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  1. I. Rechtsstellung
  2. II. Politische Position

I. Rechtsstellung

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1. Allgemeines

Der A. ist im modernen Sprachgebrauch und nach dem Verständnis des GG sowie der von diesem dirigierten Landesverfassungen (Art. 28 Abs. 1 GG) das aus einer Wahl der Aktivbürgerschaft hervorgegangene Mitglied eines Parlaments. Er unterscheidet sich vom einstmaligen Deputierten der Ständeversammlungen dadurch, dass er dem Wohl des ganzen Volkes (und nicht nur dem eines Standes oder einer Region) verpflichtet ist und keinen Weisungen unterliegt. Die entscheidenden normativen Konturen erhält der Status des A.n durch seine Ausgestaltung in einer konkreten Verfassungsrechtsordnung. Beispielhaft hierfür steht die Regelung des GG über die Rechtsstellung des A.n des Deutschen Bundestages, deren sedes materiae Art. 38 GG ist. Ihren Mittelpunkt bildet der Grundsatz des freien parlamentarischen Mandats: „Der A. ist Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen.“ Die lapidare Formulierung beinhaltet das Bekenntnis zum Prinzip des repräsentativen Charakters sowie zur Bindungsfreiheit und Weisungsunabhängigkeit des Mandats, die beide essentiell für den A.n-Status sind. Zusammen mit den Wahlrechtsgrundsätzen (Wahlen) stellt das freie Mandat einen Eckpfeiler des parlamentarischen Systems des GG dar. Es ist im Verfassungsstaat des GG zugleich Ausfluss der Entscheidung für die Volkssouveränität und die repräsentative Demokratie (Art. 20. Abs. 2 GG). Das freie Mandat des A.n gehört zu den institutionellen, personellen und verfahrensmäßigen Vorkehrungen, die das GG zum Schutz der Integrität des Zustandekommens und der Willens- und Entscheidungsbildung der staatlichen Organe getroffen hat. Als Grundakt demokratischer Legitimation ist die Wahl der A.n in höchstem Maße der Legitimation bedürftig. Im Wahlakt der A.n vollzieht sich die Willensbildung vom Volk (Staatsvolk) zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin. Jedes parteiergreifende Einwirken der Staatsorgane auf diesen Prozess ist ausgeschlossen (BVerfGE 44, 125). Im Parteienstaat des GG, das die politischen Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution (Art. 21 GG) erhoben hat, sind Antinomien zwischen dem freien Mandat und dem Mitwirkungsanspruch der politischen Parteien unvermeidbar, freilich grundsätzlich zugunsten des ersteren aufzulösen. Ein radikaldemokratisch zu Ende gedachter Parteienstaat findet seine Grenzen im repräsentativen Status des A.n. Der Status aus Art. 38 GG ist in der Hauptsache organschaftlicher Natur, wobei der A. nicht nur als Teil des Kollegialorgans Bundestag, sondern aus originär eigenem Recht Organqualität hat. Der organschaftliche Status deckt umfassend die kompetentielle Rechtssphäre des A.n ab. Dazu zählen das Rede- und Stimmrecht, das Initiativrecht, das Frage- und Informationsrecht sowie das Recht, sich mit anderen A.n zu einer Fraktion zusammenzuschließen (BVerfGE 130, 342). Individualrechtsschutz tritt hinzu. Der verfassungsrechtliche Status des A.n ist nicht grenzenlos. Seine Ausübung unterliegt den vom Parlament kraft seiner Autonomie gesetzten Schranken. Dem herausgehobenen materiellrechtlichen Status des A.n entspricht seine verfahrensrechtliche Stellung im Verfassungsprozess vor dem BVerfG. Er steht prinzipiell nicht wie ein Grundrechtsträger der öffentlichen Gewalt des Staates gegenüber. Die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) ist insoweit nicht der adäquate Rechtsbehelf zur Durchsetzung seiner Rechte. Die mit seinem Status verbundenen Kompetenzen sind vielmehr im Verfassungsorganstreit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG geltend zu machen. Nur soweit ihm daneben Grundrechte zustehen, kann er Verfassungsbeschwerde einlegen (BVerfGE 134, 169 f.).

2. Wesentliche Prinzipien des normativen Abgeordnetenstatus

Maßgebend sind Art. 38, 46, 48 GG; ergänzt durch Vorschriften des AbgG, des BWahlG und der BWO.

2.1 Das Wesen des Abgeordnetenmandats

Der A. ist als Vertreter des ganzen Volkes (Staatsvolk) kein Beauftragter, Bevollmächtigter oder Vertreter im rechtstechnischen Sinne des bürgerlichen Rechts. Er ist weder Delegierter der Aktivbürgerschaft noch Agent einer politischen Gruppierung, noch gar manipulierbares Instrument der Basis einer Art identitär-plebiszitären Demokratie. Die Vorstellung Jean-Jacques Rousseaus von einem commissaire de volonté générale ist dem GG fremd. Gemäß der Idee der parlamentarischen Repräsentation ist der A. Repräsentant der gesamten Nation. Er nimmt kraft verfassungsrechtlicher Zuweisung Funktionen wahr, die unmittelbar dem Volk als dessen Willensäußerung und Entscheidung zugerechnet werden. Die Wahrnehmung der Repräsentationsfunktion durch den Bundestag als Ganzen setzt gleiche Mitwirkungsbefugnisse aller A.n voraus, die über die gleichen Rechte und Pflichten verfügen. Differenzierungen bedürfen einer bes.n verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (BVerfGE 130, 342). Die Stellung als Vertreter des gesamten Bundesvolkes schließt die Teilrepräsentation einzelner Interessen oder Personen aus. Der A. repräsentiert die einheitliche staatsbürgerliche Gesellschaft. Er ist weder Beamter (Beamte) noch sonst wie Staatsdiener, sondern Inhaber eines genuinen öffentlichen Amtes.

2.2 Das Prinzip des freien Mandats

Die Auftrags- und Bindungsfreiheit des A.n ist die Grundlage der Entscheidung des GG für das freie und gegen das imperative Mandat. Aus ihr folgt die Unzulässigkeit jeder unmittelbaren rechtlichen Anbindung des A.n bzw. seiner parlamentarischen Tätigkeit an die Willensbildung und Entscheidungsfindung anderer Instanzen, namentlich seiner Partei (Parteien) oder der von ihr getragenen Fraktion. Zwar erkennt das GG die Parteien als hauptsächliche Träger der politischen Willensbildung an und ist der A. nicht nur Vertreter des ganzen Volkes, sondern zugleich Exponent einer konkreten Parteiorganisation sowie i. d. R. Mitglied einer parteipolitisch fixierten Fraktion. Damit ist auch ein bes.s Spannungsverhältnis zwischen dem liberal-repräsentativen Status des Art. 38 GG einerseits und der Prärogative der Parteien zur Vorformung des politischen Willens aus Art. 21 GG andererseits erzeugt. Bei der Auflösung der Antinomie gilt als Richtschnur, dass der Partei bzw. der Fraktion jede rechtliche Disposition über den A.n-Status untersagt ist.

a) Insb. ist das imperative Mandat rechtswidrig. Ein Partei- oder Fraktionszwang, der die Unterwerfung des dissentierenden A.n unter den Willen von Partei und/oder Fraktion mit der Maßgabe bezweckt, dass er im Fall der Zuwiderhandlung auch gegen seinen Willen seines Mandats verlustig geht, verstößt gegen Art. 38 GG. Unzulässig ist es auch, dem A.n das Mandat abzuerkennen, falls er aus der Partei oder der Fraktion ausscheidet; dies auch dann, wenn der A. das Mandat allein über die Landesliste der politischen Partei erreicht hat. Dieses Verbot gilt auch für gesetzliche Anordnungen oder für Maßnahmen des Bundestages selbst, da dieser – bis auf den Fall des Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG – nicht über die Mitgliedschaft des A.n verfügen darf. Entsprechend unzulässig (§ 134 BGB) sind rechtsgeschäftliche Umgehungsgeschäfte, die einen Mandatsverlust über Blankoverzichtserklärungen, Vertragsstrafeversprechen oder Urkunden mit Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckbarkeit zu erreichen suchen. Allerdings ist gegen faktische Einwirkungen auf den Willen des A.n im Wege der Fraktionsdisziplin nichts zu erinnern, solange dem A.n die Ausübung seines Mandats unverwehrt bleibt. Unter diesem Vorbehalt sind auch Partei- und Fraktionsausschluss zulässig. Ebenso legitim ist es, wenn Partei und/oder Fraktion über das Recht der Kandidatenaufstellung und der Ausschussbesetzung Einfluss auf die Willensbildung des A.n zu nehmen suchen

b) Der Schutz des Art. 38 GG vor einem Junktim zwischen Mandat und Parteizugehörigkeit gilt nur für denjenigen, der bereits A. ist. Bei der Nachfolge eines ausgeschiedenen A.n bleiben auf der Landesliste die Bewerber unberücksichtigt, die seit dem Zeitpunkt der Aufstellung aus der Partei ausgeschieden sind (§ 48 Abs. 1 BWahlG). Nicht durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 gedeckt ist die vom BVerfG (BVerfGE 2, 1 [73]) autorisierte und in § 46 Abs. 1 Nr. 5 BWahlG übernommene Rechtsfolge, dass der A. sein Mandat verliert, wenn die Partei, der er angehört, gemäß Art. 21 Abs. 2 S. 2 verboten wird.

c) Das freie Mandat schließt den freiwilligen Verzicht des A.n auf das Mandat ein (§ 46 Abs. 1 Nr. 4 BWahlG). Dieses ist freilich grundsätzlich auf bestimmte Zeit anvertraut; es muss daher vom Mandatsträger verantwortet werden; er darf nur ausnahmsweise vorzeitig von der Verantwortung freigestellt werden. Unzulässig ist es, wenn der A. sich von vornherein zu einer nur befristeten Mandatsträgerschaft verpflichtet. Ein institutionalisiertes basisdemokratisches „Rotationsprinzip“ verletzt Art. 38 GG, da das Mandat auf Zeit prinzipiell auf eine Ausschöpfung der gesamten Zeit gerichtet ist und einen generalisierten Verzicht vor der Zeit ausschließt.

d) Die Statusrechte des A.n sind nicht unbegrenzt. Sein Informationsanspruch wird begrenzt durch das Gewaltenteilungsprinzip, das Staatswohl und die Grundrechte Dritter (BVerfGE 137, 185).

2.3 Indemnität, Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht

Der Sonderstatus des A.n wird zusätzlich abgeschirmt durch Sicherungskautelen gegenüber der dritten Gewalt. Sie dienen der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlaments bzw. der Entscheidungsfreiheit des A.n.

a) Die Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG) sichert, dass ein A. zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen wird. Der umfassende Schutz des A.n erstreckt sich auf alle gerichtlichen Verfahren und alle anderen hoheitlichen Sanktionsmöglichkeiten außerhalb des Bundestages. Die Leitungsgewalt des Bundestagspräsidenten, der auch der A. unterliegt, bleibt unberührt. Die Indemnität dauert nach Beendigung des Mandats fort. Sie ist der Verfügung des A.n und des Bundestages entzogen.

b) Die Immunität (Art. 46 Abs. 2–4 GG) schützt den A.n allg. vor Strafverfolgung und sonstigen Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit (z. B. vor zivilrechtlicher Vollstreckungshaft), solange der Bundestag diese nicht genehmigt hat, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang zu seiner parlamentarischen Tätigkeit gegeben sein müsste. Das Genehmigungserfordernis entfällt, wenn der A. bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages verhaftet wird. Jedes Verfahren – gleichgültig ob vom Bundestag genehmigt oder nicht – ist auf dessen Verlangen auszusetzen (Art. 46 Abs. 4 GG). Die Genehmigung kann nur durch das Parlament, nicht durch den A. erfolgen. Der Immunitätsschutz endet mit Ablauf des Mandats.

c) Als Berufsgeheimnis des A.n dient das Zeugnisverweigerungsrecht, das ihm gestattet, über eine Person, die ihm in seiner Eigenschaft als A. oder der er in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut hat, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Dem Recht korrespondiert ein Verbot, Schriftstücke zu beschlagnahmen (Art. 47 S. 2 GG).

