Dezentralisation

1. Begriffe

Bei D. und Dekonzentration handelt es sich – jenseits allg.er Organisationstheorie – um (Klassifikations-)Begriffe aus dem Verwaltungsorganisationsrecht, die aus dem französischen (décentralisation/déconcentration) wohl von Bill Drews zunächst in das preußische Verwaltungsrecht übernommen wurden, ohne dass damit exakt das gleiche gemeint war oder dass die Begriffe in der Gegenwart völlig einheitlich verwendet werden. V. a. von Hans Peters wurden sie in die preußische Verwaltungsreformdiskussion während der Weimarer Republik eingebracht. Konzentration/Dekonzentration sowie Zentralisation/D. betreffen den Ausgleich zwischen Einheit und Vielgestaltigkeit der Verwaltung in jeweils spezifischer Hinsicht. Zentralisation oder D. kann sich im staatlichen Bereich (Staat) daneben auch etwa auf die Gesetzgebungszuständigkeit in bundesstaatlicher Hinsicht beziehen. Das wäre jedoch eine Frage jenseits der Verwaltungsorganisation im eigentlichen Sinne, mithin eine untechnische, diesen Artikel übersteigende Begriffsverwendung.

In Deutschland kann die vorfindliche Vielgestaltigkeit der Verwaltung mit traditionell zahlreichen verselbständigten Verwaltungseinheiten nur als Ergebnis historischer Entwicklung begriffen werden. Vor diesem Hintergrund sind dekonzentrierte Verwaltungseinheiten solche, die trotz ihrer Ausgliederung rechtlich wie fachliche in eine Weisungshierarchie eingebunden sind. Dezentralisierte Verwaltungseinheiten sind solche, die ihre Eigenzuständigkeiten jenseits von Fachweisungen wahrnehmen. Üblicherweise – wenn auch nicht zwingend – sind damit dezentralisierte Verwaltungseinheiten solche der kommunalen oder funktionalen Selbstverwaltung (sog.e mittelbare Staatsverwaltung), während dekonzentrierte Verwaltungseinheiten die fachliche Ausgliederung von Behörden eines Verwaltungsträgers darstellen (sog.e unmittelbare Staatsverwaltung). Während dezentralisierte Einheiten regelmäßig selbst Verwaltungsträger darstellen, d. h. aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit selbst Zurechnungssubjekte von Rechten und Pflichten sind, erweisen sich dekonzentrierte Behörden als nicht rechtsfähig, stellen keine eigenen Verwaltungsträger dar. Dem Prinzip der D. jenseits der klassischen Selbstverwaltung folgen etwa Agenturen im Bereich der Regulierungsverwaltung als verselbständigte Verwaltungseinheiten, deren Sachentscheidungen nicht der Fachaufsicht des zuständigen Ministeriums unterstehen ohne dass sie notwendig selbst rechtsfähig wären (ministerialfreie Räume).

2. Formen

D. und Dekonzentration im organisationsrechtlichen Sinne kann in horizontaler wie in vertikaler Weise erfolgen. Der bundesstaatliche Aufbau Deutschlands kann als vertikale D. aufgefasst werden (Bundesstaat), bilden doch Bund, Länder und auch die Kommunen jeweils eigene Verwaltungsträger, die im Normalfall innerhalb der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung fachweisungsfrei agieren (Art. 83 GG). Die horizontale D. zeigt sich innerhalb einer der föderalen Ebenen (Föderalismus), sofern hier etwa Selbstverwaltungseinheiten geschaffen werden (Art. 87 Abs. 2 GG – funktionale Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger auf Bundesebene) oder sich die allg.e Verwaltung der Länder auf unterer Stufe in den Formen kommunaler Selbstverwaltung ausdifferenziert (Art. 28 Abs. 2 GG). Konzentration und Dekonzentration meint die Gliederungsstufen in der engeren unmittelbaren Verwaltung. Horizontale Dekonzentration ist die Schaffung von aus der allg.en Verwaltung ausgegliederten Fachbehörden (vgl. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 GG). Auf Landesebene geht es darum, ob aus der allg.en inneren Verwaltung Sonderbehörden ausgegliedert werden. Die in den meisten Flächenländern, etwa Nordrhein-Westfalen oder Bayern, übliche Dreistufigkeit der allg.en Verwaltung mit Oberbehörden (Ministerien), Mittelbehörden (Regierungspräsidien) und Unterbehörden ist Ausdruck vertikaler Dekonzentration. Nicht untypisch ist dabei eine fachliche Konzentration bei den Mittelbehörden bei fachlichen Dekonzentrationen auf der Ober- und der Unterstufe der Verwaltungshierarchie.

