Bündnispolitik

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1. Begriffsbestimmung

Der Begriff B. bezieht sich in einem weit gefassten Verständnis auf den Zusammenschluss von mindestens zwei politischen Akteuren mit der Absicht, im Hinblick auf bestimmte Politikfelder (Policy) gemeinsame Ziele und Interessen (Interesse) zu verfolgen. Ein solcher Zusammenschluss wird i. d. R. erst dann als Bündnis bezeichnet, wenn es sich um gleichberechtigte Partner handelt, die ihr Verhältnis zueinander im Hinblick auf zentrale Politikfelder vertraglich regeln. Bündnisse zwischen gleichberechtigten politischen Akteuren und Entitäten können bi- oder multilateraler Art sein und grundsätzlich auf allen Politikebenen eingegangen werden; sie können von natürlichen wie juristischen Personen (Person, Juristische Person) oder Staaten gebildet werden. Bündnisse und deren vertragliche Regelungen (bzw. Teile davon) bleiben manchmal im Geheimen, insb. wenn es zur Bildung des Bündnisses primär aus militärpolitischen Gründen kommt. Auch zeitlich beschränkte Bündnisabkommen sind immer wieder beobachtbar.

Im engeren Sinn verweist der Begriff im deutschen Sprach- und Kulturraum auf die Formierung, Transformation und Auflösung von zwischen souveränen Staaten (Souveränität) begründeten Bündnissen. Eine Vielzahl von sich ständig im Wandel befindlichen bi- und multilateralen Allianzen zwischen den Staaten führt manchmal dazu, dass von der Existenz ganzer Bündnissysteme in der internationalen Politik gesprochen wird (Internationale Beziehungen). Auch aus völkerrechtlicher Perspektive (Völkerrecht) kommt Bündnissen bzw. B. eine zentrale Rolle zu, regeln doch die einzelnen Staaten durch sie bzw. internationale Verträge und Abkommen ihre zwischenstaatlichen Rechtsverhältnisse.

Im deutschen Sprachgebrauch werden die Begriffe Bündnis, Allianz und Pakt häufig synonym verwendet. Der Begriff Pakt verweist zwar durch seine etymologische Herkunft auf die vertragliche Einigung zwischen zwei oder mehreren Rechtsparteien, verfügt aber zumeist über ein Nahverhältnis zur Militärpolitik (Militär). Zahlreiche Bündnisse des 19. und 20. Jh. sind so in ihrem Kern definiert. Daraus erklärt sich auch eine Begriffsbestimmung im Sinne der Ausrichtung staatlicher Militär-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf das bi- oder multilateral strukturierte gemeinsame politische Handeln mehrerer Staaten im Rahmen eines Militärbündnisses.

2. Forschungs- und Theorieansätze

B. bildet seit dem frühen 20. Jh. ein zentrales Forschungsgebiet der modernen Staats- und Politikwissenschaften (Politikwissenschaft). Zunächst interessierte man sich bes. für die Frage, wie und warum es in den Internationalen Beziehungen zu Allianzbildungen kommt. Später rückten Fragen hinsichtlich des politischen Handelns innerhalb von Bündnissen sowie der konkreten nationalen wie internationalen Ausrichtung, Gestaltung und Wirkung gemeinsamer B. ins Zentrum des Forschungsinteresses. Hinzu traten Studien zur Auflösung, Krise und Desintegration. In den letzten Jahrzehnten gewannen Fragen strategischen Handelns (Strategie) im Hinblick auf die Bildung bzw. die gezielte Verhinderung oder Zerstörung („Keil-Strategie“) von Bündnissen an Gewicht.

Bei der Frage nach der Bildung von Bündnissen bzw. der Entstehung von B. dominieren machttheoretische Erklärungsbemühungen. In ihrem Zentrum steht die Idee eines Gleichgewichts der Kräfte in einem von Natur aus anarchischen System der internationalen Politik (Realismus bzw. Neorealismus). Die Formierung von Allianzen wird als Ergebnis systemischer Anarchie (Anarchie, Anarchismus) bzw. eines Konkurrenzkampfes der Staaten untereinander erklärt. B. entspringt einem Streben nach Stärke und Macht, um die eigenen politischen Ziele in den internationalen Beziehungen leichter erreichen zu können. Die Formierung von Bündnissen kann ihrerseits wiederum bewirken, dass Gegenbündnisse gebildet werden, insb. um einer sich anbahnenden Dominanz bestimmter Mächte bzw. Staatengruppen gegenzusteuern. Der Erklärungsansatz eines Gleichgewichts der Kräfte wurde von einigen Autoren dahingehend modifiziert, dass nicht Machtfaktoren bzw. -kalkulationen die eigentliche Triebfeder zur Bildung, Transformation und Auflösung von Bündnissen abgeben, sondern dies vielmehr durch spezifische Bedrohungen und Sicherheitsperzeptionen ausgelöst wird.

