Diakonisches Werk

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1. Verbandsgeschichte und Organisationsgestalt

Seit 2012 bildet die „Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband“ mit Sitz in Berlin (früher „D. W. e. V..“ mit Sitz in Stuttgart) zusammen mit „Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst“ das „Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.“. Die Wurzeln gehen zurück bis zum „Central-Ausschuss der Inneren Mission der deutschen evangelischen Kirche“, bereits 1849 als Dach für lokale evangelische Vereine der sozialen, physischen und spirituellen Hilfe für (evangelische) Bedürftige gegründet. Im Hintergrund standen die Sorge um die soziale Not wie die kirchliche Entfremdung der Arbeiterklasse, die Kritik am Sozialversagen von Kirche und Gesellschaft und das Bemühen um Vertiefung des sozialen Bewusstseins der evangelischen Kirchen. In der Weimarer Republik konstituierte sich der gleichnamige Wohlfahrtsverband der Freien Wohlfahrtspflege (Wohlfahrtsverbände). Unter der nationalsozialistischen Gleichschaltung (Nationalsozialismus) ging die Arbeit eingeschränkt weiter. 1957 erfolgte ein Zusammenschluss mit dem 1945 gegründeten „Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (Evangelische Hilfswerke), das als Abteilung innerhalb der Kirchenorganisationen entstanden war und in den ersten Nachkriegsjahren über die Pfarrämter Hilfsmittel von Kirchen aus dem Ausland weitergegeben hatte und in der Flüchtlingseingliederung aktiv war. Angesichts der Spenden von ausländischen Kirchen weiterer evangelischer Konfessionen entstand die Zusammenarbeit mit den evangelischen Freikirchen. 1975, mit Abschluss der internen organisatorischen Zusammenführung von Centralausschuss und Hilfswerk, wurde die Umbenennung zum „D.n W. der EKD e. V.“ vorgenommen. In der DDR erfolgten eine entsprechende Zusammenführung (1969) und Umbenennung (1979). Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten erfolgte auch die Integration in den Dachverband der Diakonie West.

Zur „Diakonie Deutschland“ gehören dementsprechende Landesverbände auf der Ebene der Landeskirchen. Mitglied in den landeskirchlichen D.n W.en sind sowohl diakonische, teils überregional tätige Unternehmen als auch kirchenkreisliche D. W.e, die im Auftrag der Gemeinden (Gemeinde) eines Kirchenkreises regionale diakonische Einrichtungen führen. Zu den sog.en Fachverbänden der Diakonie Deutschland gehören a) „Bundesverbände der Träger und Einrichtungen“ (z. B. deutscher Evangelischer Krankenhausverband), b) „gemeinde-und integrationsorientierte Fachverbände“ (z. B. Aktion Sühnezeichen, Bundesverband evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge), c) „volksmissionarische und seelsorgliche Fachverbände“ (z. B. Arbeitsgemeinschaft missionarischer Dienste, evangelische Konferenz für Telefonseelsorge und offene Tür), d) „Personenverbände“ (z. B. Verband freikirchlicher Diakoniewerke, Konferenz der Rektoren und Präsidenten Evangelischer Fachhochschulen in der BRD). Über die „Diakonische Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kirchen“ wird in der Diakonie Deutschland die Verbindung mit den ebenfalls in ihr mitarbeitenden protestantisch-freikirchlichen und -altkonfessionellen Kirchen eigens gepflegt. Die Diakonie Deutschland ist beteiligt am 1996 gegründeten Netzwerk „Europäischer Verband für Diakonie – Eurodiaconia“.

In den zur Diakonie Deutschland gehörenden Einrichtungen sind knapp 465 000 Personen beruflich tätig (Vollzeit: 184 000, Teilzeit: 280 000; Stand: 2014), v. a. in der Kinder- und Jugendhilfe, der Altenhilfe, der Krankenhilfe und der Behindertenhilfe.

