Bundeswehr

  1. I. Verfassungs- und völkerrechtliche Stellung
  2. II. Geschichtliche Entwicklung
  3. III. Bundeswehr und Gesellschaft

I. Verfassungs- und völkerrechtliche Stellung

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Bereits der Begriff B. verweist auf ihre Stellung im Staat als Bundeseinrichtung nach Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG und auf ihre von Verfassungs wegen grundsätzlich auf Verteidigungszwecke nach Art. 87a Abs. 2 GG begrenzte völkerrechtliche Verwendbarkeit (Völkerrecht).

1. Die Bundeswehr im Staatsgefüge

Die B. gehört zur vollziehenden Gewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG. Sie unterliegt vollumfänglich der politischen Kontrolle durch die Legislative und der rechtlichen Kontrolle durch die Judikative (Gewaltenteilung).

1.1 Stellung der Bundeswehr zur Exekutive

Als Teil der Exekutive untersteht die B. mit ihren beiden Teilen, den Streitkräften nach Art. 87a GG und der zivilen Bundeswehrverwaltung nach Art. 87b GG, dem Bundesminister der Verteidigung. Er hat nach Art. 65a GG die volle Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte inne und übt sie in den vom Bundeskanzler vorgegebenen Richtlinien der Politik nach Art. 65 S. 2 GG aus. Sie wird allenfalls durch Truppenunterstellungen unter internationale Organisationen nach Art. 24 Abs. 2 GG gemindert. Ihre Konzentration beim Ressortchef ist eine Absage an eine Aufsplitterung der Verantwortung für die Streitkräfte zwischen dem Staatsoberhaupt und dem Minister in früheren deutschen Verfassungen. Nur im Verteidigungsfall geht die Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 115b GG auf den Bundeskanzler über, um alle politische und militärische Entscheidungsgewalt in einer Hand zu bündeln („Lex Churchill“). Die Stellvertretung des Bundesministers erfolgt weder durch die Staatssekretäre seines Ressorts, noch durch einen Soldaten, sondern durch ein anderes Kabinettsmitglied. So bleibt die zivile politische Führung gewahrt.

a) Der innere Aufbau der B. ergibt sich aus der sachnotwendigen Unterteilung in die drei Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe. Ranghöchster Soldat ist der Generalinspekteur als Verantwortlicher für die militärische Gesamtkonzeption, militärischer Berater des Bundesministers der Verteidigung und der Bundesregierung sowie als unmittelbarer Vorgesetzter aller Soldaten; ihm nachgeordnet sind die jeweils für eine Teilstreitkraft verantwortlichen drei Inspekteure. Zur Bündelung von Querschnittsaufgaben wurde die Streitkräftebasis gebildet, der ebenso wie dem Zentralen Sanitätsdienst jeweils ein Inspekteur vorsteht.

b) Die personelle Basis der Streitkräfte bilden Soldaten, seit dem Jahr 2001 nicht nur Männer sondern auch rund 20 000 Frauen (alle Daten: Stand Oktober 2016). Die Öffnung für Frauen erfasste auch die politische Spitze: 2013 wurde mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau Bundesminister der Verteidigung. Von Anfang an setzte die BRD auf ein zweigleisiges Personalkonzept, das Berufs- und Zeitsoldaten als personelles Rückgrat der Streitkräfte sowie Wehrdienstleistende zur laufenden Verstärkung und Mobilisierung im Verteidigungsfall vorsah. Die Wehrpflicht wurde 1956 für Männer ab Vollendung des 18. Lebensjahres nach Art. 12a Abs. 1 GG eingeführt und dauerte zunächst 18 und schließlich 6 Monate, bis sie wegen der gewandelten politischen Lage seit 2011 ausgesetzt wurde. Bis dahin leisteten rund 8,4 Mio. Männer ihren Grundwehrdienst. Stattdessen wurde ein Freiwilliger Wehrdienst von bis zu 23 Monaten für Männer und Frauen eingeführt.

c) Die Stellung des Soldaten in der B. folgt dem Konzept der „Inneren Führung“ (Baudissin 1969: 125 f.), d. h. einer Identität der Verfassungswerte für Staat und Gesellschaft ohne Ausnahmen für die Armee. Aus dem Ansatz des GG, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen (argumentum ex Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs.1 GG), folgt für den Soldaten, dass er „Staatsbürger in Uniform“ ist, kein Untertan. Gesetzesvorbehalt und Gesetzesvorrang als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Rechtsstaat) erfordern für alle Regelungen eine Rechtsgrundlage und begrenzen Grundrechtseinschränkungen (Grundrechte) in den Streitkräften auf funktionale Gründe nach Art. 17a GG – so wenig Beschränkungen wie möglich, nur so viele Beschränkungen wie nötig.

1.2 Stellung zur Legislative

Die Stellung der B. zur Legislative(Gesetzgebung) folgt dem Leitbild der „Parlamentsarmee“, d. h. die Streitkräfte unterliegen voller parlamentarischer Entscheidung, Kontrolle und Verantwortung insb. hinsichtlich ihres Aufbaus, Unterhalts und ihrer Verwendung. Das unterscheidet die B. von früheren deutschen Armeen und hat das Primat der Politik, verstanden als kooperative Verantwortungsteilung zwischen der politischen und der militärischen Führung, rechtlich wie nie zuvor in der deutschen Geschichte verwirklicht (Dietz 2011: 678 f.). Defizite liegen heute eher in der inhaltlichen Verantwortungsübernahme durch das Parlament, wie die Überforderung der B. an Personal und Ausrüstung durch die zunehmenden Auslandseinsätze zeigt.

a) Als wichtigstes parlamentarisches Recht hat der Bundestag die umfassende Budgethoheit inne. Die Grundsätze der Vollständigkeit und Wahrheit des Haushalts verhindern über die dezidierten Vorgaben für Stärke und Organisation der B. durch Art. 87a Abs. 1 S. 2 GG paramilitärische Verbände wie die „Schwarze Reichswehr“ und „Schattenhaushalte“ neben dem offiziellen Reichswehretat in der Weimarer Republik. Spiegelbildlich ist das Parlament für eine aufgabenadäquate sächliche und personelle Ausstattung der B. verantwortlich.

b) Mit dem Verteidigungsausschuss als mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestatteten ständigen Kontrollorgan nach Art. 45a GG sowie dem Wehrbeauftragten als Hilfsorgan und Hüter der Grundrechte der Soldaten nach Art. 45b GG verfügt der Bundestag über weitere bewährte Kontrollinstrumente. Darüber hinaus hat er gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung die allgemeinen parlamentarischen Kontrollrechte sowohl hinsichtlich dessen Ressorthoheit nach Art. 65 S. 2 GG als auch hinsichtlich dessen Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG, insbesondere das Zitationsrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG.

c) Über bewaffnete Einsätze der B. in Krieg (Art. 115a Abs. 1, Abs. 4, Art. 115l Abs.  2 GG) und Frieden entscheidet der Bundestag (Parlamentsvorbehalt).

1.3 Stellung zur Judikative

In ihrer Stellung zur Judikative (Rechtsprechung) bestehen für die B. keine Besonderheiten. Sämtliche Handlungen im Innen- wie im Außenverhältnis müssen wegen der Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlich überprüfbar sein. Da im Auslandseinsatz „das Recht der Fahne folgt“, unterliegen die Soldaten der deutschen Disziplinar- und Strafgewalt nach Art. 96 Abs. 2 bis Abs. 4 GG, wobei materielles Militärstrafrecht in Friedenszeiten von den allgemeinen Strafgerichten und nur im Verteidigungsfall von Wehrstrafgerichten nach Art. 96 Abs. 2 GG angewandt wird. Abkommen mit den Einsatzstaaten sichern die Soldaten gegen eine dortige Strafverfolgung regelmäßig ab.

2. Die verfassungs- und völkerrechtsgemäße Verwendung

Eine Verwendung der B. kommt wegen des Gesetzesvorbehalts nur in Betracht, soweit dafür eine Rechtsgrundlage besteht: Die spezielle Verwendungsform als „Einsatz“, d. h. als exekutives Handeln auf Befehl unter Nutzung militärischer Mittel (BVerfGE 132, 1/20 f.; BVerwGE 132, 110/119 f.), unterliegt zusätzlich dem Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG, wonach die B. außer zur Verteidigung nur in den verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassenen Fällen zum Einsatz gelangen darf; bewaffnete Auslandseinsätze unterliegen zusätzlich dem Parlamentsvorbehalt:

a) Der Einsatz im äußeren Notstand dient der Selbst-oder Fremdverteidigung: Die Landesverteidigung (Verteidigungsfall) bleibt auch nach Ende des „Kalten Krieges“ nach Art. 87a Abs. 2 i. V. m. Art. 115a GG die verfassungsrechtliche Kernaufgabe der B. zur Abwehr eines äußeren Angriffs auf die Bundesrepublik. Mit der Feststellung des Verteidigungsfalls durch den Bundestag ist die Zustimmung zum Einsatz der B. verbunden (Sicherheitspolitik). Selbstverteidigung ist völkerrechtlich über Art. 51 UN-Charta legitimiert. Der Einsatz im äußeren Notstand zur kollektiven Verteidigung (Bündnisfall) ist als defensiver Beistand für einen von außen angegriffenen Bündnispartner nach Auslösung des Bündnisfalles nach Art. 5 NATO-Vertrag ebenfalls vom Verfassungsauftrag nach Art. 24 Abs. 2 i. V. m. Art. 87a Abs. 2 GG umfasst, unterliegt wegen der drohenden Verstrickung in einen bewaffneten Konflikt dem Parlamentsvorbehalt und ist völkerrechtlich ebenfalls über Art. 51 UN-Charta legitimiert. Gleiches gilt für einen defensiven Beistand in der GASP der EU nach Art. 42 f. EUV i. V. m. Art. 24 Abs. 2 GG. Generell im ius ad bellum umstritten ist, ob und wann ein elektronischer Angriff zur Verteidigung berechtigt und welche Mittel – virtuelle oder reale – dann verhältnismäßig sind („Cyber-War“; Krieg).

b) Kein Einsatz im äußeren Notstand sind Auslandseinsätze „out of area“ jenseits des NATO-Bündnisgebiets (NATO) oder der EU. Sie können verfassungsrechtlich zwar inner- oder außerhalb der NATO- oder GASP-Struktur nach Art. 24 Abs. 2 GG erfolgen, benötigen aber wegen des Verfassungsvorbehalts nach Art. 87a Abs. 2 GG einer besonderen verfassungs- und völkerrechtlichen Rechtfertigung. Diese liegt bei von der UNO autorisierten Friedensmissionen (UN-Friedensmissionen) vor, muss ansonsten aber wegen des Gewaltverbots in Art. 2 Nr. 4 UN-Charta und des Verbots des Angriffskriegs in Art. 26 Abs. 1 S. 1 GG besonders begründet sein. Keineswegs reicht eine Selbstmandatierung aus, wie sie sich im Strategiekonzept der NATO von 1999 findet, welches das regionale Defensivbündnis ohne Zustimmung des Bundestags in einen global intervenierenden Sicherheitsgaranten wandelte. Das wurde zwar verfassungsgerichtlich nicht beanstandet (BVerfGE 104, 151/199 ff.; kritisch erst BVerfGE 123, 267/350 f.), birgt aber die Gefahr einer strategischen Fehlsteuerung und einer Verwicklung der NATO in einen Konflikt, bevor der Bundestag über einen Einsatz der B. beschließen kann.

c) Kein Einsatz im äußeren Notstand sind Auslandseinsätze auf Ersuchen des Zielstaats. Hier wird die fremde Souveränität nicht verletzt, so dass die völkerrechtliche Legitimation gegeben, die verfassungsrechtliche Rechtfertigung aber als Ausnahme zu Art. 87 Abs. 2 GG besonders zu begründen ist.

d) Erst recht gilt das für Auslandseinsätze ohne oder gar gegen den Willen des Zielstaats (z. B. „Humanitäre Interventionen“ , Evakuierungen eigener Staatsangehöriger im Ausland – „Operation Pegasus“ in Libyen). Hier wird die fremde Souveränität verletzt, so dass die völkerrechtliche ebenso wie die verfassungsrechtliche Rechtfertigung als Ausnahme zu Art. 87 Abs. 2 GG umstritten sind und der Parlamentsvorbehalt wegen der Gefahr kriegerischer Verwicklungen greift.