2.4 Wirtschaftliche und soziale Sicherung

Eine funktionsadäquate, verantwortliche Wahrnehmung des Mandats setzt ein Mindestmaß wirtschaftlicher und sozialer Unabhängigkeit des A.n voraus.

a) Das traditionelle Bild des A.n war das des wirtschaftlich gut situierten Mitglieds des „Honoratiorenparlaments“, das sein Mandat ehrenamtlich in finanzieller Unabhängigkeit wahrnahm. Noch die RV von 1871 enthielt ein ausdrückliches Diätenverbot (Art. 32 RV), dessen klassenprivilegierende bzw. -diskriminierende Komponente unverkennbar war. Im Zuge der Entwicklung zu mehr Chancengleichheit wurden zunehmend staatliche Entschädigungsregelungen getroffen. Zu einer prinzipiellen Neubeurteilung gelangte das BVerfG im Diätenurteil (BVerfGE 40, 296), dessen Ergebnisse im AbgG Niederschlag fanden: Aus der in Art. 48 Abs. 3 GG geforderten Entschädigung ist eine Alimentation des A.n und seiner Familie geworden: ein echtes Einkommen, da die A.n-Tätigkeit mittlerweile eine Hauptbeschäftigung ist. Dieses – konsequenterweise zu versteuernde – Einkommen muss so bemessen sein, dass es eine amtsangemessene Lebensführung des A.n gestattet. Der Erwerb von Versorgungsansprüchen ist eingeschlossen. Eine nach der Inanspruchnahme durch das Mandat (Hinterbänkler oder Fraktionsführung) oder nach der persönlichen finanziellen Leistungsfähigkeit differenzierende Alimentation verstößt gegen den Grundsatz der privilegienfeindlichen Demokratie. Lediglich für den Bundestagspräsidenten und seine Stellvertreter ist die Amtszulage zulässig. Die Höhe der A.n-Bezüge ist nach dem BVerfG von den A.n selbst durch Gesetz zu regeln; eine wie immer geartete Anbindung an bestimmte Beamtengehälter und deren Erhöhung ist unzulässig. Der A. erhält zusätzlich eine steuerfreie Aufwandsentschädigung sowie eine seine Arbeitsfähigkeit sichern sollende Amtsausstattung (Büro, Mitarbeiter).

b) Aus der von Art. 38 GG geforderten Unabhängigkeit des A.n und aus dem Charakter der A.n-Entschädigung als Vollalimentation folgt nicht, dass dem A.n die Ausübung eines Berufes außerhalb des öffentlichen Dienstes neben seiner A.n-Tätigkeit untersagt wäre. Doch verlangt Art. 38 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 48 Abs. 3 gesetzliche Vorkehrungen dagegen, dass A. Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis oder aus einem Beratervertrag nur deshalb erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großorganisation vertreten und nach Möglichkeit durchzusetzen versuchten (Problem des Lobbyismus [Lobby] oder der sog.en pressure groups). Einkünfte dieser Art sind mit dem Status der A.n und ihrem Anspruch auf Vollalimentation unvereinbar. Entsprechend verlangt § 44a Abs. 2 Nr. 1 AbgG Verhaltensregeln des Bundestages, die Bestimmungen über die Angabe der beruflichen Tätigkeit, die Offenlegung von Interessenverknüpfungen, die Rechnungsführung und die Anzeige von Spenden, die Anzeige bes.r Einnahmen, die Unzulässigkeit der Annahme bestimmter Zuwendungen, sowie über das Verfahren bei Verstößen gegen diese Verhaltensregeln enthalten.

c) Der sozialen Sicherung des A.n, auch schon des Kandidaten, dient Art. 48 Abs. 1 und 2 GG. Aus Art. 48 Abs. 1 GG i. V. m. § 3 AbgG folgt ein Anspruch desjenigen, der sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, auf den zur Wahlvorbereitung erforderlichen Urlaub. Bei seiner Gewährung darf nicht auf die Wahlchancen, wohl aber auf die Ernsthaftigkeit der Bewerbung schlechthin abgestellt werden. Nach erfolgter Wahl darf niemand daran gehindert werden, das Amt eines A.n zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grund ist unzulässig (Art. 48 Abs. 2 GG i. V. m. § 2 Abs. 3 AbgG).

2.5 Unvereinbarkeiten

a) Inkompatibilitäten bestehen zwischen dem Bundestagsmandat und dem Amt des Bundespräsidenten (Art. 55 Abs. 1 GG), dem Amt eines Bundesverfassungsrichters (Art. 94 Abs. 1 S. 3 GG), der Mitgliedschaft im Bundesrat (§ 2 GOBR), dem Amt des Wehrbeauftragten (§ 14 Abs. 3 WBeauftrG) sowie mit der Mitgliedschaft in einer Landesregierung. Ungeklärt ist bislang die Frage nach der Zulässigkeit der gleichzeitigen Wahrnehmung eines Bundestags- und eines Landtagsmandats.

b) Die Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bestimmt sich nach Maßgabe der durch Art. 137 Abs. 1 GG ermöglichten Vorschriften. Art. 137 Abs. 1 GG erlaubt nur eine Wählbarkeitsbeschränkung, nicht aber eine Ausschließung. Für die Rechtsstellung des A.n des Bundestages gilt eine Unvereinbarkeit von Mandat und aktivem Amt (§ 5 AbgG). Während seines Mandats ruhen die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis. Die Gewährung eines dienstlichen Ruhegeldes neben den A.n-Bezügen verletzt den formalisierten Gleichheitssatz. Von diesen Regelungen einer subjektiv-personellen Inkompatibilität unbeeinflusst bleiben vor dem Hintergrund der organisatorischen Gewaltenteilung die generellen Bedenken gegenüber einer Verbeamtung der Parlamente.

II. Politische Position

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Vertretungskörperschaften, die gemeinschaftlich besprachen und beschlossen, was alle anging, existierten lange vor der modernen Demokratie. Aber gemäß dem institutionellen und rechtlichen Kontext unterlagen Position und Amt der in solchen Körperschaften agierenden Deputierten erheblichem Wandel. Gleich ist in allen Fällen die Vernetzungs- und Kommunikationsaufgabe (Kommunikation), welche sie als „Bindeglieder“ zwischen denen erfüllen, welche sie entsenden, und jenen, auf die sie im Interesse bzw. im Auftrag ihrer „Prinzipale“ als „Agenten“ Einfluss nehmen; doch unterschiedlich sind der konkrete Vertretungszweck, der Funktionskatalog sowie die institutionelle Ausgestaltung der Repräsentationsbeziehung (Repräsentation). Entscheidend ist die dem A.n garantierte oder verweigerte Handlungsfreiheit. Gleichwohl hat schon die Historie grundsätzlich dessen heutige Rolle anvisiert. Nach Edmund Burkes berühmter Rede an die Wähler von Bristol 1774 sollten A. nicht mehr „weisungsgebundene Gesandte“ ihrer Wahlbezirke sein. Vielmehr hätten sie ihre eigene Urteilskraft in den Dienst sowohl der Wähler als auch des – deren Interessen einschließenden – Gemeinwesens (Gemeinwohl) zu stellen. Zwar sollten die A.n nach enger Übereinstimmung mit ihren Wählern streben. Doch vorrangig sollten sie sich im Parlament gemäß ihren eigenen, den Wählern vorab bekannten politischen Überzeugungen zusammenschließen und auf diese Weise gegenüber der Regierung Macht entfalten können. Dergestalt steht die Freiheit des Mandats parlamentarischer Mannschaftsbildung nicht entgegen, sondern ist deren Voraussetzung. Obgleich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Parteien in ihrer heutigen Form zu den zentralen Kollektivakteuren wurden, waren damit bis heute wirksame Fundamente des Amts- und Selbstverständnisses gelegt, zumal in E. Burkes Zeit schon durchaus wirkungsvolle Parlamente bestanden.

