Berufsfreiheit

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1. Berufs- und Gewerbefreiheit

Das GG stellt im Gegensatz zu anderen, vorwiegend älteren Verfassungen, nicht die Gewerbefreiheit, sondern in Art. 12 Abs. 1 GG die B. in den Vordergrund: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ Auch das GG zielt damit auf den Schutz der wirtschaftlich sinnvollen Arbeit, „aber es sieht sie als ‚Beruf‘, d. h. in ihrer Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen“ (BVerfGE 7, 377 397). Unter Beruf ist die auf eine gewisse Dauer angelegte der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienenden Tätigkeit zu verstehen (BVerfGE 7, 377, 397; 115, 276, 300). B. und Gewerbefreiheit sind zwei sich überschneidende Kreise. Die Gewerbefreiheit ist, soweit nicht von der B. gedeckt, insb. durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.

Die Schweizerische Bundesverfassung von 1999 garantiert in Art. 27 BV neben der Wirtschaftsfreiheit auch die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. In Österreich erlaubt Art. 6 des Staatsgrundgesetzes von 1867, unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig auszuüben. Art. 18 verbürgt die freie Wahl des Berufs und der Ausbildung. Die EMRK erwähnt die B. nicht ausdrücklich, in der Charta der Grundrechte der EU von 2007 ist in Art. 15 Abs. 1 EuGRC das Recht gewährleistet, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.

2. Grundsätze

Das BVerfG sieht in Art. 12 Abs. 1 GG die Garantie eines einheitlichen Grundrechts, das insgesamt unter einem Vorbehalt gesetzlicher Regelungen steht. Nach der schon frühzeitig entwickelten sog.en Dreistufentheorie stehen alle Einschränkungen unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, jedoch sind Regulierungen der Berufsausübung (1. Stufe) eher hinzunehmen als Regelungen der Berufswahl bzw. des Zugangs zum Beruf, bei denen subjektive (2. Stufe) und objektive (3. Stufe) Zulassungsregelungen unterschieden werden. Objektive Zulassungsbeschränkungen (vielfach Kontingentierungen nach Bedarf), die vom Bewerber anders als subjektive Zulassungsbeschränkungen (meist Qualifikationsanforderungen) nicht beeinflusst werden können, sind nur zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts zulässig. Danach sind viele überkommene Kontingentierungen, die Schutz vor freier Konkurrenz gewährten, entfallen (u. a. für Apotheker, Kassenärzte und Gaststättengewerbe). Subjektive Zulassungsbeschränkungen, insb. Qualifikationsanforderungen hat das BVerfG leichter hingenommen, aber streng darauf geachtet, dass die Qualifikationsanforderungen nicht übermäßig sind und nicht zur Begrenzung des Zugangs missbraucht werden. Berufsausübungsregelungen, die noch mehr als Qualifikationsanforderungen den Alltag des Wirtschaftslebens bestimmen, sind nach den allg.en Regeln des Übermaßverbots für Grundrechtseingriffe hinzunehmen. Die Dreistufentheorie kann nicht begriffsjuristisch angewendet werden. Sie ist aber ein brauchbares Instrument zur Strukturierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch ohne dass sie förmlich übernommen wurde, zeigt die Praxis in Österreich, der Schweiz und auch in der EU eine gewisse Annäherung an das deutsche Recht, insb. bei der Beurteilung objektiver Zugangssperren.

Die B. gilt auch für Unselbständige. Ihre Berufswahl darf nicht reglementiert werden. Berufszugang und Berufsausübung der Unselbständigen hängen jedoch entscheidend davon ab, ob und wo sie eine Anstellung finden. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes ist gewährleistet, zwar kein Recht auf Arbeit, aber aus Art. 12 GG abzuleitende Schutzpflichten für Arbeitnehmer, vgl. etwa BVerfGE 98, 365 (385) zur Möglichkeit des Arbeitsplatzwechsels.

3. Freiheit der Ausbildung

Freie Berufswahl ist ohne Freiheit der Ausbildung nicht denkbar. Daher muss allen der Zugang zu Ausbildungsstätten unter gleichen Bedingungen zustehen, Ausbildungsplätze sind in Mangelsituationen erschöpfend zu nutzen. Ob es darüber hinaus einen grundrechtlichen Anspruch auf Erhaltung oder gar Schaffung von Ausbildungsplätzen gibt, wird diskutiert, ohne dass bislang entsprechende Ansprüche anerkannt worden sind.

4. Berufsfreiheit und verstaatlichte Berufe

Für den öffentlichen Dienst enthält Art. 33 Abs. 2–5 GG Spezialregelungen, die Art. 12 Abs. 1 GG weithin verdrängen. Die Zahl der Stellen wird nach dem Maß der öffentlichen Aufgaben bestimmt.

Das gilt auch, wenn der Staat eine Tätigkeit wegen ihrer Bedeutung für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben für sich monopolisiert. Er darf, auch wenn er dazu nicht Beamte oder andere Angehörige des öffentlichen Dienstes heranzieht, die Zahl der Personen beschränken, welche eine entsprechende Tätigkeit ausüben. Eine Monopolisierung, welche die freie private Tätigkeit ausschließt, ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen zulässig, die für objektive Zulassungsbeschränkungen gelten.

5. Politische Bedeutung der Berufsfreiheit

Die B. ist ein wichtiger Baustein einer freien Wirtschaftsordnung (Wirtschaftsordnungen). Sie gilt auch für Unternehmer und als juristische Personen organisierte Unternehmen. Sie ist angesichts der grundsätzlichen wirtschaftspoltischen Neutralität des GG eine wichtige verfassungsrechtliche Stütze der marktwirtschaftlichen Ordnung.

Praktisch hat sich die B. vor allen zugunsten der mittelständischen Selbständigen, nicht zuletzt zugunsten der früher sehr stark reglementierten freien Berufe ausgewirkt. Größere Unternehmen werden heute stärker durch Bau- und Raumplanung als durch Zulassungsbeschränkungen eingeengt.