3. Rechtlicher Rahmen

Die vertikale D. gehört zu den verfassungsrechtlichen Kernentscheidungen des GG und kann als vertikale Dimension von Gewaltenteilung verstanden werden: Der Bundesstaat als solcher – Art. 20 Abs. 1 GG – unterfällt der sog.en Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG; auch die kommunale Selbstverwaltung ist durch Art. 28 Abs. 2 GG, ergänzt durch entsprechende landesverfassungsrechtliche Bestimmungen, verfassungsrechtlich garantiert. Die notwendige demokratische Legitimation der dezentralisierten Einheiten wird durch die grundgesetzlich vorgeschriebene Homogenität nach Art. 28 Abs. 1 GG gesichert. In der parlamentarischen Demokratie stellt die D. stets den zu rechtfertigenden Sonderfall dar, weil bei dieser Form der Verwaltungsorganisation die Kontrolle durch die parlamentarisch verantwortliche Regierung eingeschränkt ist. Sehr viel geringer sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Dekonzentration. Für die Verwaltung sieht das GG in Umsetzung des deutschen Konzepts eines sog.en Exekutivföderalismus nur in wenigen Fällen ausdrücklich eine eigene Bundesverwaltung vor (Art. 87 ff. GG). Unter engen rechtlichen Voraussetzungen kann dieser Kreis erweitert werden.

4. Rechtspolitische Diskussion

Die Frage nach dem Grad der fachlichen horizontalen Dekonzentration ist zunächst eine verwaltungsorganisatorische Zweckmäßigkeitsfrage, deren Beantwortung regelmäßig schwankt. Antagonistische Ziele wie Einheitlichkeit und Sachnähe, Effektivität/Effizienz und Bürgernähe ringen um einen Ausgleich. Bei der vertikalen Dekonzentration standen und stehen die Regierungspräsidien als Mittelbehörden v. a. in kleineren Ländern unter Rechtfertigungsdruck, während sie in den größeren Flächenländern nach wie vor als unverzichtbar erscheinen. Die rechtspolitische Diskussion um die horizontale D. sollte deutlich zwischen kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung unterscheiden: Während erstere nicht nur verfassungsrechtlich garantiert wird und in ihrer fachlichen Allgemeinheit in der Lage ist, die örtlichen Besonderheiten im Sinne eines organisationsrechtlichen Subsidiaritätsgedankens (Subsidiarität) im Verwaltungsvollzug zu berücksichtigen, hat die Rechtsprechung schon früh die Gefahren einer fehlgeleiteten funktionalen Selbstverwaltung erkannt. Im sog.en Facharztbeschluss des BVerfG (BVerfGE 33, 125) wurde anhand der Frage, inwieweit durch autonome Satzungen (Satzung) funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften (dort einer Ärztekammer) in Grundrechte der Bürger eingegriffen werden kann, auf die Gefahren der Dominanz von Sonderinteressen und die fehlende Allgemeinheit der in die Vertretungsorgane gewählten Interessenvertreter hingewiesen und zum Ausgleich eine gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Rechtspositionen Dritter gefordert. Die D. schwankt somit zwischen Entpolitisierung und der Einbeziehung von Sachverstand bei gleichzeitiger Gefahr der Durchsetzung von Partikularinteressen angesichts des fehlenden Ausgleichs mangels Rückkoppelung der Entscheidungen an die (repräsentierte) Allgemeinheit.