Die moderne Spieltheorie brachte unter anderem Fragen des Vertrauens zwischen Bündnispartnern ebenso wie Überlegungen zum Prinzip der Größe in die akademische Diskussion ein. Liberale Theorien der Außenpolitik und internationalen Beziehungen ihrerseits rückten die Aspekte Stabilität und Kooperation – und den Willen von Staaten zur Zusammenarbeit – in den Mittelpunkt; konstruktivistische Theorieansätze (Konstruktivismus) wiederum verknüpften B. vorzugsweise mit Identitätsfragen (Identität). Im Rahmen spieltheoretischer Analyse wurde z. B. die umstrittene Frage diskutiert, ob sich Staaten zu Bündnissen nur bis zu genau jenem Punkt zusammenschließen, an dem sie die notwendige Größe bzw. Machtfülle erreichen, um ein gemeinsam ins Auge gefasstes politisches Ziel verwirklichen zu können.

Machtpolitische und strategische Kalkulationen nehmen in der Regel auch bei der Analyse der konkreten Ausrichtung und Gestaltung von B. eine dominante Stellung ein. Häufig werden dabei rationale Kalkulationen des Wertes einer möglichen Allianz mit den dynamischen Faktoren des Verhandelns, d. h. eines Prozesses des Anbietens und Ablehnens, des Gebens und Nehmens (bargaining) verknüpft, ebenso wie mit sozialpsychologischen, vorwiegend gruppendynamischen Theorien und Erklärungsmodellen. Typische Verhaltens- und Handlungsmuster von Staaten bei der Gestaltung von B. sollen dabei zum Vorschein gebracht werden, etwa der Versuch des Anschlusses eines kleineren Staates (oder mehrerer kleinerer Staaten) an einen Staat mit deutlich höherem Machtpotential (bandwagoning), die Orientierung am Prinzip der Reziprozität, oder typisches Rollenverhalten im Rahmen des Krisen- und Konfliktmanagements innerhalb eines Bündnisses.

3. Historische Entwicklungslinien

Politische Zusammenschlüsse und B. lassen sich in allen Kulturen und Gesellschaften und in allen Epochen der Menschheitsgeschichte nachweisen. Aus historischer Perspektive zeigt sich dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Typen. Die Datenbank „Alliance Treaty Obligations and Provisions“ (ATOP) listet allein für den Zeitraum von 1815 bis 2003 mehr als 600 unterschiedliche Bündnisse auf, wobei der überwiegende Teil bilateraler Art ist. In der Geschichtsschreibung ist auch eine Unterscheidung zwischen offensiven und defensiven Allianzen geläufig. Als Unterscheidungskriterium dient der eigentliche Zweck des Zusammenschlusses, egal ob offen gelegt oder im Geheimen gehalten, nämlich ob einerseits eine Absicht zur Kriegsführung (Anwendung militärischer Gewalt, Krieg) erkennbar ist oder aber andererseits auf eine Kriegsverhinderung bzw. Friedenswahrung (Frieden) abgezielt wird.

Die Geschichte reicht bis in die antiken Hochkulturen zurück. Als ältestes überliefertes und schriftlich verankertes Vertragsbündnis wird der ägyptisch-hethitische Friedensvertrag angesehen, der zwischen Ramses II. und Hattusili III. ca. 1259 v. Chr. besiegelt wurde. Er garantierte nicht nur den Frieden zwischen den beiden Reichen in der Form eines Nichtangriffspaktes, sondern regelte auch verschiedene Aspekte partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Durch die Geschichtsschreibung der griechischen Antike wissen wir gut Bescheid über die Motive und Triebfedern für bündnispolitisches Handeln der Stadtstaaten, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Attischen Seebund (Gründung 478/477 v. Chr.; Neugründung um 378 v. Chr.) und den Ereignissen des Peloponnesischen Krieges. Ähnliche Muster bündnispolitischen Handelns zeigen sich in den folgenden Jh.en von der Antike bis zum späten Mittelalter und zur Renaissance.

Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und der politischen Neuordnung Europas wurden Bündnisse fortan zu einem integralen Bestandteil internationaler Politik. Von diesem Zeitpunkt an darf von B. im Sinne politischer Handlungen und Interaktionen in den Beziehungen zwischen souveränen Nationalstaaten gesprochen werden. Die jeweiligen nationalen Interessen und politischen Ziele der einzelnen Staaten rückten damit zugleich in den Mittelpunkt internationaler Politik. Bündnisse und Partnerschaften in der frühen Neuzeit bis ins späte 18. Jh. hatten oftmals den Charakter flexibler, schnell wieder kündbarer Gebilde.

Die politischen Umwälzungen der Jahre 1814/15 (Wiener Kongress) bzw. der Folgejahre läuteten in bündnispolitischer Hinsicht eine neue Geschichtsperiode ein. Mit der Gründung der Heiligen Allianz, dem Bündnis der drei Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens (Frankreich trat 1818 bei) wird der Anfang dieser neuen Epoche markiert, die sich durch eine von nahezu allen europäischen Staaten intensiv betriebene B. im Hinblick auf eine Vielzahl von neuen miteinander verflochtenen oder konkurrierenden Allianzen auszeichnet. Seinen Höhepunkt erreichte diese historische Entwicklung in der ausgeklügelten B. des deutschen Reichsgründers Otto von Bismarck, der auf diese Weise die Stellung Deutschlands in der Mitte des europäischen Kontinents vor allem gegen die beiden potentiellen Hauptgegner Frankreich und Russland absichern wollte (Deutsche Geschichte).

Im Laufe des späten 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. entstanden politisch-historisch bes. bedeutsame Bündnisse: Im Jahre 1879 wurde der österreichisch-ungarisch-deutsche Zweibund besiegelt, 1882 der deutsch-österreichisch-italienische Dreibund. 1904 gründeten das Vereinigte Königreich und Frankreich die Entente Cordiale, die mit dem Beitritt Russlands im Jahr 1907 zur Triple Entente erweitert wurde. Erst die politischen Ereignisse des Jahres 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges (Weltkriege) offenbarten in tragischer Weise das diesen komplexen Bündnissystemen – mit all ihren gegenseitigen Bündnisverpflichtungen – innewohnende Gefahrenpotential einer nicht mehr steuerbaren Eskalation.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Versuche sichtbar, aus den Erfahrungen der schicksalhaften Zeit zuvor politische Lehren zu ziehen und nach neuen Ansätzen einer Friedens- und Stabilitätspolitik in den internationalen Beziehungen jenseits von Militärbündnissen Ausschau zu halten. Mit der Gründung des Völkerbundes kam erstmals die Idee kollektiver Sicherheit in Diskussion. Ein System kollektiver Sicherheit verpflichtet alle seine Mitgliedstaaten dazu, gemeinsam gegen jenen Staat vorzugehen, der zum Aggressor wird und gegen das Gebot des Gewaltverzichts (Gewalt) verstößt. Diese Konzeption unterscheidet sich damit fundamental von jeglichem bloß nach außen gerichteten Militärbündnis. In realpolitischer Hinsicht blieb diese Konzeption aber vorerst erfolglos, auch wenn die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung der UNO 1945 erneut aufgegriffen wurde.

4. Bündnispolitik in den internationalen Beziehungen nach 1945

Trotz der Versuche einer umfassenden Neuordnung der internationalen Beziehungen im Kontext der Gründung der UNO blieb die Grundüberzeugung bestehen, dass neue Bündnisse und Allianzen Stabilität und Frieden in regionaler wie globaler Hinsicht garantieren könnten. Neue Grenzziehungen und die Definition neuer politischer Macht- und Einflusszonen bestimmten weiterhin die Weltpolitik. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rückte zunächst vor allem die britisch-amerikanische Politik ins Blickfeld. Die anglo-amerikanischen Beziehungen wurden als eine ganz bes. Form zwischenstaatlicher Partnerschaft aufgefasst, gestützt auf eine Reihe von Faktoren, denen eine Muster- und Vorbildhaftigkeit für die zukünftige Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen zugesprochen wurde, so insb. eine langjährige Tradition enger institutioneller Verflechtungen und Kooperationen auf fast allen Ebenen der Politik, eine Vielzahl formaler Verpflichtungserklärungen und gegenseitiger Versprechen, gemeinsame Interessen (vor allem auch in außenpolitischer Hinsicht) sowie schlussendlich enge kulturelle wie wirtschaftliche Verflechtungen. Zweifellos wurde dieses bilaterale Bündnis zu einem wichtigen Eckpfeiler der sich neu etablierenden internationalen Architektur der Nachkriegsjahre. Ähnliche Achsenbildungen und Bündnisse folgten später bewusst oder unbewusst diesem Beispiel partnerschaftlichen Handelns.