Die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bestimmt seit 1948, dass „die diakonisch-missionarischen Werke Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“ sind. Die Kirche erkennt die D.n W.e als „Werke der Kirche“ an; Satzungsänderungen bedürfen der Zustimmung des Rates der EKD. Die Diakonie Deutschland (ebenso wie ihre Vorgängerorganisationen) steht aber nicht unter einer weitergehenden kirchenrechtlich bestimmten Aufsicht durch die EKD, die Landesverbände nicht unter solcher Aufsicht durch Bischöfe oder andere Leitungsorgane der Landeskirchen. Gemäß der Satzung der Diakonie Deutschland gehören zum 20-köpfigen Aufsichtsrat vier Leitende Geistliche oder Juristen aus den Gliedkirchen der EKD sowie ein vom Rat der EKD benannter Vertreter. Es gibt eine jährliche Berichtspflicht gegenüber der Synode der EKD. „In Fragen von grundsätzlicher Bedeutung soll das Benehmen mit dem Rat der EKD hergestellt werden“ (§ 25 Satz 2 der Satzung).

2. Aufgaben und Charakter

a) Die Diakonie Deutschland erfüllt Aufgaben als Dachverband von evangelischen sozialen Einrichtungen, sowohl eigenständig organisierten Trägern wie landeskirchlich geordneten.

b) Sie ist als einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Partner in der sozialstaatlichen Ordnung mit subsidiärer sozialer Leistungserbringung über staatsunabhängige Träger.

c) Sie sieht ihre Aufgabe darin, Anwältin der Schwachen zu sein und gegenüber Politik und Gesellschaft zu den Themen sozialer Not Stellung zu nehmen.

Mit allen drei Aufgaben versteht sie sich als evangelische Gestalt christlich motivierter Nächstenliebe für alle Hilfebedürftigen in der Gesellschaft, gleich welcher Religion und welcher Nationalität. In welchem Sinne sich ein „missionarischer“ Auftrag (Mission) mit der Hilfe für alle weiterhin verbinden lässt, ist umstritten. Der Verband versucht, nicht nur die Gestalten und Selbstverständnisse fachlich spezialisierter unternehmerischer Diakonie auf dem Sozialmarkt, sondern auch die Ideale integraler mit gottesdienstlichem und geselligem Gemeindeleben (Gemeinde) verbundener Gemeinde- und Gemeinwesendiakonie und die Anstöße gesellschaftskritischer Gruppen und Bewegungen in sich aufzunehmen, auszubalancieren und füreinander zu erschließen.

In der Organisationsstruktur spiegeln sich die Aufgaben so wider, dass dem Präsidenten das Zentrum „Kommunikation“ sowie die Dienststelle Brüssel und eine Abteilung „Missionarische Dienste“ zugeordnet sind, einem zweiten Vorstand „Sozialpolitik“ die Zentren „Familie, Bildung und Engagement“, „Migration und Soziales“, „Gesundheit, Rehabilitation und Pflege“ sowie das „Diakonische Institut für Qualitätsentwicklung“, dem dritten Vorstand „Recht, Sozialökonomie und Personal“, das Zentrum „Recht und Wirtschaft“, das Justiziariat, eine Abteilung „Personal“ sowie die „Soziallotterien und Bundesmittelzentralverwaltung“ und die „Geschäftsstelle der Arbeitsrechtlichen Kommission“.

In der Vergangenheit war die Arbeit durch die beiden im 19. Jh. entwickelten evangelisch-religiösen Hilfeberufe der Diakonissen und der Diakone geprägt. Heute stellt sich die Frage, wie bei Leistungserbringung durch fachberuflich bezahlte Kräfte und bei sozialmarktlicher Konkurrenz die Diakonie ihr religiöses Profil einerseits erkennbar und andererseits für möglichst viele in einer religiös pluraler und säkularisierter gewordenen Gesellschaft relevant machen kann. Wenn für einen Bedarf an integralem Care-Handeln auch die spirituelle Seite wieder allgemeiner anerkennt wird (so jedenfalls in der WHO-Definition für Palliativmedizin), so sollten die christlichen sozialen Einrichtungen verdeutlichen, in welcher Weise sie ihre Sensibilität für Religion und Ethik in der Organisationskultur bemerkbar und für die Pluralität der Mitarbeitenden wie der Hilfeempfänger fruchtbar machen können. Dabei dürften sich auch die jeweils konfessionellen Eigenarten in den Vorstellungen über die Art von Orientierungsleistung, von interkonfessioneller und interreligiöser Dialogfähigkeit (Dialog) und von individueller Freiheit zur religiösen und ethischen Selbstbestimmung auswirken.