Arbeiterbewegung

1. Voraussetzungen

In der Geschichte der A. spiegeln sich zentrale Konflikte industrieller Gesellschaften (Industriegesellschaft) und der Kommodifizierung der Arbeitskraft seit dem 19. Jh. Im Begriff der „A.“, der erstmals in den 1840er Jahren gebräuchlich wird, schwingen immer auch Deutungskonflikte der A. selbst mit. Strittig war die Prägekraft klassenspezifischer Erfahrungen, das Verhältnis zu Staat und Demokratie, zu Revolution und Kapitalismus. Sehr lange hat sich die Forschung an der Vorstellung orientiert, die A. sei eine Organisation der weißen, männlichen Facharbeiter gewesen. Neuere Forschungen der Geschlechter- und Globalgeschichte haben v. a. auf die Heterogenität der A. hingewiesen.

Ihre Entstehungsgeschichte konnte sich je nach Branche, Region und Land, ethnischer Herkunft, konfessioneller Bindung, Migrationserfahrung und Geschlecht deutlich unterscheiden. In Europa prägten zünftisch-handwerkliche, christliche, frühsozialistische und bürgerlich-liberale Traditionen die Frühgeschichte. Voraussetzung für die Herausbildung kollektiver Organisationsstrukturen waren die im Zuge der Industriealisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) und Urbanisierung (Stadt) entstehenden überregionalen Märkte für Rohstoffe, Kapital und Arbeitskräfte, die in England schon am Ende des 18. Jh. entstanden, in Deutschland erst in den 1830er Jahren.

Die A. hatte keinen einheitlichen „Ursprung“. Soziale Proteste von Handwerksgesellen und Heimgewerbetreibenden resultierten aus dem Erosionsprozess der Zunftordnung. Aus der Mitte der in ihrer Existenz massiv bedrohten Meister und Gesellen stammte vielfach die erste Generation der neu gegründeten Arbeitervereinigungen. Auch wenn die qualifizierten Handwerker dominierten, speiste sich das kollektive Gedächtnis der frühen A. auch aus den Protesterfahrungen städtischer Unterschichten (Pauperisierung). Die Proteste basierten auf dem Gefühl einer spezifischen „moral economy“, auf der Verletzung traditioneller Formen von Gerechtigkeit und Würde. Gerade die Forderung nach der Wahrung ursprünglicher Rechte verlieh der frühen A. im Zeichen der Industrialisierung eine radikale Stoßrichtung. Die Kapitalismuskritik von Karl Marx (Marxismus) konzentrierte sich auf den Faktor Arbeit als zentrales Merkmal menschlicher Existenz und sie verband die Emanzipationshoffnungen (Emanzipation) der Frühsozialisten mit der historisch-materialistischen Erwartung (Materialismus), dass die kapitalistischen Produktionsweisen geschichtsnotwendig dem Untergang geweiht sei. Dieser Fortschrittsglaube (Fortschritt) entwickelte sich für weite Teile der A. zu einem zentralen Deutungsmuster.

2. Revolution von 1848/1849 und ihre Folgen

Die europäischen Revolutionen von 1848 waren ein wesentlicher Impuls für die organisatorische Herausbildung der A. Die neu gegründeten, bürgerlich geprägten Arbeiterverbrüderungen und der von K. Marx und Friedrich Engels dominierte „Bund der Kommunisten“ konnten auf unterschiedliche Vorläufer zugreifen: auf Streiks, Proteste und erste Formen kollektiver Selbsthilfe. Die transnationalen Erfahrungen spielten eine wichtige Rolle für die spätere internationale Vernetzung der A. In der Revolution von 1848 zeigte sich nicht nur eine zunächst keineswegs unüberbrückbare Kluft unterschiedlicher Strömungen; sichtbar wurden auch frühe gewerkschaftliche Formen branchenspezifischer Interessenvertretung. Trotz der gewalttätigen Unterdrückung waren diese Erfahrungen zentral für die dann seit den 1860er Jahren vorsichtig wieder beginnenden Institutionalisierungsschritte. Zwei parallele Entwicklungen prägten die Zeit ab 1860: Erstens erfolgte mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins unter Ferdinand Lassalle 1863 die politische Formierung der A. Im Mittelpunkt stand die Forderung des allg.en, gleichen und direkten Wahlrechts (für Männer; Wahlen) und die Überzeugung, die sozialen Konflikte nur mit Hilfe von neu gegründeten Produktivassoziationen, gefördert mit Mitteln des Staates, überwinden zu können.

