Sicherheitspolitik

In einem weit verstandenen Sinne ist S. die Gesamtheit autoritativer Bestrebungen, Sicherheit vor politisch erzeugten physischen Bedrohungen herzustellen, zu bewahren und auszuweiten. Im engeren klassischen Sinne befasst sich S. mit militärischen Bedrohungen, denen ein Staat von außen ausgesetzt ist. Grundsätzlich lassen sich drei Bedeutungsebenen unterscheiden:

a) S. in ihrer Kernbedeutung als staatlicher Politikbereich;

b) S. als internationale Sicherheit, d. h. als Interaktion zwischen und über einzelne Staaten hinaus;

c) S. als systematische und theoretische Auseinandersetzung mit den oben genannten Problemen.

Sicherheitspolitische Studien sind ihrer Natur nach multidisziplinär, werden i. d. R. aber der Politikwissenschaft respektive den Internationalen Beziehungen zugerechnet.

1. Sicherheitspolitik als staatlicher Politikbereich

Seit der Entstehung moderner Staatlichkeit in der europäischen Neuzeit zogen Regierungen die Zuständigkeit für den physischen Schutz ihres Territoriums sowie ihrer Untertanen bzw. Bürger gegen äußere und innere Gefahren an sich. Im Werk des englischen Staatsdenkers Thomas Hobbes hat die Reflexion zur Überwindung eines bedrohlichen „Naturzustandes“ durch die Staatsgewalt ihren klassischen Ausdruck gefunden. Wenngleich äußere und innere Sicherheit auch zu früheren Zeiten nicht immer eindeutig voneinander abgrenzbar waren, konzentrierte sich S. traditionell auf äußere Bedrohungen eines nach innen befriedeten Staatswesens. Sie wurde als high politics von der stärker rechtsförmigen Innenpolitik unterschieden: Klassische Instrumente staatlicher S. sind nicht Polizei oder Gerichte, sondern Diplomatie, Militär und Allianzen, zu denen später Geheimdienste (Nachrichtendienste), Entwicklungshilfe und verschiedene Formen zwischenstaatlicher Zusammenschlüsse traten.

S. hat materiell und organisatorisch einen engen Bezug zur Außenpolitik und zur Verteidigungspolitik eines Staates: Der sicherheitspolitische Aufgabenbereich ist enger als der außenpolitische, und – insb. in der Gegenwart – weiter als der verteidigungspolitische. Gemeinsam mit der Außen- und Verteidigungspolitik bildet S. eine „Trias der wichtigsten Politikfelder, auf denen sich Staaten in Beziehung zu ihrer Umwelt, bezeichnet als das internationale System, setzen“ (Gareis 2006: 16). Während sich Verteidigungspolitik darauf richtet, nicht einer kriegerischen Aggression zum Opfer zu fallen und für eine potenzielle militärische Auseinandersetzung gerüstet zu sein, besteht S. aus den Bemühungen eines Staates, für sich selbst existentielle Sicherheit vor Bedrohungen herzustellen. Den paradoxen, zugleich auf Kriegsvermeidung und Kriegsvorbereitung gerichteten Imperativ der S. fasste der römische Autor Vegetius im späten 4. Jh. n. Chr. in den Satz qui desiderat pacem, praeparet bellum (wer den Frieden will, rüste zum Krieg) (vgl. Vegetius 2001: 63). Ein potenzieller Aggressor soll durch das glaubhafte Signalisieren von Abwehrbereitschaft (Willen) und Abwehrfähigkeit (Mittel) abgeschreckt werden.

Regierungen räumen sicherheits- und verteidigungspolitischen Aufgaben zumeist den Vorrang vor anderen politischen Aufgaben ein, da bei ihrer Vernachlässigung die physische Sicherheit und die territoriale Integrität eines Staates, äußerstenfalls sogar sein Bestand in Frage gestellt würden. Typischerweise wird auch Regierungen demokratischer Staaten in der S. ein größerer Ermessens- und Handlungsspielraum zugestanden als in anderen Politikfeldern. Auch in föderalistisch (Föderalismus) verfassten Staaten wie Deutschland, der Schweiz oder den USA ist S. eine Prärogative des Zentralstaats, nicht der Gliedstaaten. Effektive S. setzt eine funktionierende Staatsgewalt voraus; von gescheiterten oder schwachen Staaten kann sie nicht oder nur sehr eingeschränkt geleistet werden.

Staatliche S. befasst sich nach hergebrachter Auffassung nur mit solchen Bedrohungen, hinter denen individuelle oder kollektive Akteure mit politischen Absichten und Kapazitäten stehen. Arbeitsschutz, technische Sicherheit, Verkehrssicherheit oder soziale Sicherungssysteme sind daher anderen Bereichen als der S. zugewiesen. Katastrophenschutz zählt nicht zur S., sofern es sich um den Schutz vor reinen Naturphänomenen handelt (z. B. Erdbeben, Vulkanausbrüche). Nur dort, wo es einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit menschlichen Akteuren gibt (z. B. Reaktorsicherheit, Folgen des Klimawandels), kann Katastrophenschutz zur S. im erweiterten Sinne gezählt werden.

Die Frage, was jeweils eine Bedrohung darstellt und mit welchen Mitteln ihr zu begegnen sei, ist nicht „objektiv“ und vom Betrachter losgelöst zu beantworten. S. ist daher – zumindest in demokratischen Staaten – ein Gegenstand politischer Debatten und Neubewertungen. Bei der entsprechenden Willensbildung nimmt die exekutive Gewalt aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit und ihres Informationsvorsprungs eine privilegierte Stellung ein. In vielen Staaten besteht ein nationaler Sicherheitsrat als Koordinations- und Entscheidungsgremium, das diejenigen Personen versammelt, die die höchsten sicherheitspolitisch relevanten Ämter verantworten. Im Vergleich dazu nimmt der deutsche Bundessicherheitsrat eine nur nachgeordnete Stellung ein.

Um ihre Wahrnehmungen und Absichten zu dokumentieren sowie um (potenziellen) Gegnern und Verbündeten bestimmte Signale zu übermitteln, veröffentlichen Regierungen sogenannte Farbbücher als offizielle Dossiers, die eine Geltung über tagesaktuelle Entwicklungen hinaus beanspruchen. Beispiele sind die in jeder Amtsperiode eines US-Präsidenten mindestens einmal veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie der USA oder die von der deutschen Bundesregierung verabschiedeten Weißbücher. Im Juli 2016 wurde das derzeit aktuelle „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ als „der wesentliche Leitfaden für die sicherheitspolitischen Entscheidungen und Handlungen“ (Bundesministerium der Verteidigung 2016: 15) Deutschlands publiziert. Um in Fragen der S. auch auf Expertise und Prognosen außerhalb des Regierungsapparats zurückgreifen zu können, unterhalten Regierungen oft staatsnahe Forschungsinstitute, z. B. die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik.

Welcher Art die S. eines bestimmten Staates ist, richtet sich u. a. nach dessen geographischer Lage und anderen geopolitischen Faktoren (Geopolitik) sowie den ihm zur Verfügung stehenden (Macht-)Ressourcen. Für die langfristige S. einer Regierung sind neben diesen systematischen und äußeren Faktoren auch historisch-kontingente Einflüsse maßgeblich. Dazu zählen neben der weltpolitischen Lage das jeweilige politische System und eine geschichtlich gewachsene sicherheitspolitische Kultur (Politische Kultur). Für die S. der BRD zwischen 1949 und 1990 waren der Antagonismus zur UdSSR, die Einbindung in die von den USA geführte atlantische Allianz und die eigene Verwundbarkeit von überragender Bedeutung: Alle Bundesregierungen mussten der Tatsache Rechnung tragen, dass die Front des Kalten Krieges durch das geteilte Deutschland verlief und die nicht nukleargerüstete BRD der potenzielle Schauplatz eines atomaren Schlagabtauschs zwischen Ost und West (Ost-West-Konflikt) war. Durch die weltpolitische Epochenwende von 1989/90 gewann das wiedervereinigte Deutschland an relativer Macht und an Spielraum. Die deutsche S. erfuhr eine Neuausrichtung, zu deren markantesten Merkmalen die seit den 1990er Jahren unternommenen Auslandseinsätze der Bundeswehr zählen. In einer im Vergleich zu den Jahren vor 1990 komplexeren sicherheitspolitischen Gesamtlage gehört es zu den historisch bedingten Kontinuitäten deutscher S., einen erweiterten, über militärische Angelegenheiten hinausgreifenden Sicherheitsbegriff zu betonen und die Aussichten einer Verrechtlichung und Institutionalisierung der internationalen Sicherheitsarchitektur optimistischer als die meisten anderen Regierungen einzuschätzen.

2. Sicherheitspolitik als internationale Sicherheit

Da im internationalen Staatensystem unterschiedliche sicherheitspolitische Präferenzen aufeinandertreffen, findet S. in einer komplexen und tendenziell kompetitiven Umwelt statt. Die internationale Ordnung ist insofern anarchisch, als es keine Autorität über den Staaten gibt, die verlässlich Regeln durchsetzen und Sicherheit garantieren könnte. Internationale Sicherheit ist somit als knappes Gut ein fortdauerndes Problem der internationalen Politik, für das bisher keine befriedigende Lösung in Sicht scheint. Die Entwicklung des europäischen und des internationalen Systems seit der frühen Neuzeit ist einerseits eine Konfliktgeschichte, anderseits auch eine Geschichte der Bemühungen, internationale Sicherheit zu organisieren, die über reine staatliche Selbsthilfe hinausgeht. Der Westfälische Friede (1648), der Wiener Kongress (1814/15), die Pariser Friedenskonferenz und die Gründung des Völkerbundes (1919/1920) sowie zahlreiche nach 1945 entstandene internationale Regime (u. a. Vereinte Nationen, Nordatlantikpakt, europäische Integration [ Europäischer Integrationsprozess ]) zeigen an, dass der Vernetzungsgrad internationaler S. im Lauf der Zeit zugenommen hat, ohne dass sich darin ein linearer Prozess hin zur endgültigen Überwindung des Sicherheitsproblems entfalten würde.

Eine zentrale Rolle für internationale S. ist den Vereinten Nationen zugedacht. Der UN-Sicherheitsrat mit seinen fünf vetoberechtigten ständigen Mitgliedern nimmt dabei nach Art. 24 der UN-Charta eine hervorgehobene Stellung ein. Obwohl die Zusammensetzung des Sicherheitsrates aufgrund der Privilegierung weniger Staaten seit Jahrzehnten in der Kritik steht, sind entsprechende Reformvorhaben bislang an macht- und interessenpolitischen Gegebenheiten gescheitert.

Ein wichtiger Faktor internationaler S. sind Allianzen zwischen mindestens zwei Staaten, die eine gegenseitige Verpflichtung zu militärischem Beistand oder eine einseitige Sicherheitsgarantie enthalten. Für die Effektivität von Allianzen spielen neben der geteilten Bedrohungswahrnehmung v. a. die vorhandenen Machtmittel, konvergierende Ziele und Interessen sowie nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit des Bündnisses eine Rolle. Empirische Studien haben intuitive Annahmen bestätigt, wonach Staaten eher Allianzen miteinander eingehen, sofern sie in jüngerer Vergangenheit in einem militarisierten Konflikt gegen denselben Drittstaat standen, sowie dann, wenn sie eine ähnliche Religion, Sprache und/oder ein ähnliches politisches System aufweisen. Neben klassischen Militärbündnissen wie der NATO können auch andere, primär nichtmilitärische Kooperationsformen eine sicherheitspolitische Dimension haben. Beispiele sind EU, die 1967 gegründete ASEAN (Vereinigung Südostasiatischer Nationen) sowie der 1981 gegründete Kooperationsrat der Arabischen Staaten des Golfes. Mit der GSVP besteht seit 2001 eine vertragsrechtliche Grundlage für eine gemeinsame S. der EU-Mitgliedstaaten. 2003 und 2016 veröffentlichte offizielle Strategiepapiere betonen einen erweiterten Sicherheitsbegriff der EU. Die Effektivität der GSVP wird jedoch einstweilen durch divergierende Interessen der europäischen Staaten beeinträchtigt.

