Steuerstrafrecht

1. Begriff und Wesen des Steuerstrafrechts

S. ist der Sammelbegriff für alle Gesetze, die Sanktionen wegen Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze androhen, einschließlich der zugehörigen Verfahrensvorschriften. Im engeren Sinne umfasst das S. in Deutschland die Strafvorschriften der §§ 369 – 376 AO, § 26c UStG, § 23 RennwLottG und die Straftatbestände der Abgabengesetze der Länder. Weniger gewichtigte Verstöße gegen die Steuergesetze stellen lediglich Steuerordnungswidrigkeiten dar (§ 377 ff. AO), die nur mit Geldbußen geahndet werden können.

Zum S. gehört auch das Zollstrafrecht, da der Zoll sowie andere Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK) Steuern i. S. d. AO sind. Erfasst sind auch die von anderen EU-Mitgliedstaaten verwalteten Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, Umsatzsteuern und harmonisierten Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6, § 374 Abs. 4 AO).

Bei den Strafvorschriften des S.s handelt es sich um echtes Kriminalstrafrecht, weil mit der Einstufung einer Zuwiderhandlung als Straftat ein ehtisches Unwerturteil gefällt wird. Keinesfalls sind Steuerstraftaten bloße verzeihliche „Kavaliersdelikte“. Mittelbar geschädigt sind auch der Steuerzahler sowie im Bereich der Wirtschaft ehrliche Konkurrenten, die aufgrund von Steuerhinterziehungen Wettbewerbsnachteile erleiden können. Steuerstraftaten sind zunehmend auch Betätigungsfeld der Organisierten Kriminalität, die etwa durch Umsatzsteuerkarussellgeschäfte hohe Steuerschäden verursacht.

2. Rechtsgrundlagen und Struktur des Steuerstrafrechts

Das materielle S. ist insb. in den §§ 369 – 376 AO geregelt, das Steuerstrafverfahrensrecht in den §§ 385 bis 408 AO. Die Vorschriften über die Steuerordnungswidrigkeiten finden sich in den §§ 377 – 384a sowie 409 ff. AO. Ergänzend sind die allgemeinen Gesetze des Straf- und Ordnungwidrigkeitenrechts (Ordnungswidrigkeit) anzuwenden.

Wie jede Straftat setzt eine Steuerstraftat eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung voraus. Auch der Versuch ist bei den meisten Steuerstrafbeständen strafbewehrt (z. B. § 370 Abs. 2, § 372 Abs. 2, § 373 Abs. 3, § 374 Abs. 3 AO). Im S. bedarf es stets eines Rückgriffs auf die Vorschriften des Steuerrechts (sogenanntes Blankettstrafrecht). Erst aus diesen ergeben sich die steuerlichen Erklärungspflichten und der Umfang der Steuerverkürzung. Soweit diese Normen ihre Grundlage im EU-Recht (Europarecht) haben, sind sie unionsrechtskonform auszulegen. Wegen des Gesetzlichkeitsprinzips müssen auch die Vorschriften des Steuerrechts dem Bestimmtheitsgebot genügen, um im Strafrecht Anwendung finden zu können; sie dürfen nicht über den möglichen Wortsinn hinaus ausgelegt werden (strafrechtliches Analogieverbot, Art. 103 Abs. 2 GG).

Die Straftatbestände des S.s erfordern auf der subjektiven Tatseite jeweils mindestens bedingten Vorsatz. Daran fehlt es, wenn sich der Täter in einem den Vorsatz ausschließenden Irrtum über Tatumstände (§ 16 StGB) befunden hat, etwa weil er sich über das Bestehen eines Steueranspruchs geirrt hat. W…urde die Steuerverkürzung lediglich leichtfertig begangen, kann nur eine Geldbuße verhängt werden (§ 378 AO).

3. Die Straftatbestände des Steuerstrafrechts

a) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist der zentrale Straftatbestand des S.s. Die anderen Tatbestände ergänzen und vervollständigen den Rechtsgüterschutz dieser Norm. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist nach der Rechtsprechung des BGH das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der einzelnen Steuern. Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn jemand vorsätzlich den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder Angaben pflichtwidrig unterlässt und dadurch Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile (etwa eine Stundung) erlangt.

b) Bannbruch (§ 372 AO) begeht, wer Gegenstände entgegen einem Verbot einführt, ausführt oder durchführt. Der Bannbruch wird wie eine Steuerhinterziehung bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften als Zuwiderhandlung gegen ein Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbot bestraft wird.