In den Fokus der neu ausgerichteten globalen B. nach 1945 rückten vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika. Von den USA kamen auch die entscheidenden politischen Impulse zur Neuordnung, primär motiviert durch die Überzeugung, global für eine neue Politik der Freiheit und Demokratie und gegen die totalitäre Ideologie des Kommunismus eintreten zu müssen. Allianzen zu schmieden erschien den USA als geeignetes außenpolitisches Mittel, dessen weitere Expansion zu verhindern. Mit der Bildung von bilateralen Partnerschaften und bi- oder multilateralen Bündnissen vollzog man aus amerikanischer Sicht ebenso eine Annäherung an das Ideal einer internationalen Ordnung, das sich durch bes. enge zwischenstaatliche Kooperationen und eine Vielzahl von multilateralen regionalen Kooperationsforen auszeichnen sollte.

Zweifellos spiegeln sich in den globalen wie regionalen Bündnisstrukturen der zweiten Hälfte des 20. Jh. die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konfigurationen der Zeit des Kalten Krieges. Mit dem Ausbruch des Ost-West-Konfliktes ab 1946/47 bildeten sich weltpolitisch zwei dominante Machtblöcke um die neuen Supermächte USA und UdSSR. Diese Entwicklung beschleunigte die Formierung neuer bi- und multilateraler Bündnisse, die sich primär an der Leitidee einer regional begrenzten „gemeinsamen Verteidigung“ orientierten. Die Gründung der NATO (1949) und des Warschauer Paktes (1955) läuteten eine neue Ära blockgebundener Politik ein, in der sich die einzelnen Staaten der internationalen Gemeinschaft entweder zu einem Bündnisbeitritt oder zu einem bilateralen politischen Nahverhältnis zu einer der beiden dominanten Mächte entscheiden oder alternativ in einer Position der Neutralität oder Blockfreiheit verbleiben konnten. Neben NATO und Warschauer Pakt entstanden noch zahlreiche andere multilaterale Bündnisse (Beispiele: die Südostasiatische Vertragsorganisation, SEATO; die Zentrale Paktorganisation, CENTO; das ANZUS-Abkommen oder die OAS). Zahlreiche Bündnisse der Zeit des Ost-West-Konflikts lösten sich noch im Laufe oder unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges auf, andere wiederum – wie insb. die NATO – veränderten radikal ihre Zusammensetzung und strategische Ausrichtung und vollzogen eine erfolgreiche Adaption an die neuen Konfigurationen der internationalen Ordnung der 1990er Jahre.

Die historische und zeitgeschichtliche Perspektive auf die dominanten Muster von B. in den internationalen Beziehungen wirft die Frage auf, ob sich im Verlauf der Jh.e ein fundamentaler Wandel in der Natur und Konfiguration von B. erkennen lässt. Problematisch erscheint in dieser Hinsicht die Annahme, dass sich im Laufe der Jh.e eine allgemeine Abkehr von einer Kriegsorientierung von Bündnissen abzeichnet. Der Aspekt militärischer Gewalt ist vielmehr auch heute noch wesentlicher Bestandteil von B. Brett Ashley Leeds und Michaela Mattes (2007) argumentieren mit Blick auf die jüngere Vergangenheit, dass beim „Design“ (d. h. den Grundzügen konkreter politischer Ausrichtung und praktischer Gestaltung) eine Abkehr von reaktiven, primär zur erfolgreichen Bewältigung einer spezifischen Krise gegründeten, und eine Hinwendung zu breiter angelegten, beständigeren und damit auch zunehmend institutionalisierten Bündnissen beobachtbar sei. Dass bei einer längeren Bestandsdauer vor allem bündnisinterne Aspekte von B. an Gewicht gewinnen, liegt auf der Hand. Dies ist auch dann der Fall, wenn es in der Sicherheitswahrnehmung einzelner Partner zu einer deutlichen Verringerung äußerer Bedrohungen kommt.

Das zentrale Charakteristikum von B. zu Beginn des 21. Jh. scheint insgesamt in einer neuen Flexibilität von Koalitions- und Allianzbildungen zu liegen (z. B. in der Entstehungen neuer Formen kurzfristiger und nicht-vertraglich verankerter „Koalitionen von Willigen“), um bestimmte gemeinsame politische oder militärische Handlungen in einem oftmals erweiterten Aktionsradius von B. vorzunehmen (z. B. im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus).