Sozialindikatoren

1. Begriff

S. sind Maßzahlen, mit deren Hilfe die Wohlfahrt einer Gesellschaft beschrieben (Querschnittsmaß) sowie wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen (Zeitreihen) aufgezeigt werden können. Neben ökonomischen Kennziffern sollen S. Informationen über gegenwärtige und vergangene Entwicklungen im Hinblick auf Lebensbedingungen und Lebensqualität der Bevölkerung geben. Diese Informationen stellen für politische Entscheidungsträger eine wichtige Orientierung im Kontext steuerungspolitischen Handelns dar und sind Grundlage für eine aktive Gesellschaftspolitik.

S. sollen zunächst soziale Probleme identifizieren und Aufmerksamkeit herstellen (Identifizierungsfunktion) und sind somit ein wichtiges Instrument gesellschaftlicher Dauerbeobachtung. Über ein regelmäßiges Berichtsystem sollen Zeitreihen erstellt werden, sodass die Entwicklung der S. sichtbar wird (Beobachtungsfunktion). Die Entwicklung selbst kann als Frühwarnsystem für zukünftige soziale Probleme interpretiert werden (Antizipationsfunktion). Schließlich können S. auch dafür verwendet werden, die Wirkung steuerungspolitischer Entscheidungen zu bewerten (Evaluationsfunktion).

International stehen sich zwei Ansätze gegenüber. Das skandinavische Modell steht in einer sozialpolitischen Tradition, welche den Fokus auf individuelle Ressourcen wie Einkommen, Bildung, Vermögen usw. legt. Demgegenüber steht der amerikanische Quality-of-Life Ansatz, der weniger materielle Ressourcen, sondern subjektive Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse in den Blickpunkt rückt.

In Deutschland hat sich seit den 1970er Jahren ein System sozialer Indikatoren durchgesetzt, das beide Ansätze kombiniert. Unter den drei Kategorien Having, welche die materielle Dimension abdeckt und z. B. ökonomische Ressourcen, Wohnbedingungen, Gesundheit usw. umfasst, Living, die das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialen Kontakten berücksichtigt und Being, die sich auf Optionen zur Beteiligung und Selbstverwirklichung bezieht, werden sowohl objektive Lebensbedingungen als auch Aspekte subjektiven Wohlbefindens zusammengefasst.

2. Geschichte und Institutionalisierung

Inspiriert durch amerikanische Vorarbeiten wurde in Deutschland in den 1970er Jahren ein Gutachten für den Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erstellt. Die Autoren waren von der Vorstellung überzeugt, dass eine alleinige Konzentration auf das BIP nicht ausreicht, um das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft adäquat abbilden zu können. In den Folgejahren wurden zahlreiche Projekte initiiert, was schließlich zu einer Institutionalisierung der S. führte. So waren Hans-Jürgen Krupp und Wolfgang Zapf auch die Leiter des Projekts SozialPolitisches Entscheidungs- und Indikatoren-System (SPES), in dem konkrete Zielbereiche formuliert wurden. Aus diesem Projekt ging ein von der DFG geförderter Sonderforschungsbereich hervor, im Rahmen dessen gesellschaftliche Wohlfahrt in einen materiellen und einen immateriellen Bereich differenziert wurde. Da verlässliche S. auf eine breite Datenbasis angewiesen sind, wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereichs sowohl die Zusammenarbeit mit dem StBA intensiviert als auch das SOEP entwickelt, welches bis heute in regelmäßigen Abständen repräsentative Bevölkerungsbefragungen durchführt und vom DIW verantwortet wird. Das SOEP stellt somit auch aktuell noch ein wichtiges Instrument zur gesellschaftlichen Dauerbeobachtung und Selbstaufklärung der Bevölkerung dar.

Sowohl in Amerika als auch in Deutschland ist in den 1980er Jahren ein gewisser Rückgang der Aufmerksamkeit auf S. zu verzeichnen. Parallel dazu haben aber supranationale Organisationen wie die UNO, die OECD oder die Weltbank die Konzepte der S.-Bewegung aufgegriffen und eigene S.-Modelle und Berichtsysteme, wie den HDI oder den Human Sustainable Development Index, etabliert. Hier wurden die Konzepte der S.-Forschung mit denen einer global geführten Nachhaltigkeitsdebatte (Nachhaltigkeit) verbunden. Spätestens seit dem Bericht des Club of Rome etablierte sich die Vorstellung, die gesellschaftliche Entwicklung nachhaltig, d. h. nicht auf Kosten zukünftiger Generationen voranzubringen.

3. Zum aktuellen Stand der Sozialindikatoren und ihrer Weiterentwicklung

Im Zusammenhang mit der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 fand eine Renaissance der S.-Bewegung statt, die nun auch auf politischer Ebene wieder diskutiert und durch ökologische Nachhaltigkeitsindikatoren ergänzt wurde. In Deutschland gründete 2010 der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission mit dem Titel Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, die ein sogenanntes W3-Indikatorenmodell mit den Dimensionen „Materieller Wohlstand“, „Soziales/Teilhabe“ und „Ökologie“ entwickelt hat. 2013 beschlossen CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag ein eigenes Berichtsystem zu entwickeln. 2016 folgte dann der „Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland“, in dem die Ergebnisse zum aktuellen Stand der Lebensqualität aufgelistet sind.

Den Konstrukteuren der S. in den 1970er Jahren war die Einrichtung eines von politischen Entscheidungsträgern unabhängigen Berichtsystems ein bes. Anliegen. Die Entwicklung zeigt aber, dass die Aufmerksamkeit, die den Indikatoren entgegengebracht wird, stark von politischen Konjunkturschwankungen abhängt. S. machen soziale Probleme lediglich sichtbar und tragen selbst nicht zu sozialen Veränderungen bei. Dafür bedarf es einer Interpretation, die normativ ausgerichtet ist, sowie weitergehender Analysen, die auch die Bedingungsfaktoren und Wechselwirkungen der S. in den Blick nehmen.