c) Schmuggel (§ 373 AO) ist ein Qualifikationstatbestand mit erhöhter Strafdrohung, der eingreift wenn die Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Bannbruch gewerbsmäßig, gewaltsam oder bandenmäßig begangen wird.

d) Steuerhehlerei (§ 374 AO) begeht, wer vorsätzlich Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzogen oder Bannbruch begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern.

e) Gewerbs- oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG) ist ein Sondertatbestand für den Fall, dass gewerbs- oder bandenmäßig die in Rechnungen ausgewiesene USt nicht rechtzeitig oder nicht vollständig entrichtet wird. Hier genügt die bloße Nichtabführung von Steuern zur Tatbestandserfüllung.

f) Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) ist lediglich Steuerordnungswidrigkeit (§ 377 AO). Dasselbe gilt für die Gefährdungstatbestände der §§ 379 ff. AO. Steuergefährdung (§ 379 AO) begeht etwa, wer unrichtige Belege ausstellt, Belege gegen Entgelt in den Verkehr bringt, Geschäftsvorfälle nicht oder unrichtig aufzeichnet oder verbucht und dadurch eine Steuerverkürzung ermöglicht.

4. Strafzumessung

Die Strafrahmen der Tatbestände des S.s reichen überwiegend von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von fünf Jahren, bei den Qualifikationstatbeständen des Schmuggels und der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 373, 374 Abs. 2 AO) von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, sofern kein minder schwerer Fall vorliegt (§ 373 Abs. 1 Satz 2, § 374 Abs. 2 Satz 2 AO). In bes. schweren Fällen der Steuerhinterziehung sieht das Gesetz ebenfalls einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor (§ 370 Abs. 3 AO). Ein bes. schwerer Fall liegt i. d. R. u. a. dann vor, wenn Steuern in großem Ausmaß – d. h. von mehr als 50.000 Euro – verkürzt, fortgesetzt falsche Belege verwendet, Umsatz- oder Verbrauchsteuern bandenmäßig verkürzt oder zur Verschleierung vom Täter beherrschte Drittstaat-Gesellschaften genutzt worden sind. Für die Strafzumessung gelten die allgemeinen Zumessungsgrundsätze (§ 46 StGB); der Hinterziehungsumfang ist stets ein bestimmender Strafzumessungsgrund.

5. Die Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung

Im Gegensatz zum Rücktritt (§ 24 StGB) verschafft der persönliche Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige (§ 371 AO) einem an einer Steuerhinterziehung Beteiligten selbst dann noch Straffreiheit, wenn die Tat bereits vollendet ist. Der darin liegende Verzicht des Staates auf den Strafanspruch rechtfertigt sich durch die Rückkehr des Täters zur Steuerehrlichkeit bei gleichzeitiger Schaffung neuer Steuerquellen für den Fiskus. Allerdings liegen die Hürden für eine wirksame Selbstanzeige, die vollständig sein muss, hoch. Außer in den Fällen der Korrektur bestimmter Steueranmeldungen gemäß § 371 Abs. 2a AO ist erforderlich, dass zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart – mindestens aber für zehn Jahre – eine Berichtigung erfolgt (§ 371 Abs. 1 AO) und die verkürzten Steuern einschließlich Hinterziehungszinsen nachgezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO). Zudem dürfen keine Sperrgründe i. S. d. § 371 Abs. 2 AO vorliegen, etwa die Ankündigung einer Außenprüfung oder eine Tatentdeckung, mit der der Täter rechnen musste. Scheitert die Wirksamkeit einer Selbstanzeige allein daran, dass der Hinterziehungsbetrag 25.000 Euro je Tat übersteigt oder dass ein Regelbeispiel eines bes. schweren Falles vorliegt, ist zwingend von der Verfolgung abzusehen, wenn noch ein weiterer Betrag an die Staatskasse gezahlt wird, dessen Höhe in Abhängigkeit vom Hinterziehungsbetrag mindestens 10 % und höchstens 20 % der hinterzogenen Steuer beträgt (§ 398a AO).

6. Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens

Bei Steuerstraftaten hat die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts die Möglichkeit, die Ermittlungen selbständig zu führen (§ 386 Abs. 2 AO). Sie tritt an die Stelle der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren aber jederzeit an sich ziehen kann. Die Erhebung einer Anklage und die Sitzungsvertretung in einer Hauptverhandlung bleibt in jedem Fall der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Bei bestimmten banden- oder gewerbsmäßig begangenen Steuerstraftaten ist als Ermittungsmaßname auch die Telekommunikationsüberwachung zulässig (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO).