Afrikanische Union (AU)

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1. Entstehung und Struktur

Panafrikanische Ideen zirkulierten unter Intellektuellen schon lange vor Ende der Kolonialzeit. Mit der Gründung der Organisation of African Unity (OAU) wurde 1963 in Addis Abeba eine erste gesamtafrikanische Institution geschaffen. Als kontinentale Dachorganisation war sie über lange Jahre hinweg ein wichtiges politisches Sprachrohr des neuen Afrika, doch fehlten die Fundamente für eine effektive regionale Zusammenarbeit des in viele Einzelstaaten zersplitterten Kontinents. Erst 40 Jahre später kam es zur Gründung der AU, einer Nachfolgeorganisation der OAU. Sie wurde 2003 in Libyen mit einer großen Finanzzusage von Muammar al-Gaddafi ins Leben gerufen und sollte mit neuer Struktur und Konzeption eine handlungsfähige Interessenvertretung des afrikanischen Kontinents werden. Der AU gehören gegenwärtig 54 Mitglieder an, lediglich Marokko bleibt wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Spanischen Sahara (seit 1976) ausgeschlossen. Standort ist Addis Abeba.

Die Gründungsakte der AU bestimmt die Ziele, Handlungsgrundsätze und Organe der AU. Die zentralen Prinzipien entsprechen weitgehend den schon von der OAU formulierten Grundsätzen: Einheit, Solidarität und Integration, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, keine Gewaltanwendung sowie Verurteilung verfassungswidriger Regierungswechsel. Sie wurden jedoch erweitert um ausdrückliche Forderungen nach Frieden und Sicherheit, nach mehr Rechtstaatlichkeit (Rechtsstaat) und Schutz der Menschenrechte. Zur Friedenssicherung und Konfliktprävention wurde 2002 eine African Peace and Security Architecture (APSA) entworfen, die sich nach den Erfahrungen der Bürgerkriege in Somalia und Ruanda dem Konzept der „menschlichen Sicherheit“ verpflichtet fühlt und Stabilität schaffen soll. Neben dem Prinzip der Nichteinmischung wurde das Gebot der „Nichtgleichgültigkeit“ in die AU-Charta (Art. 4 h) aufgenommen: Bei schwerwiegenden Umständen (Kriegsverbrechen, Völkermord; Völkerstrafrecht) steht der AU ein Interventionsrecht (Responsibility to Protect) zu. 2007 wurde zudem eine African Charter on Democracy, Governance and Elections verabschiedet, mit der die Regeln guter Regierungsführung (Governance) zum Leitprinzip staatlichen Handelns erhoben wurden. Der hohe normative Anspruch spiegelt sich auch in dem kurz zuvor erarbeiteten sozioökonomischen Entwicklungsprogramm New Partnership for Africa&s_apo;s Developement (NEPAD) wider, das – v. a. von der Vormacht Südafrikas (Präsident Thabo Mbeki) initiiert – eine „African Renaissance“ herbeiführen und dem Kontinent einen Entwicklungsschub geben sollte. Die Economic Commission for Africa (ECA) der UNO arbeitet mit ihren wirtschafts- und handelspolitische Zielen und Programmen eng mit der AU zusammen.

Zur Umsetzung der Zielsetzungen wurden Lenkungs- und Verwaltungsstrukturen nach dem Vorbild der EU geschaffen. Oberstes Entscheidungsorgan ist die Versammlung der Staats- und Regierungschefs. Sie tritt i. d. R. nur einmal im Jahr zusammen. Jedes Land ist gleichberechtigt und hat nur eine Stimme. Um handlungsfähig zu sein, ist das strikte Konsensprinzip, wie es die OAU vorsah, in eine Zweidrittelmehrheit umgewandelt worden. Vorbereitet werden die Entscheidungen durch den Exekutivrat, zu dem sich die Außenminister der afrikanischen Staaten (bei Bedarf ergänzt um weitere Fachminister) monatlich zusammenfinden. Die politische Koordination obliegt der AU-Kommission, die ähnlich der EU-Kommission die Entscheidungen der Regierungschefs umsetzt und somit eine zentrale Anlaufstelle im Gefüge der AU darstellt. Das Panafrikanische Parlament wurde erst 2004 eingesetzt. Es besteht aus jeweils fünf Abgeordneten der Mitgliedsländer, unabhängig von deren Größe und Bevölkerungsstärke. Bislang besitzt das Panafrikanische Parlament allerdings lediglich beratende Funktionen. Weitere Gemeinschaftsinstitutionen, wie der Afrikanische Gerichtshof, der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat sind vorgesehen, verfügen aber bisher nur über begrenzte Handlungskompetenzen. Spezielle Aufgaben werden von den Technischen Komitees, die dem Exekutivrat unterstehen, durchgeführt. Dazu gehören die geplanten, aber noch nicht funktionstüchtigen Finanzinstitutionen wie die Afrikanische Zentralbank, der Afrikanische Währungsfonds und die Afrikanische Investmentbank, die zukünftig v. a. mit der African Economic Commission zusammenarbeiten sollen.

2. Chancen und Probleme der Afrikanischen Union

Ein Jahrzehnt nach der Unterzeichnung der Gründungsakte ist die AU zu einem wichtigen politischen Sprachrohr in und für Afrika geworden und nimmt einen festen Platz in der internationalen Gemeinschaft ein. Sie wird als wichtiger Akteur bei der internationalen Friedenssicherung wahrgenommen und gilt als zentraler afrikanischer Ansprechpartner bei globalen Handels- und Entwicklungsdialogen (Dialog). Zugleich ist jedoch zu konstatieren, dass die hochgesteckten Ziele der Gründungsakte bei weitem noch nicht erreicht worden sind. Dies gilt v. a. für die politische Agenda, wie sie in der demokratieorientierten Governance Architektur vorgesehen ist. So haben noch immer nicht alle Mitgliedsstaaten die Gründungakte mit den darin enthaltenen Verpflichtungen unterschrieben. Die Zurückhaltung bezieht sich bes. auf die Ratifizierung der Dokumente zur guten Regierungsführung und zur Antikorruptionspolitik (Korruption), nicht zuletzt deswegen, weil in einigen Staaten Rechtstaatlichkeit (Rechtsstaat) und demokratische Partizipation im eigenen Hause nicht gepflegt werden. Entsprechend sind bei undemokratischen, gewaltsamen Regierungswechseln einige Länder von ihrer Mitgliedschaft auf Zeit suspendiert worden. Bes. empfindlich zeigen sich die noch jungen Nationalstaaten, wenn es um die Beschränkung von Souveränitätsrechten geht. Jede Verhaltensvorschrift von außen, selbst wenn sie aus den NEPAD-Peer Review Evaluierungen für gute Regierungsführung erwachsen, wird schon als Verletzung des Nichteinmischungsprinzips empfunden. Es scheint, als sei der anfängliche Enthusiasmus, mit dem NEPAD als politischer und wirtschaftlicher Neuanfang („African Renaissance“) begrüßt wurde, schon bald wieder verflogen.

Trotz nationaler Egoismen lassen sich in zwei Bereichen merkliche Veränderungen zu mehr Kooperation feststellen. Die wirtschafts- und handelspolitische Integration schreitet, nicht zuletzt aufgrund globaler Verflechtungen, immer weiter fort. In den letzten Jahrzehnten haben sich acht Regional Economic Communities (REC) gebildet, Freihandelszonen und Zollunionen (Wirtschaftsgemeinschaften, Zoll), die sich teilweise überschneiden, und die mehrheitlich Handelsverträge mit der EU abgeschlossen haben. Auch wenn nicht alle Regelungen miteinander kompatibel sind, so sind sie langfristig doch als Bausteine für eine kontinentale Wirtschafts- und Zollunion anzusehen, die schließlich in einem gemeinsamen afrikanischen Markt und möglicherweise auch in einer afrikanischen Währungsunion enden können. Gegenwärtig kommen solche Anstöße jedoch eher von einer an Handel und Rohstoffen interessierten Weltwirtschaft als von Afrika selbst.

Ebenfalls von außen vorangetrieben wird der Ausbau der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der AU. Die gewaltsamen Konflikte in Ostafrika, in Liberia oder Mali, im Südsudan oder in Nordnigeria haben trotz aller Integrationsbemühungen eher zu- als abgenommen. Es handelt sich dabei weniger um zwischenstaatliche Kriege, als vielmehr um innerstaatliche Machtkonflikte zwischen religiösen oder ethnischen Gruppen (Religionskonflikte, ethnische Konflikte), die jedoch auch über nationale Grenzen hinaus operieren und somit, wie international aktive Terrorgruppen (Terrorismus), auch weltweit agieren können. Die AU hat einen Friedens- und Sicherheitsrat (PSC) eingerichtet, dem verschiedene Institutionen, wie z. B. flächendeckende Beobachtermissionen, ein Continental Early Warning System (CEWS) und eine African Standby Force (ASF) zugeordnet sind. Obwohl subregionale Zusammenschlüsse wie die Economic Community of West African States (ECOWAS) sich schon erfolgreich an Friedensmissionen beteiligt haben, ist es bislang noch nicht gelungen, die vielfältig aufgebrochenen Konflikte allein durch afrikanische Peace-Keeping Operationen einzudämmen, so dass weiterhin noch internationale, insb. robuste UN-Friedenmissionen zur Unterstützung herangezogen werden müssen. Es ist jedoch beabsichtigt, die afrikanischen Leistungen zu erhöhen, weil – so das Ziel – afrikanische Probleme auch von Afrikanern gelöst werden sollten.

Die Meinungen über die Zukunft der AU gehen weitauseinander. Ein funktionierender Binnenmarkt oder gar eine politische Einheit sind noch in weiter Ferne. Es fehlt v. a. an Finanzmitteln. Die bis jetzt bestehenden AU-Institutionen sind nur mit internationalen Zuschüssen (ca. 60 %) handlungsfähig. Bei dem Gipfeltreffen der AU in Südafrika 2015 wurden erhebliche Beitragserhöhungen beschlossen, um zumindest die administrativen Kosten zu 100 %, die Programmkosten zu 75 % und die Aufwendungen für Friedens- und Sicherheitseinsätze zu 25 % finanzieren zu können. Ob diese Beschlüsse in absehbarer Zeit umgesetzt werden können, ist abzuwarten. Die gegenwärtige Kommissionsvorsitzende der AU, Nkosazana Dlamini-Zuma, hat mit ihrer AGENDA 2063 den Zeitpunkt für eine tatsächlich funktionstüchtige AU sicherlich nicht zu früh terminiert.