Anthropozän

1. Definition und Ideengeschichte

Als A. wird das gegenwärtige erdgeschichtliche Zeitalter bezeichnet, in dem der Mensch zum dominanten Antriebsfaktor globaler Umweltveränderungen geworden ist.

Zu den von der Erdsystemanalyse (Erdsystemforschung) genannten Indikatoren des globalen Wandels gehören der Klimawandel, der rapide Verlust biologischer Spezies (Biodiversität), der häufig schon als sechstes erdgeschichtliches Massenaussterben bezeichnet wird, massive Veränderungen in den biogeochemischen Stoffkreisläufen oder die Versauerung der Ozeane. Der Terminus „A.“ ist in kürzester Zeit zum Inbegriff der globalen ökologischen Krise und ihrer Verursachung durch menschliche Aktivitäten auf dem Planeten Erde geworden. Er wird in diesem Sinne disziplinübergreifend verwendet und diskutiert.

Eugene F. Stoermer verwendete den Begriff „A.“ bereits in den 1980er Jahren in seinen Seminaren an der Universität Michigan. Unabhängig davon brachte der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Josef Crutzen den Begriff ins Gespräch und sorgte nach der Jahrtausendwende für seine öffentliche Verbreitung. Darüber hinaus sind verschiedene Vorläuferkonzepte bekannt. Schon im 18. Jh. bezeichnete der französische Gelehrte Buffon die letzte Epoche seiner Naturgeschichte als „Zeitalter, in dem menschliches Vermögen dem der Natur sekundiert“ (Buffon 1780: 164). Im 19. Jh. sprachen Thomas Jenkyn (1854), Ernst Haeckel (1868) und Antonio Stoppani (1873) von einem anthropozoischen Zeitalter als jüngster erdgeschichtlicher Epoche. V. a. Haeckel legte den bemerkenswerten Versuch einer geologischen Epochalisierung vor, in der er das jüngste und kürzeste Erdzeitalter auch als „Menschen- und Culturzeit“ bezeichnete. Damit wollte er dem Menschen ausdrücklich keine „privilegirte Ausnahmestellung in der Natur“ einräumen (Haeckel 1898: 386). Als weitere Vorläuferkonzepte wurden in der Diskussion u. a. Charles Schucherts „Psychozoische Ära“ (1918) sowie Wladimir Iwanowitsch Wernadskys und Pierre Teilhard de Chardins „Noosphäre“ (1923) angeführt.

„A.“ ist eine neugriechische Wortbildung aus anthropos, „Mensch“, und kainos, „neu“. Semantisch ist das Kompositum problematisch. Die Wortbildung ist aber insofern konsequent, als alle Zeitalter innerhalb der erdgeschichtlichen Neuzeit, dem Känozoikum, gleichermaßen auf kainos enden (deutsch -zän, englisch -cene), z. B. Paläozän, Miozän, Pleistozän und Holozän. Eine Anerkennung des „A.“ als offizielle geologische Epochenbezeichnung durch die Internationale Kommission für Stratigraphie wird diskutiert. Kontrovers ist u. a., ob die stratigraphische Evidenz für menschlich verursachte (anthropogene) Umweltveränderungen hinreicht, um den Anforderungen eines erdgeschichtlichen Zeitmaßstabes gerecht zu werden.

2. Periodisierung

Die Debatte über ein neues erdgeschichtliches Zeitalter unter der Bezeichnung „A.“ wurde im Jahr 2000 durch einen gemeinsamen Beitrag von P. J. Crutzen und E. F. Stoermer angestoßen. Sie argumentierten, im Laufe des Holozän hätten sich menschliche Aktivitäten nach und nach zu einer bedeutenden geologischen und morphologischen Kraft entwickelt. Erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jh. jedoch werde dieser Einfluss an der Konzentration von Treibhausgasen in Eisbohrkernen ablesbar. Dieser Punkt koinzidiere zeitlich ungefähr mit James Watts Erfindung der Dampfmaschine und dem Beginn der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution), dem Zeitalter einer intensiven Nutzung fossiler Energieressourcen und damit verbundener CO2-Emissionen. Diese Argumentation für den Beginn des A. wurde später erweitert und eine Unterteilung in zwei Stadien vorgeschlagen. Im ersten Stadium, der industriellen Ära (ca. 1800–1945), wurden die Obergrenze der natürlichen Variabilität für Interstadiale (Zwischeneiszeiten) im zurückliegenden Quartär und der im Holozän erreichte Höchstwert überschritten. Die ab etwa 1950 rapide steigenden CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre (Keeling-Kurve) deuten auf einen qualitativen Sprung hin, auf ein zweites Stadium, das als Große Beschleunigung (Great Acceleration) bezeichnet wird. Die Beschleunigung ist parallel an Indikatoren für Veränderungen im Erdsystem (Flächenverlust an tropischem Regenwald, Rückgang der Artenvielfalt, Überfischung usw.) wie an sozioökonomischen Indikatoren erkennbar (insb. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum).

Mangels eines globalen stratigrafischen Markers (i. d. R. ein GSSP: Global Boundary Stratotype Section and Point), der mit der Industrialisierung koinzidiert, bevorzugen Stratigraphen eine spätere Datierung für den Beginn des A. V. a. die Konzentration von Radionukliden (Kohlenstoffisotop 14C, Höhepunkt 1964) in Baumringen infolge der 1945 einsetzenden Atomtests kommt als primärer stratigraphischer Marker in Frage. Auch Erdsystemforscher (Erdsystemforschung) neigen inzwischen einer Datierung zu, die bei der Großen Beschleunigung ansetzt. Diese Sichtweise wird von der postkolonialen Globalgeschichte unterstützt, denn erst nach der Dekolonisierung sind bevölkerungsreiche Staaten wie China und Indien auf das fossile Industrialisierungsschema eingebogen und haben seitdem erheblich zur Beschleunigung der Emission von Treibhausgasen beigetragen.