dies zeigt sich etwa bei der Kontroverse zwischen Juristen und Ökonomen um die Berücksichtigung der außerbetrieblichen Sphäre des Betriebsinhabers bei der E. Ökonomen haben ausgehend von der Idee der E. als einer Betriebsteuer gerügt, dass die Berücksichtigung von außerbetrieblichen Lasten zu einer Verzerrung der Wettbewerbsgleichheit führt, weil nicht das Betriebsergebnis besteuert wird, sondern die individuelle Leistungsfähigkeit. Die deutschen Verfassungsjuristen, insb. Klaus Vogel, haben diesen Ökonomen entgegenhalten, dass Ökonomen nicht über die Frage entscheiden sollten, ob ein verfassungsrechtlich gebotener Abzug von Aufwendungen der subjektiven Sphäre des Steuerpflichtigen gewährt wird oder nicht. Die unterschiedliche Entlastungswirkung sei gleichheitsgerecht, weil sie nur Kehrseite oder Reflex des progressiven Steuertarifs sei. Auch wenn sich beide Seiten auf das Leistungsfähigkeitsprinzip berufen, unterscheidet sich der Anknüpfungspunkt: Auf der einen Seite lässt sich Leistungsfähigkeit aus ökonomischer Sicht als eine betriebsbezogene Funktionsgröße zur Gewähr von Wettbewerbsgleichheit verstehen. Aus juristischer Perspektive lässt sich die Individualbesteuerung der gesamten Leistungsfähigkeit einer Person zum Ziel der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheben, so dass zentrale Bedeutung hat, in welcher Höhe dem Steuerzahler disponibles Einkommen zur Verfügung steht.

4. Steuergerechtigkeit

Das Leistungsfähigkeitsprinzip ermöglicht als Leitprinzip für die Bestimmung des steuerbaren Einkommens auch die Verwirklichung von Steuergerechtigkeit im Sinne einer gleichen Steuerlast bei gleicher Leistungsfähigkeit (horizontale Steuergerechtigkeit) und einer verhältnismäßig höheren Steuerlast bei höherer Leistungsfähigkeit (vertikale Steuergerechtigkeit). In letzterem Fall ergibt sich die höhere Steuerlast nicht nur aus der höheren Bemessungsgrundlage, sondern auch aus einem höheren (progressiven) Steuersatz. Es mehren sich jedoch die Stimmen, die im progressiven Steuersatz weniger einen Ausdruck von (vertikaler) Steuergerechtigkeit sehen als vielmehr eine sozialstaatlich motivierte Umverteilung. Der Tarifverlauf der E. ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern steht zwischen der gebotenen Verschonung des Existenzminimums und der verbotenen Übermaßbesteuerung zur steuerpolitischen Disposition des Parlaments.

5. Zeitbezug

Sowohl auf der Ebene des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als auch auf der Ebene der Subprinzipien des objektiven und des subjektiven Nettoprinzips stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitbezug. Die Berücksichtigung des Lebenseinkommens, das mit Blick auf die Funktion des Leistungsfähigkeitsprinzips als gleichheitssatzkonformer Maßstab für die Verteilung der Steuerlasten (s. o. 2.) ideal wäre, ist nur schwer administrierbar. Darum muss die Lebenszeit des Steuerpflichtigen in einzelne Besteuerungsabschnitte (sog.e Veranlagungszeiträume) unterteilt werden (sog.es Abschnittsprinzip). Das Jahresprinzip lässt sich als eine materielle Wertentscheidung begreifen, weil mit der Belastung beim Bürger die Ausstattung der staatlichen Haushalte korrespondiert. Insb. Paul Kirchhof sieht im Abschnittsprinzip auch ein materielles Prinzip der Belastungsgleichheit der Steuerpflichtigen. Diese Sicht ist in der Literatur in Frage gestellt worden. Wirtschaftlich zusammenhängende Sachverhalte werden durch das zufällige Moment der Jährlichkeit in verschiedene Jahresabschnitte und Besteuerungsabschnitte zergliedert. Deswegen halten Klaus Tipke und die von ihm begründete Kölner Schule dem Periodizitätsprinzip entgegen, es sei kein Wertungsprinzip, sondern ein rein technisches Prinzip. Das Verfassungsrecht macht insoweit keine punktgenauen Vorgaben und überlässt die Entscheidung im Rahmen des GG dem Gesetzgeber. Für das geltende Recht hat sich der Gesetzgeber gegen eine Besteuerung nach dem Lebenseinkommen und für eine periodische Besteuerung entschieden (§ 2 Abs. 7 EStG). Das geltende E.-Recht sieht aber zu Recht substanzielle Durchbrechungen und Milderungen des Abschnittsprinzips, bspw. in Gestalt des intertemporalen Verlustabzugs vor.

6. Erhebung und Verfahren

Aufgrund der Komplexität des E.-Rechts kann auch der fachlich gebildete Steuerpflichtige die von ihm geschuldete E. nicht unmittelbar aus dem Gesetz herauslesen. Nicht zuletzt deshalb ist die E. in einem bes.n förmlichen Verfahren festzusetzen (sog.e Veranlagung). Dabei ist der Steuerpflichtige trotz der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen Amtsermittlungspflicht zur Mitwirkung verpflichtet, insb. durch Abgabe einer Steuererklärung. Die Festsetzung der E. erfolgt dann durch Verwaltungsakt in seiner speziellen Ausprägung des Steuerbescheids.

Die E. kann zur Vermeidung von strukturellen Vollzugsdefiziten (s. o. 2.) auch vor oder anstelle einer Veranlagung unmittelbar an der „Quelle“ erhoben werden, indem der Schuldner einer steuerbaren Zahlung zu Einbehalt und Abführung der E. an das Finanzamt für Rechnung des Steuerpflichtigen verpflichtet wird. Diese Form der Steuererhebung kann – wie bei der Lohnsteuer – eine bloße Vorauszahlung auf die E. sein, aber auch – wie bei der Kapitalertragsteuer – Abgeltungswirkung haben. Jedenfalls entstehen durch die „Indienstnahme“ der (privaten) Abführungspflichtigen weitere verfassungsrechtliche Fragen im Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat, dem E.-Pflichtigen und dem steuerentrichtungspflichtigen Dritten.

II. Wirtschaftswissenschaftlich

Abschnitt drucken

1. Definition und Abgrenzung

Die E. ist eine direkte Steuer auf das Einkommen von Personen. In der Praxis wird die E. häufig über mehrere steuertechnisch unselbständige Gliedsteuern erhoben. Dabei kann teils ein Quellenabzug (z. B. deutsche LSt), ein Abzug beim Finanzintermediär (z. B. deutsche Kapitalertragsteuer) oder eine Veranlagung auf der Grundlage einer Steuererklärung (z. B. deutsche veranlagte E.) zur Anwendung kommen.

In der finanzwissenschaftlichen Steuerlehre ist es üblich, bei der Definition des Einkommens die Reinvermögenszugangstheorie zugrunde zu legen. Danach sind alle Zuflüsse von Ressourcen in der Bezugsperiode dem Einkommen zuzurechnen, welche bei völliger Abwesenheit von Konsum mit einer Erhöhung des Vermögens der jeweiligen Steuerpflichtigen einhergingen. Eine E. heißt synthetisch, wenn sie dieses Einkommen einem einheitlichen Tarif unterwirft; werden Einkommen aus unterschiedlichen Quellen mit verschiedenen Tarifen besteuert, heißt sie analytisch.

Steuertheoretisch fällt es mitunter schwer, die E. präzise von anderen Steuern (Steuer) abzugrenzen. So ist in Abwesenheit von Erbschaften und bei perfekten Kapitalmärkten (Geld- und Kapitalmarkt) die USt einer proportionalen E. auf die Lohneinkommen äquivalent. Sozialversicherungsabgaben tragen aufgrund des Fehlens einer versicherungsmathematischen Äquivalenz zumindest teilweise Steuercharakter. Und schließlich lassen sich Bestandssteuern wie eine Vermögensteuer als eine Sollsteuer auf Einkommen betrachten – bei einem generellen Nominalzins von 2 % entspräche eine halbprozentige Vermögensabgabe einer Soll-E. auf Kapitaleinkommen von 25 %.

2. Bedeutung und Geschichte

International stellt die E. eine Zentralsteuer entwickelter Volkswirtschaften dar, also eine Steuer von erheblicher fiskalischer Bedeutung. Ihr Anteil am Gesamtaufkommen aller Abgaben reicht unter den OECD-Staaten von 1/4 bis zu knapp 2/3. In der BRD entfielen gemäß einer Aufstellung der bpb im Jahr 2012 auf die LSt 24,8 %, auf die veranlagte E. 6,2 % und auf den Solidaritätszuschlag 2,3 % des Gesamtsteueraufkommens von 600 Mrd. Euro. Dazu kamen die Körperschaftsteuer und nichtveranlagte Ertragsteuern mit zusammen 6,1 %. Dabei sind die Sozialversicherungsbeiträge in der Angabe des Gesamtsteueraufkommens nicht enthalten. Allerdings wird der internationale Vergleich durch die oben genannten Abgrenzungsschwierigkeiten erschwert.

Historisch betrachtet handelt es sich bei der E. um eine jüngere Steuer. Eine umfassende E. wurde erstmals zum Zwecke der Finanzierung der Napoleonischen Kriege in England (1799) und des Bürgerkriegs in den USA (1862) erhoben, aber nach dem Ende des jeweiligen Konflikts wieder abgeschafft. Erst die 16. Ergänzung zur US-Verfassung von 1913 führte die E. in den USA wieder ein.

In Deutschland entwickelte sich die E. aus der Kriegsfinanzierung nach englischem Vorbild (1811) in der zweiten Hälfte des 19. Jh., indem die (späteren) Bundesstaaten allmählich allg.e E.n einführten. Preußen bspw. ersetzte im Jahre 1891 im Rahmen der Miquelschen Finanzreform die bestehenden Klassensteuern durch eine progressive E. mit Veranlagungspflicht.

3. Zu einer rationalen Gestaltung von Einkommensteuer

3.1 Steuersubjekt

Als Subjektsteuer ist die E. in der Lage, individuelle Eigenschaften der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Bei einer reinen Individualbesteuerung wird jede Einzelperson auf der Grundlage ihres persönlichen Einkommens der E. unterworfen. Dies ignoriert, dass Individuen als Mitglieder von Haushalten gegenseitige Verpflichtungen eingehen, aus denen sich Unterhaltsverpflichtungen und Risikoteilung, aber auch Ersparnisse aufgrund von Skalenerträgen in der (praktisch unversteuerten) Haushaltsproduktion ergeben. Verschiedene Formen der Haushaltsbesteuerung, z. B. das deutsche Ehegattensplitting oder das französische Familiensplitting tragen dem Rechnung, wobei allerdings (teils implizit) Annahmen über die „übliche“ Aufteilung von Ressourcen in den Haushalten getroffen werden müssen.

3.2 Leistungsfähigkeit, horizontale Gerechtigkeit und die Steuerbemessungsgrundlage

Im Allg.en bringt man die E. mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Verbindung, also mit der Vorstellung, dass die Bürger eines Staates entsprechend ihrer Fähigkeit, steuerliche Belastungen zu verkraften, zur Finanzierung staatlicher Aufgaben (Staatsaufgaben) herangezogen werden sollten. Die Operationalisierung dieser Leistungsfähigkeit nach dem Besteuerungsprinzip der horizontalen Gerechtigkeit ist die Schlüsselfrage für die Abgrenzung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Horizontale Gerechtigkeit verlangt, dass gleiche Steuerpflichtige auch gleich besteuert werden.

Nach dem Nettoprinzip verfügen zwei Steuersubjekte dann über die gleiche steuerliche Leistungsfähigkeit, wenn sie über das gleiche disponible Einkommen zur Bedürfnisbefriedigung verfügen. Dazu sind Werbungskosten, also die für die Einkommenserzielung notwendigen Ausgaben (objektives Nettoprinzip), einerseits und das Existenzminimum der Steuerpflichtigen nebst existenzminimalen Unterhaltsverpflichtungen für Abhängige (subjektives Nettoprinzip) andererseits abzugsfähig.

Im Gegensatz zum Nettoprinzip gilt beim Bruttoprinzip die Summe aller Einkünfte als steuerliche Leistungsfähigkeit, so dass die oben genannten Abzüge entfallen. Innerhalb Europas spielt das Bruttoprinzip steuerrechtlich eine geringere Rolle, obgleich die Tendenz der deutschen Steuergesetzgebung in Richtung einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch eine Verminderung der Absetzungsmöglichkeiten und damit einer Schwächung des Nettoprinzips weist.

Aus steuertheoretischer Sicht entstehen im Zusammenhang der Operationalisierung der steuerlichen Leistungsfähigkeit weitere interessante Probleme. Eines hat mit der theoretisch auch zur Vermeidung von Steuerausweichung interessanten Orientierung am Potentialeinkommen zu tun, ein anderes mit der Interaktion von Ertrags- und Bestandssteuern.

3.3 Vertikale Gerechtigkeit und Gestaltung des Steuertarifs

Bei der Gestaltung des Steuertarifs steht rechtlich die Idee der vertikalen Gerechtigkeit, also einer gerechten Ungleichbehandlung von Ungleichen, im Mittelpunkt. In der Entwicklung der Steuerlehre ging es dabei v. a. um die Tarifprogression. Steuerprogression ist definiert als die Zunahme des Durchschnittssteuersatzes mit der Bemessungsgrundlage: Je höher das Einkommen, desto größer der Anteil dieses Einkommens, der abzuführen ist. Für Steuerprogression ist hinreichend, dass der Grenzsteuersatz den Durchschnittssteuersatz laufend übersteigt. Um dies zu erreichen, kann der Tarif entweder einen steigenden Grenzsteuersatz vorsehen („direkte Progression“) oder einen Grundfreibetrag bei ansonsten proportionalem Tarif („indirekte Progression“).

