Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Version vom 9. Juli 2018, 13:10 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB))
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

1. Begriff und Bedeutung

AGB ist der Rechtsbegriff für die von einer Vertragspartei gestellten, für eine Vielzahl von Verträgen (Vertrag) vorformulierten Vertragsbedingungen, gleich ob sie in einen einheitlichen Vertragstext aufgenommen werden oder einen gesonderten Teil des Vertrages bilden (z. B. das „Kleingedruckte“ auf der Rückseite eines Vordrucks). Gründe für die große Verbreitung von AGB sind die Vereinfachung von Vertragsschlüssen, nicht zuletzt im Massenverkehr, die Standardisierung von Verträgen, insbes. für neue, nicht im Gesetz vorgesehene Vertragstype sowie die Veränderung der gesetzlich bestimmten Risikoverteilung und Haftung, oft zugunsten des Verwenders.

Die enormen Vorteile von AGB sind verbunden mit der Gefahr, dass sie, weil von einer Vertragspartei ohne Mitwirkung der anderen formuliert, einseitige und unfaire Regelungen enthalten. Daher übt die Rechtsordnung eine Kontrolle über AGB aus und setzt auf diese Weise der Vertragsfreiheit Grenzen.

2. Geschichte und gesetzliche Regelung

Das Phänomen der AGB ist im 19. Jh. entstanden. Das deutsche BGB sah bewusst von einer Regelung ab und überließ diese Frage Rechtsprechung und Wissenschaft. Kaum Rückhalt fand die – auch von der Vorauflage vertretene – Vorstellung, dass AGB im Geltungsgrund mit Normen vergleichbar seien (sog.e Normentheorie). AGB sind ihrer Rechtsnatur nach Vertragsabreden. Die Gerichte waren zunächst sehr zurückhaltend und ließen der Vertragsfreiheit weiten Raum. Das Reichsgericht beschränkte sich darauf, Klauseln, die eine Vertragspartei erheblich benachteiligten, eng auszulegen und bei Mehrdeutigkeit eine Auslegung zu wählen, die zu Lasten des Verwenders ging. Auch bei Klauseln, die unter Ausnutzen eines Monopols zustande gekommen waren, griff das Reichsgericht ein. Erst der BGH führte eine offene Inhaltskontrolle von Klauseln unabhängig von einer Monopolstellung ein. Maßstab wurde das Prinzip von Treu und Glauben im Zusammenspiel mit den im Gesetzesrecht zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen zur Vertragsgerechtigkeit.

Eine gesetzliche Regelung erfolgte 1976 im AGB-Gesetz, dessen wesentlicher Inhalt 2002 in das BGB integriert worden ist (§§ 305–310 BGB). Das AGB-Gesetz war Ausdruck einer politischen Grundstimmung der frühen 1970er Jahre, der es darum ging, einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen und insbes. Verbraucher zu schützen (Verbraucherschutz). Die wesentliche Neuerung durch das AGB-Gesetz war daher auch nicht der Maßstab der staatlichen Kontrolle, sondern eine erhebliche Verstärkung der Durchsetzung. Bis zu dieser Reform war die gerichtliche Kontrolle von AGB nahezu ausschließlich auf Verträge zwischen Unternehmern beschränkt (Vertrag), obwohl AGB in Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbrauchervertrag) mindestens ebenso häufig vorkamen. Verbraucher suchten aber weit seltener als Unternehmer Rechtsschutz vor den Gerichten. Das AGB-Gesetz führte deshalb die sog.e Verbandsklage ein. Seitdem können u. a. Verbraucherverbände, Verbände von Wettbewerbern und bestimmte Behörden den Verwender von AGB vor den Landgerichten auf Unterlassung verklagen. Durch diese Neuerung wurde die AGB-Kontrolle von der eher zufälligen Entscheidung einzelner Vertragsparteien für oder gegen einen Rechtsstreit gelöst und mit größerer Breitenwirkung ausgestattet. Zudem wurde klargestellt, dass die Intensität der richterlichen Kontrolle von AGB bei Verträgen zwischen Unternehmern geringer als bei Verträgen mit Privatpersonen sein soll. Insbes. die in dem Gesetz enthaltene lange Liste verbotener Klauseln ist auf Verträge zwischen Unternehmern nicht anwendbar.

Auch in Österreich kam es 1979 zu einer gesetzlichen Regelung des AGB-Rechts, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen Gesetzeslage aufweist. Nicht zuletzt unter dem Einfluss des deutschen Rechts entstand die europäische Richtlinie 1993/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, die jedoch – anders als das deutsche und österreichische AGB-Recht – nur auf Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher anwendbar ist. Die Richtlinie hat bislang keine großen Wirkungen in diesen Ländern. U. a. wurde durch sie das Erfordernis eingeschränkt, dass AGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sein müssen. Kontrollfähig sind seitdem bei Verbraucherverträgen auch Vertragsklauseln, die nur zur einmaligen Verwendung vorformuliert worden sind. Eine inzwischen stattliche Anzahl von Entscheidungen des EuGH zeigt, dass die Richtlinie die Rechtslage in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten beeinflusst. AGB sind seither ein Gegenstand des EU-Rechts (Europarecht).