Als linke Konkurrenz war 1866 unter der Federführung von Wilhelm Liebknecht und August Bebel die Sächsische Volkspartei und 1869 (in Eisenach) die Sozialdemokratische Arbeiterpartei entstanden. Die Parteigründungen und ihre Vereinigung 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands waren Teil des umfassenden politischen und kulturellen Transformationsprozesses, der aus kleinen Arbeiterorganisationen die großen Massenparteien des späten 19. Jh. entstehen ließ – auf die der Staat mit Verboten und den Sozialistengesetzen (1878–1890) reagierte.

V. a. waren es die sozialen Konflikte der Schneider, Buchdrucker und Schuhmacher, der Berg- und Zigarrenarbeiter, die in Arbeitskämpfen (Arbeitskampf) ein Instrument sahen, mit dessen Hilfe sie höhere Löhne (Lohn) und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen konnten. In der Phase staatlicher Unterdrückung waren es diese Erfahrungen kollektiver Arbeitskämpfe, die den Klassenbildungsprozess vorantrieben. Der Begriff der „Solidarität“ entwickelte sich zu einer semantischen Klammer der globalen A.s-Sprache. Der Begriff war kämpferisch und deutungsoffen; er galt als Utopie und moralisches Maß – und er erhielt seinen Wert nicht zuletzt aus der Erfahrung von Streiks, lebensweltlicher Nähe und kultureller Selbstorganisation. Solidarität war also keine hohle Phrase, sondern spezifisches Erfahrungswissen und klassenspezifisches Distinktionsmerkmal.

Seit den 1860er Jahren und dann noch einmal verstärkt durch die Gründung der II. Internationalen von 1889 entwickelten sich in der A. eine eigene Sprache und eigene Foren des Internationalismus. Wie weit die „Solidarität“ der A. insgesamt reichte, blieb in der A. umstritten; die nationalistischen Wallungen von 1914 (Nationalismus) machten jedenfalls in ganz Europa klar, wie brüchig dieses Fundament war.

Die „Arbeiterklasse“ war, national wie international, kein einheitlicher Block. Politische und soziale Unterdrückung beschleunigten zwar die Homogenisierung; trotzdem blieben die verschiedenen berufsständischen Traditionen (berufsständische Ordnung), regionale und ethnische Besonderheiten, Migrationserfahrungen und religiöse Prägungen weiterhin präsent. Neben christlichen und sozialistischen Gewerkschaften (Gewerkschaften, christliche Arbeitnehmerorganisationen) entstanden im letzten Drittel des 19. Jh. sozial-liberale (Hirsch-Dunkersche) Gewerkvereine. In der Geschichtsschreibung dominierte lange eine Perspektive, die die scharfe Trennung von Religion und Sozialismus akzentuierte und die christliche A. kaum als „legitime“ Interessenvertreterin der Arbeiter deutete. Eine solche Einschätzung verkennt indes die Prägekraft religiöser Rituale und die weitreichende Bedeutung, die insb. die katholische Soziallehre und ihre Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus besaß.

Zentral für die Entstehung einer christlichen A. waren die frühen katholischen Gesellenvereine Adolf Kolpings und des Bischofs von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler. Seine Schrift über die „Arbeiterfrage und das Christentum“ aus dem Jahr 1864 kritisierte die Auswüchse der Lohnarbeit und warb für die Selbstorganisation der Arbeiter. Anfangs waren Kooperationen zwischen Christen und Sozialisten durchaus denkbar. Das galt neben Deutschland auch für Länder wie Frankreich, Belgien oder England. Gerade dort hatten vielfach religiöse Non-Konformisten zur Skandalisierung von Armut beigetragen.

Die Enzyklika Rerum novarum (Sozialenzykliken) von Papst Leo XIII. (1891) markierte den Bruch und gab den Anstoß für die Gründung eigener katholischer Arbeitervereine und christlicher Gewerkschaften, die dann am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1912) rund 351 000 Mitglieder zählten. Mochten die christlichen Gewerkschaften auch insgesamt schwächer als ihre sozialdemokratische Konkurrenz bleiben, so verfügten sie doch regional und branchenspezifisch über erheblichen Einfluss. Innerhalb des katholischen Milieus war es dabei zu einem wachsenden Konflikt über das Selbstverständnis gewerkschaftlicher Interessenorganisation und die Rolle des Klerus gekommen. Diesen „Gewerkschaftsstreit“ beendete erst die Enzyklika Quadragesimo anno 1931, die die Legitimität christlicher Gewerkschaften als Interessenorganisation katholischer Arbeiter bestätigte.

Katholische Arbeiter suchte man in der SPD lange vergeblich. Doch auch das Bild des „roten“ proletarischen Industriearbeiters ist trügerisch. Denn die industrielle Arbeiterschaft gehörte in der SPD, die sich seit Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 so nannte, noch nicht zum Kern der Partei. Das Wachstum basierte eher auf einem Zugewinn bei den handwerklich geprägten Lohnarbeitern, die noch die Erfahrung sozialer Nähe am Arbeitsplatz kennengelernt hatten. Zugleich konnte die SPD aber auch solche traditionellen Berufsgruppen organisieren, deren handwerkliche Arbeit als Folge wachsender Arbeitsteilung und Rationalisierung an Wert verloren hatten. Erst um die Jahrhundertwende gelang es der SPD, die Arbeiter der wachsenden industriellen Sektoren zu gewinnen. Der Durchbruch zur Massenorganisation am Ende des 19. Jh. und die kontinuierliche Steigerung der Wahlerfolge bis 1912, als die SPD schließlich stärkste Fraktion im Reichstag wurde, war von mehreren Erfahrungen begleitet: die Durchsetzung der Lohnarbeit, die massiven Repressionen des Obrigkeitsstaates, die zwar durch erste sozialstaatliche Interventionen (Sozialstaat) das Elend zu lindern suchte, nicht aber die A. als legitime politische Kraft des Kaiserreiches anzuerkennen bereit war; schließlich die in den Jahren der Verfolgung erwachsenen Zukunftshoffnungen.

3. Weimarer Republik und Nationalsozialismus

Wesenskern der A.en war ihre lebensweltliche Verankerung (Lebenswelt). Dazu zählte die wachsende Zahl an Vorfeldorganisationen, der Ausbau der Bildungs- und Frauenarbeit (seit 1900), die milieuspezifische Organisation des Wohnortes mit eigener Dienstleistungskultur, Presse und Freizeitaktivitäten. Selbst wenn die Abwehrhaltung durch konservative, monarchische und bürgerlich-nationale Eliten groß war, blieb doch die neu gelebte Praxis demokratischer Kultur und Mitsprache von weitreichender Wirkung – bis zur Gründung der ersten deutschen Demokratie 1918/19 in Weimar.

Der Krieg und die Spaltung der SPD über die Frage der Kriegskredite hatte die A. zunächst geschwächt und mit der russischen Revolution von 1917 hatten zudem die radikaleren Strömungen an Einfluss gewonnen. Mit der USPD und der KPD konkurrierten zwei weitere Parteien um Stimmen und Vertrauen. Die Weimarer Republik erlebte eine zunehmende milieuspezifische Fragmentierung (Sozialstruktur), wobei es die Interessenvertreter der A., SPD und Zentrum waren, die sich vehement für das demokratische Experiment „Weimar“ engagierten. Die Erfolge konnten sich im Bereich der Sozial- und Innenpolitik durchaus sehen lassen. Sie waren aber immer auch begleitet von einem beständigen Gefühl der Enttäuschung und der eigenen Überschätzung angesichts der zahlreichen Feinde der Demokratie auf Seiten der politischen Rechten und der Unternehmerverbände (Arbeitgeberverbände). Die Gewerkschaften, die sich während des Ersten Weltkrieges zu einer Politik des „Burgfriedens“ mitentschlossen und dafür ihre Mitsprachemöglichkeiten erweitert hatten, mussten gerade am Ende der 1920er Jahre erfahren, wie eingeschränkt ihre Spielräume waren.

