Post- und Telekommunikationsgeheimnis

Das Post- (P.) und Fernmeldegeheimnis gewährleistet neben dem Briefgeheimnis die „freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen (Informationen)“ (BVerfGE 143,1 [10]; ähnlich bereits früher schon BVerfGE 67,157 [171]; 110,33 [53]). Garantiert und verankert ist dieses „die Würde des denkenden und freiheitlich handelnden Menschen (wahrende)“ (BVerfGE 143,1 [10]; zum Menschenwürdeschutz des Art. 10 GG auch schon BVerfGE 113,348 [391]; 110,33 [53]; 67,157 [171]) und dem Schutz der Privatsphäre dienende (BVerfGE 85,386 [395 f.]) „Kommunikationsgeheimnis“ (Gusy 2018: Rdnr. 5) in Art. 10 Abs. 1 GG. Als mit einem hohen Rang ausgestattetes (BVerfGE 143,1 [10]) Grundrecht schützt es „die Vertraulichkeit individueller bzw. nichtöffentlicher Kommunikationen, die wegen der räumlichen Distanz zwischen Beteiligten auf eine Übermittlung durch Dritte […] angewiesen sind‘“ (Jarass 2018: 331; BVerfGE 85,386 [396]) und richtet sich als Abwehrrecht (BVerfGE 110,33 [52]; 106,28 [37]) gegen jedwede Form staatlicher Eingriffe (BVerfGE 110,33 [52 f.]); zugleich stellt es ein objektives Prinzip der deutschen Verfassungsrechtsordnung dar (BVerfGE 67,157 [185]) und vermittelt den Grundrechtsträgern neuerdings auch einen „Anspruch auf Kenntnis von Maßnahmen der Brief-, Post- und Fernmeldeüberwachung, die sie betroffen haben“ (BVerfGE 143,1 [11]).

Auf europäischer Ebene besteht ein vergleichbarer Grundrechtsschutz des Briefgeheimnisses, P.es und Fernmeldegeheimnisses durch Art. 8 der EMRK unter dem Begriff der „Korrespondenz“, der über Art. 6 Abs. 2 EUV auch die EU und ihre Organe bindet. Ebenso gewährleistet Art. 7 der EuGRC das Recht auf Achtung der „Kommunikation“. Auf der Ebene des Völkerrechts verbieten Art. 12 Abs. 1 AEMR und Art. 17 S. 1 IPbpR willkürliche Eingriffe in den persönlichen Brief- bzw. Schriftwechsel. Schließlich garantieren auch die Verfassungen aller 16 deutschen Bundesländer (Landesverfassungen) das Briefgeheimnis, P. und Fernmeldegeheimnis.

Rechtshistorisch betrachtet weisen die in Art. 10 Abs. 1 GG enthaltenen Garantien, die heute vielfach als ein einheitliches Grundrecht gedeutet werden, jeweils eigenständige Entwicklungsverläufe auf. Im Vordergrund der postrechtlichen Regelungen des 18. Jh. stand zunächst der Schutz der Kommunikation vor der Kenntnisnahme durch die Post und ihre Bediensteten. Erst später kam als zweite Schutzrichtung die Sicherung gegen den Zugriff sonstiger staatlicher Stellen hinzu. Entwicklung und Ausbau des Grundrechtsschutzes gingen dabei Hand in Hand mit der Verstaatlichung der Post und dem Fortschreiten der technischen Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten. So wurde 1919 das „Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis“ erstmals neben dem Brief- und Postgeheimnis in Art. 117 WRV garantiert. Bereits zu Beginn der Zeit des Nationalsozialismus wurde dieses Grundrecht durch § 1 „VO des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28.2.1933 indes in Gänze suspendiert. Bei der Schaffung des GG knüpfte der Parlamentarische Rat 1949 an die Terminologie des Art. 117 WRV an, nahm in Art. 10 Abs. 1 GG mit dem Begriff des „Fernmeldegeheimnisses“ indes Anpassungen an die damaligen technischen Entwicklungen vor. Unter der Geltung des GG wurde der Schutz des Briefgeheimnisses, P.es und Fernmeldegeheimnisses durch Verfassungsänderungen (Einführung des Art. 10 Abs. 2 und Art. 87 f. GG) und einfache Gesetze (insb. das G 10-Gesetz [„Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldewesens“]) mehrfach Modifikationen unterworfen. Als Folge der Postreformen in den 1980er und 1990er Jahren, die zur Privatisierung der ehemals staatlichen Post führten und zugleich einen Funktionswandel des Art. 10 GG begründeten, rückt heute zunehmend eine staatliche Regulierungs- und Gewährleistungsverantwortung in den Vordergrund.

Art. 10 Abs. 1 GG statuiert ein Menschenrecht. Träger der in Art. 10 Abs. 1 GG verankerten Garantien sind daher alle natürlichen Personen (Deutsche, Ausländer, Staatenlose, Minderjährige und Betreute) und aufgrund von Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts (BVerfGE 100,313 [356 f.]) sowie überdies Vereinigungen aus EU-Staaten. Umstritten ist, ob das Grundrecht ferner der die Kommunikation übermittelnden Einrichtung zugute kommt (dafür BVerfGE 85,386 [396]; dagegen Gusy 2018: Rdnr. 49). Nicht auf Art. 10 GG berufen können sich ausländische Vereinigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Rechts und juristische Personen des öffentlichen Rechts, wohl aber die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (BVerfGE 107,299 [310]). Verpflichtet durch Art. 10 Abs. 1 GG werden alle staatlichen Stellen (BVerfGE 67,157 [171 f.]) sowie privatrechtliche Unternehmen als Post- und Kommunikationsdienstleister, soweit sie vom Staat beherrscht werden. Keine unmittelbaren Grundrechtsadressaten sind Private und dem staatlichen Einfluss nicht mehr unterliegende Unternehmen.

Das Briefgeheimnis gilt nicht nur für Briefe im herkömmlichen Sinne, sondern greift für alle individuell adressierten schriftlichen Mitteilungen (BVerfGE 67,157 [171]), unabhängig davon, ob diese verschlossen, umschlossen oder offen sind, sodass bspw. auch Post- oder Ansichtskarten sowie Drucksachen erfasst sind. Geschützt werden sowohl der Inhalt als auch die Umstände der Kommunikation, wie bspw. Absender und Empfänger, Zeitpunkt und Beförderer, die sogenannten Verkehrsdaten. In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich das Briefgeheimnis von dem Bereitmachen der Sendung bis zum Erhalt durch den Empfänger.

In den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses fällt „die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs“ (BVerfGE 115,166 [182]; 124,43 [54]). Dieser Schutz ist weit und entwicklungsoffen zu verstehen: Erfasst sind „beliebige elektromagnetische und andere unkörperliche Formen der Übermittlung“ (Jarass 2018: 333, Herv. i. O.; s. a. BVerfGE 124,43 [54]) unabhängig von der Übermittlungsart (Kabel, Funk, optische oder andere Signale) und der Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) für die Dauer des Übermittlungsvorganges (BVerfGE 115,166 [182 f.]; 124,43 [54]). Als dynamisches Grundrecht unterfallen dem Fernmeldegeheimnis, das mehr und mehr als „Telekommunikationsgeheimnis“ (T.) bezeichnet wird (BVerfGE 125,260 [309]; 130,151 [179]), nicht nur etablierte Techniken wie Telefon-, Telefax-, Telegramm- und Fernschreibverkehr, sondern aufgrund technischer Innovationen neu aufkommende Formen von Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail, Internet (Messenger-Dienste) und SMS. Wie beim Briefgeheimnis ist aber entscheidend, dass es sich um eine Übermittlung an individuelle Empfänger und nicht um eine Übermittlung an die Öffentlichkeit handelt (BVerfGE 130,151 [179]). Nach Abschluss des Telekommunikationsvorgangs endet das Fernmeldegeheimnis; etwaige Schutzlücken sollen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und bei Kommunikation via Internet das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) schließen.

Nach der Privatisierung der Post steht im Fokus des P.es heute nicht mehr so sehr der Schutz vor der Gefährdung durch das Monopol der Bundespost als staatsnaher Organisation, sondern vielmehr die Vertraulichkeit bei der Erbringung von Postdienstleistungen unabhängig von der Rechtsform des Postdienstleisters. Geschützt wird die Beförderung aller körperlicher Sendungen durch ein auf massenhaften Verkehr angelegtes Transportnetz, das durch ein Postdienstleistungsunternehmen betrieben wird. Vom Vertraulichkeitsschutz bei der Beförderung erfasst sind Briefe, Päckchen, Pakete und Warenproben sowie unverschlossene Sendungen (BVerwGE 113,208 [210]), wenn sie jeweils an individuelle Empfänger adressiert sind.

Das Briefgeheimnis, P. und Fernmeldegeheimnis wird in vielfältiger Form einfach-gesetzlich abgesichert. Im Bereich der Telekommunikation werden die privaten Diensteanbieter nach § 88 Abs. 3 TKG zur Wahrung des Fernmeldegeheimnis verpflichtet. Nach § 39 PostG hat jeder, der Postdienstleistungen erbringt, das P. und Briefgeheimnis einzuhalten. Gegenüber jedermann ist der persönliche Lebens- und Geheimbereich strafrechtlich in den §§ 201–206 StGB sowie in § 148 TKG geschützt. Vervollständigt werden diese Vorschriften mit Regelungen, die den Umgang mit den gewonnenen Daten regeln. Hierzu zählen u. a. die im Mai 2018 in Kraft getretene DS-GVO und das BDSG.

Staatliche Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG sind etwa das Öffnen von Briefen und Einsichtnahme in diese, das Abhören, die Kenntnisnahme und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation, die Erfassung ihrer Umstände sowie die Auswertung des Inhalts und die Verwendung gewonnener Daten durch staatliche Stellen (Auflistung nach BVerfGE 110,33 [53]). Sie bedürfen nach der im Rahmen der 1968 erfolgten Notstandsgesetzgebung erstmalig aufgenommenen Grundrechtsschranke des Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG zwingend einer gesetzlichen Grundlage. Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG können danach auf der Basis einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigung durch Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsakt sowie auch unmittelbar durch förmliches Gesetz (BVerfGE 125,260 [313]) geschehen. Die jeweilige Ermächtigung muss ausreichend bestimmt (BVerfGE 100,313 [359 ff.]) und auch verhältnismäßig sein (BVerfGE 100,313 [359]) und das Zitiergebot wahren (BVerfGE 113,348 [366]) sowie neuerdings auch verfahrensrechtliche Sicherungen des Grundrechtsschutzes enthalten.

Das 1968 erlassene G 10-Gesetz, das 2001 wegen der teilweisen Verfassungswidrigkeit seiner ursprünglichen Form neugefasst wurde, erlaubt nachrichtendienstliche Eingriffe (Nachrichtendienste) in das P. und Fernmeldegeheimnis, die einer parlamentarischen Kontrolle durch die sogenannte G 10-Kommission unterliegen, da der Rechtsweg weitgehend ausgeschlossen ist.

Weitere wichtige Eingriffsbefugnisse finden sich in der StPO. Nach § 99 StPO darf die Post eines Beschuldigten zum Zwecke der Beweissicherung beschlagnahmt werden. § 100a StPO erlaubt die Überwachung der Telekommunikation, wenn ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht der Begehung einer der aufgelisteten Straftaten (Katalogstraftat) oder die Teilnahme an einer solchen besteht. Auch ist hier die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung geregelt, bei der eine Überwachungssoftware auf ein fremdes informationstechnisches System gespielt wird, um so den während des Kommunikationsvorgangs verschlüsselten Inhalt des Kontakts zwischen den Beteiligten überwachen zu können. Gemäß § 100e StPO muss ein Richter diesen Maßnahmen zustimmen, es sei denn, es liegt Gefahr im Verzug vor, sodass eine Anordnung der Staatsanwaltschaft genügt. Zur Wahrung der Verfassungsgemäßheit wurde § 100d StPO eingefügt, der Maßnahmen verbietet, durch die Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden können. § 100g StPO erlaubt den Rückgriff auf Verkehrsdaten zur Verfolgung von Katalogstraftaten sowie zur Verfolgung von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden. Hierbei wird u. a. auch auf die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung nach §§ 113b, 113c TKG gespeicherten Verkehrsdaten zurückgegriffen.

Auch im Bereich der Gefahrenabwehr finden sich entsprechende Befugnisse der Sicherheitsbehörden in den Polizeiaufgabengesetzen der einzelnen Länder. Da diese jedoch länderspezifisch geregelt sind, bestehen hier hinsichtlich der präventiv ergreifbaren Maßnahmen große Unterschiede. Die weitreichendsten Befugnisse enthält das Polizeiaufgabengesetz des Landes Bayern (Art. 30 ff. PAG).

Weitere Einschränkungen des Briefgeheimnisses, P.es und Fernmeldegeheimnisses sind in folgenden Vorschriften enthalten: § 399 AO, § 99 Abs. 1 InsO, § 39 Abs. 4 PostG, §§ 28, 29 StVollzG, § 5 Abs. 1 ZollVG.