3. Sicherheitspolitik als systematische und theoretische Auseinandersetzung

Die ältesten Auseinandersetzungen mit sicherheitspolitischen Problemen begegnen bei antiken Autoren im Nachdenken über Fragen des Krieges und der Strategie: Hier ragen die Schriften des chinesischen Autors Sun Tzu im 6. Jh. v. Chr. und des griechischen Autors Thukydides im 5. Jh. v. Chr. hervor. Im 19. und frühen 20. Jh. avancierten Strategiedenker wie Carl von Clausewitz, Antoine de Jomini, Alfred Thayer Mahan, Halford Mackinder, Basil Liddell Hart und viele andere zu Klassikern der S. Ihre Etablierung in der akademischen Sozialwissenschaft westlicher Staaten fand die S. nach dem Zweiten Weltkrieg. Rückblickend wird die Zeit zwischen den späten 1940er und den frühen 1970er Jahren im angloamerikanischen Raum als ein „goldenes Zeitalter“ der Studien zur S. bezeichnet; Security Studies waren seinerzeit nahezu deckungsgleich mit den Strategic Studies. Anders als davor stand im 1945 angebrochenen Nuklearzeitalter bei der Strategielehre die Kriegsvermeidung wesentlich stärker im Vordergrund; das Paradigma verschob sich vom „Krieg“ zur „Sicherheit“. Sicherheits- und Strategiestudien wurden in den englischsprachigen Ländern nach 1945 stärker von Zivilisten und hauptberuflichen Akademikern geprägt als von Offizieren. Diese „Zentralität des Zivilen“ (Buzan/Hansen 2010: 782) trug später dazu bei, den Sicherheitsbegriff zu erweitern. Dagegen sind in den meisten nicht-westlichen Staaten Sicherheits- und Strategiestudien bis heute eine Domäne von Militär und Geheimdiensten geblieben.

Seit den 1970er Jahren gewann die Forderung nach einem erweiterten Begriff von S. Anhänger in den Sozialwissenschaften. Die bis dahin dominierende strategische Auseinandersetzung mit S. unter dem Gesichtspunkt „nationaler Sicherheit“ traf auf die Kritik der stärker normativ argumentierenden Friedens- und Konfliktforschung. Sie kritisiert den traditionellen Ansatz wegen seiner Staatszentriertheit und betont, dass die S. von Regierungen vielfach das Gegenteil von Sicherheit für Individuen und Menschengruppen bedeuten könne. Seit den 1980er Jahren stellen konstruktivistisch, feministisch und/oder poststrukturalistisch argumentierende Critical Security Studies bisherige Ansätze grundsätzlich in Frage.

Innerhalb einer insgesamt pluralisierten und ausdifferenzierten Forschungslandschaft dominieren heute folgende Themenbereiche den „Mainstream“ des Faches: Strategie-, Großmacht- und Allianzpolitik; konventionelle und nukleare Abschreckung; Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung (Rüstungspolitik); Waffensysteme und ihre Wirkung; Proliferation und Nonproliferation von Massenvernichtungsmitteln; Terrorismus, neue, asymmetrische und hybride Formen der Kriegführung und counter-insurgency. Von zunehmender Bedeutung sind vernetzte Datensysteme und Informationstechnologien: S. sieht sich durch cyber warfare, informationelle Kriegführung und künstliche Intelligenz (insb. autonome Waffensysteme), vor neue, grundlegende Probleme gestellt, bei denen bestimmte bisherige Konstanten wie Zurechenbarkeit und Abschreckung fraglich werden.

Der Ansatz zur Vertiefung und Erweiterung der S. hat in Europa mehr Anhänger als in den USA. Bei der Vertiefung geht es zumeist darum, außer dem Staat noch weitere Referenzobjekte einzubeziehen. Die Erweiterung richtet sich v. a. auf eine stärkere Berücksichtigung von humanitären, gesundheitlichen, ökologischen und entwicklungsökonomischen Gesichtspunkten. Vertreter des traditionellen, enger gefassten Ansatzes halten dem entgegen, dass die Ausweitung die S. konzeptionell überfrachte und analytisch unscharf werden lasse. Überdies laufe „erweiterte Sicherheit“ (Buzan/Hansen 2010: 789) Gefahr, schlechte Ratschläge für staatliche S. zu zeitigen.