Die Konflikte innerhalb der A. wurden mit großer Schärfe ausgetragen. Der Nationalsozialismus als Gegner geriet dabei vielfach aus dem Blick. Der Terror der NS-Bewegung richtete sich mit brutaler Härte gegen die A. Gewerkschaften und Parteien wurden nach 1933 zerschlagen, führende Vertreter verfolgt, inhaftiert und ins Exil getrieben. Der Widerstand der A. erreichte nie die erhoffte Massenbasis. Zugleich wirkten die Verheißungen einer völkischen Leistungsideologie gerade für einen Teil der jüngeren Arbeiterinnen und Arbeiter durchaus anziehend. Repression und Integration des Arbeitermilieus bestimmten die Jahre zwischen 1933 bis 1945.

4. Ende der Arbeiterbewegung nach 1945?

Sechs wesentliche Lernerfahrungen prägten die Zeit der A. nach 1945: Die Erfahrungen des skandinavischen und angelsächsischen Exils erweiterte das Politikverständnis und schliffen radikalere Politikmodelle ab. Das Godesberger Programm der SPD von 1959 war insofern Folge und Katalysator der Annäherung zwischen demokratischem Sozialismus und sozialer Marktwirtschaft; NS-Verfolgung und Wiederaufbau ließen, zweitens, bei vielen christlichen und sozialistischen Gewerkschaftern die Überzeugung reifen, unter einem Dach zusammenzuarbeiten. Die Gründung des DGB 1949 als neuer Einheitsgewerkschaft war eine Zäsur und Teil des umfassenden Integrationsprozesses der A. in die Bundesrepublik. Überreste der christlichen A. fanden sich in den CDU/CSU-Sozialausschüssen, in der Kolping-Bewegung und der KAB (Christliche Arbeitnehmerorganisationen). Während gerade die Sozialausschüsse der Union bis in die 1980er Jahre erheblichen Einfluss auf die Sozialpolitik besaßen, ist seitdem ein spürbarer Bedeutungsverlust zu beobachten.

Die Spaltung der A. setzte sich, drittens, im Kalten Krieg fort. Die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz war damit auch Teil der Auseinandersetzung um das legitime Erbe der A. Viertens förderte die Expansion des Sozialstaates die gesellschaftliche Integration der Arbeiter und beendete bestehende sozialversicherungsrechtliche Diskriminierungen. Fünftens konnte die A. nicht wieder an ihre organisationskulturelle Vielfalt anknüpfen. Das lag an der Gewalt des Nationalsozialismus und den Kriegsverlusten, aber auch an der Anziehungskraft der Massenkonsumgesellschaft.

Mit dem Wandel der Industriegesellschaft veränderten sich sechstens die Formen der Beschäftigung. Die Frage, was ein „Arbeiter“ (Arbeitnehmer) tatsächlich ist, verlor seit den 1970er Jahren zunehmend an Eindeutigkeit. In der Forschung hat seitdem eine Diskussion über das „Ende der A.“ eingesetzt. Die Auseinandersetzung war selbst Teil gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Identitätssuche angesichts sinkender Mitgliederzahlen und der wachsenden Konkurrenz durch die Neuen Sozialen Bewegungen, die das bis dahin dominierende Fortschrittsmodell ablehnten. Nach 1989/90 erhielt diese Diskussion noch einmal eine neue Intensität, weil das Erbe der A. durch die Diktaturerfahrungen (Diktatur) in der DDR zusätzlich kontaminiert schien. Gleichzeitig entwickelte sich seit Ende der 1990er Jahre angesichts reduzierter Schutzmechanismen des Sozialstaates und der schwinden Bindekraft von Flächentarifverträgen eine Debatte über die wachsende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor.

Innerhalb der Globalgeschichte erfährt die Arbeitergeschichte angesichts vieler ungelöster Probleme kapitalistischer Gesellschaften in Lateinamerika, Asien und Afrika eine neue Konjunktur. Zu den prägenden Erfahrungen zählen dort weiterhin exzessive Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Restriktionen kollektiver Interessensorganisation und rechtsfreie Räume insb. für Frauen (Gender) und Migranten (Migration); Fragen, die auch die europäischen A.en künftig wieder verstärkt beschäftigen werden.