e) Ein „Einsatz“ der B. im Inland ist im Staatsnotstand ebenso wie im Katastrophennotstand als ausdrückliche Ausnahme zu Art. 87a Abs. 2 GG möglich. Im Staatsnotstand wehrt die B. nach Art. 87a Abs. 4, Art. 91 Abs. 2 GG eine drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes ab. Zwar ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit Sache der Polizei, nicht des auf die äußere Sicherheit verwiesenen Militärs. Diese Trennung wird jedoch aufgehoben, wenn militärisch organisierte und bewaffnete Verfassungsfeinde nicht mehr polizeilich, sondern nur noch militärisch bekämpft werden können (BVerfGE 132, 1/10 17 f.). Für den regionalen Katastrophennotstand sieht das GG einen Einsatz der B. v. a. zur Unterstützung der Katastrophenschutzbehörden (Katastrophenschutz) auf Ersuchen eines Landes nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG vor; im überregionalen Katastrophennotstand auch auf Weisung der Bundesregierung nach Art. 35 Abs. 3 GG. Die Bekämpfung von Terroristen (Terrorismus) bleibt grundsätzlich Sache der zivilen Sicherheitsbehörden einschließlich der Polizei, nicht des Militärs. Umstritten ist, ob die B. z. B. ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschießen darf, das auf eine Stadt zu stürzen droht (verneint von BVerfGE 115, 118/151–165).

f) Kein „Einsatz“ im verfassungsrechtlichen Sinn sind Verwendungen ohne Nutzung des Militärpotentials wie z. B. Amtshilfeleistungen für andere Behörden oder Verwaltungstätigkeiten nach innen oder außen; sie unterliegen der Anordnungskompetenz des Bundesministers der Verteidigung und dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt, aber keinem besonderen Verfassungsvorbehalt. Gleiches gilt für technische Hilfeleistungen im Ausland auf Ersuchen des Zielstaats z. B. bei Naturkatastrophen; wegen seines Einverständnisses benötigen sie auch keine völkerrechtliche Rechtfertigung.

g) Für alle Fälle ihrer Verwendung bleibt die B. nach Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte und an die nationalen rechtsstaatlichen Grundsätze gebunden; bei Einsätzen im Ausland auch an das Völkerrecht sowie bei bewaffneten Einsätzen speziell an das Kriegsvölkerrecht (ius in bello). Dieses in asymmetrischen Konflikten gegenüber irregulären Kämpfern durchzuhalten, die das Kriegsvölkerrecht bewusst unterlaufen (Guerilla), birgt für die Soldaten enorme Risiken (vgl. Luftangriff bei Kunduz). Umstritten ist die völkerrechtliche Haftung für Fehlverhalten der B. im Ausland: Die grundsätzliche Verantwortung der Bundesrepublik als Dienstherrin kann gemindert sein, soweit sie Einheiten der B. internationalen Organisationen wie UN, NATO und EU unterstellt hat und diese Befehlsgewalt ausüben.

II. Geschichtliche Entwicklung

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Die B. wurde offiziell am 12.11.1955 gegründet. Vorausgegangen war der Beitritt zum NATO-Bündnis am 9.5. Zwei denkwürdige Daten waren gewählt worden – hier der Tag der totalen Kapitulation von 1945, dort der 200. Geburtstag des preußischen Reformergenerals von Scharnhorst: symbolträchtige Hinweise auf das Spannungsfeld des Militäraufbaus. Der erste Verteidigungsminister, Theodor Blank, wurde am 8.7. ernannt. Am 20.1.1956 beging das Heer in einem Festakt in Andernach mit Bundeskanzler Konrad Adenauer den „Tag der deutschen Streitkräfte“. Wehrpflichtige wurden ab April 1957 eingezogen (Wehrpflicht).

1. Vorgeschichte der Wiederbewaffnung

Das Jahr 1945 gilt als Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Militärs. Der Historiker Friedrich Meinecke sah den radikalen Bruch. Er griff die Festlegung des Alliierten Kontrollrats vom 2.8.1945 auf, die Wehrmacht völlig und endgültig aufzulösen, da dieser „Hort des Militarismus“ ein Jahrhundert lang den Frieden in Europa bedroht und im NS-Regime (Nationalsoziaismus) seine Form des modernen Militarismus gefunden habe. Deutsches Militär in Ost und West erhielt eine nur eingegrenzte nationale Verfügungsgewalt. Im Rahmen der NATO fand unter Führung der USA die Kontrolle der B. statt, in den Anfangsjahren eine Domestizierung. Sie gab dem Machtmittel der Bonner Republik das Format.

Das Besatzungsstatut vom Sommer 1949 begleitete Planung, Aufbau und Entwicklung der B. Diese Ordnung des Anfangs war der Politik bis 1990 vorgegeben. Westbindung bedeutete Wertebindung, Freiheit bedingte Machtbindung. Hier trafen sich alliierte mit deutschen Interessen; nach tradiertem nationalen Muster koppelte K. Adenauer den Akt der Staatswerdung an das Militär: die „Erlangung der Souveränität“ nur als „Folge der Wiederaufrüstung“, Wehrhoheit zähle zum Wesen eines Staates. Als Realpolitiker erkannte er die westalliierte Suprematie im Generalvertrag vom Mai 1955 an und stimmte den fortbestehenden Vorbehaltsrechten zu.

Die B. wurde strikt in die NATO-Struktur eingebunden. Diese Rolle hatte K. Adenauer von Beginn an als integralen Teil der Westintegration abgeklärt. Im Kanzleramt bündelte er 1950 die geheimen Instanzen. Der ehemalige General Gerhard Graf von Schwerin verantwortete die Verhandlungen mit dem amerikanischen General George Hays. Wie die beiden Seiten einer Münze waren die Aktionen auf einander abgestimmt: Anfang September 1950 offizielle Bonner Noten an die westliche Außenministerkonferenz in New York mit der Verkoppelung von Souveränität und Aufrüstung – ein sensationeller, öffentlicher Paukenschlag; und zweitens die Geheimplanung der „neuen Wehrmacht“.

Am 6.10.1950 wurde im Eifelkloster Himmerod die Planung der Wiederbewaffnung abgeschlossen. Sie wurde zur Folie der militärischen Aufstellung bis weit in die 60er Jahre. Sicherheitspolitisch in die aktuelle Ost-West-Konfliktlage (Ost-West-Konflikt) eingepasst, basierte sie – der militärischen Expertise entsprechend – auf den operativen Maximen des Generalstabs des früheren Ostfeldzugs. Wie eine Kopie klang es, wenn der Krieg der Zukunft eine europaweite „Gesamtverteidigung von den Dardanellen bis nach Skandinavien“ sein würde, von „vornherein offensiv“ und mit modernen – atomaren – Waffen (ABC-Waffen). Die Himmeroder Denkschrift kann als eigentliche Geburtsstunde der B. bezeichnet werden.

