Versammlungsfreiheit

1. Bedeutung

Die V. gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Dieser Wortlaut gilt seit seinem Inkrafttreten 1949 unverändert. Die V. schützt die Zusammenkunft der Menschen zur gemeinsamen Kommunikation „als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ (BVerfGE 69,315,343 – Brokdorf). Wie die Grundrechte der Meinungs-, Presse-, Informations-, Rundfunk- sowie der Vereinigungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 GG) zählt die V. daher zu den sogenannten Kommunikationsgrundrechten.

Ihr kommt im demokratischen Prozess der Meinungsbildung eine elementare Rolle zu und ihre aktive Inanspruchnahme war – nicht nur in historischen Umbruchsituationen – oft von entscheidender Bedeutung. Gerade in repräsentativen Demokratien sind die Einflussmöglichkeiten der Bürger zwischen den Wahlen und außerhalb von formalisierten Mitwirkungsprozessen (z. B. in Parteien) begrenzt. Über die Medien konnte zudem vor dem Aufkommen der sogenannten „Sozialen Medien“ Anfang des 21. Jh. nur eine kleine Gruppe unmittelbar Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen. So war v. a. die Durchführung von und die Teilnahme an öffentlichen Demonstrationen lange Zeit für die Menschen die einzige Möglichkeit, ihren Unmut über die öffentlichen Verhältnisse im Allgemeinen oder die Politik der Regierenden im Besonderen zu äußern.

Die V. verpflichtet unmittelbar nicht nur den Staat, sondern auch Unternehmen, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Die V. ist – wie alle anderen Grundrechte auch – in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, das darauf zielt, den Staat zu einem Unterlassen zu verpflichten. Das schließt nicht aus, dass das Grundrecht auch auf das Zivilrecht ausstrahlt.

Historisch ist die V. auf den demokratischen Prozess bezogen, der vom Staatsvolk ausgeht und in dem das Wahlrecht den deutschen Staatsangehörigen vorbehalten ist (Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Diese Verbindung zur Volkssouveränität und zum Demokratieprinzip erklärt die verfassungsrechtliche Begrenzung des Schutzes der V. auf Deutsche (Art. 8 Abs. 1 GG), die auch Art. 9 Abs. 1 GG für die Vereinigungsfreiheit vorsieht. Nunmehr nicht mehr Deutschen vorbehalten ist dagegen – anders als noch unter der WRV – die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Verfassungspolitisch zwingend ist die Begrenzung des Grundrechts auf Deutsche nicht, da es auch Minderjährigen zukommt, die ebenfalls nicht wahlberechtigt sind (Art. 38 Abs. 2 GG) (dazu 3.).

Historisch spielten Massenkundgebungen und Demonstrationen regelmäßig auch eine zentrale Rolle für revolutionäre Umstürze, so etwa bei der Französischen Revolution 1789, in den konstitutionellen Umbrüchen europäischer Staaten nach dem Ersten Weltkrieg oder auch im Rahmen der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90. Was zunächst als „Montagsdemonstration“ begann, mündete schließlich in der deutschen Wiedervereinigung. Wegen dieses großen machtpolitischen Potenzials waren Herrschende stets versucht, dem „Druck der Straße“ mit gesetzlichen oder faktischen Erschwernissen und Verboten zu begegnen. Der Umgang mit der V. ist daher ein Seismograph für die Tendenz der demokratischen Gesinnung innerhalb eines Staates.

Durch die technischen Möglichkeiten des Internets und der „Sozialen Medien“ (Social Media) haben in jüngster Zeit die Einzelnen neue effektive Formen der (auch kollektiven) Meinungsbekundung gefunden. Seither übernehmen in der öffentlichen und veröffentlichten Wahrnehmung oftmals z. B. sogenannte „Shitstorms“ teilweise eine Funktion, die bislang hauptsächlich von Großdemonstrationen ausging. Noch umstritten ist die Frage, ob die V. auch virtuelle Versammlungen in Chatrooms oder Videokonferenzen umfasst.

Als eines der zentralen Grundrechte wird die V. neben dem GG auch in den meisten Landesverfassungen (Art. 113 BayVerf; Art. 26 BlnVerf; Art. 23 BbgVerf; Art. 16 BremVerf; Art. 14 HessVerf; Art. 12 RPVerf; Art. 6 SVerf; Art. 23 SächsVerf; Art. 12 LSAVerf; Art. 10 ThürVerf; Art. 2 BadWüVerf und Art. 4 NRWVerf verweisen auf die Grundrechte des GG) und in internationalen Rechtsnormen (Art. 11 Abs. 1 EMRK; Art. 12 Abs. 1 EuGRC; Art. 6 Abs. 1 EUV) gewährt. Seit der Föderalismusreform I von 2006 liegt die konkurrierende Gesetzgebung für das Versammlungsrecht nicht mehr beim Bund, sondern die Materie ist nunmehr Sache der Bundesländer. Das VersG des Bundes gilt jedoch in den Ländern fort, die sich (noch) kein eigenes VersG gegeben haben (Art. 125a Abs. 1 GG).

2. Begriff der Versammlung (sachlicher Schutzbereich)

Das BVerfG versteht die V. weit. Geschützt sind in sachlicher Hinsicht „örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung“ (BVerfGE 104,92 – Sitzblockade III). Dabei ist umstritten, ob bereits zwei Personen für eine Versammlung i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG genügen, jedenfalls genügen drei Teilnehmer. Einfachrechtlich schützt etwa Art. 2 Abs. 1 BayVersG explizit bereits ein Zusammenwirken von zwei Personen für die Annahme einer Versammlung. Die Versammlung kann öffentlich oder im privaten Raum erfolgen.

Die Form der Kommunikation ist nicht auf verbale Äußerungen beschränkt. Sie kann auch durch Schweigen (z. B. Mahnwache), Schrift, Symbole, Musik o. ä. artikuliert werden. Konstitutiv ist in jedem Fall die gemeinschaftliche Verfolgung des Zwecks, was die Versammlung von einer bloßen Ansammlung unterscheidet, in welcher jeder einzeln und unabhängig von anderen zufällig Anwesenden seine Motive verfolgt (z. B. Warteschlangen, Konzertbesucher, Gaffer bei einem Unfall). Der gemeinsame Zweck muss in der gemeinschaftlichen Kommunikation liegen, die sich aber nicht auf rein politische Angelegenheiten beschränken muss.

Art. 8 Abs. 1 GG schützt ausdrücklich nur solche Versammlungen, die „friedlich und ohne Waffen“ stattfinden. Eine gewalttätige und/oder bewaffnete Versammlung zu verbieten stellt also keinen Eingriff in das Grundrecht der V. dar. Bei der Frage der Gewalttätigkeit einer Versammlung insgesamt ist auf die Versammlungsleitung bzw. auf das Verhalten der Mehrzahl der Teilnehmer abzustellen. So kann eine Versammlung nicht schon deswegen aufgelöst werden, weil einzelne Teilnehmer gewaltbereit sind oder gewalttätig werden.

Alle Verhaltensweisen im Zusammenhang mit einer Versammlung sind geschützt, also neben der eigentlichen Durchführung und Teilnahme auch z. B. die Organisation oder die An- und Abreise der Teilnehmer. Die Veranstalter bestimmen dabei Ort, Zeit und Dauer der Zusammenkunft. Die genaue Form der Versammlung ist rechtlich ohne Belang. So sind klassische ortsgebundene Kundgebungen, bewegliche Demonstrationszüge und alle erdenklichen Mischformen von der V. umfasst.

3. Persönlicher Schutzbereich

In persönlicher Hinsicht steht das Grundrecht aus historischen Gründen (nur) „allen Deutschen“ i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG zu. Über das Diskriminierungsverbot von Art. 18 Abs. 1 AEUV sind aber auch EU-Ausländer in den Schutzbereich der V. integriert, soweit der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet ist, also insb. ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Geschützt sind die Organisatoren, die Leiter und Teilnehmer einer Versammlung. Diese können auch minderjährig sein, da das Grundrecht keine Altersgrenze kennt. Juristische Personen sind jedenfalls durch die für sie handelnden Personen vom Schutzbereich umfasst. Nicht-EU-Ausländer sind grundgesetzlich nur durch das (schwächere) Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. Jedoch gewährt im einfachen Recht § 1 Abs. 1 VersG (Bund) und vielfach das diesen gem. Art. 125a Abs. 1 GG ersetzende Landesrecht (z. B. Art. 1 Abs. 1 BayVersG) auch Ausländern die V. („Jedermann hat das Recht […]“), so dass die völkerrechtliche Verpflichtung aus Art. 11 Abs. 1 EMRK umgesetzt ist.