1. Einbindung in Partei und Fraktion

Gleichwohl wurde vielfach die neue Rolle von Parteien wie eine „Störung“ des als individuelle Beziehung zwischen Wählern und A.n gedachten Repräsentationsverhältnisses aufgefasst und wurden schlüssige Rechtsnormen nur unter Schwierigkeiten gefunden. Noch der Art. 21 Abs. 1 GG weist Parteien eine eher unscheinbare Rolle zu: Sie „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Doch weil in der Praxis die realen Parteiführer auf (Unter-)Bezirks und Landesebene zugleich die A.n sind, wirken eben diese nicht marginal, sondern maßgeblich daran mit. Dank ihres freien Mandats dürfen sie dabei nach eigenen Vorstellungen agieren. Doch als Parteiführer haften sie für ihre Handlungen gegenüber den Parteimitgliedern und Wählern, was ihre politische Handlungsfreiheit als A. einschränkt. Darin einen „Widerspruch“ zu sehen, verkennt freilich, wie schlüssig genau diese Verkopplung von Parlamentsmandat und Parteiführungsamt das liberale Repräsentationsprinzip mit dem Demokratieprinzip verbindet.

Der Machtaufstieg von Parlamenten begann damit, dass A., v. a. die gegenüber der Regierung kritisch eingestellten, sich in Mannschaften mit Bezeichnungen wie „Club“, „parlamentarische Gruppe“ oder „Fraktion“ zusammenfanden. Erst dadurch traten sie nicht mehr als politisch leicht zu überwindende Einzelne der Staatsmacht gegenüber, sondern als eine zu weiterer Netzwerkbildung und Machtentfaltung fähige Gruppe. Zwar muss sich ein A. in seine Fraktion unter Aufgabe individuell-willkürlichen Verhaltens einfügen. Doch als teamfähiges Mannschaftsmitglied ist er an der Ausübung parlamentarischer Macht beteiligt. Das Wissen darum sowie faire Praxen innerfraktioneller Arbeitsteilung bringen verlässlich die Bereitschaft hervor, „Fraktionsdisziplin“ in aller Selbstverständlichkeit zu praktizieren. Kommt es in deren Rahmen zu Konflikten zwischen einzelnen A.n und ihrer Fraktion, bieten in den Fraktionsgeschäftsordnungen oder im parlamentarischen Komment festgelegte Regeln verlässliche Orientierung für wechselseitig als fair empfundenes Verhalten. Zu den wirksamen Disziplinierungsmöglichkeiten gegenüber einzelnen A.n gehört deren Abberufung aus Parlamentsgremien, deren Zusammensetzung die Fraktionen regeln. Ein im Konfliktfall durchaus möglicher Ausschluss eines A.n aus seiner Fraktion reduzierte dessen parlamentarische Rolle aufs Symbolische.

2. Amtsverständnis und Amtsführung

Müssen A. sich entscheiden, ob sie bei ihrer Amtsführung eher als trustee eigenen politischen Überzeugungen folgen oder eher als delegate die Interessen (Interesse) ihrer Parteien, Wahlkreise oder Wähler vertreten wollen? In der Praxis empfinden A. hier keinen Widerspruch oder Entscheidungsbedarf. Ihren Parteien gehören sie ja nicht gegen eigenen Willen an, sondern sind auf verschiedenen Ebenen sogar deren Führer. Die Wahlkreis- und Wählerinteressen lassen sich ohnehin nur durch Aushandlungs- und Durchsetzungsprozesse vertreten, in denen es gerade auf die persönliche Rolle von A.n ankommt.

Das reale Amtsverständnis deutscher A. wird durch drei Arbeitsbereiche bestimmt: Parlament, Wahlkreis, Partei. Im Parlament kommt es auf Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung an. Beides erfordert intensive Arbeit in den jeweils übernommenen politischen Fachgebieten. Dabei – sowie bei der Arbeit im Wahlkreis – legen A. großen Wert darauf, als Bindeglieder und „Netzwerker“ zwischen der Gesellschaft und dem zentralen politischen Entscheidungssystem zu fungieren. Eben das schafft Voraussetzungen für die Erfüllung von drei weiteren wichtigen Aufgaben: breite Information aus vielerlei Kontakten; Responsitivität hinsichtlich plausibler Wünsche aus Zivilgesellschaft und Wahlkreisbevölkerung; kommunikative politische Führung, zumal durch Erklären der parlamentarisch betriebenen Politik. All das ist für Renominierung und Wiederwahl wichtig. Obendrein erachten es A. als ihre Aufgabe, Dienstleistungen für Bürger, Kommunen (Gemeinde) und Unternehmen im Wahlkreis zu erbringen, indem sie etwa bei der Suche nach Problemlösungen helfen oder den Zugang zu Fördermitteln erleichtern. Ganz wider das weit verbreitete Urteil, A. wären „abgehoben“ und ließen sich „nur vor Wahlen im Wahlkreis sehen“, dürfte kaum eine andere Berufsgruppe so breitgestreute, dichte und regelmäßige Kontakte mit einem Querschnitt der Bevölkerung pflegen, wie das A. tun.

Wichtigster Prägefaktor der Amtsführung in Wahlkreis und Partei ist das Wahlrecht. Es bestimmt, von welchen Verhaltensweisen Wahl- und Wiederwahlchancen eines A.n abhängen. Zwar können bei Wahlen in Deutschland auch Einzelbewerber antreten; sie haben aber kaum Erfolgsaussichten. Deshalb führt der Weg ins Parlament über Mitarbeit in einer Partei. Wie wichtig sie im Verhältnis zu individueller Wahlkreisarbeit ist, hängt davon ab, ob eher ein auf die Kandidatenlisten von Parteien abstellendes Verhältniswahlrecht angewandt wird oder eher ein auf die Persönlichkeit von Kandidaten in Ein-Personen-Wahlkreisen ausgerichtetes Mehrheitswahlrecht. In Deutschland findet sich Letzteres in das Erstere eingebettet: Von wenigen Ausnahmen auf Länderebene abgesehen, wird jeweils die Hälfte der A.n in Wahlkreisen mit relativer Mehrheit gewählt („Direkt-A.“), die andere Hälfte proportional zu den erzielten Stimmenanteilen der Parteien („Listen-A.“).

Auf die Amtsführung wirkt sich das durchaus aus. „Direkt-A.“ in „sicheren Wahlkreisen“ verdanken ihr Mandat im Wesentlichen der Nominierung durch die Parteiorganisation im Wahlkreis, überdies ihrem persönlichen Ansehen dort. Also müssen sie sich um Rückhalt und Popularität gerade im gesellschaftlichen Nahbereich bemühen. „Listen-A.“ hingegen verdanken ihr Mandat einer günstigen Platzierung sowie einem die Fünf-Prozent-Hürde möglichst weit übersteigenden Stimmenanteil ihrer Partei. Also müssen sie auf die innerparteiliche Aushandlung eines aussichtsreichen Listenplatzes für sich selbst sowie auf eine für die Gesamtpartei günstige politische Stimmung ausgehen. Doch weil Direktkandidaten in „unsicheren Wahlkreisen“ regelmäßig nach einer „Absicherung“ auf der Liste streben, und weil viele Listen-A. unterlegene Direktkandidaten sind, macht es in der Praxis nur wenig Unterschied, ob ein A. ein Direkt- oder Listenmandat ausübt. Die wesentliche Verschiedenheit findet sich zwischen den A.n großer und kleiner Parteien, weil die Letzteren so ausgedehnte Gebiete zu betreuen haben, dass sie keine „Wahlkreisarbeit“ mit den dafür – bspw. – typischen Besuchen bei Veranstaltungen regionaler Vereine leisten können.

Wichtigster Prägefaktor der Arbeit im Parlament ist dessen hohe Arbeitsteiligkeit. Mit ihr geht ein hohes Maß wechselseitiger Kontrolle auf sachliche Leistungsfähigkeit und politische Urteilskraft einher. Jeder A. arbeitet in einem oder mehreren Parlamentsausschüssen mit, weshalb er auch jenen ständigen Arbeitsgruppen der Fraktionen angehört, die den einzelnen Ausschüssen zugeordnet sind. Dort – und gerade nicht im Parlamentsplenum – findet der größte Teil der parlamentarischen Arbeit statt. Zusammen mit der Fraktionsvollversammlung sind es diese Gremien, in denen ein A. jenen persönlichen und politischen Ruf erwirbt oder verspielt, der ihn womöglich für Führungspositionen in der Fraktion, im Gesamtparlament oder in der Regierung in Frage kommen lässt. Manche A. streben derlei Positionen gar nicht an, sondern finden ihre Erfüllung in ihrer Rolle als „Wahlkreisfürst“.

Für alle A. unterschiedslos sind – neben anderen Parteiführern, Kommunalpolitikern, Verbandsvertretern und Ansprechpartnern aus der Wirtschaft – Journalisten (Journalismus) wichtige Rollenpartner. Wahlentscheidungen werden nämlich weniger auf der Grundlage von Tatsachen getroffen, als vielmehr unter dem Eindruck dessen, wie und welche Tatsachen der Bevölkerung medial vermittelt werden (Wählerverhalten). Deshalb gehört das Zusammenwirken mit Journalisten und Medien ebenfalls zu den ständigen Aufgaben, Auftritte im Internet sowie Aktivität in den Social Media heute eingeschlossen.

3. Rekrutierung und Karrieren

Anders als im Frühparlamentarismus des 19. Jh. mit seinen „Honoratiorenpolitikern“ hat sich das Amt inzwischen zum Beruf entwickelt. Diese Professionalisierung ging mit einer Karrierisierung politischer Laufbahnen einher, die ihrerseits zum politischen Problem zu werden scheint. Lange schon beginnt eine derartige Karriere mit Aktivitäten in den Jugendorganisationen der Parteien, an die sich – den innerparteilichen Aufstieg begleitend – die Übernahme kommunaler Mandate und die Wahl ins Parlament anschließen. Seit schwachbesetzte Alterskohorten (Demographie) nachrücken und die Bereitschaft zu dauerhaftem politischen Engagement abgenommen hat, eröffnen sich jenen vergleichsweise wenigen jungen Leuten große Aufstiegschancen, die Politik zu ihrem Beruf machen wollen. Bes. groß sind politische Aufstiegschancen für jene, die schon während ihrer Ausbildungs- und Studienzeit auf regionale Mobilität verzichten und dauerhaft dort leben, wo machtrelevante politische Netzwerke bestehen. Äußerst karriereförderlich ist zudem die Wahl eines Berufes, der – wie der eines Lehrers oder Rechtsanwalts – Verfügungsfreiheit über einen großen Teil der Arbeitszeit beschert.

Zusammenwirkend führen diese Bedingungen zu einem bes.n Sozialprofil. National durchaus unterschiedlich akzentuiert (etwa mit einer Privilegierung aufgrund persönlichen Reichtums in den USA, bzw. aufgrund einer Ausbildung an Eliteschulen in Frankreich [Elite]), gilt für den deutschen „Mittelschichtsparlamentarismus“: Juristische Ausbildung und Lehrberufe kommen oft vor, desgleichen vorgängige Tätigkeiten in politischen und gesellschaftlichen Organisationen; selten sind hingegen Unternehmer, Arbeiter oder vordem nicht berufstätige Frauen. Dies ist nicht deshalb ein Problem, weil eine Vertretungskörperschaft wie eine „repräsentative Stichprobe“ aus dem Kreis der Repräsentierten (Repräsentation) zusammengesetzt sein müsste. Doch einesteils erreichen die vom Parlament ausgehenden Vernetzungsstrukturen unter solchen Umständen nicht alle Teile der demokratisch zu regierenden Gesellschaft gleichermaßen gut. Andernteils vermindern solche Rekrutierungs- und Karrierestrukturen jenen Bürgern Chancen auf eine parlamentarische Laufbahn, die sich erst nach beruflichem Erfolg oder nach der Erziehung von Kindern auf Landes- oder Bundesebene in den Dienst des Gemeinwesens stellen möchten. Auf diese Weise wird das für eine leistungsfähige Demokratie verfügbare Humankapital und Sozialkapital viel weniger ausgeschöpft, als dies möglich und wohl auch wünschenswert wäre.