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1. Entstehung und Geschichte

Eine B. ist ein organisierter, institutionalisierter Markt, an dem Produkte jeglicher Art, v. a. Finanzprodukte gehandelt werden. Im weiteren Sinne versteht man unter B. auch Handelsplätze, an denen Dienstleistungen vermittelt werden.

Als erste institutionalisierte europäische B. wird in der Literatur die B. in Brügge genannt; von der Mitte des 13. Jh. an war dort eine Familie „Van der Beurse“ ansässig, welche drei Geldbeutel im Familienwappen führte (beurs ist niederländisch für „Geldbeutel“). Die bei der Familie zusammentreffenden Kaufleute erkannten, dass es vorteilhaft ist, sich an festen Plätzen zu treffen, um Handel zu betreiben; hinzu kommt, dass man dazu überging, statt mit Waren mit schriftlichen Verpflichtungen, also Wertpapieren, zu handeln, was den Geschäftsverkehr enorm erleichterte. Ab 1409 gab es in Brügge ein B.-Gebäude, es folgten B.-Plätze in Antwerpen, Flandern, den Niederlanden, England und Frankreich. Im 16. Jh. wurde auch an deutschen B. gehandelt, wobei sich Frankfurt ab 1585 zur wichtigsten deutschen B. entwickelte. Die New Yorker B. wurde 1792 gegründet, die B. Paris 1801. Mit dem technischen Fortschritt v. a. in der Informations- und Kommunikationstechnologie werden B. seit den 90er Jahren des vergangenen Jh. zunehmend internationaler und ortsunabhängiger.

2. Funktionen, Aufgaben und Erscheinungsformen

Die wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe von B. ist die Bereitstellung von Kapital zur Finanzierung von Investitionen (Investition), sie sollen die unterschiedlichen Wünsche von Kapitalgebern und -nehmern in Einklang bringen. An B. treffen sich Anleger, die ihre Ersparnisse investieren wollen, mit Investoren (v. a. Unternehmen und Staaten [Staat]), die auf der Suche nach Kapital sind, das sie investieren wollen. Die Konzentration dieser Marktteilnehmer an einer B. soll den Ausgleich der Interessen von Investoren und Sparern erleichtern. So können viele kleine Beträge von einzelnen Sparern zu einem großen Investitionsprojekt zusammengefasst werden (Losgrößentransformation), die gewünschte Kapitalüberlassungsdauer der Sparer mit der gewünschten Kapitalnutzungsdauer der Investoren in Ausgleich gebracht werden (Fristentransformation) und illiquide Investitionen mit hochliquiden Aktiva finanziert werden (Liquiditätstransformation). Zusätzlich sollen B. für Transparenz und Information an den Kapitalmärkten (Geld- und Kapitalmarkt) sorgen (Informationsfunktion). Ohne B. als Ort, an dem Kapitalangebot und -nachfrage ausgeglichen werden, ist eine arbeitsteilige Volkswirtschaft mit kapitalintensiven Investitionen nicht möglich, die eine Grundvoraussetzung für Wachstum (Wirtschaftswachstum) und Wohlstand sind.

B. als institutionalisierte Handelsplätze definieren und überwachen den Prozess der Preisbildung, sollen für eine effiziente und kostengünstige Durchführung von Transaktionen und einen ordnungsgemäßen Handel sorgen, einen fairen Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern garantieren, den Schutz der Anleger sichern und Markttransparenz herstellen. Zu Beginn gab es an B. Präsenzhandel (Parketthandel), doch mittlerweile ist der Präsenzhandel zugunsten des Computerhandels auf dem Rückzug.

Bei der Organisation von B. unterscheidet man nach der Art der Preisermittlung zwischen dem Auktionsprinzip und dem Market-Maker-Prinzip. Beim Auktionsprinzip schließen Käufer und Verkäufer direkt miteinander Geschäfte ab, die Preise werden anhand der Gebote der Anleger ermittelt. Man nennt diese Märkte auch auftragsgetrieben (order-driven). Beim Market-Maker-Prinzip kaufen und verkaufen die Anleger zu den Preisen, die autorisierte Marktteilnehmer (Market Maker) stellen; diese Märkte nennt man kursgetrieben (quote-driven). Beide Prinzipien werden oft miteinander kombiniert (hybride Systeme).