In Himmerod lag aber auch der Keim eines grundlegenden Neuanfangs. Dessen zentraler Zielpunkt lässt sich als Zivilisierung des Militärs bezeichnen. Rechtspolitisch gesehen haben die Grundwerte der Verfassung obersten Rang für die Streitkräfte; Wolf Graf von Baudissin hatte diese Reform unter den epochenübergreifenden Prämissen des „Staatsbürgers in Uniform“ entworfen und – „Demokratie hört nicht am Kasernentor auf“ – auf den Begriff gebracht. Die Militärreform wurde zwischen 1954 und 1957 durch die Wehrgesetzgebung in den Rechts- und Wertekanon der Verfassung eingebunden. Im Neuanfang stand der Bruch mit alten Traditionen: Überwinden des Primats des Militärs in Staat und Gesellschaft, Abkehr von militaristischen Traditionen und der Sonderstellung des Militärischen als „Staat im Staate“ wie in Weimar.

2. Langfristige Strukturen aus der Anfangsphase

Die Gründung der B. verzögerte sich bis 1955, da die deutsch-amerikanischen Planungen des Jahres 1950 nicht im Bündnis abgesprochen waren. Das Gegenkonzept aus Frankreich, statt des atlantischen ein europäisches Sicherheitsbündnis zu entwerfen, wurde jahrelang in Paris verhandelt. Die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ scheiterte weniger an national integrativen Visionen als am konkreten Machtwillen distanzierter deutscher und amerikanischer Militärexperten, formell im Herbst 1954 in einem Ausschuss der Pariser Nationalversammlung. Dies fand später seine Erklärung darin, dass die USA im Gegenzug Nuklearmaterial für den Bau von Atomwaffen lieferten.

Im Ende 1950 eingerichteten Amt Blank, dem Vorgänger des Verteidigungsministeriums, planten weit über 1 000 Angestellte den Aufbau von Heer, Marine und Luftwaffe mit einer Sollgröße von 500 000 Soldaten. Sie wurde 1966 erreicht. Probleme bereitete es den Offizieren, die aus den Generalstäben der Wehrmacht stammten, sich auf die veränderten Verhältnisse, speziell die strikte NATO-Abstimmung und internationale Kontrolle, einzustellen. Beispielsweise konnte kein deutscher Offizier auch nur eine Kompanie zur Übung auf ein Militärgelände senden, ohne dass dies die NATO genehmigte. Es brauchte Jahre, bevor partnerschaftliche Kooperation und Gleichberechtigung durch Vertrauen entstand.

Seit den Verträgen des Jahres 1955 gab es die doppelte Signatur der ausländischen Truppen auf dem Territorium der Bundesrepublik: einerseits die unter NATO-Befehl und andererseits die unter nationalem Befehl stehenden Einheiten. Die „nationalen“ Verbände der USA, Großbritanniens und Frankreichs (und die sowjetischen auf dem Boden der DDR) hatten einen quasi besatzungsrechtlichen Status, mit eigenen, im Truppenvertrag, in Protokollen und Noten verbrieften Rechten und Befugnissen. Diese alliierte Signatur bedeutete eine gespaltene, asymmetrische Machthierarchie in Deutschland – im Westen die Drei, im Osten allein die Sowjetunion. Aber alle Vier behielten Potsdamer Reservatrechte für Deutschland als Ganzes bis 1990. Das Dilemma, an die Grenzen der deutschen Hoheitsgewalt zu stoßen, betraf die B. sowie die innere Sicherheit; denn die Krisen- und Notstandsplanung lag bis 1968 in den Händen der Alliierten. Anschließend blieben höchste alliierte Rechte „zum Schutz der Sicherheit“ bis 1990 erhalten. Auch in dem unter Vier-Mächte-Status stehenden Berlin hatte die B. keine Zuständigkeit.

Ein weiteres Dilemma der B. lag in der gravierenden Kontrolle durch die Verbündeten. Diese Art der Eindämmung blieb der Öffentlichkeit verborgen. Das System von NATO und WEU kann als eine Art Bündnis-Staatsräson der Vertrauensbildung bezeichnet werden. Das komplexe Kontrollregime durch Vor-Ort-Inspektionen betraf Personen, Material, Waffenbestände und Kasernenanlagen. Jährlich fanden Hunderte von zumeist unangemeldeten Inspektionen statt, um die der NATO gemeldeten Potentiale seitens des WEU-Büros in London zu verifizieren. Erst nach Jahren wurden diese Prozeduren gelockert. Daneben überwachte die WEU-Behörde die Rüstungsindustrie intensivst. Über Jahrzehnte wurde die Produktion von Waffensystemen begrenzt. Die Leitlinie war: Der Westen suchte Sicherheit vor den Deutschen, um zugleich mit ihnen im Kalten Krieg die Stabilität in Europa zu gewährleisten.

3. Die Bundeswehr der Bonner Republik

Die Militärreform der 50er Jahre begründete den Status der B. als Parlamentsarmee. Eine demokratisch-zivile Konstitution und parlamentarische Kontrolle zeichnete sie von Anbeginn an aus. Das Militär wurde entmythologisiert, eine Existenz sui generis verhindert. Das Rechtsinstitut des Oberbefehlshabers – traditionell Monarch, Reichspräsident oder „Führer“ – wurde aufgeteilt auf Bundespräsident, Bundeskanzler und Verteidigungsminister (Bundesregierung). Der Minister ist Vorgesetzter der zivilen Beschäftigten im Ministerium und zugleich aller Soldaten; der Parlamentarische Staatssekretär rangiert vor dem Generalinspekteur. Die militäreigene Gerichtsbarkeit entfiel; Vertrauensleute und Personalräte wurden organisiert. Die Integration des Militärs in die Gesellschaft sollte im Alltag verwirklicht werden. „Soldat“ wurde zum Beruf im öffentlichen Dienst sowie zivilen Verwaltungskriterien (Verwaltung) unterworfen. Das „Soldatengesetz“ hob das traditionelle Politikverbot auf, gewährte statt dessen das Wahlrecht sowie das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren – damit die B. ein „kongruenter Teil der Gesamtordnung“ (W. v. Baudissin) würde. Darüber hinaus gewährleisten zwei weitere Institutionen hohe Transparenz: der mit bes.n Rechten ausgestattete Verteidigungsausschuss und das Amt des Wehrbeauftragten.

Die Problemphase bis 1970. Die Umsetzung dieser Neuerungen war zwischen Reformern und Traditionalisten umkämpft. Sie gelang anfangs nur legalistisch. Bis weit in die sechziger Jahre bestand das Manko, dass die gesetzlichen Regelungen kaum respektiert wurden, wie der Wehrbeauftragte illustriert: Das Amt, Hilfsorgan des Bundestages „zum Schutz der Grundrechte“ der Soldaten, wurde als Provokation ziviler Einmischung in die B. verstanden. Minister Franz Josef Strauß zögerte bis 1959, es zu errichten. In Reverenz vor dem widerstrebenden Militär wurden zwei ehemalige Offiziere Wehrbeauftragte: Helmuth von Grolman war Generalleutnant und Hellmuth G. Heye Vizeadmiral. Trotz dieser Milieukonformität gab es ernste Querelen, H. v. Grolman resignierte; auch der Bericht von H. G. Heye, von der Politik als Skandal eingestuft, führte 1964 symptomatisch zum Rücktritt. Beide berichteten über skandalöse Verhältnisse in der Bundeswehr: über Repression, Menschenschinderei, Kommandowirtschaft. Erst spät wurde der Wehrbeauftragte als legitimes Instrument angenommen. Noch 1966 traten oberste Generale zurück, als Gewerkschaften erstmals in Kasernen warben. Es brauchte einige Zeit, bis die B. ihr „normales“ Format in der Demokratie fand.

Machtspiele um Atomwaffen (ABC-Waffen). Ein gewichtiges Rüstungsprojekt begleitete die B. seit ihren Anfängen. Die Atombewaffnung verursachte zugleich militärpolitische Dissonanzen im Bündnis wie Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit. Der Kanzler hatte sie initiiert. Die Generäle Adolf Heusinger, Hans Speidel und Gerd Ruge erarbeiteten die erste Strategie, die Ulrich de Maizière 1956 dem Kanzler präsentierte. Anfang 1957 bestätigte Präsident Howard Eisenhower jenes System der nuklearen Teilhabe, welches die Atomsprengköpfe unter US-Verschluss hielt und die Trägersysteme – Bomber, Raketen und Haubitzen – der B. beließ. Innenpolitischen Konsens erreichte K. Adenauer 1959. Die evangelische Kirche nahm in den „Heidelberger Thesen“ die Atomwaffen hin. Da sie heute die Freiheit sichern würden, müsse man mit ihnen „noch“ leben. Auf katholischer Seite fand sich ein ähnliches Monitum, bevor die nukleare Verteidigung ganz abgelehnt wurde.

Hinter den Kulissen führten die Atomwaffen zu Krisen zwischen Bonn und Washington. Nach dem Bau der Mauer am 13.8.1961 forderten F. J. Strauß und K. Adenauer über Monate eine nukleare Machtdemonstration gegenüber der Sowjetunion „against no target“. John F. Kennedy wies sie ab. Der Abgrund eines Atomkrieges hätte sich in Mitteleuropa aufgetan. Das Magazin „Der Spiegel“ veröffentlichte 1962 einen Bericht („Bedingt abwehrbereit“) über diese Taktik. (K. Adenauer: „Ein Abgrund von Landesverrat“). J. F. Strauß ließ mit geheimdienstlicher Hilfe im Ausland Redakteure verhaften, woraufhin er stürzte.

Eine ernste Krise entstand, da die B. am primären Einsatz von Atomwaffen festhielt und der US-Strategie der flexiblen Reaktion misstraute. Von dieser Geheimplanung erfuhr Minister Helmut Schmidt 1969: im Konfliktfall würden innerhalb weniger Stunden mit Zustimmung amerikanischer Generale etwa 700 „Atom-Minen“ (bis zum Dreifachen der Hiroshima-Bombe) gezündet. Diese Übertragung der Einsatzbefugnisse, die Prädelegation, schloss politische Konsultationen aus. Generalinspekteur Heinz Trettner hatte 1964 in der NATO diese Position für unerlässlich erklärt. Mit Unterstützung seines US-Kollegen Melvin Laird begann H. Schmidt einen zähen und heftigen Kampf mit den Generälen. Eine Order des US-Präsidenten stellte 1973 den Primat der Politik wieder her.

Die große Militärreform. Eine Reform an Haupt und Gliedern stand mit dem Amtsantritt von H. Schmidt an. Die riskante Machtprobe um den Nukleareinsatz focht er hinter den Kulissen aus, klar aber diplomatisch. Erhebliche Probleme bereiteten Versuche zur Wiederbelebung der Wehrmachtstradition (Inspekteur der Luftwaffe Johannes Steinhoff 1968) und politisch restaurative Tendenzen in der Generalität. So sprach 1969 Generalmajor Hellmut Grashey den Offizieren des 20. Juli die Ehre ab, die B. könne die „Maske“ der Inneren Führung ablegen. Der Inspekteur des Heeres, Albert Schnez, forderte 1969 die „Umformung der zivilen Gesellschaft an Haupt und Gliedern“ nach militärischem Vorbild, den Primat des Militärs. Eine andere Studie, das „Unna-Papier“, gipfelte im Credo aus Weimarer Zeiten, eine Demokratisierung der B. sei schädlich. Traditionalisten wie General Heinrich Karst wollten die Verfassungsordnung ändern.

H. Schmidt jedoch gab Ministerium und Militär eine neue, funktionale Struktur. Eine breite Revision führte zur Modernisierung der B. und der Rüstungssysteme mit dem Ziel konventioneller Verteidigung. Ab 1972 übernahm Georg Leber dieses Konzept. H. Schmidts Name wird mit der Bildungsreform verbunden bleiben, die alle Bereiche der Unteroffiziers-, Offiziers- und Generalstabsdienst-Ausbildung mit zivil anerkannten Abschlüssen wie Meisterprüfungen oder Diplomstudiengängen an Universitäten umfasste. Dieser komplexe Innovationsprozess war von politischen Querelen und militärinterner Ablehnung begleitet. Wie am Anfang im Ministeramt war auch am Ende die Kanzlerschaft Schmidt mit der Einhegung der Atomwaffen verbunden: Nach dem NATO-Doppelbeschluss wurden in den achtziger Jahren Raketenarsenale europaweit bis zum Ural abgebaut.

