Äquivalenzprinzip (Abgabenrecht)

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Das abgabenrechtliche Ä. ist der Grundsatz der Verpflichtung der öffentlichen Abgabengewalt auf eine – normativ zu präzisierende – Gleichwertigkeit der Abgabe einerseits und des Werts korrespondierender öffentlicher Leistungen/Gewährleistungen andererseits. Als Maßstab für die Abgabenbemessung ist das Ä. gedanklich zwar von normativen Bindungen der Aufkommensverwendung zu unterscheiden. Von dieser Verwendungsbindung hängt aber ab, inwiefern eine Abgabe überhaupt mit einer öffentlichen Leistung/Gewährleistung korrespondiert. Die normativen Bindungen des Ä. sind deshalb umso fester, je konkret-individueller die materielle Leistungs-Gegenleistungs-Verknüpfung ist. Als Vorzugslasten sind Gebühren (s. 1.) und Beiträge (s. 2.) Gegenleistung für eine konkrete öffentliche Leistung (Abgaben); sie wahren eine konkret-personale Äquivalenz und folgen damit der grundrechtsschonenden, freiheitsverpflichteten Austauschgerechtigkeit. Das Ä. ist hier Ausfluss der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Grundrechtseingriffs. Die Sonderabgabe nimmt eine Zwischenstellung ein (s. 3.). Dagegen entkoppelt der moderne Steuerstaat die Aufkommensseite grundsätzlich von der Verwendungsseite (Prinzip der Non-Affektation). Die steuerliche Abgabe ist also grundsätzlich Gemeinlast und lässt nur ausnahmsweise Raum für äquivalenztheoretische Konzepte (Steuer; s. 4.).

1. Gebühr

Bei einer konkret-individuellen Leistungs-Gegenleistungsbeziehung ist die Abgaben Gebühr. Nach dem Ä. sind Gebühren grundsätzlich nach dem Ausmaß zu bemessen, in dem die Gebührenschuldner die öffentliche Einrichtung oder das kommunale Eigentum benutzen (etwa Art. 8 Abs. 4 BayKAG, § 6 Abs. 3 KAG NW) oder dürfen jedenfalls nicht in einem Missverhältnis zur öffentlichen Leistung stehen (etwa § 11 Abs. 2 S. 4 KAG BW). Zur Festsetzung der Bemessungsgrundlage ist möglichst der sog.e Wirklichkeitsmaßstab, hilfsweise ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen. Auf Ebene des Tarifs wird das Ä. üblicherweise zweispurig konkretisiert: Erstens soll die Gebühr den mit der öffentlichen Leistung verbundenen Verwaltungsaufwand aller an der Leistung Beteiligten decken (etwa § 11 Abs. 2 KAG BW, Art. 8 Abs. 2 BayKAG, § 5 Abs. 4 KAG NW); dazu gehören i. d. R. neben den Grenzkosten auch Teile der Verwaltungsgemeinkosten. Diese Kostenäquivalenz markiert i. d. R. die Untergrenze der Abgabe. Zweitens ist die wirtschaftliche oder sonstige Bedeutung der öffentlichen Leistung für den Gebührenschuldner zu berücksichtigen; daher kann die Gebühr nach dem Prinzip der Nutzenäquivalenz bemessen werden, wenn der Wert des Nutzens die Höhe der Kosten übersteigt und gesetzlich keine Deckelung auf die Kostenäquivalenz angeordnet ist (so aber in Bayern, soweit dem Gebührenschuldner eine Pflicht zur Benutzung öffentlicher Einrichtungen trifft: Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayKAG; und allg. für Benutzungsgebühren §§ 14 Abs. 1 KAG BW, 5 Abs. 4, 6 Abs. 1 S. 3 KAG NW). Diese Grundsätze verlangen nicht zwingend proportionale Tarife (einheitliche Gebührensätze), sondern können schon für sich u. U. auch progressive oder degressive Gebührentarife nahelegen. Im Übrigen sind derartige Tarife rechtfertigungsbedürftig; als Rechtfertigungsgründe kommen v. a. Lenkungszwecke in Betracht.

2. Beitrag

Bezugspunkt des beitragsrechtlichen Ä. ist demgegenüber nicht die konkrete Leistung, sondern der Inbegriff aller Leistungen, d. h. die abstrakte, über die Gemeinschaft der Beitragspflichtigen gemittelte Gewährleistung. Diese sog.e Globaläquivalenz prägt v. a. das Sozialversicherungsrecht (§§ 21 SGB IV, 340 ff. SGB III, 226 ff. Abs. 1 SGB V, 161 ff. SGB VI, 152 Abs. 1 SGB VII, 54 ff. SGB XI). Im kommunalen Beitragsrecht entspricht die Abgaben dem abstrakten Wert der Möglichkeit zur Nutzung einer öffentlichen Einrichtung. Auch insoweit wird die oben genannte Zweispurigkeit prägend: Ausgangspunkt für die Beitragsbemessung ist der öffentliche Investitionsaufwand für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung (etwa § 35 KAG BW, Art. 5 Abs. 1 BayKAG, § 8 Abs. 2 KAG NW). Ergänzender und konkretisierender Beitragsmaßstab ist der individuelle oder abstrakt-typisierte Nutzen der öffentlichen Leistung (Investition) für den Beitragspflichtigen (etwa §§ 31 Abs. 1 KAG BW, 8 Abs. 6 KAG NW); so bilden insb. die grundstücksbezogenen Beiträge die aggregierte, von dem konkreten Nutzungsvorgang entkoppelte Steigerung des Grundstückswerts ab (etwa Art. 5 Abs. 2 BayKAG).

3. Sonderabgabe

Eine weiter gelockerte, nur noch an überindividuelle Äquivalenz gebundene Vorzugslast ist die Sonderabgaben, die – jedenfalls unter der deutschen Verfassungsdogmatik – als nichtsteuerliche Abgabe erhöht begründungsbedürftig ist und engen Rechtmäßigkeitsanforderungen unterliegt.

4. Steuer

Noch offener ist die Direktivkraft des Ä. für die Steuer. Sie ist gegenleistungsfreie Abgabe (vgl. § 3 AO). Das BVerfG misst dem Ä. für die objektbezogene Gewerbesteuer Rechtsqualität bei (BVerfGE 120, 1), verneint diese aber schon für die Zweitwohnungsteuer (BVerfG v. 15.01.2014, 1 BvR 1656/09). Hier und bei den übrigen Steuern ist nur, aber immerhin eine Globaläquivalenz zu fordern. Persönlich mutiert die Leistungs-Gegenleistungs-Äquivalenz dabei zu einer qualitativ verstandenen Belastungsäquivalenz (Belastungsgleichheit) im Sinne einer Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Räumlich streitet das Ä. für eine Zuordnung von Besteuerungsrechten zu dem Hoheitsträger (Gebietskörperschaft), auf dessen Territorium der Belastungsgrund liegt (source v residence-Debatte). Zeitlich drängt das Ä. auf ein Verständnis der Abschnittsbesteuerung (Periodizität) als materielles Prinzip und macht Phasenverschiebungen von Einnahmen und Ausgaben (Kreditaufnahmen, Juliusturm) rechtfertigungsbedürftig.