Weiterhin unterscheidet man zwischen Primärmärkten, auf denen man Wertpapiere bei ihrer Erstemission handelt (sog.e Neuemissionen), und Sekundärmärkten, auf denen bereits emittierte Wertpapiere gehandelt werden. Neuemissionen am Primärmarkt erfolgen entweder durch den Emittenten selbst (Direktplatzierung) oder durch ein Bankenkonsortium (Fremdemission). Einige Sekundärmärkte sind weniger organisiert und reguliert als B., man bezeichnet sie auch als außerbörsliche Märkte. Hierzu gehört bilateraler Handel zwischen Wertpapierdienstleistern u. a.n institutionellen Investoren (Telefonhandel, over the counter [OTC-Handel]).

Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen Kassa- und Terminhandel: Im Kassa-Handel (Spot-Markt) wechseln Geld und Ware oder Wertpapier zu einem heute festgelegten Kurs unmittelbar den Besitzer, im Terminhandel werden Geld und Ware oder Wertpapier zu einem heute bereits festgelegten Kurs erst zu einem späteren Zeitpunkt getauscht.

Kennzahlen für die Größe und Bedeutung eines B.-Platzes sind v. a. die täglichen Umsätze an Wertpapieren und die sog.e Marktkapitalisierung (Market Capitalization), das ist der B.-Wert der gelisteten Unternehmen, der sich aus der Multiplikation der jeweiligen Aktienkurse mit dem gesamten Aktienbestand ergibt. Zu den größten B.-Betreibern weltweit gehören u. a. NYSE Euronext US, NASDAQ QMX US, Japan Exchange Group, Shanghai Stock Exchange, London Stock Exchange Group, NYSE Euronext Europe, Deutsche Börse.

3. Produkte

Gehandelt werden an B. alle Arten von Wertpapieren, aber auch Rohstoffe oder Agrarprodukte, allerdings zumeist auch in verbriefter Form. Man kann unterscheiden zwischen Aktienmärkten (verbriefte Unternehmensanteile mit Gewinnbeteiligung) und Anleihemärkten (verbriefte Kredite an Unternehmen oder Staaten mit Rückzahlungs- und Zinsanspruch); weiterhin werden auch Fonds (Kapitalsammelprodukte) in offener (jederzeit handelbar, unbegrenzte Zahl der Anteilsscheine und Anlageobjekte) und geschlossener (kein Anspruch auf Rücknahme der Anteile während der Laufzeit, begrenzte Zahl der Anteilsscheine und Anlageobjekte) Form gehandelt. Ebenfalls gehandelt werden Derivate, also Finanzprodukte, die sich von anderen Finanzprodukten ableiten, bspw. Optionen, Terminkontrakte oder Futures. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich auf einen sog.en Basiswert, also ein anderes Wertpapier beziehen und den zukünftigen Preis dieses Basiswertes zum Gegenstand eines eigenen Geschäftes machen. Neben den Devisenmärkten, an denen Währungen (Währung) gehandelt werden, gibt es noch Rohstoffmärkte, an denen Roh- und Agrarstoffe gehandelt werden, auch CO2-Emissionsrechte (Emmissionshandel) oder Strom werden an B. gehandelt.

B. u. a. Dienstleister ermitteln Indices, welche die Wertentwicklung einzelner B.-Segmente widergeben, sie bestimmen sich zumeist nach der Marktkapitalisierung der jeweils größten Werte eines Segmentes. Die bekanntesten B.-Indices sind der Dow-Jones-Index und der S & P-500-Index der New Yorker B., der Nikkei-225-Index der Tokioter B., der Dax und der Londoner FTSE-100-Index, welche die Wertentwicklung der jeweils größten Aktien am jeweiligen B.-Platz anzeigen. Auch die Wertentwicklung dieser Indices wird genutzt, um börsengehandelte Produkte anzubieten. Spezialisierte Indices zeigen die Wertentwicklung sog.er Segmente an, bspw. die Wertentwicklung von Technologiewerten, von kleineren und mittelgroßen Unternehmen oder von regionalen Werten.

4. Akteure

An vielen B. haben Investoren keinen direkten Zugang zum Handelsgeschehen, sondern geben ihre Aufträge (Order) an Zwischenhändler, die für sie an der B. tätig werden. Das Leistungsspektrum dieser Agenten kann sehr unterschiedlich sein: In der einfachen Form leiten sie die Order nur an die B. weiter (Kundenhändler, Broker), bisweilen entscheiden sie, an welcher B., auf welchem System und in welcher Stückelung die Order ausgeführt wird. Andere Makler wiederum handeln auch auf eigene Rechnung (Eigenhändler, proprietary trader, dealer) und versorgen den Markt dadurch mit Liquidität. Eine weitere Klasse von Händlern sind Market Maker: Sie betreuen einzelne Werte an der betreffenden B., stellen also Liquidität und Preise für diese Titel. Market Maker, die nur für eine einzige Aktie zuständig sind, bezeichnet man als Spezialisten.

