Betriebliche Sozialpolitik

1. Definition

Unter dem Begriff b. S. können alle Leistungen eines Unternehmens verstanden werden, die den Beschäftigten über das vereinbarte Arbeitsentgelt hinaus Vorteile materieller und ideeller Art zukommen lassen. Tarifliche und gesetzliche Sozialleistungen werden demzufolge nicht unter diesen Begriff subsumiert. Ebenso werden im Gegensatz zu den Lohn- und Gehaltszahlungen die betrieblichen Sozialleistungen häufig nicht regelmäßig gewährt.

Eine Systematisierung von betrieblichen Leistungen führt zumeist zu den folgenden Klassifikationen:

a) Gewährung von Versicherungs- und Versorgungsansprüchen (z. B. betriebliche Altersversorgung, betriebliche Zusatzversicherungen),

b) Direkte monetäre Zahlungen, die in einem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen (Mitarbeiterbeteiligung, Einmalzahlungen wie z. B. Jahresprämien),

c) Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen durch das Unternehmen (z. B. Weiterbildung, Dienstwagen, Betriebskindergärten etc.),

d) Gewährung sonstiger geldwerter Rechte oder Leistungen durch das Unternehmen (z. B. zusätzliche freite Tage, Personalrabatte etc.).

Die auf den ersten Blick naheliegende Vermutung, dass die oben angeführten betrieblichen Leistungen somit das Kriterium der Freiwilligkeit aufweisen, ist bei näherer Betrachtung nicht haltbar. So können Arbeitnehmer rechtliche Ansprüche aus folgenden Gründen ableiten:

a) Der „betrieblichen Übung“, d. h. nach mehrmaliger Gewährung einer Leistung des Arbeitgebers kann der Mitarbeiter davon ausgehen, dass der Arbeitgeber sich auch in Zukunft so verhalten wird,

b) bzw. wenn die Leistungen in Form von Betriebsvereinbarungen festgelegt wurden.

2. Erklärungsansätze zur betrieblichen Sozialpolitik

In der Literatur wurden zahlreiche Hypothesen zur Erklärung herangezogen, warum Unternehmen betriebliche Sozialleistungen gewähren. Die am häufigsten diskutierten sind:

a) Die Für- und Vorsorgefunktion: Nach Roland Reichwein „einer der ältesten und ursprünglichsten Antriebe b.r S.“ (Reichwein 1965: 78) die durch einen paternalistischen und sozialethisch motivierten Unternehmer betrieben wird. R. Reichwein sieht die b. S. aber auch immer als „herrschaftspolitisches Instrument“, d. h. als Rechtfertigung der Machtposition des Unternehmers gegenüber der Belegschaft.

b) Die Funktion der Leistungssteigerung und Belohnung: Sozialleistungen setzen Leistungsanreize bzw. reduzieren „Shirking“ der Arbeitnehmer. Diese Anreize zu geringerem „moral hazard“ Verhalten sind demnach ebenso wie die häufig angeführte Funktion der besseren Personalauswahl der Effizienzlohntheorie entnommen. Sozialleistungen reduzieren nach dieser Hypothese die Probleme, die aus einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Arbeitnehmer und dem Unternehmen entstehen.

c) Ausschöpfung von steuer- oder bilanzrechtlichen Vorteilen: Sozialleistungen könnten aufgrund von differenziert angewendeten Steuerrichtlinien zu einer niedrigeren Steuerzahllast führen und somit den Arbeitnehmern im Vergleich zu der Zahlung eines höher zu versteuernden Direktentgeltes einen höheren Nutzen verschaffen. Demzufolge sind die betrieblichen Sozialleistungen nur eine alternative Variante der Entlohnung („Substitutionshypothese“).

3. Empirische Betrachtung

3.1 Der Umfang der Leistungen

Versucht man den Umfang der b.n S. in Deutschland abzuschätzen, steht man vor dem Problem, dass das StBA zwar zwischen gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Leistungen unterscheidet, jedoch eine weitere Differenzierung unterlassen wird. Dies führt zu einer unscharfen Abgrenzung der tatsächlichen Höhe der Ausgaben. Ein Beispiel: Der Gesetzgeber schreibt den Unternehmen die Gewährung eines Mindesturlaubs von vier Wochen vor, dennoch werden die gesamten Ausgaben für den Urlaub der Mitarbeiter unter den tariflichen Leistungen zusammengefasst.

Personalzusatzkosten im produzierenden Gewerbe in Prozent des Entgelts für geleistete Arbeit (Deutschland)
Jahr 2000 2012
Gesetzliche Personalzusatzkosten, darunter: 36,9 35,5
Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen 27,5 25,5
Bezahlte Feiertage 4,7 4,7
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 4,0 4,8
Tarifliche und betriebliche Personalzusatzkosten, darunter 39,5 41,7
Urlaub 12,2 13,6
Sonderzahlungen (inkl. Urlaubsgeld) 13,4 15,0
Betriebliche Altersversorgung 6,1 5,6
Vermögensbildung 0,9 0,4
Insgesamt 76,4 77,2

Tabelle 1: Personalzusatzkosten im produzierenden Gewerbe in Prozent des Entgelts für geleistete Arbeit (Deutschland)

Quelle: Statistisches Bundesamt Fachserie 16, H. 1, 2003, 2015; eigene Berechnungen

Der Tabelle ist zu entnehmen, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Personalzusatzkosten einen erheblichen Teil der gesamten Personalkosten ausmachen. Der Anteil bleibt relativ konstant bei drei Viertel dieser Kosten, nachdem er in den 90er Jahren sogar noch höher ausgewiesen wurde. Die b. S. macht fast die Hälfte der Ausgaben für tarifliche und betriebliche Zusatzkosten aus. Tabelle 1 unterstreicht somit die Bedeutung einer eingehenderen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik.

3.2 Studien

In Anbetracht der Bedeutung der b. S. in Deutschland mag es überraschen, dass sich nur relativ wenige Studien mit dieser Problemstellung auseinandersetzen. Eine Auswahl der in der Literatur am häufigsten zitierten Studien bestätigt die theoretischen Überlegungen (zu einer umfassenderen Zusammenfassung z. B. Alewell 2004).

Leonhard Knoll und Katrin Raasche befragten 1996 86 Unternehmen mit einem Mindestumsatz von 100 Mio. DM nach den Zielen bei der Vergabe von Sozialleistungen: Als wichtigstes Ziel wird von mehr als zwei Drittel der Unternehmen die Bindungswirkung von Sozialleistungen genannt. Die Leistungsbeeinflussung ist immerhin für die Mehrheit der Unternehmen ein weiterer Grund und ist damit bedeutsamer als das Ziel der Für- und Vorsorge (ca. 40 %). Nach Bernd Frick, Lutz Bellmann und Joachim Frick (2000) haben Sozialleistungen keine produktivitätsverbessernde Wirkung. Bernd Frick et al. (2000) zeigen in diesem ökonometrischen Ansatz, dass somit nur die Substitutionshypothese als plausibler Begründung für b. S. herangezogen werden kann. Claus Schnabel und Joachim Wagner weisen, ebenfalls in einem ökonometrischen Ansatz (Ökonometrie), nach, dass die Mitarbeiterbindung durch die Existenz einer betrieblichen Altersversorgung steigt. Weiterhin steigt die Wahrscheinlichkeit der Existenz einer betrieblichen Altersversorgung mit der Größe und dem Anteil der Angestellten eines Betriebes.