4. Beeinträchtigungen

Beeinträchtigt staatliches Handeln die geschützte V., muss dieses von den Schranken der V. gedeckt sein und diese Schranken müssen ihrerseits den Anforderungen des GG genügen – insb. verhältnismäßig sein – sowie in verfassungsmäßiger Weise angewendet werden. Rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigungen der Versammlungen können sowohl in sogenannten „klassischen“ als auch in faktischen (mittelbaren) Eingriffen liegen. Klassische Eingriffe sind regelnd, final, unmittelbar und imperativ, z. B. rechtliche Verbote sowie räumliche und zeitliche Einschränkungen. Faktische Eingriffe sind z. B. behördliche Warnungen, Überwachungsmaßnahmen sowie auch Gebühren, die angesichts ihrer Höhe einen Verzicht auf die Versammlung nahelegen könnten. Auch der Zwang zur Teilnahme an einer Versammlung stellt einen Eingriff dar, da die V. auch die Freiheit umfasst, eine Versammlung nicht durchzuführen oder ihr fernzubleiben. Die Bedeutung dieser negativen V. zeigt sich bes. im Hinblick auf staatlich organisierte Massenaufmärsche zur demonstrativen Unterstützung autoritärer Regime.

Nach heutigem Verständnis ist die V. nicht nur ein klassisches Abwehrrecht der Grundrechtsträger gegen staatliche Einflussnahme, sondern es kann sich auch ein Anspruch auf staatlichen Schutz vor Beeinträchtigungen durch Dritte (Störungen) ergeben. Die V. schützt nicht die Schädigung oder Verhinderung anderer Versammlungen. Daher ist der Staat verpflichtet, rechtskonforme Versammlungen vor gewalttätigen Gegendemonstrationen zu schützen.

5. Grundrechtsschranken

Wie jedes Grundrecht wird auch die V. nicht grenzenlos gewährt. Für Versammlungen „unter freiem Himmel“, welche mit ungleich größeren Risiken insb. für Unbeteiligte verbunden sind, sieht Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich die Möglichkeit einer Beschränkung durch einfaches Gesetz vor. Insb. das VersG des Bundes und die seit 2006 an dessen Stelle tretenden VersG der Länder enthalten solche Schranken der V., ferner z. B. das Bannmeilengesetz. Eine der bedeutsamsten einschränkenden Bestimmungen ist die Anmeldepflicht für Versammlungen im Freien bis spätestens 48 Stunden vor Veranstaltungsbeginn (§ 14 Abs. 1 VersG). Um den Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG nicht auszuhöhlen, wird diese Bestimmung dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass die Pflicht zur Anmeldung entfällt, wenn der Anlass zu einer geplanten Versammlung kurzfristig entsteht (sogenannte Eilversammlung) oder wenn sich eine Versammlung ungeplant bildet, etwa aus einer bloßen Ansammlung heraus (sogenannte Spontanversammlung).

Für Versammlungen in geschlossenen Räumen sieht das GG nicht explizit die Möglichkeit der Einschränkung durch Gesetz vor. Nach allgemeinen Regeln können diese jedoch durch den Gesetzgeber zum Schutze anderer, kollidierender Verfassungsgüter beschränkt werden. Insoweit reicht nicht jeder legitime Zweck als Eingriffszweck aus, eine Einschränkung der V. muss daher dem Schutz eines Verfassungsguts dienen (z. B. Abwehr von Gefahren für Leib und Leben, Art. 2 Abs. 2 GG).

Ob die Versammlung „unter freiem Himmel“ (mit der Möglichkeit weitergehender Beschränkungen auf Grundlage des Art. 8 Abs. 2 GG) stattfindet, richtet sich entgegen dem Wortlaut, aber im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Einschränkungsmöglichkeit nicht danach, ob eine Überdachung vorliegt, sondern ob die Öffentlichkeit freien Zugang zum Versammlungsort hat, was zu unmittelbaren Auseinandersetzungen mit Unbeteiligten führen kann (BVerfGE 128,226, 256 – Fraport). Daher liegt auch bei einer Versammlung in den dem Publikum frei zugänglichen Teilen eines Flughafengebäudes eine Versammlung unter freiem Himmel vor.

6. Schranken für Einschränkungen

Einschränkungen der V. finden wiederum ihre Grenzen (sogenannte Schranken-Schranken) insb. im rechtsstaatlichen Übermaßverbot. Demnach sind Einschränkungen der V. verfassungswidrig, wenn sie unverhältnismäßig sind. Sie sind verhältnismäßig (Verhältnismäßigkeit), wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sind. Von grundlegender Bedeutung ist hierbei der Brokdorf-Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 1985, wonach Verbot und Auflösung einer Versammlung nur „zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter“ (BVerfGE 69,315) möglich sind. Dieser Beschluss verpflichtet ferner die Veranstalter einer Versammlung und die Behörden zu einem kooperativen, vertrauensbildenden Verhalten und die staatlichen Organe generell zur Versammlungsfreundlichkeit.