Weitere Akteure an den B. sind Banken und Vermögensverwalter, die das Geld ihrer Kunden an den B. anlegen. Zu den Vermögensverwaltern zählen Institutionen wie Fondsgesellschaften, die für das Massengeschäft zuständig sind, exklusive Vermögensverwalter für sehr betuchte Kunden, Versicherungsgesellschaften und Beteiligungsgesellschaften, die Geld von Investoren direkt in Unternehmen investieren und diese Unternehmen an die B. bringen. Nachfrager von Kapital sind an B. v. a. Unternehmen und Staaten (Staat), sie fragen Kapital nach, das sie sich von den Sparern (den Kunden der Vermögensverwalter, Banken und Versicherungen) ausleihen. Weitere Akteure an den Kapitalmärkten (Geld- und Kapitalmarkt) sind mit der technischen Abwicklung von Transaktionen beschäftigt und bieten sonstige Dienstleistungen rund um das Kapitalmarktgeschehen an, bspw. Rating-Agenturen (Bewertung der Bonität von Wertpapieren und Emittenten), Custodians (Dienstleistungen rund um die Verwaltung, Aufbewahrung und Abwicklung von Wertpapiergeschäften), Clearing-Stellen (zentrale Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten) oder Unternehmen, die Kapitalmarktforschung anbieten.

5. Regulierung

In den meisten Ländern existiert ein rechtlicher Rahmen für die Organisation und die Tätigkeit von B. Hier geht es v. a. darum, Markt- und Preismanipulationen zu verhindern, Insidergeschäfte zu verfolgen, bei denen einzelne Personen aufgrund nicht-öffentlicher Informationen (Information) unberechtigterweise gewinnbringend Geschäfte tätigen können und dafür zu sorgen, dass die börsennotierten Unternehmen ihren Informationspflichten gegenüber Anlegern nachkommen. Es geht also v. a. darum, Fairness und Markttransparenz herzustellen und für Anlegerschutz zu sorgen. Weitere Aufgaben dieses rechtlichen Rahmens sind die Zulassung oder Schließung einer B., die Zulassung von Wertpapieren, Emittenten u. a.n B.-Akteuren zum Handel, die Überwachung des laufenden B.-Betriebs und der B.-Geschäftsabwicklung sowie die Sicherstellung der Einhaltung börsenrechtlicher Vorschriften.

Die Organisation des rechtlichen Rahmens kann dabei recht unterschiedlich ausfallen, in Deutschland ist die rechtliche Grundlage zum B.-Handel das B.-Gesetz, es regelt den geschäftlichen Verkehr an der B., gilt aber nur für die B., die als nicht-rechtsfähige, öffentlich-rechtliche Anstalten eingerichtet wurden. Zusätzlich regelt das WpHG den Wertpapierhandel. Die Aufgabe, für Transparenz und Integrität des Finanzmarktes sowie den Anlegerschutz zu sorgen, liegt bei der BaFin; zentrale Aufgaben der Wertpapieraufsicht der BaFin sind die Bekämpfung von Insidergeschäften und der Marktmanipulation sowie die Überprüfung der Veröffentlichung von Unternehmensmeldungen. Den Wirtschafts-, Finanzministerien oder -senatsverwaltungen der Länder obliegt die B.-Aufsicht, sie überwachen die Preisbildungsprozesse und sind zuständig für die Registrierung elektronischer Handelssysteme und die Beaufsichtigung börsenähnlicher Systeme. An der B. selbst überwacht die Handelsüberwachungsstelle den B.-Handel und die Geschäftsabwicklung und führt bei Verstößen Ermittlungen durch.

In den Vereinigten Staaten ist die B.-Aufsichtsbehörde United States SEC für die Kontrolle des Wertpapierhandels zuständig. In Europa soll die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA Funktionsweise, Transparenz, Integrität und Effizienz der Wertpapiermärkte sicherstellen sowie zum Anlegerschutz beitragen.

6. Entwicklungen, Probleme und Ausblick

Technisierung und Internationalisierung werden in den kommenden Jahren das Geschehen rund um die B. bestimmen. So werden im Zuge der zunehmenden Technisierung Informationen (Information) immer zeitnäher weltweit für jeden Anleger bereit stehen; das wird die Informationslage für Privatanleger verbessern. Zudem erwartet man dadurch eine Zunahme von Handelsvolumen und Liquidität an den Kapitalmärkten (Geld- und Kapitalmarkt), wenn mit ansteigender Informationsfülle mehr Möglichkeiten zum Handeln bestehen. Durch die elektronischen Handelssysteme können auch nicht ortsansässige Teilnehmer an den jeweiligen nationalen B. handeln, was grenzüberschreitende Übernahmen und Fusionen zunehmend interessant macht – je mehr Teilnehmer eine B. hat, um so attraktiver ist sie für die Teilnehmer, da eine höhere Anzahl an Teilnehmern mehr Handelsvolumen und damit ein größeres Angebot, höhere Nachfrage und bessere, stabilere Preise verspricht – Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von Netzwerkexternalitäten. Diese Entwicklung dürfte zu weiteren Fusionen und Übernahmen unter den B.-Betreibern führen. Die sich fortsetzende Internationalisierung der B. bedeutet auch eine höhere Reaktionsverbundenheit nationaler B.-Plätze untereinander mit der Folge, dass es bei Finanz- und B.-Krisen (Finanzmarktkrise) in stärkerem Maße zu internationalen Ansteckungseffekten kommen kann – Krisen bleiben dann nicht mehr auf ein Land oder eine Region begrenzt.

Diese Technisierung führt auch dazu, dass im Rahmen des algorithmischen Handels Kauf- oder Verkaufsorder mit Hilfe mathematischer Modelle und Algorithmen auf Basis vergangener Daten vom Computer in Sekundenbruchteilen mehr oder weniger vollautomatisiert errechnet und durchgeführt werden. Im Zusammenhang damit steht auch der Hochfrequenzhandel (High Frequency Trading), bei dem B.-Akteure versuchen, mittels vollautomatischer Handelssysteme Gewinne aus zeitlichen Vorsprüngen im Mikrosekundenbereich zu erzielen. Um einige Tausendstelsekunden schneller zu sein, suchen Hochfrequenzhändler mit ihren Zentralrechnern die Nähe zu den Servern der B. Als Vorteil wird gesehen, dass dieser automatisierte und schnelle Handel mehr Liquidität an die B. bringt, was zu besseren Preisen führt; zudem hätten sich die Transaktionskosten an der B. durch die Zunahme des vollautomatisierten Handels deutlich reduziert. Kritiker befürchten, dass dieser vollautomatisierte Handel sich verselbständigen kann und zu plötzlichen Kurseinbrüchen führt. Als Beispiel wird der dramatische, kurze Einbruch der Kurse an der New Yorker B. im Mai 2010 angeführt, als der Dow Jones-Index binnen Minuten 9 % verlor. Die amerikanische B.-Aufsicht SEC vermutete als Ursache einen fehlerhaften Algorithmus eines Programms, dem andere Programme folgten.

Ein weiteres Thema werden alternative Handelssysteme (Alternative Trading Systems) sein, das sind außerbörsliche Handelssysteme, die, ohne als B. zugelassen zu sein, ein automatisiertes System betreiben, das Kauf- und Verkaufsinteressen zusammenbringt. Die Regeln dieser Handelssysteme werden durch den Systembetreiber festgelegt, die Grundlage für alle Geschäfte bilden privatrechtliche Verträge (Vertrag), nicht das B.-Recht; es gibt keine hoheitliche Überwachung der Preisermittlung. Bes. in der Kritik stehen hier sog.e dark pools, in denen anders als bei regulären B. Kauf- und Verkaufsaufträge nicht öffentlich durchgeführt werden. Problematisch an diesen Pools sind die fehlende Markttransparenz, eine unzureichende Überwachung des Handelssystems sowie die drohende Zersplitterung der Liquidität, wenn sich zu viele Orders auf verschiedene Plattformen verteilen. Als Vorteil der ATS werden reduzierte Transaktionskosten und schnellere Ausführungszeiten angeführt.

Ein letzter Trend ist die zunehmende Verbriefung von Rechten, speziellen Forderungen oder nichthandelbaren Produkten durch standardisierte Verträge und Wertschriften, die damit an B. handelbar werden. Dies verändert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Banken und könnte Teile des klassischen Bankgeschäfts an die B. verlagern. Ein weiterer Trend im B.-Geschäft ist die sog. Blockchain, ein digitales Buchungssystem, das alle Transaktionen erfasst und dezentral speichert – ein zentrales Register wie bei einer B. würde damit entfallen. Wie diese Technik die B. verändern wird, ist heute allerdings noch nicht abzusehen.