In den letzten Tagen der Ära Schmidt erließ am 20.9.1982 Hans Apel den Traditionserlass. Er untersagte Anknüpfungen an die Wehrmacht. Trotz eines Gegenwinds des folgenden Ministers Manfred Wörner blieb er richtungsweisend. M. Wörner stärkte das militärische Milieu. Gemäß der „Karst-Studie“ wollte er die Innere Führung begrenzen, die Universitäten zu Militärakademien umbenennen. Auch sollte soldatische Erziehung eine „Kriegsbundeswehr“ aufbauen. Diese Tendenzen blieben erfolglos.

4. Armee im Einsatz

Die Alliierten gestalteten den Übergang vom besatzungsrechtlichen System zur Souveränität des vereinten Deutschland. Eine Friedensordnung leuchtete in der am 19.11.1990 unterzeichneten „Charta für ein neues Europa“ auf.

Wege der Umorientierung. Die neue Sicherheitsarchitektur gewann Gestalt durch umfassende Abrüstung. Die nuklearen Prestigewaffen (1992 noch 2 582) wurden abgebaut. Bis 1995 zogen etwa 900 000 alliierte und Bündnistruppen ab – davon 400 000 sowjetische Soldaten. Infolge der Wiener Abrüstungsverträge wurden Zehntausende schwerer Waffen (Panzer, Haubitzen usw.) der B. und NVA verschrottet. Die Zahl der Soldaten sank in Etappen von 270 000 auf 180 000 (2010).

Die NATO handelte schon 1991. Im „Neuen Strategischen Konzept“ bekräftigte sie ihre Aufgaben bei Risiken „out of area“. Die B. stimmte zu, ihre Großverbände nur multinational einzusetzen. Die globale Wende gab Admiral Dieter Wellershoff mit dem erweiterten Sicherheitsbegriff vor: „Helfen, retten, schützen!“. Die Politik des vergangenen Kalten Krieges erschien so als „Kultur der Zurückhaltung“. Das Interventionskonzept zum Umbau der B. visierte 1992 den gesicherten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt an. Die Richtlinien von Minister Peter Struck vom 21.5.2003 schafften strategische Klarheit – im Sinne seines populären Wortes, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Im Einklang mit der NATO-Strategie wurde die „Armee im Einsatz“ auf eine Interventionslage asymmetrischer, auch hybride genannter Kämpfe vorbereitet.

Kanzlerin Angela Merkel setzte das Ziel, Struktur und Professionalität der B. zu modernisieren und den technischen Standard zu verbessern. Minister Theodor v. Guttenberg schaffte ab 2010 planerische Grundlagen für die B. der Zukunft mit dem Konzept, vom Einsatz her zu denken und eine radikale Erneuerung hin zu kompakten, effizienten und hochqualifizierten Streitkräften zu erreichen. Daher wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Mittelfristig sollte die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands gesichert werden. Kernbegriffe wurden nationale Interessen und internationale Verantwortung. Ökonomische Motive barg die Formel: Wohlstand erfordert Verantwortung.

Friktionen des Wandels. Die innere Lage der B. blieb von der Änderung des politischen Paradigmas der militärisch gestützten Außenpolitik nicht unberührt. Schon 1991 trat der Einschnitt markant hervor, als die Parole „Der Krieg ist der Ernstfall“ die Ausrichtung auf einen Kämpferkult widerspiegelte. Gesellschaft und Militär seien inkompatibel. Restaurative Inspekteure strebten nach sozialer Abkapselung. Historischer Revisionismus suchte die Tradition des preußisch-deutschen Generalstabs zu beleben. Die Maximen dieser Eigenwelt zeigten Wirkung; 1997 mahnte der Wehrbeauftragte 185 Fälle von Rechtsextremismus an 140 Standorten an; Übergriffe wie in Coesfeld 2004 erwiesen das unzulängliche Vorbild des „archaischen Kämpfers“ für den High-Tech-Krieg.

Rechtliche Klarstellung der globalen Einsätze. Einsätze der B. im Ausland und außerhalb des Bündnisgebietes waren nach Geist und Wortlaut von Grundgesetz und NATO-Vertrag kaum möglich. Diese Eindeutigkeit weichten Politik und Militär unter Hinweis auf den erweiterten Sicherheitsbegriff des globalen Interventionismus auf. Gewissheit brachte im April 1994 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Militärbündnissen NATO und WEU die gleiche Rechtsqualität wie der UNO – „ein System kollektiver Sicherheit“ – zuerkannte und eine weite Legitimation bot, die durch das Beteiligungsgesetz des „Parlamentsheeres“ (2005) geregelt wurde; ein weiteres Urteil von 2010 gebot die strikte Beteiligung des Bundestages. Nach mehreren kleineren Einsätzen fand der erste Kriegseinsatz im Kosovo 1999 statt. Afghanistan wurde zur umfangreichsten Agenda. Der Kampf in Syrien 2015 erwies sich als notwendig zur Unterstützung eines Partners und zog die B. zugleich direkt in die militärische Eindämmung des Terrorismus hinein.

Der Gleichklang zwischen NATO-Strategie, den Verteidigungspolitischen Richtlinien und der EU-Politik sollte die rechtliche Flanke globaler Interventionen absichern. Der Paradigmenwechsel der militärgestützten Außenpolitik nach 1990 ist gravierend. Die Berliner Republik hat ein neues Verständnis von Staat, Politik und Macht entwickelt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich eine militärgestützte Logik der Interessenwahrung im Konsens der großen deutschen Parteien fest etabliert und den Friedensauftrag der Verfassung pragmatisch modifiziert.

III. Bundeswehr und Gesellschaft

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1. Armee der Einheit

Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die Nationale Volksarmee in die B. integriert. Ca. 3 200 Unteroffiziere und Offiziere, insgesamt 11 000 Soldaten übernommen. Im „Zwei plus vier-Vertrag“ vom 12.9.1990 (Deutsche Einheit) zwischen den ehemaligen Siegermächten und den beiden deutschen Staaten (BRD, DDR) war die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der NATO mit allen Rechten und Pflichten festgelegt worden. Beide deutsche Staaten akzeptierten eine Obergrenze von 370 000 Soldaten. Sie wurde alsbald sogar weit unterschritten. Mit einer Sollstärke von 185 000 und einer tatsächlichen Stärke von 176 752 Aktiven (31.10.2016) hat die B. inzwischen einen Umfang von weniger als einem Drittel ihrer Ausgangsstärke vom 3.10.1990. Die Verkleinerung war mit der Schließung zahlreicher Standorte verbunden, was insbes. bei kleineren Kommunen (Gemeinde) zu großen wirtschaftlichen Einbußen führte. Sie wurde politisch damit begründet, dass Deutschland „nur noch von Freunden umgeben“ sei. Allerdings erwarteten die Bündnispartner von ihm im Rahmen seiner Verpflichtungen aus dem NATO-Vertrag jederzeit mit den übrigen Alliierten auch deren Sicherheit zu gewährleisten. Die B. beteiligt sich in diesem Rahmen auch an bi- und multinationalen Verbänden, wie der Deutsch-Französischen Brigade (seit 1985), dem Deutsch-Niederländischen Korps (seit 1995) und dem Multinationalen Korps Nordost (seit 1999).