In der Finanzwissenschaft wurde zur normativen Analyse des Steuertarifs aus den früheren Opfertheorien die sog.e Optimalsteuertheorie entwickelt. Diese beschäftigt sich zunächst mit der Minimierung der Zusatzlasten der Refinanzierung eines gegebenen Staatsbudgets (Staatshaushalt). Bei der Untersuchung des E.-Tarifs wird diese Fragestellung üblicherweise um die Berücksichtigung von Verteilungsgewichten erweitert, welche sich aus einer angenommenen sozialen Wohlfahrtsfunktion ergeben. Damit werden Lasten, die ärmeren Bürgerinnen und Bürgern aufgebürdet werden, unter sonst gleichen Bedingungen stärker gewichtet als die Lasten für Reichere.

Die technische Ableitung eines optimalen E.-Tarifs ist rechnerisch anspruchsvoll. Der Grundgedanke jedoch bleibt einfach: Für jedes Einkommen y wird ein marginaler Steuersatz festgelegt, also derjenige Prozentsatz, der von der letzten Einkommenseinheit abzuführen ist. Erhöht man diesen Grenzsteuersatz an einer Stelle y*, so müssen alle, die mehr verdienen als y*, mehr Steuern zahlen, ohne dass ihre Erwerbsanreize beeinflusst werden. Dieser Vorteil wiegt unter sonst gleichen Umständen umso schwerer, je mehr „reichere“ Steuerpflichtige (mit einem größeren Einkommen als y*) es gibt und je höher y* ist (weil „reichere“ Zensiten geringer gewichtet werden). Der Nachteil der Erhöhung besteht indes darin, dass die Individuen, die gerade y* verdienen oder die mit einer Erhöhung ihres Einkommens auf y* planen (bei Bildungs- und Karriereentscheidungen), geringere Anreize haben, sich anzustrengen. Dieser Nachteil einer steuerlichen Zusatzlast wirkt umso stärker, je mehr Personen in der Einkommensklasse um y* (und solche mit Aussichten darauf) es gibt und je stärker diese auf Einkommensanreize reagieren.

Der optimale E.-Tarif ist derjenige, bei dem sich die oben genannten Vor- und Nachteile für die Änderung des marginalen Steuersatzes auf jedem möglichen Einkommensniveau die Waage halten und insgesamt das geforderte Staatsbudget gerade gedeckt wird. Simulationen zeigen oft, dass diesen Anforderungen durch einen indirekt progressiven Tarif im Großen und Ganzen entsprochen werden kann. Ein Hauptproblem dieses Ansatzes ist, dass nur kleine Veränderungen der Anstrengung, nicht aber Entscheidungen über Karrierepfade oder das Anstreben von Beförderungen modelliert werden.

Eines der Kernergebnisse der Optimalsteuertheorie besteht darin, dass unter bestimmten technischen Bedingungen (genauer: schwacher Separabilität zwischen Freizeit und den übrigen Konsumgütern im Präferenzfunktional sowie Homothetizität mit Bezug auf die letzteren) eine einheitliche Besteuerung des Konsums optimal ist. Sicherlich liegen die Bedingungen für dieses Resultat tatsächlich nicht vor, aber als Benchmark wird doch klar, dass a) eine synthetische E. aus Sicht einer rationalen Besteuerung einen Ausnahmefall darstellt und b) die optimale Belastung von Kapitaleinkommen womöglich geringer sein könnte als die von Arbeitseinkommen.

In der neueren Finanzwissenschaft werden zunehmend Ansätze diskutiert, die Gleichheit vor dem Gesetz (horizontale und vertikale Gerechtigkeit) zur Steigerung der Effizienz des Steuersystems zu durchbrechen. Bei dem sog.en Tagging wird die Besteuerung nicht nur aufgrund individueller Eigenschaften der Steuerpflichtigen, sondern auch aufgrund der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen (Gruppe) differenziert. Wenn bestimmte auf individueller Ebene schwer beobachtbare Merkmale sich statistisch zwischen den Gruppen unterscheiden, kann die auf der Individualebene gewünschte Differenzierung so indirekt und zumindest im Mittel erreicht werden. Der Preis ist die Einführung von gruppenbezogenen Privilegien.