3. Wertungsgrundlagen und Kontrollmaßstab

Über die Wertungen und ethischen Grundlagen des AGB-Rechts herrscht Unsicherheit. Das Vertragsrecht wird vom Grundsatz der Privatautonomie bestimmt. Das Gesetz sieht zwar Regelungen für Verträge vor (Vertrag), erlaubt aber in den meisten Fällen Ergänzungen oder Abweichungen im Vertrag. Anders ist es nur, wenn die gesetzliche Regelung nicht dispositiv ist, sondern zwingend vorschreibt, dass von ihr in Verträgen nicht abgewichen werden darf. AGB können nur in den Bereichen des Vertragsrechts wirksam vereinbart werden, in denen keine zwingenden Regelungen bestehen.

Es ist umstritten, ob die richterliche Kontrolle von AGB mehr den Zweck hat, individuelle Vertragsparteien vor unfairen Klauseln zu schützen oder aber ob es mehr um überindividuelle Schutzgüter, namentlich den Schutz des Marktes oder sogar um ethische Verhaltensanforderungen unter den Bürgern einer freien Gesellschaft geht. Traditionell wird angenommen, dass die AGB-Kontrolle sowohl den schwächeren Vertragspartner vor dem überlegenen schützt als auch überindividuellen Schutzzielen dient. Die Vorauflage meinte dazu, das AGB-Recht stärke den vernachlässigten Gemeinwohlbezug des Privatrechts durch Mobilisierung der dem Markt immanenten Verbandskräfte und kündige den Abschied von einem Individualismus ohne Verantwortung an.

Eine neuere Richtung bestreitet die individualschützende Funktion des AGB-Rechts. Denn die Ansichten, die den Schutz Schwächerer betonen, können nicht erklären, warum Schwächere nur gegen vorformulierte Klauseln und nicht auch gegen im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbedingungen, insbes. zu den Hauptleistungen und zum Preis, geschützt werden sollen. Die AGB-Kontrolle durch die Gerichte erfasst nur das oft lediglich nebensächliche „Kleingedruckte“, nicht aber die wichtigsten Bestandteile des Vertrages, hinsichtlich derer die schwächere Vertragspartei viel schutzbedürftiger sein kann. Dies spricht in der Tat dafür, dass Individualschutz nur ein – häufig erwünschter – Nebeneffekt der richterlichen AGB-Kontrolle ist.

Kaum bestreiten lässt sich, dass die richterliche Kontrolle von AGB jedenfalls auch den Zweck hat, die Marktteilnehmer davon zu entlasten, die oft umfangreichen Klauselwerke lesen oder gar darüber mit der anderen Seite in Verhandlungen treten zu müssen. Denn AGB dienen der Vereinfachung von Vertragsschlüssen durch die Standardisierung von Vertragsinhalten. Diese Wirkung setzt voraus, dass sich die Parteien, v. a. bei Massengeschäften, auf den Schutz gegen unfaire Klauseln so sehr verlassen können, dass sie die ihnen vorgelegten Klauselwerke ohne Aufhebens akzeptieren. Das AGB-Recht hat den Zweck, dieses „rationale Desinteresse“ der Vertragsparteien zu unterstützen. Die richterliche AGB-Kontrolle kompensiert die Richtigkeitsgewähr, die ein individuelles Aushandeln hätte und entlastet so die Bürger und Unternehmen davon, sich mit Nebensachen zu befassen.

Die richterliche Kontrolle von AGB erfolgt unter drei verschiedenen Blickwinkeln, nämlich Einbeziehungs-, Transparenz- und Inhaltskontrolle. Freilich führen die ersten beiden Kontrollarten nur relativ selten zur Unwirksamkeit, so dass v. a. die Inhaltskontrolle den entscheidenden Filter bildet. Der wertungsrichtige Maßstab dafür ist nach dem eben o. Gesagten diejenige Regelung, die faire Parteien mit gleicher Verhandlungsmacht ausgehandelt hätten. Soweit das Gesetz eine Regelung enthält, von der die Parteien abweichen dürfen, bildet auch diese den Maßstab. Je weiter eine AGB-Klausel von diesem Maßstab abweicht, desto stärker muss der Sachgrund für diese Abweichung sein, um die Inhaltskontrolle zu passieren. Diese Wertung erklärt den in § 307 BGB und ähnlich in Art. 879 Abs. 3 des österreichischen ABGB kodifizierten Maßstab, nach dem AGB unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Dieser Maßstab wird in § 307 Abs. 2 BGB durch zwei Grundfälle konkretisiert: Eine unangemessene Benachteiligung durch AGB ist danach im Zweifel anzunehmen, wenn eine Klausel erstens mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, oder zweitens wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird.

Die richterliche Kontrolle von AGB lässt sich vor diesem Hintergrund v. a. als Infrastrukturleistung des Staates für ein effizientes Marktgeschehen deuten. In AGB von einer Partei vorformulierte Nebenabreden des Vertrages werden unter eine staatliche Gerechtigkeits- und Fairnesskontrolle gestellt, um die Parteien, gleich welcher Marktmacht, zu entlasten. Dies erlaubt es insbes. Unternehmen, auf ihre Geschäftsmodelle zugeschnittene Vertragsabreden massenhaft zu vereinbaren, ohne darüber mit ihren Vertragspartnern zu verhandeln.