2. Von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee

Die auch für die Bevölkerung spürbarste Veränderung war die Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Zwar bleibt sie dem Grunde nach erhalten, doch wird sie nicht mehr vollzogen. Da auch die Wehrerfassung (Registrierung und Musterung aller grundsätzlich wehrpflichtigen Männer) ausgesetzt wurde, ist eine kurzfristige Wiederaufnahme der Einberufungen praktisch nicht mehr möglich. Vorausgegangen war diesem einschneidenden Schritt eine jahrelange Diskussion um mangelnde Wehrgerechtigkeit, da prozentual immer weniger junge Männer eines Jahrganges tatsächlich Wehrpflicht ableisteten, und um die Koppelung des Wehrdienstes mit dem Zivildienst. Zudem wurde die Dauer des Wehrdienstes immer wieder auf bis zuletzt nur mehr sechs Monate verkürzt. Auswirkungen auf die militärische Abwehrbereitschaft hatte die Aussetzung nach allg.r Auffassung nicht. Die Öffnung für Frauen seit 2001 (Anteil Mitte 2016 gut 11 %) stellt eine weitere strukturelle Veränderung dar. Angestrebt wird langfristig ein Anteil von 15 %. Trotz aller Fortschritte sind „gewisse Eintrübungen des Integrationsklimas auf Seiten der männlichen Soldaten“ festzustellen (Kümmel 2014: 7). Durch alle Dienstgrade hindurch liegt der Anteil der Soldaten mit Migrationshintergrund bei 14 % (Mannschaftsdienstgrade: 26 %).

Die Nachwuchslage der B. blieb zunächst gut. Es gab mehr Bewerber als verfügbare Stellen. Fast die Hälfte hatte Abitur, ein weiteres Drittel verfügte über Mittlere Reife. Die Befürchtung, die B. werde sich zu einer „Prekariatsarmee“ entwickeln, hat sich nicht erfüllt. Dass dennoch erhebliche Personalengpässe insbes. bei Spezialisten bestanden, wurde auf Fehler in der Organisation und unzureichende Ausbildungskapazitäten zurückgeführt. Es gelang auch nicht, die neu Eingetretenen in ausreichendem Maße zu binden. Bis zu 30 % machten innerhalb der ersten 6 Monate von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch. Lange Ausbildungs- bei überwiegend kurzen Verpflichtungszeiten führten zudem dazu, dass die Truppe bis zu einem Drittel in der Ausbildung gebunden war. Änderungen im Personalstrukturkonzept sollen zu längerer Bindung und zu effizienterer Ausbildungsorganisation führen. Insbes. soll der Anteil der Berufssoldaten wieder steigen.

3. Neue Herausforderungen

Die sich rapide verändernde weltpolitische Lage stellte neue Herausforderungen an das vereinigte Deutschland, das seiner gewachsenen Verantwortung als mittlere Großmacht gegenüber den Bündnispartnern (Bündnispolitik) und der Weltgemeinschaft auch durch den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Bündnisgebietes gerecht werden musste.

Innenpolitisch war dies zunächst heftig umstritten. Insbes. Bündnis90/Die Grünen, SPD und PDS/Linke (Die Linke) wandten sich gegen die Auslandseinsätze, deren Zahl, Robustheit und Umfang immer weiter zunahm. Erst mit der „Petersberger Wende“ der SPD 1992 und der Regierungsbeteiligung der Grünen ab 1998 (insbes. unter dem Eindruck der Massaker auf dem Balkan) öffneten sich auch diese Parteien für eine Beteiligung an friedenssichernden Einsätzen – z. T. im Streit mit ihrer Basis, weil im Fall Jugoslawien kein Mandat des Sicherheitsrates der UNO vorlag. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11.9.2001 wurde erstmals der Bündnisfall gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages ausgerufen. Die B. beteiligte sich vorübergehend an der Sicherung des Luftraumes der Vereinigten Staaten.

Der 2001 beschlossene Einsatz in Afghanistan war von zentraler Bedeutung für die Entwicklung, aber auch für das Selbstverständnis der B. Laut Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (2010) konnte „umgangssprachlich von Krieg“ gesprochen werden. 2011 umfasste das B.-Kontingent ca. 5 300 Soldatinnen und Soldaten. Damit war und ist der Afghanistaneinsatz der längste, personalintensivste sowie verlustreichste in ihrer Geschichte. Die andauernden Einsätze haben sie erheblich gefordert. Zahlreiche Gefallene und Verwundete sind zu beklagen, 56 Todesfälle allein in Afghanistan.

Das 2012 vom damaligen Verteidigungsminister als eine Schwerpunktaufgabe bezeichnete Veteranenkonzept, das auch langfristige Betreuung der oftmals psychisch belasteten Einsatzrückkehrer ermöglichen sollte, wurde bis Ende 2016 nicht auf den Weg gebracht. Dies alles führte dazu, dass nach repräsentativen Umfragen ein Großteil der aktiven Führungskräfte ihren nahen Angehörigen nicht raten würde, in die B. einzutreten. Parlament und Bundesregierung haben daher gesetzgeberische Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität eingeleitet, insbes. zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und der sozialen Absicherung (Soziale Sicherheit).

Die neuen Herausforderungen haben die B. in Aufstellung und Ausrichtung erheblich verändert, aber auch an Belastungsgrenzen geführt. Obgleich sie immer weiter verkleinert und immer wieder umstrukturiert wurde, und der Anteil des Verteidigungshaushalts am Bundeshaushalt (Staatshaushalt) bis auf rund 10 % sank, musste sie den Anforderungen der weltweiten Einsätze in neuer Ausrichtung und Ausrüstung und veränderter Ausbildung gerecht werden, ohne den Grundauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung und des Katastrophenschutzes zu vernachlässigen – was gleichwohl geschah. Kritik zog auch die lange Vernachlässigung der baulichen Infrastruktur auf sich. Nach einer internen Untersuchung war 2014 rund die Hälfte der Unterkünfte in unzureichendem Zustand.

Nach der Annexion der Krim und der Unterstützung der Separatisten (Separatismus) in der Ostukraine durch Russland stellte sich die Frage der Sicherung der Bündnisgrenzen und der dazu notwendigen Mittel neu. Nachdem zuvor die Ausstattung mit schweren Waffen erheblich verringert worden war, wurden seit 2015 neue Schwerpunkte zugunsten dieser Bereiche gesetzt. Erstmals zog der Bundeshaushalt 2016 mit einer geringfügigen Erhöhung des Verteidigungshaushaltes Konsequenzen. Ob in ausreichendem Umfang, blieb umstritten. Die Verteidigungsministerin forderte im Januar 2016 eine Erhöhung der Mittel für Rüstung und Ausrüstung bis 2030 um insgesamt 50 auf dann 130 Mrd. Euro (Rüstungspolitik). Eine Anhebung auf den im NATO-Bündnis vereinbarten Anteil von 2 % der Wirtschaftsleistung (2015 nur rd. 1,16 %) wäre auch dies nicht. Sie dürfte allerdings durch entsprechende Forderungen im Bündnis beschleunigt werden.

4. Personal- und Materialausstattung

Die B. wurde und wird mit den sich weiter ausdehnenden Auslandseinsätzen in einem Maß belastet, für das sie weder personell noch materiell ausgestattet ist. Auch ihre Verpflichtungen im Rahmen der Amtshilfe (Art. 35 GG), wie etwa beim Katastrophenschutz oder der Flüchtlingshilfe im Inland, bei der ab Sommer 2015 dauerhaft rd. 7 500 Soldaten eingesetzt waren, haben sie an Grenzen geführt. Neue Aufgaben traten hinzu, die einen hohen Spezialisierungs- und Ausbildungsstand erfordern, wie etwa im zunehmend an Bedeutung gewinnenden Bereich der Cyber-Abwehr (Cyberspace. Vielfach können planmäßige Stellen nicht oder nicht ausbildungsgerecht besetzt werden.

Die politische Debatte reagierte und forderte, den Personalbestand zumindest auf das Soll von 185 000 anzuheben. Personelle Verbesserungen finden in der Öffentlichkeit große Unterstützung. Nach einer repräsentativen Umfrage sprachen sich Ende 2015 mehr als 56 % der Befragten dafür aus, nur 30 % lehnten sie ab. Vielfach wurde auch gefordert, die Aussetzung der Wehrpflicht rückgängig zu machen. Eine Mehrheit dafür ist jedoch nicht in Sicht. Angesichts dieser Verhältnisse treffen Überlegungen, rechtliche Bedingungen für innere Einsätze auszuweiten, auf Zurückhaltung. Stärkere Amtshilfe, wie bei der Flüchtlingswelle 2015/2016 gefordert, sei keine Kern- und von daher auch keine Daueraufgabe.

Politik und Öffentliche Meinung sehen die B. auch bei Material und Bewaffnung unzureichend auf den Aufgabenzuwachs vorbereitet. Das Heer war 2015 mit Großgerät aus Kostengründen nur zu 70 % des Bedarfs ausgestattet, wobei auch vorhandenes Gerät häufig überaltert oder aus sonstigen Gründen nur zum kleinen Teil einsatzfähig war. Vergleichbare Probleme belasteten zudem Streitkräftebasis, Luftwaffe und Sanitätsdienst. Die Marine verfügte mit neun Fregatten nur über 60 % des Sollbestandes. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen führte dies auch auf Probleme der Industrie bei der zeitgerechten und qualitätsgerechten Auslieferung neuen Gerätes, aber auch auf ein ineffizientes Beschaffungswesen zurück, das seit 2014 erfolgreich reformiert worden ist. So konnten 2015 erstmals alle im Haushalt bereitgestellten Mittel ausgeschöpft werden. Ungeachtet einzelner Maßnahmen fordern Bundeswehrverband wie Wehrbeauftragter die Rückkehr zur Vollausstattung.

5. Ansehen in der Gesellschaft

Die B. ist durch ihren Verfassungsauftrag an die Freiheitsprinzipien des demokratischen Rechtsstaates (Freiheitliche demokratische Grundordnung) gebunden. Soldatinnen und Soldaten sind als Staatsbürger in Uniform Teil der Gesellschaft mit grundsätzlich gleichen Rechten und Pflichten. Auch wenn die Funktionsweise von Streitkräften gewisse Einschränkungen erfordert, die sich insbes. mit dem Prinzip von „Befehl und Gehorsam“ umschreiben lassen, sind diese durch die Konzeption der „Inneren Führung“ auf das Nötigste begrenzt. Deren Grundsätze gelten auch im Einsatz. Sie haben sich dort auch unter härtesten Bedingungen bewährt und der B. wie den Soldaten international hohe Wertschätzung gebracht.

Die Soldatinnen und Soldaten verfügen durchweg über hohes Bildungsniveau (Bildung). Fast alle Offiziere haben studiert. Die Unteroffiziere mit und ohne Portepee besitzen hohe berufliche Qualifikationen (Berufliche Bildung). Die B. unterhält zahlreiche eigene Ausbildungseinrichtungen, darunter zwei Universitäten in Hamburg und München (Hoschschulen). Es werden auch Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, die nicht unmittelbar der militärischen Verwendung dienen: eine Qualifikation für den zivilen Arbeitsmarkt nach Ende der Dienstzeit.

B. und insbes. der Soldatenberuf genießen hohes und sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung: 62 % nach einer Befragung des forsa-Instituts 2014, weit mehr als bei Beamten, Lehrern, Journalisten oder Politikern. Gleichwohl fühlten die Soldaten und ihre Angehörigen ihre besonderen Leistungen nicht hinreichend gewürdigt. Kritik richtete sich insbes. gegen die als wenig empathisch empfundene Haltung der Gesellschaft zu den besonderen Belastungen in den Auslandseinsätzen und die dabei gebrachten Opfer. Bundespräsident Horst Köhler hatte diese Haltung einst als „freundliches Desinteresse“ bezeichnet.